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BVerfG 04.10.2022 - 1 BvR 382/21
BVerfG 04.10.2022 - 1 BvR 382/21 - Nichtannahmebeschluss: Abschluss von Arbeitsverträgen durch Länder als Privatrechtssubjekte und tariffähige Arbeitgeber begründet keine materielle Grundrechtsfähigkeit - fachgerichtliche Entscheidung über Auslegung einer tarifvertraglichen Regelung (hier: § 12 Abs 1 TV-L) begründet keine Beschwerdebefugnis des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes
Normen
Art 9 Abs 3 GG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 9 TVG, § 12 Abs 1 TV-L, Anl A Abschn II Nr 12.1 Entgeltgr 9a Fallgr 2 TV-L
Vorinstanz
vorgehend BAG, 9. September 2020, Az: 4 AZR 195/20, Urteil
vorgehend BAG, 9. September 2020, Az: 4 AZR 196/20, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts, in denen die Auslegung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 11 vom 2. März 2019 zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft sowie der dbb beamtenbund und tarifunion streitig war. Gegenstand war insbesondere § 12 TV-L in Verbindung mit Anlage A - Entgeltordnung zum TV-L - Teil II Abschnitt 12 Beschäftigte im Justizdienst - Unterabschnitt 12.1 Beschäftigte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften mit der Frage, was tarifrechtlich als Arbeitsergebnis zu verstehen sei.
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Ausgangspunkt war in beiden fachgerichtlichen Verfahren ein Eingruppierungsrechtsstreit jeweils einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit bei einem Amtsgericht. Sie machten rückwirkend Differenzzahlungsansprüche zwischen der Entgeltgruppe 6 und der Entgeltgruppe 9 beziehungsweise 9a sowie für die Zukunft eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9a geltend. Das Bundesarbeitsgericht sprach beiden Beschäftigten eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 beziehungsweise 9a zu. Alle Tätigkeiten in der Serviceeinheit seien ihnen einheitlich zugewiesen und führten zu einem Arbeitsergebnis. Die gesamte Tätigkeit diene dem Arbeitsergebnis der Betreuung der Aktenvorgänge in der Serviceeinheit, vom Eingang bis zum Abschluss des Verfahrens.
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2. Beschwerdeführerin zu 1) ist das Land als Arbeitgeberin, die nach Wiedereintritt mit Wirkung vom 1. Januar 2013 Mitglied der tarifschließenden Arbeitgebervereinigung ist, der Beschwerdeführerin zu 2). Die Beschwerdeführerin zu 2) hat den hier verfahrensgegenständlichen Tarifvertrag auf Arbeitgeberseite geschlossen, war aber an den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren nicht beteiligt.
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3. Mit der Verfassungsbeschwerde wird eine Verletzung der in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie geltend gemacht. Das Bundesarbeitsgericht habe zudem die spezifischen Grenzen der zulässigen Auslegung von tarifvertraglichen Regelungen überschritten, was Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 und 3 GG verletze. Das Land sei als tariffähiger Arbeitgeber beschwerdefähig; der Abschluss von Tarifverträgen sei kollektiv ausgeübte Privatautonomie, weshalb das Land insoweit nicht hoheitlich handele. Der tarifschließende Arbeitgeberverband sei ausnahmsweise durch die Urteilsgründe der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts drittbeschwert.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Sache hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung und eine Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig.
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1. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) ist unzulässig, denn das Land ist nicht beschwerdeberechtigt.
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a) Juristische Personen des öffentlichen Rechts können materielle Grundrechte grundsätzlich nicht geltend machen (vgl. BVerfGE 143, 246 313 Rn. 187> m.w.N.; zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 2020 - 1 BvR 1395/19 -, Rn. 31), sondern sich nur auf die justiziellen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und aus Art. 103 Abs. 1 GG berufen (vgl. BVerfGE 61, 82 104>; 138, 64 83 Rn. 55> m.w.N.). Der Staat kann nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter der Grundrechte sein (vgl. BVerfGE 15, 256 262>; 21, 362 370>). Anderes gilt für jene juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind oder ihm kraft ihrer Eigenart von vornherein zugehören, wie Rundfunkanstalten, Universitäten und deren Fakultäten oder Kirchen und sonstige öffentlich-rechtliche Weltanschauungsgemeinschaften (vgl. BVerfGE 143, 246 313 f. Rn. 188 f.>).
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b) Danach kann sich die Beschwerdeführerin zu 1) weder auf Art. 9 Abs. 3 GG noch auf Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG berufen. Sie ist insoweit nicht beschwerdeberechtigt. Zwar ist das Land als Arbeitgeberin zum Abschluss von Tarifverträgen berechtigt. Das tarifvertragliche Handeln und die damit bewirkte Normsetzung sind ungeachtet der normativen Wirkung, die Tarifnormen nach § 1 Tarifvertragsgesetz zukommt, auch als kollektiv ausgeübte Privatautonomie zu verstehen (vgl. BVerfGE 146, 71 120 Rn. 147>). Soweit die Beschwerdeführerin zu 1) Personen auf arbeitsrechtlicher Grundlage beschäftigt, betätigt sie sich ebenfalls als Privatrechtssubjekt (vgl. BVerfGE 88, 103 116>). Doch ergibt sich daraus keine Ausnahme von dem Grundsatz der fehlenden Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Das Land ist hier keine eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtung, die unmittelbar dem durch ein spezifisches Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzuordnen wäre und in diesem Lebensbereich den Bürgerinnen und Bürgern zur Verwirklichung ihrer Grundrechte diente (vgl. BVerfGE 21, 362 373 f.>; 68, 193 207> m.w.N.; dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 2007 - 2 BvR 695/07 -, Rn. 22; stRspr). Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der Grundrechtsfähigkeit auf juristische Personen des öffentlichen Rechts wäre grundsätzlich mit dem primären Sinn der Grundrechte, den Schutz der Einzelnen vor Eingriffen der staatlichen Gewalt zu gewährleisten, nicht mehr vereinbar. Sie könnte dazu führen, dass die Grundrechte in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn Grundrechtsschutz zugunsten der öffentlichen Hand damit letztlich gegen die Bürgerinnen und Bürger gewendet wird (vgl. BVerfGE 59, 231 254 f.>). Damit wird die Parität der Tarifvertragsparteien zur Gestaltung von Arbeitsverhältnissen mit staatlichen Arbeitgebern nicht aufgehoben, denn diesen steht bei unlösbaren Konflikten der fachgerichtliche Rechtsweg und dessen verfassungsgerichtliche Überprüfung anhand der Prozessgrundrechte zur Verfügung.
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2. Auch die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) ist unzulässig. Sie ist nicht beschwerdebefugt und ihre Verfassungsbeschwerde wahrt nicht den Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG).
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a) Die Beschwerdebefugnis setzt die Behauptung voraus, durch Akte der öffentlichen Gewalt in Grundrechten verletzt zu sein. Der angegriffene Akt muss geeignet sein, die Beschwerdeführenden selbst, unmittelbar und gegenwärtig in ihren grundrechtlich geschützten Rechtspositionen zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 1, 97 101 ff.>; 53, 30 48>; 115, 118 137>; stRspr).
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Das ist hier nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin zu 2) ist durch die angegriffenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht unmittelbar adressiert, da sie weder Partei noch Beteiligte des Ausgangsverfahrens war. Sie hat zwar den verfahrensgegenständlichen Tarifvertrag abgeschlossen, doch bindet die gerichtliche Entscheidung rechtlich nur im Verhältnis zwischen den Prozessparteien (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 495 ZPO i.V.m. § 322 Abs. 1 ZPO). Zwar wirken die hier angegriffenen Entscheidungen mittelbar auf das Tarifgeschehen ein. Das genügt jedoch für die Beschwerdebefugnis nicht.
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b) Darüber hinaus genügt die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) nicht dem Grundsatz der Subsidiarität. Danach müssen vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 123, 148 172>; 134, 242 285 Rn. 150>; stRspr). Eine Verfassungsbeschwerde ist folglich unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann.
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Das ist hier der Fall. Die Beschwerdeführerin zu 2) hätte den Inhalt des verfahrensgegenständlichen Tarifvertrages nach § 9 TVG gerichtlich mit verbindlicher Wirkung für die Normunterworfenen losgelöst vom Einzelfall klären lassen können. Eine Verbandsklage ist auch dann zulässig, wenn sie lediglich die Gültigkeit oder Auslegung einer einzelnen Tarifnorm betrifft (vgl. BAG, Urteil vom 28. September 1977 - 4 AZR 446/76 -, AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969). Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder hätte ihre Argumente zur Auslegung von § 12 Abs. 1 TV-L in Verbindung mit der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 12 Abs. 1 (Aufspaltungsverbot) und des Unterabschnitts 1 von Teil II Abschnitt 1 der Entgeltordnung zum TV-L (Beschäftigte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften) in einem solchen Verfahren vorbringen können. Hier ist nicht erkennbar, weshalb dies unzumutbar sein sollte. Die Beschreitung des Rechtswegs würde auch hier vielmehr verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht über eine solche fachliche Frage auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheidet (vgl. BVerfGE 123, 148 173>; 138, 261 271 f.> m.w.N.).
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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