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BFH 22.12.2011 - III R 67/10
BFH 22.12.2011 - III R 67/10 - Vollzeiterwerbstätigkeit schließt Berücksichtigung als Kind im Familienleistungsausgleich nicht aus
Normen
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2002, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 70 Abs 4 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 11. September 2009, Az: 3 K 1331/09 Kg, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen.
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2. NV: Ändert sich die Rechtsauffassung der Verwaltung zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, mit der Folge, dass die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen sind, dann genügt eine derartige Änderung der Rechtsauffassung allein nicht, um die rückwirkende Korrektur der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG zu rechtfertigen.
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3. NV: Eine Ausgestaltung des Grenzbetrages (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) als Monatsbetrag ist im Hinblick auf den dadurch bedingten Verwaltungsmehraufwand und die Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht geboten.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt von der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) zunächst fortlaufend Kindergeld für seine 1984 geborene Tochter (T). T beendete ihr Studium der Rechtswissenschaften im April 2008 mit dem 1. Staatsexamen. Im Rahmen der Erklärung zu den voraussichtlichen Einkünften und Bezügen der T im Jahr 2008 gab der Kläger u.a. an, dass T nach Abschluss des Studiums zwar die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst beantragt habe, sie im Hinblick auf die Wartezeit von einigen Monaten jedoch ab Juni 2008 eine vorübergehende Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Voraussichtlich werde der Grenzbetrag aus diesem Grunde überschritten. Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 23. Juli 2008 ab Januar 2008 unter Hinweis auf § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) auf und forderte das bereits für die Monate bis August 2008 gezahlte Kindergeld von dem Kläger zurück. Den Einspruch des Klägers wies sie als unbegründet zurück.
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Im Dezember 2008 begann T das Referendariat. Während des Studiums erzielte sie aus einer Nebentätigkeit gewerbliche Einkünfte in Höhe von 1.050 €. Aus der in den Monaten Juni bis November 2008 ausgeübten Erwerbstätigkeit erzielte sie unter Berücksichtigung von Werbungskosten Einkünfte in Höhe von mindestens 17.000 €, bei Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung von rund 2.000 €. Für den Monat Dezember 2008 erhielt sie eine Vorauszahlung auf ihre Referendarbezüge in Höhe von netto 780 €.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der der Kläger Kindergeld für die Monate Januar bis einschließlich Mai sowie für Dezember 2008 begehrte, mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 545 veröffentlichten Urteil statt.
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Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c und Satz 2 EStG und nimmt auf das Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09 (BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982) Bezug.
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Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Das Kindergeld habe die Funktion, die besondere wirtschaftliche Belastung, die Eltern durch ihre Unterhaltsverpflichtung gegenüber Kindern entstehe, zumindest teilweise auszugleichen. Das Jahresprinzip widerspreche daher dem im Unterhaltsrecht geltenden Grundsatz der monatlichen Leistungsverpflichtung und könne nicht mit einem behaupteten Verwaltungsmehraufwand bei monatlicher Prüfung der Einkünfte und Bezüge gerechtfertigt werden. Zudem komme es zu unzumutbaren Härten, wenn der Grenzbetrag erst durch den Zufluss von Einkünften oder Bezügen am Ende des Kalenderjahres überschritten werde und das Kindergeld zurückgefordert werde, obwohl es seiner Funktion entsprechend verwendet worden sei. Durch das Jahresprinzip könnten die Grundrechte aus Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes verletzt sein.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Familienkasse ist nur hinsichtlich des Monats Dezember 2008 begründet (unten 1.). Insoweit führt die Revision zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Hinsichtlich der Monate Januar bis Mai 2008 ist die Revision der Familienkasse als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Denn die Familienkasse war zu einer (rückwirkenden) Aufhebung der bestandskräftigen Festsetzung für diese Monate nicht berechtigt (unten 2.).
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1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie T in 2008, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG u.a. dann Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen.
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a) In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 3/08, BFH/NV 2010, 1262). Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn das Kind noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Senatsurteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982).
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b) Danach geht das FG zunächst zutreffend davon aus, dass T im gesamten Kalenderjahr 2008 die Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestands nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt hat. In den Monaten Januar bis April 2008 (Studium) und im Dezember 2008 (Referendariat) wurde sie i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet. In den Monaten Mai bis November 2008 war sie als Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, denn nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hatte sie nach Abschluss des Studiums die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst beantragt, die erst zum 1. Dezember 2008 erfolgte.
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c) Entgegen der Auffassung des FG wird der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht dadurch ausgeschlossen, dass T in den danach auch zu berücksichtigenden Monaten Juni bis November 2008 einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging. Insoweit verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982. Danach stand die Vollzeiterwerbstätigkeit der T ihrer Berücksichtigung als Kind i.S. des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Bei der Frage, ob der Jahresgrenzbetrag überschritten ist, sind daher auch ihre Einkünfte und Bezüge aus den Monaten Juni bis November 2008 einzubeziehen. Die vom FG für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellten Einkünfte und Bezüge der T überschritten im maßgeblichen gesamten Kalenderjahr den Jahresgrenzbetrag von 7.680 €. Dem Kläger stand daher für das Jahr 2008 kein Anspruch auf Kindergeld zu.
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d) Die vom Kläger gegen die Ausgestaltung des Grenzbetrages als Jahresbetrag gerichteten Einwände greifen nicht durch. Eine Ausgestaltung des Grenzbetrages als Monatsbetrag ist im Hinblick auf den dadurch bedingten Verwaltungsmehraufwand und die Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2010 2 BvR 2122/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 1109).
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2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG den Bescheid der Familienkasse vom 23. Juli 2008 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12. März 2009 aufgehoben, soweit die Familienkasse damit die für Januar bis Mai 2008 bereits bestandskräftige Festsetzung von Kindergeld aufgehoben hat. Denn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung lagen nicht vor.
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a) Insbesondere kam eine Korrektur der Festsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG nicht in Betracht. Denn im Streitfall haben sich nach den Feststellungen des FG hinsichtlich des Betrages der Einkünfte und Bezüge keine tatsächlichen Änderungen gegenüber den Annahmen in der Prognose ergeben. Vielmehr hat sich im Jahr 2008 allein die Rechtsauffassung der Verwaltung zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, mit der Folge geändert, dass die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen sind. Eine derartige Änderung der Rechtsauffassung genügt allein aber nicht, um eine rückwirkende Korrektur der Festsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG zu rechtfertigen. Von den streitbefangenen Monaten konnte die Familienkasse unter Zugrundelegung ihrer geänderten Rechtsauffassung gemäß § 70 Abs. 3 EStG daher nur die Festsetzung von Kindergeld für den Monat Dezember 2008 aufheben. Zur weiteren Begründung wird auf das Urteil vom 21. Oktober 2010 III R 74/09 (BFH/NV 2011, 250) Bezug genommen.
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b) Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass der Anwendungsbereich des § 70 Abs. 4 EStG dann wieder eröffnet ist, wenn nicht allein die Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit in Folge geänderter Rechtsauffassung zur nachträglichen Feststellung der Grenzbetragsüberschreitung führt, sondern sich zusätzlich tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrages der Einkünfte und Bezüge ergeben --z.B. durch eine bei Erlass der Prognoseentscheidung nicht absehbare Nebenerwerbstätigkeit des Kindes, die parallel zu einer avisierten Ausbildung an einer Schule oder Hochschule aufgenommen wird-- und diese tatsächlichen Änderungen bereits für sich genommen die nachträgliche Feststellung der Überschreitung des (anteiligen) Grenzbetrages ermöglicht hätten. Das Vorliegen eines solchen Sachverhalts hat das FG indes nicht festgestellt.
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