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BVerfG 20.02.2020 - 1 BvR 427/19
BVerfG 20.02.2020 - 1 BvR 427/19 - Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Sachlich nicht zu rechtfertigende Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde (hier: Divergenz gem § 78 S 2 ArbGG iVm § 72 Abs 2 Nr 2 ArbGG) verletzt Rechtsschutzgarantie (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG)
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 72 Abs 2 Nr 2 ArbGG, § 78 S 2 ArbGG, § 118 Abs 2 S 4 ZPO vom 05.12.2005, § 120a Abs 1 S 3 ZPO vom 31.08.2013, § 120 Abs 4 S 1 ZPO vom 05.12.2005
Vorinstanz
vorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 14. Januar 2019, Az: 2 Ta 12/19, Beschluss
vorgehend ArbG Düsseldorf, 21. November 2018, Az: 15 Ca 5147/17, Beschluss
nachgehend BVerfG, 23. Juni 2021, Az: 1 BvR 427/19, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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1. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. Januar 2019 - 2 Ta 12/19 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
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2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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I.
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1. Der Beschwerdeführer führte gegen seine Arbeitgeberin einen Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung und Zahlungsansprüche. Für das Verfahren bewilligte das Arbeitsgericht dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe, dass kein eigener Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten sei.
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2. Rund sieben Monate später forderte das Arbeitsgericht den Beschwerdeführer auf, binnen einer Frist von drei Wochen seine derzeitige Vermögenssituation im Sinne des § 120a Abs. 1 ZPO darzulegen. Weil der Beschwerdeführer innerhalb der Frist nicht reagierte, wurde ihm eine erneute Frist von drei Wochen gesetzt. Das Arbeitsgericht wies darauf hin, dass die Versäumung der Frist die Aufhebung der Prozesskostenhilfe nach sich ziehen würde. Da der Beschwerdeführer wiederum nicht reagierte, hob das Gericht die Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO auf.
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Das Landesarbeitsgericht wies die sofortige Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch Vorlage einer Erklärung gemäß § 120a Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 ZPO darlegte, zurück, ohne die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Das Arbeitsgericht habe die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu Recht aufgehoben, da der Beschwerdeführer seiner Pflicht zur Mitwirkung im Verfahren grob nachlässig nicht nachgekommen sei. Die mit der sofortigen Beschwerde beigebrachten Unterlagen seien nicht zu berücksichtigen. Die Fristsetzung nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, der auch im Nachprüfungsverfahren Anwendung finde, liefe vollständig ins Leere, wenn später eingereichte Unterlagen berücksichtigt würden. Diese Norm ginge daher als speziellere Vorschrift auch der Regelung des § 571 Abs. 2 ZPO vor.
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3. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen, mit denen die Prozesskostenhilfe aufgehoben wurde. Er rügt der Sache nach eine Verletzung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß § 23 Abs. 2 BVerfGG dem Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen zugestellt, das von einer Stellungnahme abgesehen hat. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.
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III.
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1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts wendet, ist sie mangels hinreichender Substantiierung unzulässig.
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2. Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und offensichtlich begründet.
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3. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Maßgeblich sind die Anforderungen an die Handhabung der verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Beschreitung eines Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 88, 118 123 f.>).
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4. Die angegriffene Entscheidung verletzt das Recht des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das Landesarbeitsgericht hat die maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Zulassung der Rechtsbeschwerde in unhaltbarer Weise gehandhabt.
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a) Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantiert den Parteien im Zivilprozess effektiven Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 88, 118 123>). Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118 124>). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst auch die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Beschreitung eines Instanzenzuges von Bedeutung sind. Es begründet zwar keinen Anspruch auf eine weitere Instanz; die Entscheidung über den Umfang des Rechtsmittelzuges bleibt vielmehr dem Gesetzgeber überlassen (vgl. BVerfGE 54, 277 291>; 107, 395 401 f.>). Hat der Gesetzgeber sich jedoch für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die Prozessordnung ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 69, 381 385>; 77, 275 284>).
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b) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht.
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aa) Nach § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG ist die Rechtsbeschwerde vom Landesarbeitsgericht zuzulassen, wenn seine Entscheidung von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Voraussetzungen lagen ersichtlich vor.
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bb) Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 18. November 2003 (5 AZB 46/03, Rn. 10 f., juris) entschieden, dass die Beschwerde im Prozesskostenhilfenachprüfungsverfahren nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden könne. Die Beschwerdeinstanz sei eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz. Fristen nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F. seien keine Ausschlussfristen, denn diese müssten gesetzlich geregelt sein. § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F. ermögliche dem Gericht nur, Erklärungsfristen zu setzen. Sie dienten dazu, erforderliche Erklärungen und Nachweise binnen angemessener Zeit zu beschaffen. Ein endgültiger Rechtsverlust sei mit der Versäumung dieser Fristen nicht verbunden.
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cc) Von diesem in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz, dass im Prozesskostenhilfenachprüfungsverfahren gesetzte Fristen keine Ausschlussfristen darstellen und mit ihrer Versäumung kein endgültiger Rechtsverlust verbunden sei, weicht das Landesarbeitsgericht ab. Es legt der angegriffenen Entscheidung den Rechtssatz zugrunde, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel seien entgegen § 571 Abs. 2 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht mehr vorzubringen, wenn der Partei im Prozesskostenhilfenachprüfungsverfahren eine Frist zur Vorlage von Unterlagen gesetzt worden sei.
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dd) Diese voneinander divergierenden Rechtssätze beziehen sich auf dieselbe gesetzliche Bestimmung. Zwar wurde § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F. durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 mit Wirkung zum 1. Januar 2014 geändert. Doch liegt der angegriffenen Entscheidung mit § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO eine Norm zugrunde, die fast wortgleich mit der für den divergierenden Beschluss des Bundesarbeitsgerichts entscheidenden Norm des § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F. übereinstimmt. Die Änderungen zum 1. Januar 2014 ersetzten die Vorgabe "hat sich die Partei darüber zu erklären" durch "muss die Partei jederzeit erklären". Das Wort "jederzeit" hatte insofern nur klarstellenden Charakter (vgl. BTDrucks 17/11472, S. 33). Auch aus dem damals geänderten Normzusammenhang lässt sich nicht erkennen, dass unterschiedliche Regelungsabsichten bestanden.
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ee) Die Divergenzfähigkeit der Entscheidung vom 18. November 2003 entfällt auch nicht deshalb, weil das Bundesarbeitsgericht die Rechtsfrage zu einem späteren Zeitpunkt bewusst anders beantwortet habe. Das Landesarbeitsgericht zieht hier die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Dezember 2003 (2 AZB 19/03, juris) heran. Diese bezieht sich jedoch offensichtlich nicht auf dieselbe Rechtsfrage. Sie behandelt nicht die Erklärungspflicht nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F., sondern die Glaubhaftmachung nach § 118 Abs. 2 ZPO a.F. Diese Regelungen unterscheiden sich nach Wortlaut und Regelungsgehalt erheblich, denn § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F. betrifft das Abänderungsverfahren und eröffnet Ermessen, wohingegen § 118 Abs. 2 ZPO a.F. das Bewilligungsverfahren betrifft und für die Zurückweisung bei versäumter Mitwirkung kein Ermessen eröffnet.
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ff) Die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht auf dem divergierenden Rechtssatz. Das Gericht hat ihn zur Beurteilung des Antragsbegehrens herangezogen. Wäre es nicht davon ausgegangen, dass die Versäumung der Fristen zur Vorlage von Unterlagen im Prozesskostenhilfenachprüfungsverfahren dazu führe, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Beschwerdeverfahren nicht mehr vorzubringen seien, hätte es das neue Vorbringen des Beschwerdeführers berücksichtigt und wäre möglicherweise zu einer anderen Entscheidung über die Beschwerde gekommen.
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gg) Die sachlich nicht zu rechtfertigende Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde schließt den Beschwerdeführer von dem verfassungsrechtlich gebotenen Zugang zur Rechtsbeschwerdeinstanz aus; sie ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht zu vereinbaren.
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5. Der angegriffene Beschluss beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist auch nicht deutlich abzusehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Zurückverweisung der Sache sein verfolgtes Begehren nicht erreichen könnte (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>).
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IV.
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1. Nach § 93c Abs. 2 BVerfGG in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG ist der Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 14. Januar 2019 aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
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2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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