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BFH 13.08.2013 - X B 140/12
BFH 13.08.2013 - X B 140/12 - Sachverhaltsaufklärung
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend Thüringer Finanzgericht, 13. Dezember 2011, Az: 3 K 828/09, Urteil
Leitsatz
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NV: Sprechen vom Kläger vorgelegte Unterlagen mit hoher Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines bestimmten Geschehensablaufs, kann eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Finanzgericht geboten sein, wenn es einen hiervon abweichenden und der Lebenserfahrung widersprechenden Geschehensablauf zugrunde legen will.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war u.a. in den Jahren 2001 bis 2004 Gesellschafter-Geschäftsführer der P-GmbH und der F-GmbH. An der P-GmbH war er in den Streitjahren bis 26. Februar 2001 mit 75 % und danach mit 66,67 % und an der F-GmbH durchgängig mit ebenfalls 66,67 % beteiligt. Weiterer Gesellschafter-Geschäftsführer der P-GmbH und der F-GmbH war jeweils X, der auch jeweils die verbleibenden Anteile an beiden Gesellschaften (von 25 % bzw. 33,33 %) hielt. Beide Gesellschaften hatten dem Kläger und seinem Mitgesellschafter Zusagen auf eine betriebliche Altersversorgung mit identischem Leistungsumfang erteilt. Nach den Versorgungszusagen beginnt die Auszahlungsphase jeweils mit Erreichen des 65. Lebensjahrs.
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In den gegenüber dem Kläger ergangenen Einkommensteuerbescheiden für 2001 bis 2004 kürzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Hinblick auf die Zusage auf betriebliche Altersvorsorge den Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Jahren 2001 bis 2004 geltenden Fassung. Der u.a. hiergegen gerichtete Einspruch wurde in der Einspruchsentscheidung des FA vom 24. August 2009 mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe keine Berechnung der Barwerte der ihm und seinem Mitgesellschafter gewährten Versorgungsanwartschaften bezogen auf den Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Auszahlungsphase vorgelegt. Es lasse sich daher nicht feststellen, ob das klägerische Anwartschaftsrecht auf betriebliche Altersversorgung ausschließlich durch dessen Verzicht auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche erworben worden sei.
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Mit seiner die Streitjahre 2001 bis 2005 betreffenden Klage macht der Kläger ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2011 im Wege des Hilfsantrags geltend, für die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre 2001 bis 2004 sei keine Kürzung des Vorwegabzugs vorzunehmen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 13. Dezember 2011 insgesamt ab. In Bezug auf die Kürzung des Vorwegabzugs führte das FG aus, es stehe nicht fest, ob der Kläger seine Anwartschaftsrechte auf betriebliche Altersversorgung vollständig ohne eigene Beitragsleistungen erworben habe. Zwar habe der Kläger Ermittlungen der Teilwerte der ihm und seinem Mitgesellschafter erteilten Versorgungsanwartschaften zu den Bilanzstichtagen der jeweiligen Streitjahre vorgelegt. Für den maßgeblichen Vergleich des Aufwands der Gesellschaft für die Altersversorgung der Gesellschafter mit deren Beteiligungsquote komme es jedoch auf die Barwerte der Pensionszusagen zum Beginn der jeweiligen Auszahlungsphase an. Denn angesichts des unterschiedlichen Alters der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer seien die auf den Zeitpunkt des Beginns der Auszahlungsphase ermittelten Barwerte miteinander zu vergleichen. Ein Vergleich der Teilwerte zu einem Stichtag innerhalb der Streitjahre könne hingegen kein objektives Ergebnis des Gesamtaufwands liefern, da die Auszahlungsphase des Klägers etwa zehn Jahre später beginne als die seines Mitgesellschafters. Die P-GmbH und die F-GmbH könnten deshalb die Altersversorgung für den Kläger länger aufbauen.
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Gegen dieses Urteil legte der rechtskundig vertretene Kläger am 11. Juni 2012 Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ein. Hierbei bezeichnete er als Streitgegenstände die Einkommensteuer 2001 bis 2005. In seiner Beschwerdebegründung machte der Kläger geltend, die Revision sei gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, da das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensfehler beruhe. Infolge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht habe das FG seinem Antrag nicht entsprochen, für die Streitjahre 2001 bis 2004 keine Kürzung des Vorwegabzugs vorzunehmen. Bereits aufgrund der dem FG eingereichten Unterlagen habe festgestanden, dass der Aufwand für die klägerische Pensionszusage seine Beteiligungsquote nicht überschritten habe. Beiden Gesellschaftern seien jeweils Pensionszusagen zu gleichen Bedingungen erteilt worden. Zudem habe der Kläger im Vergleich zu seinem Mitgesellschafter jeweils eine höhere Beteiligungsquote gehabt. Sofern dies dem FG nicht genüge, hätte sich ihm in dieser Hinsicht eine weitere Sachaufklärung aufdrängen müssen.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Der Kläger habe es selbst zu verantworten, dass das FG keine weitere Sachaufklärung vorgenommen habe. Er habe erstmals in der mündlichen Verhandlung durch Stellung eines Hilfsantrags die Problematik der Kürzung des Vorwegabzugs streitig gestellt. Er habe keinen Beweisantrag zu der Frage gestellt, ob der Aufwand der jeweiligen Gesellschaften für die klägerische Altersversorgung im Vergleich zu derjenigen seines Mitgesellschafters seine Beteiligungsquote an den jeweiligen Gesellschaften nicht überschritten habe. Zudem sei dem Kläger mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bekannt gewesen, dass das Verfahren vor dem Abschluss stehe und mit keinen weiteren Aufklärungsmaßnahmen des FG zu rechnen sei. Gleichwohl habe der Kläger rügelos zur Sache verhandelt und damit sein Rügerecht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) verloren.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist, soweit sie das Streitjahr 2005 betrifft, unzulässig und daher zu verwerfen. Im Übrigen hat die Beschwerde Erfolg. Insoweit legt der Kläger schlüssig einen Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar. Ein solcher liegt auch tatsächlich vor.
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1. Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft auch das Streitjahr 2005. Sie ist insoweit unzulässig.
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a) Der rechtskundig vertretene Kläger hat seine Nichtzulassungsbeschwerde auch wegen des Streitgegenstands Einkommensteuer 2005 eingelegt. Er hat unter Benennung des angefochtenen Urteils des FG und mit ausdrücklichem Hinweis auf alle Streitgegenstände dieses Urteils (Einkommensteuer 2001 bis 2005) beantragt, die Revision gegen dieses Urteil zuzulassen. Er hat damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sich sein Rechtsmittel auf das gesamte Urteil bezieht. Angesichts dessen ist für eine abweichende Auslegung kein Raum. Insbesondere kann die von einem rechtskundigen Prozessbevollmächtigten stammende eindeutige Prozesserklärung nicht deshalb einschränkend ausgelegt oder umgedeutet werden, weil hinsichtlich eines Teils der Streitgegenstände (hier der Einkommensteuer 2005) keine Zulassungsgründe geltend gemacht worden sind (Senatsbeschluss vom 20. Juni 2012 X B 1/12, BFH/NV 2012, 1616).
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Sie genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, wonach die Gründe für die Zulassung der Revision darzulegen sind.
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b) Soweit die Beschwerde verworfen wird, hat der Kläger gemäß § 135 Abs. 2 FGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
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2. Im Übrigen hat die Beschwerde Erfolg. Auf den vom Kläger gerügten und auch tatsächlich vorliegenden Verfahrensfehler wird das angefochtene Urteil, soweit es die Einkommensteuer 2001 bis 2004 betrifft, aufgehoben und gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
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a) Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO liegt nicht nur vor, wenn das FG einen Beweisantrag zu Unrecht übergeht. Sie kann vielmehr auch dann gegeben sein, wenn zwar kein Beweisantrag gestellt wurde, dem FG unter Zugrundelegung seiner eigenen Rechtsauffassung sich aber die weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Dies ist dann der Fall, wenn das FG seinem Urteil einen Geschehensablauf zugrunde legt, der unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung als ungewöhnlich erscheint und nach Aktenlage Anlass zu der Annahme besteht, dass der vom FG angenommene Sachverhalt sich so nicht abgespielt hat (Senatsbeschluss vom 10. Januar 2007 X B 113/06, BFH/NV 2007, 935, und Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juni 2012 VI B 10/12, BFH/NV 2012, 1475).
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b) Das FG ist in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass eine Kürzung des Vorwegabzugs nicht vorzunehmen ist, wenn ein Versorgungsberechtigter seinen Versorgungsanspruch ausschließlich durch eigene Beitragsleistungen erworben hat, wobei eine solche Beitragsleistung auch in der Minderung von Gesellschaftsrechten bestehen kann (BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 25/01, BFHE 200, 554, BStBl II 2004, 546). Zutreffend ist auch der rechtliche Ansatz zur Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Kürzung des Vorwegabzugs unterbleibt, wenn eine GmbH mehrere Gesellschafter-Geschäftsführer hat. Danach ist in Anwendung des BFH-Urteils vom 23. Februar 2005 XI R 29/03 (BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634) entscheidend darauf abzustellen, ob unter Berücksichtigung des entstehenden Gesamtaufwands der Gesellschaft für die Altersversorgung ihrer Gesellschafter der Aufwand der GmbH für die Altersversorgung des zu beurteilenden Gesellschafters dessen quotaler Beteiligung an der GmbH entspricht oder sie unterschreitet. Nach diesem Urteil, dem das FG auch insoweit folgt, ist zwecks Vermeidung einer Benachteiligung des älteren Gesellschafter-Geschäftsführers für diese Berechnung nicht auf die Höhe der jeweiligen jährlichen Zuführung zur Pensionsrückstellung, sondern auf den Aufwand abzustellen, welcher der GmbH voraussichtlich für die künftigen Pensionszahlungen entstehen wird.
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c) In tatsächlicher Hinsicht hat das FG angenommen, es könne wegen der ihm nicht vorliegenden Barwerte, die zum Zeitpunkt des Beginns der Auszahlung der jeweiligen Pensionsansprüche für beide Gesellschafter ermittelt sind, nicht feststellen, ob danach beim Kläger die rechtliche Vorgabe erfüllt ist, dass der für ihn entstehende künftige Pensionsaufwand unter Heranziehung des gesamten künftigen Pensionsaufwands für alle Gesellschafter-Geschäftsführer seiner quotalen Beteiligung an der GmbH entspricht oder sie sogar unterschreitet.
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Hierbei hat das FG indessen nicht berücksichtigt, dass die F-GmbH und die P-GmbH ihren beiden Gesellschafter-Geschäftsführern inhaltsgleiche Versorgungszusagen erteilt haben. Danach waren die Versorgungszusagen sowohl hinsichtlich des Pensionsbeginns als auch hinsichtlich des jeweiligen Leistungsumfangs deckungsgleich. Bei einer solchen Sachlage sind die zu Beginn der jeweiligen Leistungsphase (hier dem Zeitpunkt der jeweiligen Vollendung des 65. Lebensjahrs) bestehenden Pensionsverpflichtungen jedenfalls im Grundsatz gleich hoch (BFH-Urteil in BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634, unter II.4.a). Unterschiede kann es nur insoweit geben, als später geborene Personen im Vergleich zu früher geborenen Personen statistisch betrachtet eine höhere Lebenserwartung haben (vgl. Luy, Lebenserwartung in Deutschland, www.lebenserwartung.info). Dabei kann dahinstehen, ob dies wegen der gebotenen Typisierung zu vernachlässigen oder ob es bei der Ermittlung der Versorgungsbarwerte zu berücksichtigen ist. Denn der vorliegende Streitfall weist die Besonderheit auf, dass der Kläger in den Streitjahren an beiden Kapitalgesellschaften mit Beteiligungsquoten von mindestens 66,67 % beteiligt war. Bei dieser Sachlage ist die rechtliche Vorgabe, wonach der für ihn entstehende künftige Pensionsaufwand seine Beteiligungsquote nicht überschreiten darf, auch eingehalten, wenn der hierfür entstehende Aufwand 66,67 % des Gesamtaufwands für die Pensionsanwartschaften beider Gesellschafter nicht überschreitet. Dass dies der Fall ist, entspricht angesichts der beiden Gesellschaftern in gleichem Umfang zugesagten Versorgungsansprüche der ganz überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dann aber darf sich das FG nicht auf den Hinweis beschränken, ihm lägen keine Barwerte auf den Zeitpunkt des jeweiligen Leistungsbeginns vor. Vielmehr muss es in einem solchen Fall weitere Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung ergreifen.
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d) Entgegen der Ansicht des FA scheitert das Vorliegen eines Verfahrensfehlers nicht daran, dass der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung im Wege des Hilfsantrags geltend gemacht hat, der Vorwegabzug sei nicht zu kürzen. Ein Kläger ist grundsätzlich berechtigt, sein Begehren hinsichtlich des mit der Klage geltend gemachten Streitgegenstands in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht zu ergänzen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das FG wie im Streitfall von der Vorschrift des § 79b FGO keinen Gebrauch gemacht hat.
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Ergänzt ein Kläger sein Vorbringen in zulässiger Weise, muss sich das FG damit befassen und --soweit erforderlich-- im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung ergreifen. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger das Unterlassen weiterer Aufklärungsmaßnahmen erkennen konnte. Die Problematik eines Verzichts auf die Rüge weiterer Sachverhaltsaufklärung (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO) stellt sich daher nicht.
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e) Der angerufene Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren. Er hebt daher das angefochtene Urteil auf, soweit es die Einkommensteuer 2001 bis 2004 betrifft und verweist den Rechtsstreit insoweit an das FG zurück.
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