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BFH 07.05.2019 - III B 59/18
BFH 07.05.2019 - III B 59/18 - Zugangsvermutung bei Postbeförderung durch zwei Postdienstleister
Normen
§ 122 Abs 2 Nr 1 AO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 14. März 2018, Az: 14 K 2967/16, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist widerlegt, wenn ein beauftragtes Postdienstleistungsunternehmen zur Beförderung von Postsendungen einen anderen Postdienstleister einschaltet und nicht feststeht, dass es hierdurch nicht zu Verzögerungen kommt.
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 14. März 2018 14 K 2967/16 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Vater eines im Jahr 1986 geborenen Sohnes, für den ein Grad der Behinderung von 50 ausgewiesen ist. Der Kläger beantragte für seinen Sohn Kindergeld, die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 6. Juli 2016 ab, da die Behinderung nach ihrer Ansicht erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Sohnes eingetreten sei.
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Den dagegen gerichteten Rechtsbehelf wies die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2016 (Montag) zurück. Sie übergab die Postsendung mit der Rechtsbehelfsentscheidung dem privaten Postdienstleister X. Dieser nahm die Weiterbeförderung der Postsendung nicht selbst vor, sondern übergab sie der Y, die sie dem Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelte. Der Tag der Aufgabe der Entscheidung zur Post ist nicht dokumentiert.
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Am 15. November 2016 (Dienstag) erhob der Kläger Klage. Er behauptete, die Einspruchsentscheidung sei seinem Prozessbevollmächtigten erst am 17. Oktober 2016 zugegangen.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Es war der Ansicht, die Klage sei verspätet erhoben worden. Das FG war nach einer Beweisaufnahme der Überzeugung, dass die Einspruchsentscheidung bei der Familienkasse am 11. Oktober 2016 an X zur Beförderung übergeben worden sei. Aufgrund der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) sei zu vermuten, dass die Einspruchsentscheidung am 14. Oktober 2016 (Freitag) zugegangen sei. Der Umstand, dass die Einspruchsentscheidung durch einen privaten Dienstleister, der seinerseits die Y eingeschaltet habe, übermittelt worden sei, spreche nicht gegen die Zugangsvermutung, ebenso wenig die Tatsache, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten auf der Einspruchsentscheidung der Eingangsstempel vom 17. Oktober 2016 angebracht worden sei.
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Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er ist der Ansicht, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Einspruchsentscheidung sei erst am 17. Oktober 2016 in das Postfach seines Prozessbevollmächtigten eingelegt worden. Die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gelte nur dann, wenn die Behörde den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post bewiesen habe. Dieser Beweis sei hier nicht gelungen. Auch habe das FG Baden-Württemberg im Zwischenurteil vom 27. Februar 2013 2 K 3274/11 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1090) entschieden, dass die Zugangsvermutung nicht eingreife, wenn feststehe, dass die Einspruchsentscheidung nicht am Tag des Absendevermerks, sondern erst am Folgetag einem privaten Dienstleister übergeben worden sei. Das FG habe im Streitfall zu Unrecht dem Umstand, dass ein privater Briefdienstleister eingeschaltet gewesen sei, keine Bedeutung beigemessen. Der Postdienstleister X nehme in Z gar keine Zustellungen vor, er übergebe die Briefsendungen vielmehr der Y. Damit sei zwingend eine Verzögerung der Zustellung anzunehmen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde hat Erfolg, denn das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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1. Wird über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden, so liegt darin ein Verfahrensmangel (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. November 2007 IV B 166/06, BFH/NV 2008, 248, und vom 25. März 2015 V B 163/14, BFH/NV 2015, 948). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt wurde (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2015, 948, und vom 19. September 2017 IV B 85/16, BFH/NV 2018, 51).
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2. Ein solcher Fall liegt hier vor. Das FG war zu Unrecht der Ansicht, dass die am 15. November 2016 beim FG eingegangene Klage verspätet erhoben worden sei, weil die Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2016 aufgrund der Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am 14. Oktober 2016 zugestellt gelte, so dass die Klagefrist von einem Monat nach § 47 Abs. 1 FGO nicht eingehalten worden sei.
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a) Das FG hat sich zwar aufgrund der Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2018 die Überzeugung davon gebildet, dass die Postsendung mit der Einspruchsentscheidung am 11. Oktober 2016 an die Fa. X übergeben wurde.
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b) Es hat allerdings rechtsfehlerhaft nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass der mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beauftragte private Postdienstleister X die Postzustellung nicht selbst vornahm, sondern sie der Y und somit einem Subunternehmer überließ.
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aa) Bestreitet der Steuerpflichtige, eine Postsendung innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, so hat er sein Vorbringen zu substantiieren, um Zweifel an der gesetzlichen Vermutung zu begründen (Senatsurteil vom 14. Juni 2018 III R 27/17, BFHE 262, 193, BStBl II 2019, 16). Hat er durch substantiierten Vortrag Zweifel begründet, so muss das Gericht die Frage, ob die Zweifel am rechtzeitigen Zugang begründet sind, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beantworten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die entsprechende tatrichterliche Überzeugungsbildung ist grundsätzlich für die Revisionsinstanz bindend. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich entsprechende Zweifel am Zugang der Postsendung aufdrängen mussten und die Tatsacheninstanz zu Unrecht von der Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ausgeht (im Einzelnen s. Senatsurteil in BFHE 262, 193, BStBl II 2019, 16).
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bb) Im Streitfall hat sich das FG aufgrund einer Zeugeneinvernahme die Überzeugung davon gebildet, dass die Einspruchsentscheidung am 11. Oktober 2016 an X übergeben wurde. Die Übergabe einer Sendung an einen privaten Postdienstleister hindert die Anwendung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch nicht (BFH-Beschluss vom 18. April 2013 X B 47/12, BFH/NV 2013, 1218). Das FG ist allerdings nicht in ausreichendem Maße der Frage nachgegangen, ob Umstände ersichtlich sind, die dafür sprechen, dass die Postsendung erst später als drei Tage nach der Aufgabe zur Post in das Postfach des Klägervertreters gelegt wurde.
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cc) Anlass zur Sachverhaltsaufklärung bestand deshalb, weil die X die Postsendung nicht selbst an den Empfänger übermittelte, sondern dies der Y als Subunternehmerin überließ. Dies hat der Kläger in der Beschwerdebegründung dargelegt. Nach seiner Behauptung nimmt die X in Z keine Postzustellungen vor. Dem FG war bei der Entscheidungsfindung nicht bekannt, ob durch vertragliche Abmachungen zwischen der X und der Y sowie durch die tatsächliche Handhabung sichergestellt war, dass eine Postsendung, die von der X entgegengenommen und an die Y zur Weiterbeförderung übergeben wurde, ebenso zügig zum Empfänger gelangte wie bei Einschaltung nur eines Anbieters von Postdienstleistungen. Das FG war deshalb zu Unrecht der Auffassung, dass die Beteiligung eines Subunternehmers die Anwendung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht berührt. In dem vom FG zitierten BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1218, der einen Fall betrifft, in dem ein privater Postdienstleister eine Postsendung an die Y zur Weiterbeförderung übergab, wurde die Bekanntgabefiktion nur deshalb nicht widerlegt, weil eine Stellungnahme des Geschäftsführers des privaten Postdienstleisters vorlag, der zufolge eine Zustellung innerhalb von drei Tagen trotz der Einschaltung des Subunternehmers die Regel war. Derartige Feststellungen fehlen hier.
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3. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Diesem wird auch die Kostenentscheidung nach § 143 Abs. 2 FGO übertragen.
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