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BFH 11.02.2021 - VII S 3/21
BFH 11.02.2021 - VII S 3/21 - Haftung der Erben für Kindergeldrückforderungsanspruch - Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts durch den BFH
Normen
§ 38 Abs 2a FGO, § 39 Abs 1 Nr 5 FGO, § 45 AO, § 426 BGB, § 1967 BGB, § 2058 BGB, § 62 EStG 2009, EStG VZ 2020
Leitsatz
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Macht die Familienkasse einen Rückforderungsanspruch auf Kindergeld im Haftungswege gegen die Erben des Kindergeldberechtigten geltend und haben diese ihren jeweiligen Wohnsitz in unterschiedlichen Finanzgerichtsbezirken, sodass für die Klagen der Erben gegen die Haftungsbescheide gemäß § 38 Abs. 2a FGO unterschiedliche Gerichte zuständig sind, kann der BFH auf Antrag unter entsprechender Anwendung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO ein Gericht als das zuständige FG bestimmen.
Tenor
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Das Finanzgericht D wird als das für den Rechtsstreit zuständige Gericht bestimmt.
Tatbestand
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I.
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Die Antragsteller und Kläger (Antragsteller) sind Geschwister und Kinder des verstorbenen A.
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Der Antragsgegner und Beklagte (die Familienkasse B der Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse) nahm die Antragsteller jeweils mit Haftungsbescheid vom 05.04.2019 wegen einer Forderung gegen den verstorbenen Vater in Höhe von 3.521 € in Haftung. Zur Begründung führte die Familienkasse aus, die Antragsteller seien Erben und hafteten deshalb nach § 1967 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) für die Nachlassverbindlichkeiten. Den Einspruch, mit dem die Verjährung der Forderung geltend gemacht wurde, wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 20.11.2020 als unbegründet zurück. Grundlage der Forderung sei ein Bescheid der Familienkasse C vom 16.06.2011, mit dem Kindergeld für die Zeit von Dezember 2009 bis November 2010 zurückgefordert worden sei. Mehrere Erben hafteten gesamtschuldnerisch. Die Forderung sei fällig und ausweislich der Inkassoakte auch nicht verjährt.
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Dagegen haben die Antragsteller vor dem Finanzgericht (FG) D Klage erhoben.
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Mit Schreiben vom 29.12.2020 hat das FG die Antragsteller darauf hingewiesen, dass nach § 38 Abs. 2a der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs, zu denen auch das Erhebungsverfahren in Bezug auf Kindergeldrückforderungsansprüche gehöre, das FG zuständig sei, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz habe. Nach den Angaben in der Klageschrift wohnten die Antragsteller in unterschiedlichen Finanzgerichtsbezirken. Es sei daher beabsichtigt, die Verfahren zu trennen und an das jeweils zuständige Gericht zu verweisen.
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Daraufhin haben die Antragsteller beim Bundesfinanzhof (BFH) beantragt, zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen sowie aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit gemäß § 39 FGO ein für die vorliegende Klage örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.
Entscheidungsgründe
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II.
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1. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen FG durch den BFH ist zulässig.
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a) Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO wird das zuständige FG durch den BFH bestimmt, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 FGO nicht gegeben ist. In einem solchen Fall kann gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 FGO jeder am Rechtsstreit Beteiligte und jedes mit dem Rechtsstreit befasste FG den BFH anrufen.
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Die Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist nach Auffassung des beschließenden Senats entsprechend heranzuziehen, wenn sich --wie in dem vorliegenden Streitfall-- die aus der Sonderregelung des § 38 Abs. 2a FGO grundsätzlich ergebende Zuständigkeit eines FG aufgrund des Todes des ursprünglichen Kindergeldberechtigten aufspaltet, sodass wegen der unterschiedlichen Wohnsitze der Erben unterschiedliche FG über die an sich einheitlich zu entscheidende zugrunde liegende Rechtsfrage zu urteilen hätten.
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aa) Nach § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO ist in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 des Einkommensteuergesetzes das FG zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat der Kläger im Inland keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt, ist das FG zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat.
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Unter die Regelung fallen nicht nur Streitigkeiten im Rahmen der Festsetzung von Kindergeld, sondern ebenso Streitigkeiten über die Erhebung und Vollstreckung von Kindergeldforderungen (so zutreffend für die Vollstreckung von Rückforderungsbescheiden Beschluss des FG Hamburg vom 02.03.2020 - 6 V 4/20, juris, und Beschluss des Hessischen FG vom 30.08.2019 - 12 V 591/19, Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 218, Rz 12) sowie Streitigkeiten über die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers i.S. von § 45 der Abgabenordnung (AO).
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§ 38 Abs. 2a Satz 1 FGO ist durch Art. 2 des Gesetzes zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie zur Änderung der FGO vom 20.04.2013 (BGBl I 2013, 829) eingefügt worden. Anlass für diese Regelung war die Neuorganisation der Familienkassen, bei der die bisher 102 Standorte an nur noch 14 Standorten zusammengefasst wurden. Der sich daraus ergebenden "Belastungsverschiebung" bei den Finanzgerichten sollte durch eine Zuständigkeitsregelung entgegengewirkt werden, die abweichend von § 38 Abs. 1 FGO und in Anlehnung an § 38 Abs. 2 FGO nicht an den Bezirk der Behörde, sondern an den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers anknüpft. Auf diese Weise sollten zugunsten der rechtsuchenden Bürger eine Verlängerung der Verfahrensdauer und lange Anfahrtswege vermieden werden (vgl. BTDrucks 17/12535, S. 4).
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bb) Stirbt der Kindergeldberechtigte und werden --wie im Streitfall-- mehrere Erben im Zuge einer Rückforderung von Kindergeld als Gesamtrechtsnachfolger i.S. von § 45 AO in Haftung genommen, kann die Sonderregelung des § 38 Abs. 2a FGO zu einer nach Ansicht des beschließenden Senats vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Aufspaltung der Zuständigkeit für den an sich einheitlich zu entscheidenden Rechtsstreits führen.
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Zwar lässt sich für jeden Erben, der gegen den Haftungsbescheid Klage erhebt, ein gemäß § 38 Abs. 2a FGO örtlich zuständiges FG bestimmen. Dass damit aber in der Konsequenz, wenn die Erben ihren jeweiligen Wohnsitz in unterschiedlichen Finanzgerichtsbezirken haben, mehrere FG zuständig werden und aufgerufen sind, über den identischen Lebenssachverhalt zu entscheiden --nämlich über die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsanspruchs einer Familienkasse gegen den Verstorbenen als ursprünglichen Kindergeldberechtigten--, ist vom Sinn und Zweck dieser Regelung nicht gedeckt. Auch ist es unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht sinnvoll, wenn zwei FG mit der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsanspruchs befasst werden, zumal dies die Gefahr divergierender Entscheidungen gegenüber den Erben birgt, die als Gesamtrechtsnachfolger nach § 2058 BGB gesamtschuldnerisch haften und somit gemäß § 426 BGB einander zum Ausgleich verpflichtet sind.
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cc) In Anbetracht dieser Umstände hält es der Senat für gerechtfertigt, § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO entsprechend heranzuziehen.
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Zwar hat der beschließende Senat wiederholt entschieden, dass es sich bei § 39 FGO um eine spezielle, die Materie abschließend regelnde Verfahrensvorschrift handelt (Senatsbeschlüsse vom 26.02.2004 - VII B 341/03, BFHE 204, 413, BStBl II 2004, 458, unter 1.a der Entscheidungsgründe, und vom 18.02.1986 - VII S 39/85, BFHE 146, 14, BStBl II 1986, 357, unter II.1.b; s.a. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.1982 - 4 ER 401/81, BVerwGE 64, 347, zu § 53 der Verwaltungsgerichtsordnung; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 39 FGO Rz 50, m.w.N.). Doch kann dies nach Auffassung des Senats nicht in Bezug auf die erst 2013 geschaffene Sonderregelung in § 38 Abs. 2a FGO gelten, soweit diese --wie dargelegt-- zu einer Zuständigkeit mehrerer Gerichte führt. § 39 Abs. 1 FGO ist insoweit lückenhaft (zu einer entsprechenden Anwendung von § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige s.a. Senatsbeschluss in BFHE 204, 413, BStBl II 2004, 458, unter 1.d der Entscheidungsgründe).
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b) Für dieses Ergebnis spricht auch die folgende Überlegung: Hätte der Vater der Antragsteller selbst noch gegen den Rückforderungsbescheid geklagt und wäre er nach Klageerhebung verstorben, so wären die Erben als Gesamtrechtsnachfolger im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels in den bereits anhängigen Rechtsstreit eingetreten (vgl. auch Paetsch in Gosch, FGO § 67 Rz 10; Schallmoser in HHSp, § 67 FGO Rz 30). In diesem Fall hätte sich an der auf § 38 Abs. 2a FGO gegründeten örtlichen Zuständigkeit des angerufenen --einen-- Gerichts nichts geändert (ähnlich in der Begründung auch BFH-Beschluss vom 10.11.2020 - XI S 17/20, BFH/NV 2021, 342, Rz 13).
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2. Der beschließende Senat bestimmt das FG D als das für den Rechtsstreit zuständige Gericht.
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Hinsichtlich der Frage, welches FG in einem Fall wie dem vorliegenden zuständig sein soll, bietet es sich nach Ansicht des beschließenden Senats an, auf § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO und damit auf die Grundregel des § 38 Abs. 1 FGO zurückzugreifen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 26.08.2008 - VI B 68/08, BFH/NV 2008, 2036, unter II.2. der Entscheidungsgründe). Zuständig ist danach das FG D als das Gericht, in dessen Bezirk die Familienkasse ihren Sitz hat.
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 342, Rz 15, m.w.N.).
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4. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 39 Abs. 2 Satz 2 FGO) in der Besetzung mit drei Richtern (§ 10 Abs. 3 Halbsatz 2 FGO).
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5. Dieser Beschluss ist gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 37 Abs. 2 der Zivilprozessordnung unanfechtbar (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 342, Rz 17, m.w.N.).
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