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BFH 23.11.2020 - VIII B 174/19
BFH 23.11.2020 - VIII B 174/19 - (Rechtsschutzinteresse eines Antrags auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO)
Normen
§ 90a Abs 2 S 1 FGO, § 90a Abs 3 Halbs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 5. November 2019, Az: 15 K 3332/18 E,F, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Möglichkeit, eine Prozesserklärung rechtsschutzgewährend als Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO auszulegen, darf vom FG nicht mit dem Argument verneint werden, einem solchen Antrag fehle das Rechtsschutzinteresse, weil die Klage im Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen worden sei und bei einer erneuten Entscheidung durch Urteil wiederum als unzulässig abgewiesen werden müsse.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 05.11.2019 - 15 K 3332/18 E,F wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legen keinen Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dar, soweit sich ihre Rügen auf die Abweisung der Klage als unzulässig im Gerichtsbescheid vom 08.05.2019 beziehen (s. unter 1.). Soweit sie geltend machen, das Finanzgericht (FG) habe von einem rechtzeitig gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO ausgehen müssen, ist die Beschwerde ebenfalls unbegründet, da der Schriftsatz der Kläger an das FG vom 13.05.2019 nicht in diesem Sinne ausgelegt werden kann (s. unter 2.).
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1. Mit dem gegen die Entscheidung des FG im Gerichtsbescheid vom 08.05.2019 gerichteten Vorbringen, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO und wegen Verfahrensmängeln gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen, weil das FG die Klage zu Unrecht mangels eines rechtzeitig bezeichneten Klagebegehrens gemäß § 65 FGO durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen habe, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
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Hat ein Urteil --wie im Streitfall-- lediglich zum Gegenstand, dass der gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung unzulässig ist und das Verfahren durch den Gerichtsbescheid beendet ist, der gemäß § 90a Abs. 3 Halbsatz 1 FGO als Urteil wirkt, und wird gegen die Nichtzulassung der Revision in einem solchen Urteil Beschwerde erhoben, muss dargelegt werden, dass insoweit Gründe für eine Zulassung der Revision gegeben sind (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.06.2012 - IV B 147/11, BFH/NV 2012, 1614, Rz 2; vom 20.11.2002 - VI B 90/02, BFH/NV 2003, 336, [Rz 5]). Daran fehlt es. Die Kläger setzen sich in ihrer Beschwerdebegründung unter Bezeichnung verschiedener Zulassungsgründe lediglich intensiv damit auseinander, dass das FG die erhobene Klage im Gerichtsbescheid vom 08.05.2019 nicht mangels eines innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist bezeichneten Klagebegehrens als unzulässig habe abweisen dürfen. Mit diesem Vorbringen legen sie im Hinblick auf das angefochtene Urteil keinen relevanten Zulassungsgrund dar.
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2. Soweit die Kläger vorbringen, sie hätten im Schriftsatz vom 13.05.2019 an das FG nach Ergehen des Gerichtsbescheids fristgerecht einen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt, hat ihr Vorbringen im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar durfte das FG eine rechtsschutzgewährende Auslegung dieses Schriftsatzes als Antrag auf mündliche Verhandlung nicht mit der Begründung ablehnen, einem solchen Antrag fehle das Rechtsschutzinteresse (s. unter a). Dem Schriftsatz der Kläger vom 13.05.2019 lässt sich jedoch kein Antrag auf mündliche Verhandlung entnehmen (s. unter b).
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a) Das FG durfte die Möglichkeit einer rechtsschutzgewährenden Auslegung des Schriftsatzes vom 13.05.2019 nicht deshalb verneinen, weil es die erhobene Klage mangels einer ausreichenden Bezeichnung des Klagebegehrens innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO als unheilbar unzulässig ansah und den Klägern "materieller Rechtsschutz ... nicht mehr gewährt werden" könne. Einem fristgerechten Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO würde das Rechtsschutzinteresse nicht fehlen.
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aa) Der Antrag nach § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO setzt zwar wie jeder Rechtsbehelf ein Rechtsschutzinteresse voraus (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16.12.2015 - IV R 15/14, BFHE 252, 1, BStBl II 2016, 284, Rz 12; vom 06.06.2013 - VII R 16/12, BFH/NV 2013, 1440). Die Rechtsprechung stellt hieran aber keine hohen Anforderungen. Das Rechtsschutzinteresse für eine Antragstellung fehlt nach den vorgenannten BFH-Beschlüssen (nur), wenn dem Antrag des Beteiligten durch den Gerichtsbescheid in vollem Umfang entsprochen worden ist und der Beteiligte ein besonderes Rechtsschutzinteresse nicht geltend machen kann. Der BFH hat zudem entschieden, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung auch dann gestellt werden darf, wenn sich der Antragsteller nicht gegen die sachliche Richtigkeit des Gerichtsbescheids wehrt, sondern die Entscheidung tatsächlich annimmt, sodass ein Kläger nach Ergehen eines Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen darf, um die Klage zurückzunehmen. Ebenso darf ein Finanzamt einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, um der Klage abzuhelfen (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom 30.03.2006 - V R 12/04, BFHE 212, 411, BStBl II 2006, 542, unter II.2.b [Rz 19]). Ferner kann ein Beteiligter gegen einen Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung beantragen, um für das darauf folgende Verfahren auf mündliche Verhandlung zu verzichten (BFH-Urteil vom 06.10.2005 - V R 64/00, BFHE 212, 132, BStBl II 2006, 212, unter II.5. [Rz 43], m.w.N.).
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bb) Auf dieser Grundlage durfte das FG eine Auslegung des Schriftsatzes der Kläger vom 13.05.2019 auch als Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung nicht mangels Rechtsschutzinteresses von vornherein ablehnen. Durch eine solche Handhabung des Verfahrens würde der Rechtsschutz der Kläger durch das FG in unzulässiger Weise verkürzt.
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Hätten die Kläger keinen Antrag gestellt und würde der Gerichtsbescheid, mit dem die Klage durch Prozessurteil abgewiesen wurde, als Urteil wirken (§ 90a Abs. 3 Halbsatz 1 FGO), könnten sie dieses Prozessurteil nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifen und Verfahrensmängel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend machen (vgl. BFH-Beschluss vom 28.10.2004 - III R 53/03, BFH/NV 2005, 374, unter II.1. [Rz 7]). Dies wäre bei einem rechtzeitig gestellten Antrag der Kläger hingegen möglich, weil in diesem Fall der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gegolten hätte (§ 90a Abs. 3 Halbsatz 2 FGO). Bei rechtzeitiger Antragstellung hätte das FG über die Zulässigkeit der Klage durch Urteil erneut entscheiden müssen. Wenn das FG die Klage erneut als unzulässig abgewiesen und die Revision nicht zugelassen hätte, hätten die Kläger hiergegen beim BFH Nichtzulassungsbeschwerde erheben und einen Verfahrensmangel des FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügen können; im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde hätte das Prozessurteil des FG überprüft werden können. Verneinte man einen rechtzeitig gestellten Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung mit der Erwägung, auch bei Fortsetzung des Verfahrens sei die Klage erneut durch Prozessurteil abzuweisen, nähme man den Klägern somit endgültig die Möglichkeit, das Prozessurteil durch den BFH überprüfen zu lassen. Denn Zulassungsgründe, die sich auf die klageabweisende Entscheidung des FG als unzulässig im Gerichtsbescheid beziehen, können gegenüber der Vorentscheidung nicht mehr vorgebracht werden (s. unter 1.).
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b) Dem Schriftsatz der Kläger vom 13.05.2019 lässt sich jedoch, wie das FG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, weder ein ausdrücklicher noch schlüssiger Antrag der Kläger auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO entnehmen.
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aa) Der Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO ist eine Prozesshandlung, die eindeutig sein muss. Der Inhalt der Erklärung ist unter Berücksichtigung der dem Gericht bekannten Umstände durch Auslegung zu ermitteln. Der Antrag braucht nicht ausdrücklich gestellt zu werden; es genügt nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes), dass ein Beteiligter zu erkennen gibt, dass er es nicht bei dem Gerichtsbescheid belassen will (vgl. Wendl in Gosch, FGO § 90a Rz 39). Ziel der Auslegung einer Prozesserklärung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung. Dabei können auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigt werden (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 28.11.2016 - VIII B 47/16, BFH/NV 2017, 468; BFH-Beschluss vom 19.09.2017 - IV B 85/16, BFH/NV 2018, 51, Rz 4; zum Antrag gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO BFH-Beschluss vom 27.05.2004 - IV B 64/04, juris, unter 2. [Rz 7]). In der Auslegung prozessualer Willenserklärungen, die im erstinstanzlichen Klageverfahren abgegeben worden sind, ist das Revisionsgericht frei; es ist insoweit nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die Auslegung durch die Vorinstanz gebunden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 51, Rz 4).
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bb) Die Würdigung des FG, dass der Schriftsatz der Kläger vom 13.05.2019 keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO enthielt, ist nach diesen Vorgaben nicht zu beanstanden.
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Die Kläger waren vor dem FG durch die Prozessbevollmächtigten fachkundig vertreten. Der Gerichtsbescheid vom 08.05.2019, mit dem das FG die Klage wegen nicht hinreichender Bezeichnung des Klagebegehrens innerhalb der nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Ausschlussfrist als unzulässig abgewiesen hatte und der den Prozessbevollmächtigten zugestellt worden war, enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung, wonach gegen einen Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werden kann. Der im Namen der Kläger durch die Prozessbevollmächtigten eingereichte Schriftsatz vom 13.05.2019 enthielt lediglich die vom FG zuvor mehrfach angeforderte Klagebegründung nebst dem Sachantrag, ohne auf den zuvor ergangenen Gerichtsbescheid Bezug zu nehmen. Weder ist aus diesem Schriftsatz ersichtlich, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden soll noch ist erkennbar, dass die Kläger die drohende Urteilswirkung des Gerichtsbescheids (vgl. § 90a Abs. 3 FGO) angreifen möchten. Ausgehend davon, dass es ein Gebot der Rechtssicherheit ist, Rechtskundige --hier die Prozessbevollmächtigten-- mit ihren Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 07.01.2007 - VIII B 157/06, BFH/NV 2007, 931, unter II.4. [Rz 14]), konnte und musste der Schriftsatz vom 13.05.2019 vom FG nicht als Antrag auf mündliche Verhandlung verstanden werden.
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Der Umstand, dass nach Ergehen des Gerichtsbescheids vom 08.05.2019 ein Antrag auf mündliche Verhandlung die zielführendste Prozesserklärung war, die die Kläger abgeben konnten, gebietet es angesichts der Umstände des Streitfalls nicht, im Rahmen einer rechtsschutzgewährenden Auslegung von Prozesserklärungen im Schriftsatz vom 13.05.2019 einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu sehen. Denn der Berichterstatter des FG hat die Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 15.05.2019 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Schriftsatz vom 13.05.2019 nicht als Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO angesehen werden könne. Die einmonatige Antragsfrist war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Die Kläger hätten noch rechtzeitig einen ausdrücklichen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90a Abs. 2 FGO stellen können, was jedoch unterblieben ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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