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BFH 01.06.2015 - X B 6/15
BFH 01.06.2015 - X B 6/15 - Sachaufklärungsrüge hinsichtlich unterlassener Zeugenvernehmung durch das Finanzgericht - Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags
Normen
§ 76 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 28. November 2014, Az: 14 K 4043/12 E,G,U, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Für die Frage, ob ein Beweisantrag entscheidungserheblich ist, ist unabhängig von dessen Richtigkeit von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen .
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2. NV: Das gilt nur dann nicht, wenn in Bezug auf diesen Standpunkt ein selbständiger Grund für die Zulassung der Revision geltend gemacht ist und vorliegt .
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 28. November 2014 14 K 4043/12 E,G,U wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb einen …-Einzelhandel. Nach einer Außenprüfung nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) u.a. Hinzuschätzungen vor, die er betragsmäßig auf Geldverkehrsrechnungen stützte, im Rahmen des Einspruchs- und Klageverfahrens gegen die entsprechenden Festsetzungen jedoch teilweise änderte. Im finanzgerichtlichen Verfahren beantragte der Kläger die Vertagung der Verhandlung zwecks Vernehmung eines Zeugen zum Beweis der Behauptung, dass ein Geldeingang im Mai 2007, den das FA als ungeklärt betrachtet hatte, aus einem Darlehen dieses Zeugen gestammt habe. Das Finanzgericht (FG) vernahm den Zeugen nicht und wies die Klage ab. Die durch den Zeugen zu beweisende Tatsache könne als wahr unterstellt werden. Obwohl die Geldverkehrsrechnungen des FA Fehler aufwiesen, seien die vorgenommenen Hinzuschätzungen aufgrund von Mängeln in der Kassenführung in dem Zeitraum Januar 2006 bis März 2007 dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger einen Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Gestalt eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO geltend. Das FG habe den Zeugen hören müssen. Sollten die Angaben des Zeugen zutreffen, wäre die Herkunft der fraglichen Mittel geklärt und eine Hinzuschätzung nicht mehr gerechtfertigt gewesen. Der Standpunkt des FG, auf die Zeugenaussage sei es nicht angekommen, sei fehlerhaft. Unwidersprochene Mängel in der Kassenführung habe es nur bis März 2007 und gerade nicht mehr in dem Zeitraum der streitigen Zahlung gegeben. Die Schätzungsbefugnis hänge daher sehr wohl davon ab, ob dieser Geldeingang ungeklärt war.
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Nachdem die Beschwerdebegründungsfrist nach antragsgemäßer Verlängerung am 19. März 2015 abgelaufen war, hat der Kläger auf den Einwand des FA, auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG habe es die in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache als wahr unterstellen können, seinen Vortrag am 30. April 2015 ergänzt und erläutert, das FG habe diesbezüglich entgegen § 76 Abs. 2 FGO seine Hinweis- und Fürsorgepflichten verletzt. Im gesamten Verfahren einschließlich der mündlichen Verhandlung habe der Kläger davon ausgehen können, dass maßgebender Streitpunkt die Geldverkehrsrechnung sei. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass das FG stattdessen die fehlerhafte Kassenführung zur Grundlage einer eigenen Schätzung machen würde. Ein Hinweis wäre erforderlich gewesen, damit er zur Möglichkeit einer solchen Hinzuschätzung hätte Stellung nehmen können.
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Nachdem das FG den Zeugen nicht gehört habe, liege in der rechtswidrigen, eigenen Schätzung faktisch eine Verböserung.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist teils unzulässig, teils unbegründet, so dass sie insgesamt als unbegründet zurückzuweisen ist.
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1. Hinsichtlich der Streitjahre 2006 und 2008 ist die Beschwerde unzulässig, da sie insoweit nicht, jedenfalls aber entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht in einer den Darlegungsanforderungen entsprechenden Weise begründet wurde.
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a) Die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingereichte Begründung lässt nicht erkennen, inwiefern die unterbliebene Vernehmung des Zeugen Einfluss auf die Hinzuschätzung des Jahres 2006 hätte haben sollen. Der Kläger meint, es sei auf die Vernehmung des Zeugen deshalb angekommen, weil nach März 2007 keine Fehler in der Kassenführung mehr zu verzeichnen gewesen seien und deswegen die Klärung des Geldeingangs maßgebend für die Schätzungsbefugnis gewesen sei. Dieser Vortrag betrifft unmittelbar nur die Schätzung des Jahres 2007. Ungeachtet aller anderen Voraussetzungen ist damit schon nicht dargelegt, warum auch für das Jahr 2006 die Vernehmung hätte erheblich sein sollen. In diesem gesamten Jahr waren die Fehler in der Kassenführung unstreitig.
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Den nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1, 4 FGO eingereichten Vortrag vermag der Senat jedenfalls für das Jahr 2006 nicht mehr zu berücksichtigen. Nach Ablauf der Begründungsfrist ist nur noch eine Erläuterung und Vervollständigung der fristgerecht mit einem Mindestmaß an Klarheit und Verständlichkeit geltend gemachten Zulassungsgründe möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 2013 X B 258/12, BFH/NV 2013, 1412; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 22). Hinsichtlich des Jahres 2006 wäre der nunmehr geltend gemachte Verstoß gegen die Hinweispflicht ein anderer Verfahrensmangel und damit ein neuer und bisher nicht geltend gemachter Zulassungsgrund. Dies ist von der Ergänzungsmöglichkeit nicht gedeckt.
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Der nachgeschobene Vortrag dient zwar dem Kläger in erster Linie dazu, die Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags zu belegen. In dieser Funktion ist er nicht eigenständiger Zulassungsgrund, sondern unselbständiges Vorbringen im Rahmen einer anderen Verfahrensrüge. Den Darlegungsmangel für das Jahr 2006, der sich auf die Bedeutung der unterbliebenen Zeugenvernehmung für das Jahr 2006 bezieht, vermag er gleichwohl nicht zu heilen.
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b) Für das Jahr 2008 beschränkt sich die Beschwer des Klägers auf die umsatzsteuerliche Berücksichtigung der Privatnutzung eines Fahrzeugs. Es fehlt jede Darstellung, welchen Zusammenhang die unterbliebene Zeugenvernehmung und ein unterbliebener Hinweis in Bezug auf die mit der Kassenführung begründete Hinzuschätzung mit diesem Punkt haben soll, so dass die Beschwerde auch insoweit unzulässig ist.
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2. Hinsichtlich des Streitjahres 2007 ist die Beschwerde unbegründet. Es liegt kein Verfahrensfehler vor.
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a) Mit der Rüge, das FG habe den benannten Zeugen nicht vernommen, macht der Kläger, wenn er dies auch selbst als Verletzung rechtlichen Gehörs wertet, vornehmlich einen Verstoß gegen die aus § 76 Abs. 1 FGO folgende Sachaufklärungspflicht geltend. Auf die Bezeichnung des Verfahrensfehlers kommt es indes nicht an. Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn das FG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht. Für die Frage allerdings, ob ein Beweisantrag entscheidungserheblich ist, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen. Das gilt auch dann, wenn dieser unrichtig sein sollte (vgl. Senatsbeschluss vom 28. April 2014 X B 12/14, BFH/NV 2014, 1383; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79, 80; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 225, 238, m.w.N.). Die Frage, ob die Rechtsauffassung des FG in der Sache zutrifft, ist eine einfache Frage materiellen Rechts. Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts aber rechtfertigen außerhalb qualifizierter Rechtsanwendungsfehler für sich genommen die Zulassung der Revision nicht. Der materiell-rechtliche Standpunkt des FG kann folglich für die Beurteilung des Beweisantrags erst dann nicht mehr maßgebend sein, wenn im Hinblick auf die materiell-rechtliche Rechtsansicht des FG zulässige und begründete Zulassungsrügen vorgebracht worden sind, mithin in Bezug auf diese Rechtsauffassung ein selbständiger Zulassungsgrund vorliegt.
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b) Das FG ist auf der Grundlage seines eigenen Rechtsstandpunkts folgerichtig davon ausgegangen, die Zeugenaussage sei nicht entscheidungserheblich. Es hat die Auffassung vertreten, die streitigen Hinzuschätzungen für das Jahr 2007 seien zwar nicht auf die Geldverkehrsrechnung des FA, wohl aber in voller Höhe auf die Mängel in der Kassenführung zu stützen, die im Jahre 2006 sowie den ersten drei Monaten des Jahres 2007 zu verzeichnen gewesen seien. Dies ist eine materiell-rechtliche Rechtsauffassung im vorgenannten Sinne. Das gilt auch und gerade für die Frage, ob es in der Sache zutreffend ist, eine Hinzuschätzung für das gesamte Jahr 2007 auf Buchführungsmängel der ersten drei Monate zu gründen, ggf. die Folgefrage, in welchem Umfange eine Hinzuschätzung vor diesem Hintergrund gerechtfertigt ist.
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c) Hinsichtlich dieser Rechtsansicht hat der Kläger keine zulässigen und begründeten Rügen vorgebracht.
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aa) Die zugrunde liegende Feststellung selbst, die Kassenführung sei bis März 2007 unzureichend gewesen, ist unstreitig und wurde vom Kläger nicht angegriffen. Die Auffassung des FG, die im ersten Quartal 2007 vorhandenen Buchführungsmängel rechtfertigten eine Hinzuschätzung für das gesamte Jahr 2007, ist eine materiell-rechtliche Auffassung, die angesichts der jahresbezogenen Abschnittsbesteuerung keinen qualifizierten Rechtsfehler enthält und so keinen Zulassungsgrund eröffnet.
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bb) Soweit der Kläger schließlich meint, das FG habe seine Hinweispflichten verletzt, da es in überraschender Weise die Schätzung statt auf eine Geldverkehrsrechnung nunmehr auf Buchführungsmängel gestützt hat, ist diese Rüge unbegründet und deshalb nicht geeignet, die Maßgeblichkeit der Rechtsauffassung des FG in Frage zu stellen.
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Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass dieser Vortrag hinsichtlich des Jahres 2007 lediglich eine Ergänzung der noch innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingereichten Beschwerdebegründung ist. In dieser Funktion ist er daher noch zu berücksichtigen. Anders als sich dies für das Jahr 2006 darstellt, kann der Vortrag im Zusammenhang mit dem Jahr 2007 gerade noch als unselbständiger Baustein zur Begründung der Sachaufklärungsrüge angesehen werden. Als solcher dient er nur der Vervollständigung der klägerischen Darlegungen zur Sachaufklärungsrüge.
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Allerdings ist die Rüge für sich genommen unbegründet, so dass sie ihrerseits der Sachaufklärungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen kann. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, inwieweit das FG im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Berichterstatter oder der mündlichen Verhandlung Details der Schätzung dem Grunde und der Höhe nach angesprochen hat. Der Kläger musste jedenfalls damit rechnen, dass das FG seine Entscheidung auch auf die in der Sache unstreitigen Buchführungsmängel stützen würde, so wie es stets Stand des Verfahrens war. Bereits der Prüfungsbericht hatte festgestellt, bis März 2007 fehlten Kassenberichte, so dass ein Soll-Ist-Abgleich und ein Kassensturz nicht möglich seien. Hierauf hatte er --ohne innerhalb des Jahres 2007 noch zu differenzieren-- die Schätzung dem Grunde nach gestützt und sich nur noch hinsichtlich der Schätzungshöhe auf die Geldverkehrsrechnung gestützt. Ebenso hat das FA die Einspruchsentscheidung begründet, auf die es wiederum in seiner Klageerwiderung ohne Modifikationen Bezug genommen hat. Das FG selbst hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht nur auf die eigene Schätzungsbefugnis des Gerichts hingewiesen, sondern auch darauf, dass als Schätzungsmethode eine Richtsatzschätzung oder Sicherheitszuschläge in Betracht kämen.
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Soweit der Kläger zum Ausdruck bringen will, das FG hätte nicht oder nicht nur darauf hinweisen müssen, dass es die Kassenführungsmängel überhaupt der Schätzung zugrunde legen wolle, sondern speziell darauf, dass es mit diesen Mängeln auch die Schätzung "für" den Zeitraum April bis Dezember 2007 begründen werde, teilt der Senat diese Ansicht nicht. Da die Schätzung gerade im Hinblick auf die Abschnittsbesteuerung regelmäßig jahresbezogen erfolgt, eine zeitanteilige --nach Quartalen, Monaten oder gar noch kürzeren Zeitspannen aufgeteilte-- Hinzuschätzung häufig auch gar nicht möglich ist, war grundsätzlich mit der Extrapolation der Erkenntnisse für den Zeitraum Januar bis März 2007 zu rechnen.
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cc) Der Verböserungseinwand ist nicht nachvollziehbar. Das Verböserungsverbot bezieht sich auf den Tenor der finanzgerichtlichen Entscheidung. Das FG hat es gerade mit Rücksicht hierauf bei den Hinzuschätzungen des FA bewenden lassen, obwohl es selbst der Auffassung war, dass noch eine höhere Hinzuschätzung in Betracht gekommen wäre.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
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