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BFH 21.04.2022 - V R 18/19
BFH 21.04.2022 - V R 18/19 - Kosten für einen sachverständigen Dritten als Kassenprüfer als Massekosten
Normen
§ 15 Abs 1 UStG 2005, § 15 Abs 2 UStG 2005, § 55 Abs 1 Nr 1 InsO, § 69 S 2 InsO, § 67 Abs 2 InsO, UStG VZ 2010, UStG VZ 2011, UStG VZ 2012, UStG VZ 2013
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 19. Juli 2017, Az: 5 K 1959/15 U, Urteil
Leitsatz
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1. Von einer unmittelbaren Auftragserteilung durch die Insolvenzmasse ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Insolvenzverwalter in die Beauftragung eines Kassenprüfers eingebunden ist, indem er dem Gläubigerausschuss den Prüfer vorschlägt und dem Prüfer den Beschluss des Gläubigerausschusses über dessen Beauftragung übermittelt.
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2. Wird ein sachverständiger Dritter durch den Insolvenzverwalter mit der Prüfung beauftragt, sind die Kosten der Prüfung Masseverbindlichkeiten, da sie i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch die Verwaltung der Masse verursacht werden.
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.07.2017 - 5 K 1959/15 U wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B AG in Liquidation. Es ist ein Gläubigerausschuss nach § 67 der Insolvenzordnung (InsO) eingerichtet. Auf seiner ersten konstituierenden Sitzung am xx.xx.2002 beschloss der Gläubigerausschuss auf Vorschlag des Klägers, die Rechnungsprüfung an den Diplom-Finanzwirt X zu delegieren. Mit Schreiben vom xx.xx.2002 bestätigte der Kläger dem X, dass der Gläubigerausschuss X zum (externen) Kassen- bzw. Rechnungsprüfer ernannt habe. X stellte "seine Tätigkeiten im Rahmen der vom Gläubigerausschuss in Auftrag gegebenen Kassenprüfungen" dem Kläger als Insolvenzverwalter in Rechnung. Streitig ist, ob der Kläger aus diesen Rechnungen den Vorsteuerabzug geltend machen kann.
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Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) erkannte die Beträge nicht als Vorsteuern an und setzte dementsprechend die Umsatzsteuern gegen den Kläger mit Bescheiden vom 21.05.2015 für 2010 und 2012, mit Bescheid vom 21.05.2013 für 2011 und mit Bescheid vom 22.10.2014 für 2013 fest.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1946 veröffentlichten Urteil stattgegeben.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Leistungsempfänger der vom externen Prüfer erbrachten Kassenprüfungen sei der Gläubigerausschuss, denn dieser habe den Kassenprüfer beauftragt. An diesen sei die Rechnung zu adressieren. Der verbrauchsfähige Vorteil der Kassenprüfung komme nämlich nicht unmittelbar der Insolvenzmasse zugute, sondern diene der Pflichterfüllung des Gläubigerausschusses. Zudem fehle dem Gläubigerausschuss die Vertretungsmacht, für den Insolvenzverwalter rechtsgeschäftlich handeln zu können. Nicht der Gläubigerausschuss, sondern die Mitglieder des Gläubigerausschusses seien unmittelbar aus diesen Rechnungen des Prüfers vorsteuerabzugsberechtigt. Die Kosten habe das jeweilige Ausschussmitglied zunächst selbst zu entrichten, könne sie aber als Auslagen i.S. des § 54 InsO vom Insolvenzgericht festsetzen lassen und Erstattung aus der Insolvenzmasse verlangen. Sofern die Ausschussmitglieder originär Unternehmer seien, seien die Vorsteuern bei ihnen abzugsfähig. Seien die Ausschussmitglieder keine Unternehmer, begründe der (weiterbelastete) Auslagenersatz für das insolvente Unternehmen keinen Vorsteueranspruch.
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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision des FA ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass dem Kläger der Vorsteuerabzug aus der Rechnung des X zusteht.
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1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Danach ist der Steuerpflichtige (Unternehmer), der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 07.05.2020 - V R 22/18, BFHE 270, 151, BStBl II 2021, 921, Rz 19).
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2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass sich der umsatzsteuerrechtliche Leistungsaustausch unmittelbar zwischen dem Kassenprüfer X und der durch den Insolvenzverwalter vertretenen Insolvenzmasse vollzogen hat, so dass dieser der Vorsteuerabzug aus den Prüfungsleistungen zusteht.
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a) Nach ständiger BFH-Rechtsprechung bestimmen sich die Person des Leistenden und die des Leistungsempfängers nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (vgl. BFH-Urteile vom 22.11.2018 - V R 65/17, BFHE 263, 90, Rz 19; vom 28.08.2014 - V R 49/13, BFHE 247, 283, unter II.1.c aa, m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung). Ebenso ist es im Unionsrecht und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (z.B. Urteil Newey vom 20.06.2013 - C-653/11, EU:C:2013:409, Rz 40, 43).
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b) Danach ist Empfänger der von X ausgeführten Prüfungsleistungen die durch den Insolvenzverwalter vertretene Masse, weil das Rechtsverhältnis, aus dem sich Leistender und Leistungsempfänger ergeben, zwischen der Masse und X zustande gekommen ist. Im Ergebnis zutreffend hat das FG insoweit entschieden, dass zwischen Insolvenzmasse und Kassenprüfer umsatzsteuerrechtlich keine andere Person zwischengeschaltet war. Denn die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben bei der Beauftragung des X unter Einschaltung des Klägers für die Masse durch ihre Beschlussfassung lediglich mitgewirkt, ohne dass hierdurch der Gläubigerausschuss oder seine Mitglieder als Leistungsempfänger zivilrechtlich verpflichtet werden sollten. Leistungsempfängerin war nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien die Masse.
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aa) Es gehört nicht zu den Aufgaben eines Gläubigerausschusses oder dessen Mitglieder, nach außen hin aufzutreten und Masseverbindlichkeiten durch Abschluss von Verträgen im Namen des insolventen Unternehmens zu begründen. Denn diese Aufgabe obliegt dem Insolvenzverwalter (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 22.04.1981 - VIII ZR 34/80, Der Betrieb 1981, 2534; Kahlert, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2011, 2439, 2440), dessen Handeln den Leistungsbezug für die Masse und damit unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG den Vorsteuerabzug zugunsten der Masse begründet.
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bb) Ob sich aus § 69 Satz 2 InsO etwas anderes ergibt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Diese Vorschrift weist den Mitgliedern des Gläubigerausschusses die Vergabe der Kassenprüfung als Aufgabe zu. Diese Pflicht trifft die einzelnen Mitglieder des Gläubigerausschusses höchstpersönlich (BGH-Urteil vom 09.10.2014 - IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, Rz 17; BGH-Beschlüsse vom 01.03.2007 - IX ZB 47/06, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht --ZInsO-- 2007, 444, Rz 11; vom 29.11.2007 - IX ZB 231/06, ZInsO 2008, 105, Rz 6). Dabei ist der Gläubigerausschuss --ebenso wie der Insolvenzverwalter-- ein selbständiges gesetzliches Organ im Insolvenzverfahren (BGH-Urteil in BGHZ 202, 324, Rz 16).
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Nach den Verhältnissen des Streitfalls braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob seine Mitglieder den Prüfungsauftrag im Rahmen des § 69 Satz 2 InsO (ebenso wie der Insolvenzverwalter im Rahmen des § 80 InsO) unmittelbar für den Insolvenzschuldner als den Rechtsträger des die Insolvenzmasse bildenden Vermögens erteilen können, wenn sie in Erfüllung der ihnen durch diese Vorschrift gesetzlich zugewiesenen Aufgabe, den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen, einen Kassenprüfer selbst beauftragen. Denn von einer unmittelbar die Insolvenzmasse treffenden Auftragserteilung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn --wie hier-- der Insolvenzverwalter in die Beauftragung des Kassenprüfers eingebunden ist, indem er dem Gläubigerausschuss den Prüfer vorschlägt und dem Prüfer den Beschluss des Gläubigerausschusses über dessen Beauftragung übermittelt.
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cc) Wird --wie hier-- ein sachverständiger Dritter unter vorstehenden Umständen durch den Insolvenzverwalter mit der Prüfung beauftragt, sind die Kosten der Prüfung somit Masseverbindlichkeiten, da sie i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch die Verwaltung der Masse verursacht wurden (so zutreffend MüKoInsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl., § 69 Rz 18; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 69 Rz 18; Uhlenbruck/Knof, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 69 Rz 32; ebenso Braun/Kind, Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 69 Rz 11; Pape, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2003, 361, 367; ebenso Kahlert, DStR 2011, 2439, 2440; Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 69 Rz 7; Braun/Hirte, Insolvenzordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 11; Riedel in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl., § 69 Rz 5; Schmitt in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Aufl., § 69 Rz 10; Weiß in Nerlich/Römermann, InsO, § 69 Rz 23). Das entspricht auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 12/2443, S. 132). Soweit Schirmer in DStR 2012, 733, unter 1.2.1. demgegenüber die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Hinblick auf einen "offensichtlich nicht sorgsam durchdachten Hinweis des Gesetzgebers im Regierungsentwurf zu § 80 InsO-E" ablehnt, da die "Prüfung des Geldverkehrs und des Geldbestandes (...) die höchstpersönliche Pflicht eines jeden Gläubigerausschussmitglieds" sei, folgt der Senat dem nicht, da dies im Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung steht, nach der "keine originäre Pflicht der Ausschussmitglieder [besteht], die Prüfung von Geldverkehr und -bestand selbst vorzunehmen" (Urteil in BGHZ 202, 324, Rz 20).
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dd) Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 18.09.2019 - XI R 19/17, BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172, Rz 40). Danach kann der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes "im Rahmen der Verwaltung" Verträge mit Wirkung für und zu Lasten der Masse abschließen.
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ee) Die Belastung der Masse entspricht auch der wirtschaftlichen Realität und der allen erkennbaren Interessenlage der Beteiligten.
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(1) Die Leistungen des Kassenprüfers stehen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit der (beendeten) wirtschaftlichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners und berechtigen aus diesem Grund grundsätzlich zum Vorsteuerabzug (BFH-Urteil in BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172, Rz 27 f.).
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(2) Zudem kann nach der Interessenlage den Mitgliedern des Gläubigerausschusses nicht zugemutet werden, die Kassenprüfung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vergeben. Deshalb ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass mit den Kosten der Prüfung durch einen sachverständigen Dritten die Masse belastet wird (BTDrucks 12/2443, S. 132). Denn die Mitglieder eines Gläubigerausschusses sind in der Regel Gläubiger, die nicht anders zu behandeln sind als andere Gläubiger. Deshalb kann von ihnen nicht erwartet werden, die ggf. erheblichen Kosten für die Prüfung des Geldverkehrs und -bestandes zu übernehmen oder auch nur für diese in Vorleistung treten zu müssen. Zudem würde sich kaum ein Gläubiger bereit erklären, im Gläubigerausschuss mitzuwirken, wenn damit die Pflicht zur (anteiligen) Kostenübernahme einer Kassenprüfung verbunden wäre. Das gilt insbesondere für Vertreter der Kleingläubiger und der Arbeitnehmer (§ 67 Abs. 2 Sätze 1 und 2 InsO).
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(3) So haben dies zu Recht auch der Kassenprüfer X und der Kläger verstanden. Denn X hat seine Leistungen unmittelbar gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter abgerechnet und der Kläger hat die Rechnung des X beglichen, obwohl er sich bei der Begleichung von nicht gegenüber der Masse bestehenden Forderungen schadensersatzpflichtig gemacht hätte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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