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BFH 09.10.2014 - GrS 1/13
BFH 09.10.2014 - GrS 1/13 - Erfordernis der Divergenzanfrage - Spannungsverhältnis zwischen Rechtsfortbildung und Einheitlichkeit der Rechtsprechung - Zulässigkeit einer erneuten Vorlage derselben Rechtsfrage an den Großen Senat
Normen
§ 11 Abs 2 FGO, § 11 Abs 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend BFH, 18. April 2013, Az: VI R 60/11, Vorlagebeschluss
nachgehend BFH, 10. März 2015, Az: VI R 60/11, Urteil
Leitsatz
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Ein Senat des BFH, der von einer Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, hat auch dann bei diesem Senat nach § 11 Abs. 3 FGO anzufragen und für den Fall, dass dieser an seiner Rechtsauffassung festhält, den Großen Senat anzurufen, wenn der erkennende Senat zwar nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Rechtsfrage zuständig geworden ist, der andere Senat aber weiterhin mit der Rechtsfrage befasst werden kann .
Tatbestand
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A. I. Vorgelegte Rechtsfrage
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Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Beschluss vom 18. April 2013 VI R 60/11 (BFHE 241, 141, BStBl II 2013, 868) dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
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Ist ein Senat, der von einer Entscheidung eines anderen Senats des BFH abweichen will, auch dann verpflichtet, gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO bei diesem anzufragen, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, und für den Fall, dass der angefragte Senat der Änderung der Rechtsprechung nicht zustimmt, die streitige Rechtsfrage dem Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 2 FGO vorzulegen, wenn der erkennende Senat aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans für die streitige Rechtsfrage --hier außergewöhnliche Belastungen-- zuständig geworden ist, wenn "nur diese streitig" ist, der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, jedoch weiterhin mit einer derartigen Rechtsfrage befasst werden kann.
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II. Sachverhalt
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1. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2008 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer Einkommensteuererklärung machten sie Aufwendungen für die Adoption eines in Äthiopien geborenen Kindes als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Wegen Zeugungsunfähigkeit des Klägers haben die Kläger keine leiblichen Kinder. Künstliche Befruchtungsmethoden lehnen sie aus ethischen und gesundheitlichen Gründen ab.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung, weil sie nicht zwangsläufig entstanden seien. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage, die das Finanzgericht mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 414 veröffentlichten Gründen als unbegründet abwies.
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Mit der Revision machen die Kläger geltend, die streitigen Aufwendungen seien einer heterologen Insemination gleichzustellen und daher als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Sähen sich Steuerpflichtige aus ethisch-religiösen Gründen nicht zu einer heterologen Insemination in der Lage, sei bei Zeugungsunfähigkeit eines Ehegatten die Adoption die einzige Möglichkeit der Familiengründung.
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2. Der VI. Senat ist nach der Geschäftsverteilung des BFH seit 2009 für außergewöhnliche Belastungen i.S. der §§ 33 ff. EStG zuständig, "wenn nur diese streitig sind". Bis zum Jahr 2008 war hierfür der III. Senat des BFH zuständig. Der III. Senat hat mit Urteilen vom 13. März 1987 III R 301/84 (BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495) und vom 20. März 1987 III R 150/86 (BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596) entschieden, dass Aufwendungen für eine Adoption nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG abgezogen werden können.
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Nach der derzeitigen Geschäftsverteilung des BFH ist der III. Senat u.a. für Einkommensteuer zuständig (vgl. A. III. Senat Nrn. 1 und 2 des Geschäftsverteilungsplanes für 2014). Er kann daher mit Fragen der Anwendung der §§ 33 ff. EStG befasst werden, wenn nicht nur diese streitig sind.
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III. Vorlagebeschluss des VI. Senats
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1. Die Vorlagefrage ist nach Auffassung des VI. Senats zu verneinen. Der Senat, der aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes vorrangig für ein bestimmtes Rechtsgebiet zuständig geworden sei, könne von der Rechtsprechung eines anderen Senats des BFH ohne vorherige Anfrage bei diesem abweichen. Eine Pflicht zur Vorlage an den Großen Senat sei zu verneinen.
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Die Pflicht zur Anrufung des Großen Senats entfalle, wenn der erkennende Senat aufgrund einer Änderung in der Geschäftsverteilung ausschließlich für die streitige Rechtsfrage zuständig geworden sei. Die Gefahr einander widerstreitender Urteile bestehe dann künftig nicht.
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Ebenso sei es, wenn der bisher zuständige Senat aufgrund der Änderung der Geschäftsverteilung künftig nur noch gelegentlich in die Lage kommen könne, über die Rechtsfrage zu entscheiden, weil die Zuständigkeit auf einen anderen Senat übergegangen sei, soweit nur diese Rechtsfrage streitig ist.
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Durch die Zuweisung eines Rechtsgebiets an einen bestimmten Senat werde diesem die Rechtsfortbildung hierfür übertragen. Auch wenn der bislang zuständige Senat in seltenen Fällen weiterhin mit Rechtsfragen aus diesem Rechtsgebiet befasst werden könne, werde er sich nach dem Zuständigkeitswechsel mit fortschreitender Zeit von der Rechtsmaterie entfernen. Dies spreche dafür, die Entscheidung über Streitfragen dem Senat zuzuweisen, der vornehmlich für dieses Rechtsgebiet zuständig geworden sei. Die Gefahr widerstreitender Urteile sei gering, weil ein Senat, der sich nur gelegentlich mit der Materie eines anderen Senats befassen müsse, in aller Regel der Rechtsprechung dieses Senats folgen werde.
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Die durch die Geschäftsverteilung seit 2009 in erster Linie dem vorlegenden (VI.) Senat für das Rechtsgebiet der außergewöhnlichen Belastungen zugewiesene Aufgabe der Rechtsfortbildung sei vorrangig vor dem Interesse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, das durch die Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Senat in den gesetzlich vorgesehenen Fällen gewahrt werden solle. Der mehrdeutige Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO stehe einer Änderung der Rechtsprechung ohne Anfrage nicht entgegen. Beabsichtige ein dritter Senat, für den zu keinem Zeitpunkt eine vorrangige Zuständigkeit bestanden habe, von der Rechtsprechung des früher vorrangig zuständigen (III.) Senats abzuweichen, müsse dieser nach § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO beim nunmehr vorrangig zuständigen (VI.) Senat anfragen.
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2. Der VI. Senat hält die vorgelegte Rechtsfrage für entscheidungserheblich. Er sieht sich als zu einer Abweichung von der Rechtsprechung des III. Senats berechtigt an, ohne dass hierin eine Abweichung i.S. von § 11 Abs. 2 und 3 FGO zu sehen sei, die eine Entscheidung durch den Großen Senat erforderlich mache. Dies führe zum Erfolg der Revision.
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IV. Rechtsgrund der Vorlage
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1. Der vorlegende Senat begründet die Vorlage mit der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 11 Abs. 4 FGO. Die vorgelegte Rechtsfrage stelle sich nicht nur bei außergewöhnlichen Belastungen, sondern auch bei anderen Materien des Ertragsteuerrechts.
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Der Große Senat habe in den Beschlüssen vom 15. November 1971 GrS 1/71 (BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68), vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84 (BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207) und vom 28. November 1988 GrS 1/87 (BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164) über die hier vorgelegte Rechtsfrage noch nicht abschließend entschieden. Diese Entscheidungen beschäftigten sich in erster Linie mit der Frage, welchem Senat des BFH ein Entsendungsrecht an den Großen Senat (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F.) zustehe. Zudem habe der zum Zeitpunkt der bisherigen Entscheidung des Großen Senats anzuwendende § 11 FGO a.F. einen anderen Wortlaut als § 11 FGO in der seit 1992 geltenden Fassung des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes (RpflVereinfG) vom 17. Dezember 1990 (BGBl I 1990, 2847, BStBl I 1991, 3) gehabt.
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Auch andere Senate des BFH seien der Auffassung, dass einen Senat, der vorrangig für ein Rechtsgebiet zuständig sei, keine Pflicht zur Anfrage wegen Divergenz an den Großen Senat treffe, wenn er von einer Entscheidung eines anderen Senats abweichen wolle, der nach wie vor im Zusammenhang mit anderen Streitpunkten mit der streitgegenständlichen Rechtsfrage befasst werden könne. Den Entscheidungen des Großen Senats in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 sei für die heute geltende Fassung des § 11 FGO keine Bedeutung beizumessen.
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2. Hilfsweise sei der Große Senat nach § 11 Abs. 2 FGO anzurufen, da der vorlegende Senat beabsichtige, von den Entscheidungen des Großen Senats in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 abzuweichen.
Entscheidungsgründe
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B. I. Zulässigkeit der Vorlage
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Die Vorlage des VI. Senats ist zulässig.
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1. Die Zulässigkeit der Vorlage ergibt sich aus § 11 Abs. 4 FGO. Der erkennende Senat kann danach eine Frage grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
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2. Eine erneute Vorlage derselben Rechtsfrage an den Großen Senat ist nur zulässig, falls in der Zwischenzeit neue rechtliche Gesichtspunkte aufgetreten sind, die bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnten, und/ oder neue Rechtserkenntnisse eine andere Beurteilung der entschiedenen Rechtsfrage rechtfertigen könnten (BFH-Beschluss vom 20. Februar 2013 GrS 1/12, BFHE 140, 282, BStBl II 2013, 441, Rz 19).
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3. Der Große Senat hat im Streitfall nicht zu entscheiden, ob an dieser Einschränkung festzuhalten ist (vgl. hierzu BFH-Beschluss in BFHE 140, 282, BStBl II 2013, 441, Rz 21), da jedenfalls aufgrund der Änderungen in § 11 FGO durch das RpflVereinfG neue rechtliche Gesichtspunkte vorliegen, die der Große Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 noch nicht berücksichtigen konnte.
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4. Da die aufgeworfene Rechtsfrage erhebliche Bedeutung für die Abgrenzung der Entscheidungskompetenz zwischen den einzelnen Senaten des BFH hat, besteht auch ein allgemeines Interesse an einer Klärung der Rechtslage durch den Großen Senat.
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5. Ob die Vorlage hilfsweise auch nach § 11 Abs. 2 FGO zulässig wäre, ist ohne Bedeutung.
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II. Entscheidungserheblichkeit
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Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des vorlegenden Senats erheblich. Bei einer Verneinung der Vorlagefrage entsprechend der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats wäre die Revision der Kläger begründet, da der vorlegende Senat abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des III. Senats in BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495 und in BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596 Aufwendungen für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG anerkennen will. Bei einer Bejahung der Vorlagefrage wäre dies nicht möglich. Denn der III. Senat hat den Anfragebeschluss des vorlegenden Senats vom 13. November 2012 zur Zustimmung zu einer Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung durch Beschluss vom 31. Januar 2013 dahingehend beantwortet, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte.
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III. Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegte Rechtsfrage
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1. Rechtsgrundlagen
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Nach § 11 Abs. 2 FGO in der seit 1. Januar 1992 geltenden Fassung entscheidet der Große Senat, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will.
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Eine Vorlage an den Großen Senat ist gemäß § 11 Abs. 3 FGO n.F. nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluss in der für Urteile erforderlichen Besetzung.
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2. Rechtsentwicklung
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Regelungen zur Entscheidung durch den Großen Senat enthielten bereits die Reichsabgabenordnung 1919 in § 46 und die Reichsabgabenordnung 1931 in § 66.
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Die Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 (BGBl I 1965, 1477) bestimmte in § 11 Abs. 3: "Will in einer Rechtsfrage ein Senat des Bundesfinanzhofs von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen, so entscheidet der Große Senat."
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§ 2 Abs. 2 der neu gefassten Geschäftsordnung des BFH vom 1. Januar 1971 (BStBl II 1974, 286 --GeschOBFH 1971--) regelte ergänzend, dass in den Fällen des § 11 Abs. 3 FGO der Senat, der von der Entscheidung des anderen Senats abweichen will, zunächst bei diesem anzufragen hat, ob er der Abweichung zustimmt. Hat sich die Geschäftsverteilung geändert, so ist als anderer Senat derjenige anzusehen, auf den die Zuständigkeit für die Streitfrage übergegangen ist.
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3. Rechtsprechung
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Der Große Senat hat die Vorlagefrage unter Geltung von § 11 FGO a.F. bejaht. Nach dem BFH-Beschluss in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68, unter V.1. gilt die bisherige Rechtsprechung, nach der es keiner Anrufung des Großen Senats bedarf, wenn die die früheren Fälle betreffende Zuständigkeit inzwischen auf den nunmehr erkennenden Senat übergegangen ist, nur für den Fall, dass die Beurteilung der zu entscheidenden Frage ausschließlich dem erkennenden Senat zugewiesen ist.
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Nach den BFH-Beschlüssen in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, unter B.I.2.b und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, unter B.I.2.c bb liegt eine Abweichung i.S. des § 11 Abs. 3 FGO auch dann vor, wenn zwar eine Änderung in der Geschäftsverteilung eingetreten ist, der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, aber trotz des Wechsels in der Zuständigkeit jederzeit in die Lage kommen kann, über die Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen, so dass diesem auch das Entsendungsrecht nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. zustand.
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Das Bundessozialgericht (BSG) hat erkannt, die Vorlagepflicht wegen Divergenz entfalle nur dann, wenn für die Zukunft die Gefahr divergierender Entscheidungen auszuschließen sei (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 24. Juni 1985 GS 1/84, BSGE 58, 183, unter 2. der Entscheidungsgründe). Nur wenn der nach einer Geschäftsverteilung nunmehr zuständige Senat für die Bearbeitung eines abgeschlossenen Rechtsgebietes allein zuständig sei, entfalle die Vorlagepflicht.
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4. Schrifttum
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Im Schrifttum wird die Vorlagefrage unterschiedlich beurteilt.
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Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 11 FGO Rz 60 schließt aus § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO, dass die Anfrage bei dem früher entscheidenden Senat nur unterbleiben kann, wenn er die Zuständigkeit für die zu entscheidende Rechtsfrage vollständig verloren hat. Nach Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rz 5 ist ein Abweichen von einer Entscheidung eines anderen Senats, dessen Zuständigkeit aber vollständig auf den nun entscheidenden Senat übergegangen ist, nicht vorlagepflichtig. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 20 geht davon aus, dass die Anfragepflicht bei dem anderen Senat nur entfällt, wenn der bisher zuständige Senat künftig nicht mehr in die Lage kommen kann, über die streitige Rechtsfrage entscheiden zu müssen.
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Nach Auffassung von List entsprechen die BFH-Beschlüsse in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 nicht dem Sinn und Zweck des Anfrageverfahrens (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1987, 439, 440). Der BFH-Beschluss in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 sei aufgrund der Neuregelung des § 11 FGO nicht mehr anwendbar (List, DStR 1992, 382, 385; ähnlich Pust, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 1084, der dennoch die Auffassung vertritt, auch für die Neufassung des § 11 Abs. 3 FGO solle an der Rechtsprechung des Großen Senats festgehalten werden, wonach nur eine ausschließliche Zuständigkeit des erkennenden Senats eine Anfrage bei dem Senat erübrigt, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll). Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO § 11 Rz 14 sieht es als sachgerecht an, dass der vorrangig für eine Rechtsfrage zuständige Fachsenat in der Rechtsfortbildung frei ist, ohne nach § 11 Abs. 3 FGO zur Vorlage verpflichtet zu sein.
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Die Autoren zu den § 11 FGO inhaltsgleichen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- (§ 11), des Arbeitsgerichtsgesetzes --ArbGG-- (§ 45), des Sozialgerichtsgesetzes --SGG-- (§ 41) und des Gerichtsverfassungsgesetzes --GVG-- (§ 132) vertreten --soweit sie sich mit dieser Fragestellung befassen-- übereinstimmend die Auffassung, die Divergenzlage entfalle nur dann, wenn der früher zuständige Senat mit der in Rede stehenden Rechtsfrage nicht mehr befasst werden könne (Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 11 Rz 37; Pietzner in Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 11 Rz 27; Liebscher in Schwab/Weth, 2. Aufl., § 45 ArbGG Rz 20; Lüdtke in Lüdtke, SGG, 4. Aufl., § 41 Rz 7; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, 11. Aufl., § 41 SGG Rz 11; Peters/Sautter/Wolff, SGG, Bd. 1, 4. Aufl., § 41 SGG Rz 22; Kissel/Mayer, GVG, § 132 Rz 17).
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IV. Auffassung des Großen Senats
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1. Der Große Senat teilt nicht die Auffassung des vorlegenden Senats.
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a) § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO setzt voraus, dass der andere Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, "wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden [kann]". Dies erfordert bei grammatikalischer Auslegung einen vollständigen Zuständigkeitsverlust des anderen Senats und damit die Unmöglichkeit einer nochmaligen Befassung dieses Senats mit der streitigen Rechtsfrage.
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b) Dass § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO in Bezug auf seine Voraussetzungen und Rechtsfolgen als "nicht homogen" (vgl. Sunder-Plassmann in HHSp, § 11 FGO Rz 60) anzusehen sein könnte, rechtfertigt keine vom Wortlaut der Vorschrift abweichende Auslegung. An den Gründen, die den Großen Senat bewogen haben, für das Absehen vom Erfordernis einer Anfrage bei einem anderen Senat auf einen vollständigen und nicht nur auf einen schwerpunktmäßigen Zuständigkeitswechsel abzustellen, ist vielmehr unter der Geltung des § 11 FGO n.F. ebenfalls festzuhalten.
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Auch nach der Neuregelung wäre es "sinnwidrig", einen erkennenden Senat über die Verbindlichkeit der von einem anderen Senat vertretenen Rechtsauffassung entscheiden zu lassen, wenn der bisher für ein bestimmtes Sachgebiet zuständige Senat trotz der Änderung der Geschäftsverteilung aufgrund seiner nunmehr bestehenden Zuständigkeit gleichwohl jederzeit in die Lage kommen kann, die strittige Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, unter B.I.2.b, und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, unter B.I.2.c bb). Gleiches gilt für die Annahme, dass der andere Senat bei einer Entscheidung über die Rechtsfrage seinerseits den Großen Senat anrufen müsse, um seiner ursprünglichen Rechtsansicht Geltung zu verschaffen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, unter B.I.2.b, und in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164, unter B.I.2.c bb).
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c) Zu berücksichtigen ist, dass die Einrichtung der Großen Senate bei allen obersten Bundesgerichten vor allem der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient (vgl. z.B. Kronisch, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 11 Rz 9; Pietzner in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 11 Rz 14, und Kissel/Mayer, a.a.O., § 132 Rz 1). Sie herzustellen und zu bewahren ist speziell Aufgabe der obersten Bundesgerichte und durch das im Gleichheitsgrundsatz wurzelnde Postulat der Rechtsanwendungsgleichheit auch verfassungsrechtlich geboten (Pietzner in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 11 Rz 14). Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ein Gebot der Rechtssicherheit und damit des Rechtsstaatsprinzips (Kissel/Mayer, a.a.O, § 132 Rz 1).
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Die Divergenzvorlage soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht nur innerhalb des BFH, sondern in der gesamten Finanzgerichtsbarkeit sichern und so auseinanderdriftendes Recht möglichst verhindern (vgl. hierzu Pietzner in Schoch/ Schneider/Bier, a.a.O., § 11 Rz 14). Die Divergenzvorlage erreicht dies, indem sie Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Senaten des BFH dem Großen Senat zur Entscheidung bringt und damit auf einer gleichsam höheren Ebene zum Ausgleich und zur Koordination bringt (Pietzner in Schoch/ Schneider/Bier, a.a.O., § 11 Rz 4). Dementsprechend entfällt eine Vorlagepflicht wegen Divergenz nur, wenn für die Zukunft die Gefahr divergierender Entscheidungen auszuschließen ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG in BSGE 58, 183, unter 2.).
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Im Fall der Änderung eines Geschäftsverteilungsplanes setzt dies voraus, dass der früher zuständige Senat mit der in Rede stehenden Rechtsfrage nicht mehr befasst werden kann. Hiervon ist nur dann auszugehen, wenn der abweichungswillige Senat die Zuständigkeit für das Sachgebiet, aus dem die frühere Entscheidung stammt, vollständig übernommen hat (Kronisch, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 11 Rz 37), so dass er aufgrund des Wechsels der Geschäftsverteilung für die zu entscheidende Rechtsfrage allein zuständig geworden ist (Liebscher in Schwab/Weth, a.a.O., § 45 ArbGG Rz 20; Lüdtke in Lüdtke, a.a.O., § 41 Rz 7, und Kissel/Mayer, a.a.O., § 132 Rz 17).
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d) Die Pflicht zur Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 FGO bleibt im Übrigen auch dann bestehen, wenn ein erkennender Senat bereits in der Vergangenheit von der Rechtsprechung eines anderen Senats bewusst oder unbewusst abgewichen ist.
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2. Für ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung des Großen Senats sprechen auch die Änderungen in § 11 FGO im Vergleich zu der zuvor bestehenden Rechtslage.
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§ 11 FGO a.F. enthielt keine eigenständige Regelung zum Anfrageverfahren. Vielmehr bestimmte nur § 2 Abs. 2 Satz 2 GeschOBFH 1971, dass anderer Senat der Senat ist, auf den die Zuständigkeit für die Streitfrage übergegangen ist, wenn "sich die Geschäftsverteilung geändert [hat]".
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Während es somit nach alter Rechtslage möglicherweise statthaft gewesen wäre, auf eine Anfrage bei einem anderen Senat nach Änderung der Geschäftsverteilung --entsprechend der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats-- zu verzichten, ist dies nach dem Wortlaut der Neuregelung in § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO ausgeschlossen.
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3. Die vom vorlegenden Senat gegen die Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung geäußerten Bedenken greifen nicht durch.
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§ 11 Abs. 3 Satz 2 FGO ist nicht mehrdeutig. Im Übrigen besteht die Gefahr einander widerstreitender Entscheidungen auch, wenn der bisher allgemein für eine Rechtsfrage zuständige Senat nur noch gelegentlich in die Lage kommen kann, über die Rechtsfrage zu entscheiden. Die Zuweisung eines Rechtsgebiets an einen bestimmten Senat überträgt diesem die Rechtsfortbildung hierfür nur in den Grenzen des § 11 FGO. Das Spannungsverhältnis, das zwischen Rechtsfortbildung und Einheitlichkeit der Rechtsprechung bestehen kann, ist nach Maßgabe des § 11 FGO aufzulösen. Dass sich hieraus ein Vorrang der Einheitlichkeit der Rechtsprechung gemäß den Voraussetzungen dieser Vorschrift ergibt, beruht auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, die von der Rechtsprechung zu beachten und auch im Fall des Übergangs einer "primären" Zuständigkeit angemessen ist.
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Die Überlegungen des vorlegenden Senats zu einer Abweichungsanfrage eines dritten Senats greifen schon deshalb nicht durch, weil die Voraussetzungen für einen Zuständigkeitsübergang in Bezug auf den anzufragenden Senat nach § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO nicht vorliegen. Für die Erwartung, dass ein Senat, der sich nur gelegentlich mit der Materie eines anderen Senats befassen müsse, in aller Regel der Rechtsprechung dieses Senats folgen werde, besteht schließlich keine hinreichende Grundlage, wie auch der Ausgangsfall in diesem Verfahren zeigt.
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C. Entscheidung der Vorlagefrage
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Der Große Senat beantwortet die ihm vorgelegte Frage wie folgt:
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Ein Senat des BFH, der von einer Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, hat auch dann bei diesem Senat nach § 11 Abs. 3 FGO anzufragen und für den Fall, dass dieser an seiner Rechtsauffassung festhält, den Großen Senat anzurufen, wenn der erkennende Senat zwar nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Rechtsfrage zuständig geworden ist, der andere Senat aber weiterhin mit der Rechtsfrage befasst werden kann.
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