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BFH 04.12.2018 - IX R 14/18
BFH 04.12.2018 - IX R 14/18 - Auslegung von Willenserklärungen
Normen
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 19. Dezember 2017, Az: 11 K 3860/16, Urteil
nachgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 21. Januar 2020, Az: 11 K 335/19, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Auslegung von Willenserklärungen ist objektiv willkürlich, wenn das Gericht anerkannte Auslegungsgrundsätze in einem Maße außer Acht lässt, dass seine Entscheidung nicht mehr nachvollziehbar ist .
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2. NV: Die Auslegung eines Vertrags darf nicht widersprüchlich sein; sie darf sich auch nicht auf widersprüchliche Annahmen stützen. Beruht das Urteil auf zwei Annahmen, die sich gegenseitig ausschließen, ist es insgesamt nicht mehr nachvollziehbar .
Tenor
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Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 19. Dezember 2017 11 K 3860/16 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Streitig ist die Höhe der Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) aus der Vermietung eines ihr gehörenden Wohnhauses in H und ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berechtigt war, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide der Streitjahre (2007 und 2008) wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen zu ändern. Die Klägerin und ihr Ehemann, der Kläger und Revisionskläger (Kläger), werden in den Streitjahren zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
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In ihren Einkommensteuererklärungen machten die Kläger bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung des Objekts in H u.a. Darlehenszinsen in Höhe von jeweils 36.000 € unter der Bezeichnung "A ..." (2007) bzw. "A/ex ..." (2008) geltend. Nach den bisher vom Finanzgericht (FG) getroffenen Feststellungen liegt dem folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war u.a. Betreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheit und Aufenthaltsbestimmung für seinen nach einem ärztlichen Behandlungsfehler schwer behinderten Bruder A. Daneben war er aufgrund rechtsgeschäftlich erteilter Generalvollmacht zu dessen Vertretung umfassend ermächtigt. Die Versicherung des Schädigers leistete zum Ausgleich eine Zahlung von 1,2 Mio. € an A.
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Die Kläger verwendeten dieses Geld dazu, um zwei Darlehen, mit denen die Klägerin die Anschaffung des Objekts in H finanziert hatte, abzulösen. Die Klägerin zahlte seitdem "Darlehenszinsen" in Höhe von 3.000 € monatlich an A. Der Kläger garantierte A, für dessen Versorgung lebenslang aufzukommen. In einer auf den 2. Juli 2005 datierten, privaten Vereinbarung zwischen dem Kläger, seinem Bruder A, vertreten durch den Kläger, und deren Mutter heißt es auszugsweise:
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"7. im Gegenzug erhält ... (Anm.: der Kläger) den Betrag, welcher von der Versicherung als Schadenersatz in Höhe von € 1.200.000 zur Auszahlung kam. Er sagt zu, hiermit seine Darlehen für das Immobiliengrundstück ... zu tilgen, um dauerhaft die Mittel für den unter dem Vorbehalt der Abänderung stehenden Unterhalt der o.g. Personen aufbringen zu können. Dabei gehen die Beteiligten davon aus, dass die Leistungen gegenseitig wirtschaftlich ausgewogen sind. Lt. Anlage 9 zum sog. BewG beträgt der Kapitalwert für solche eine lebenslange Leistung rund € 1.200.000,-.
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8. Sollte die Betreuungstätigkeit aus welchen Gründen auch immer, aufgehoben werden zahlt ... (Anm.: der Kläger) gegfls. den dann bestehenden Restkapitalwert zur Aufrechterhaltung der Versorgung von A an diesen zurück."
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Das FA berücksichtigte die erklärten "Schuldzinsen" zunächst erklärungsgemäß. Die Einkommensteuerbescheide für 2007 und 2008 wurden bestandskräftig.
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Im Zuge der Veranlagung für das Jahr 2009 forderte das FA den Kläger auf, Unterlagen zur Umschuldung vorzulegen. Auf Nachfrage legte der Kläger u.a. die Vereinbarung vom 2. Juli 2005 sowie einen zwischen sich und der Klägerin am 21. Januar 2006 geschlossenen Darlehensvertrag vor und erklärte dazu, er habe seiner Frau den von seinem Bruder überlassenen Betrag darlehensweise zur Verfügung gestellt. Seine Frau zahle an ihn, den Kläger, Schuldzinsen und er erbringe seinem Bruder gegenüber Versorgungsleistungen. Der Zahlungsweg sei abgekürzt worden. Der Kläger machte außerdem geltend, die Umstände seien im Zuge der Veranlagung für das Jahr 2006 anhand der vollständig eingereichten Kontoauszüge mit dem FA besprochen worden und deshalb nicht neu. In einem anderen Schreiben führte der Kläger aus, er habe das Vermögen von A nicht etwa verbraucht, sondern er habe es "auf die sicherste Art und Weise innerhalb der Familie Ertrag bringend für ihn angelegt".
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Das FA verneinte die Fremdüblichkeit des Darlehensvertrags und lehnte deshalb bei der Klägerin den Abzug der "Schuldzinsen" von 36.000 € p.a. in den Streitjahren ab. Es änderte die Einkommensteuerbescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und setzte die Einkommensteuer entsprechend höher fest (Änderungsbescheide vom 4. Dezember 2013). Die fristgerecht erhobenen Einsprüche wies der Beklagte am 29. November 2016 zurück.
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Die dagegen erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Das FA sei berechtigt gewesen, die bestandskräftigen Steuerbescheide wegen neuer Tatsachen zu ändern. Die Kläger hätten den Darlehensvertrag vom 21. Januar 2006 erst mit Schreiben vom 14. März 2012 vorgelegt. Ob das FA seine Ermittlungspflicht verletzt habe, könne dahinstehen. Jedenfalls hätten die Kläger ihre Erklärungspflicht verletzt, denn sie hätten die vom Kläger erzielten Zinseinkünfte von 36.000 € p.a. nicht erklärt. In der Sache habe das FA die Einkünfte der Kläger in den Streitjahren zu Recht um jeweils 36.000 € erhöht. Es könne offenbleiben, ob der Darlehensvertrag steuerlich anzuerkennen sei. Entweder müsste der Werbungskostenabzug bei der Klägerin versagt werden oder es müssten bisher nicht erfasste Kapitaleinkünfte beim Kläger angesetzt werden. Die Unterstützungsleistungen des Klägers an seinen Bruder seien nicht abzugsfähig. Eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen liege nicht vor. Zum einen sei völlig unklar, ob der Vertrag vom 2. Juli 2005 zivilrechtlich wirksam sei und wozu sich der Kläger in diesem Vertrag verpflichtet habe. Zum andern sei aber auch keine Versorgungsleistung vereinbart worden, sondern die Beteiligten hätten ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft abgeschlossen. Außergewöhnliche Belastungen seien ebenfalls nicht anzunehmen. Zum einen müsse sich der Kläger den Vorteil der von seinem Bruder erlangten 1,2 Mio. € anrechnen lassen. Zum andern seien ihm die Belastungen nicht zwangsläufig entstanden, da der Unterstützungsbedarf des Bruders erst dadurch entstanden sei, dass der Bruder sein Vermögen auf den Kläger übertragen habe.
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Auf die Beschwerde der Kläger hat der Senat die Revision gegen das Urteil wegen eines schweren materiellen Rechtsfehlers zugelassen und u.a. ausgeführt, das FG habe den Abzug von Sonderausgaben mit nicht nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Es habe widersprüchlich angenommen, dem Vertrag vom 2. Juli 2005 ließen sich zum einen konkrete Verpflichtungen des Klägers gegenüber seinem Bruder nicht entnehmen und der Vertrag sei zum andern (gleichwohl) als Veräußerungsgeschäft zu würdigen. Beide Annahmen seien miteinander unvereinbar.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (Widersprüchlichkeit der Sachverhaltswürdigung).
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 29. November 2016 sowie die Änderungsbescheide vom 4. Dezember 2013 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Ohne Rechtsfehler hat das FG die Änderungsbefugnis des FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bejaht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat im Revisionsverfahren gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), hat der Kläger den Darlehensvertrag vom 21. Januar 2006 erstmals im Veranlagungsverfahren für das Jahr 2009 vorgelegt. Der Vertrag ist eine nachträglich bekannt gewordene, erhebliche Tatsache, die das FA zur Änderung der bestandskräftigen Steuerbescheide grundsätzlich berechtigt.
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2. Rechtsfehlerhaft hat das FG jedoch die Änderung der Bescheide inhaltlich gebilligt. Zur Begründung verweist der Senat auf seinen begründeten Zulassungsbeschluss vom 18. Mai 2018 IX B 8/18 (BFH/NV 2018, 960), der den Beteiligten bekannt ist. Die Aussage des FG, dem Vertrag vom 2. Juli 2005 lasse sich keine rechtlich verbindliche Zahlungsverpflichtung des Klägers entnehmen, betrifft entgegen der Auffassung des FA nicht nur die Vereinbarung unter Nr. 5 des Vertrags. Den anderen Abschnitten des Vertrags sind bezifferte Leistungspflichten des Klägers, aus denen sich die Entgeltlichkeit des Vertrags ergeben könnte, nicht zu entnehmen. Das hat das FG auch weder behauptet noch dargetan. Zu Unrecht kritisiert das FA auch, dass der Senat die zweite Begründung des FG (entgeltliches Veräußerungsgeschäft; II.2.a bb der Entscheidungsgründe) ebenfalls als tragend angesehen hat. Das FG hat diesen Abschnitt der Begründung mit den Worten eingeleitet: "Unabhängig von ... ist Gegenstand der Vereinbarung keine Vermögensübergabe ...". Nach Darlegung des rechtlichen Maßstabs subsumiert das FG: "Letzteres ist vorliegend der Fall.", und resümiert schließlich, "Die Vertragsparten haben somit ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft abgeschlossen". Von einer Hilfsbegründung kann angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts der Entscheidungsgründe keine Rede sein.
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3. Der Senat nimmt auch auf seine weiterführenden Hinweise im Zulassungsbeschluss Bezug.
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Es ist keine Frage, dass sich der Kläger im Verfahren widersprüchlich eingelassen hat. Zum einen betont er, wie auch in der Revisionsbegründung, stets nur als Betreuer für seinen Bruder gehandelt zu haben. Zum andern lassen schriftsätzliche Darlegungen sowie die Formulierungen in den vorgelegten Verträgen auch eine andere Deutung zu. Vor allem der Darlehensvertrag vom 21. Januar 2006 suggeriert, dass der Kläger im eigenen Namen über den Darlehensbetrag verfügt haben könnte, hat er sich doch selbst im Vertrag als Darlehensgeber bezeichnet. Aber auch dieser Vertrag enthält eine ausführliche Präambel, aus der sich ergibt, dass es darum gehen sollte, den Bruder des Klägers zu versorgen und dessen Vermögen Ertrag bringend anzulegen. Warum dieser Zweck eine Darlehensgewährung durch den Kläger anstatt durch seinen Bruder erfordert haben könnte, wird nicht deutlich.
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In einer derart unklaren Situation ist bei der Auslegung der Verträge der wirkliche Wille zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Entscheidend dürfte sein, ob der Kläger bei allem in der Absicht gehandelt hat, ein objektiv fremdes Geschäft für seinen Bruder wahrzunehmen. Dafür lassen sich in dem festgestellten Geschehen Anhaltspunkte finden. Wenn man darauf abstellt, wäre auch davon auszugehen, dass ein Übergang des Vermögens des Bruders auf den Kläger nicht stattgefunden, sondern dass dieser beim Abschluss der Verträge stets im fremden Namen gehandelt hat, auch wenn dies nicht durchgängig hinreichend zum Ausdruck gekommen ist. In diesem Zusammenhang hat das FG zu Recht auch die Frage aufgeworfen, ob der Kläger eine solche Vermögensübertragung überhaupt wirksam herbeiführen konnte. Die Berufung auf die ihm von seinem Bruder vor dessen Erkrankung erteilte Generalvollmacht könnte ihm verwehrt sein, wenn und soweit die Vollmacht nicht für den Fall der Betreuungsbedürftigkeit erteilt worden ist und weil andernfalls der Schutz des Betreuungsbedürftigen, der durch den gesetzlichen Einwilligungsvorbehalt gewährleistet sein soll, leerlaufen würde. War der Kläger aber (ohne Zustimmung des Vormundschaftsgerichts, für deren Vorliegen nichts festgestellt ist) rechtlich nicht in der Lage, das wesentliche Vermögen des Bruders wirksam auf sich zu übertragen, müsste das FG, wenn es ihm trotzdem die Zinseinkünfte aus dem Darlehen vom 21. Januar 2006 persönlich zurechnen wollte, davon ausgehen, dass der Kläger das Vermögen seines Bruders widerrechtlich an sich gebracht und sich das Eigentum daran angemaßt haben müsste. Dagegen spricht vor allem die vom Kläger ebenfalls hervorgehobene Rückzahlungsklausel in Nr. 8 des Vertrags vom 2. Juli 2005. Sie ist entgegen der Ansicht des FA nicht entbehrlich, wenn man davon ausgeht, dass der Kläger nicht Inhaber des Vermögens seines Bruders geworden ist. Vielmehr ist der Klausel dann die Verpflichtung des Klägers zu entnehmen, für die Darlehensrückzahlungsansprüche des Bruders gegen die Klägerin auch persönlich einzustehen. Diese zusätzliche Verpflichtung dient erkennbar der Stärkung der Rechtsposition des Betreuten.
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4. Die Sache ist nicht spruchreif. Die weitere Aufklärung der tatsächlichen Umstände und deren abschließende Würdigung obliegt dem FG, dessen Würdigung im ersten Rechtsgang keinen Bestand haben konnte.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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