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BVerfG 04.07.2016 - 2 BvR 1552/14
BVerfG 04.07.2016 - 2 BvR 1552/14 - Nichtannahmebeschluss: Art 103 Abs 1 GG gilt auch für zivilprozessuale Kostenentscheidung (hier: gem § 97 ZPO) - hier: Unzulässigkeit einer gegen eine Rechtsmittelkostenentscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde mangels Erhebung der Anhörungsrüge trotz Gehörsverletzung
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 97 ZPO, § 321a Abs 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Celle, 12. Juni 2014, Az: 16 U 40/13, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Kostenentscheidung eines zivilrechtlichen Berufungsurteils.
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Die Beschwerdeführerin wurde vor dem Landgericht Hannover von einem Insolvenzverwalter auf Rückübertragung eines Grundstücks in Spanien in Anspruch genommen. Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab, weil die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte fehle. Auf die Berufung des Klägers hob das Oberlandesgericht Celle das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Die Kosten des Berufungsverfahrens erlegte es der Beschwerdeführerin auf. Es meinte ohne nähere Begründung, dies folge aus § 97 ZPO.
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Mit ihrer gegen das Berufungsurteil gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Sie hält die gegen den eindeutigen Wortlaut von § 97 ZPO getroffene Kostenentscheidung für willkürlich. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Insbesondere habe es nicht der Erhebung einer Anhörungsrüge bedurft, weil hinsichtlich der Kostenentscheidung im Zivilprozess kein Anspruch auf rechtliches Gehör bestehe.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Die Verfassungsbeschwerde wahrt nicht den Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), denn die Beschwerdeführerin hat gegen die angegriffene Kostenentscheidung keine Anhörungsrüge erhoben.
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1. Der aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleitete Grundsatz der materiellen Subsidiarität gebietet, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht lediglich formell erschöpft, sondern darüber hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Dies bedeutet, dass der Beschwerdeführer gehalten sein kann, eine Gehörsverletzung im fachgerichtlichen Verfahren auch dann mit einer Anhörungsrüge anzugreifen, wenn er mit der Verfassungsbeschwerde zwar keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen will, die Erhebung der Anhörungsrüge aber zur Beseitigung anderweitiger Grundrechtsverletzungen führen könnte. Denn die Dispositionsfreiheit bei der Erhebung der Verfassungsbeschwerde entbindet den Beschwerdeführer nicht ohne Weiteres von der Beachtung des Subsidiaritätsgebots. Beruft sich ein Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde nicht auf eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, muss er aus Gründen der Subsidiarität allerdings nur dann eine Anhörungsrüge erhoben haben, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte naheliegt und zu erwarten gewesen wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer diesen Rechtsbehelf ergriffen hätten (vgl. zum Ganzen BVerfGE 134, 106 115 f. Rn. 27 ff.> sowie zuletzt BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 2016 - 2 BvR 544/16 -, juris, Rn. 4; vom 4. Mai 2015 - 2 BvR 2169/13 u.a. -, juris, Rn. 2, und vom 17. Juli 2015 - 2 BvR 1245/15 -, juris, Rn. 4, sowie der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. August 2015 - 1 BvR 1528/14 -, juris, Rn. 6).
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2. Gemessen hieran ist vorliegend der Grundsatz der materiellen Subsidiarität verletzt, weil die Beschwerdeführerin gegen die Kostenentscheidung keine Anhörungsrüge erhoben hat. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist Art. 103 Abs. 1 GG auf die Kostenentscheidung in einem Zivilurteil anwendbar (vgl. BVerfGE 60, 305 308 f.>; vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 7. Mai 2015 - 2 U 2/14 -, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Oktober 2004 - 21 U 75/03 -, juris, Rn. 4). Ein Gehörsverstoß des Oberlandesgerichts liegt hier vor, weil es auf seine von der einhelligen Rechtsansicht in Rechtsprechung und Literatur abweichende Rechtsauffassung nicht hingewiesen hat.
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a) Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfGE 86, 133 144 f.>; 98, 218 263>; 108, 341 345 f.>).
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b) Vorliegend musste ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht mit der hier angegriffenen Kostenentscheidung rechnen.
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Nach § 97 Abs. 1 ZPO, auf den das Oberlandesgericht seine Kostenentscheidung gestützt hat, können nur derjenigen Partei, die ein Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, die Kosten des Rechtsmittels auferlegt werden. Eine Regelung dahingehend, dass dem Gegner des Rechtsmittelführers die Kosten des - erfolgreichen - Rechtsmittels auferlegt werden können, enthält § 97 ZPO nach einhelliger Auffassung nicht (vgl. Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 97 Rn. 7; Gierl, in: Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 97 Rn. 1; Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 97 Rn. 6). Davon abgesehen ist die Kostenentscheidung im Fall der Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 ZPO nach einhelliger Ansicht der Endentscheidung vorzubehalten (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1987, S. 1152; Bork, a.a.O.; Heßler, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 538 Rn. 58; Rimmelspacher, in: MünchKomm, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 538 Rn. 71; Wulf, in: BeckOK, ZPO, § 538 Rn. 33).
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Das Oberlandesgericht hätte deshalb die Beschwerdeführerin ausnahmsweise auf seine beabsichtigte, davon abweichende Kostenentscheidung hinweisen müssen. Mangels eines Hinweises hatte die Beschwerdeführerin (noch) keine Veranlassung, zur Kostenentscheidung vorzutragen. Der unterlassene Hinweis kommt im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleich (vgl. BVerfGE 86, 133 144>; 98, 218 263>).
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c) Worauf die Gehörsverletzung beruht, ist unerheblich. Insbesondere kommt es nicht auf ein Verschulden des Gerichts an (vgl. BVerfGE 60, 120 123>; 62, 347 352>; 70, 215 218>). Es kann deshalb dahinstehen, ob das Oberlandesgericht nur versehentlich von der eindeutigen Rechtslage abgewichen ist. Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) schließt eine für die Entscheidung ursächliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht aus (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. Oktober 2015 - 1 BvR 455/14 -, juris, Rn. 15).
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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