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BFH 04.04.2011 - V B 87/10
BFH 04.04.2011 - V B 87/10 - Umsatzsteuerliche Beurteilung eines Leistungsbündels zum Zwecke der Freizeitgestaltung - Anforderungen an eine tatsächliche Verständigung - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bei Inaugenscheinnahme
Normen
§ 1 Abs 1 Nr 1 UStG 2005, § 81 FGO, § 88 AO, § 204 AO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 12. Juli 2010, Az: 6 K 3275/08, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Ein Leistungsbündel zum Zwecke der Freizeitgestaltung ist nicht stets, sondern nur in Abhängigkeit der Umstände des jeweiligen Einzelfalls einheitlich zu beurteilen .
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2. NV: Eine tatsächliche Verständigung setzt eine eindeutige Willensäußerung über Inhalt und Gegenstand der Verständigung voraus. Hierfür reicht die in einem Schreiben des FA enthaltene Formulierung "es bestünden keine Bedenken" nicht aus .
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3. NV: Nach § 81 Abs. 2 FGO kann eine Inaugenscheinnahme auch nur durch ein Mitglied des FG-Senats erfolgen .
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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1. Entgegen der Auffassung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) kommt "der abstrakten Rechtsfrage, ob ein Leistungsbündel zum Zwecke der Freizeitgestaltung stets einheitlich zu beurteilen ist," keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der BFH angeschlossen hat, ist zunächst in der Regel jede Lieferung oder Dienstleistung als eigene, selbständige Leistung zu betrachten. Bei einem Umsatz, der ein Bündel von Einzelleistungen und Handlungen umfasst, ist aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Umsätze vorliegen oder ein einheitlicher Umsatz. Insoweit darf einerseits eine wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich aufgespalten werden. Andererseits sind mehrere formal getrennt erbrachte Einzelumsätze als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind. Dabei hat der EuGH einen einheitlichen Umsatz für zwei Fallgruppen bejaht. Zum einen liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Zum anderen kann sich eine einheitliche Leistung daraus ergeben, dass zwei oder mehr Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2010 V R 9/10, BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306, unter II.3., m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung kommt der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zu, da sie bereits geklärt ist. Ein Leistungsbündel zum Zwecke der Freizeitgestaltung ist nicht stets, sondern nur in Abhängigkeit der Umstände des jeweiligen Einzelfalls einheitlich zu beurteilen. Aus diesem Grund kommt es für den Streitfall auch nicht --wie die Klägerin geltend macht-- auf die Beurteilung bei Theater- und Varietéveranstaltungen mit Verpflegung an.
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Aufgrund der für den jeweiligen Streitfall bestehenden Besonderheiten ist es entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht von grundsätzlicher Bedeutung, "ob eine tatsächliche Verständigung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer umsatzsteuerrechtlich einheitlichen Leistung möglich ist". Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung unschädlich, dass eine tatsächliche Verständigung mittelbar auch den Tatbestandsbereich einer Rechtsnorm erfasst (z.B. BFH-Urteil vom 8. Oktober 2008 I R 63/07, BFHE 223, 194, BStBl II 2009, 121, m.w.N.). Weiter konnte das Finanzgericht (FG) im Rahmen der ihm obliegenden Tatsachenwürdigung nach Durchführung des Augenscheins des Betriebsgeländes der Klägerin ohne Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgehen, dass im Streitfall die Gewährung des unbegrenzten Zutritts zu sämtlichen Einrichtungen des Parks zur "kindgerechten Freizeitgestaltung" als Hauptleistung anzusehen ist. Auch hinsichtlich des Leistungselements der "Duldung einer beliebigen Nutzung" liegt keine derartige Abweichung vor.
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Auf die dem EuGH durch BFH-Beschluss in BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306 vorgelegte Frage zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung kommt es nach den Verhältnissen des Streitfalls im Übrigen schon deshalb nicht an, weil es an einer gesonderten Inrechnungstellung einzelner Elemente der vom FG als einheitliche Leistung beurteilten Umsätze der Klägerin fehlt.
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2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
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a) Die Klägerin trägt insoweit vor, das FG gehe "nicht von der Selbständigkeit jeder einzelnen Leistung aus, sondern [prüfe], ob von einer zunächst bestimmten einheitlichen Leistung einzelne Teile abgespalten werden" könnten. Demgegenüber hat das FG in seinem Urteil auf S. 13 ausdrücklich ausgeführt, "dass jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist".
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Im Rahmen der dem FG obliegenden Würdigung war das FG weiter nicht gehalten, dem Umstand, "dass die konkret zu beurteilenden Leistungen im Wirtschaftsleben leicht getrennt werden können", die Bedeutung zuzumessen, die die Klägerin für zutreffend erachtet. Darüber hinaus erfordert die Würdigung der Interessenlage der Beteiligten nach den Umständen des Streitfalls gleichfalls keine Entscheidung durch den BFH.
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b) Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz hinsichtlich "der rechtlichen Grundlage einer tatsächlichen Verständigung" liegt nicht vor. Wie sich aus dem BFH-Urteil vom 22. September 2004 III R 9/03 (BFHE 207, 549, BStBl II 2005, 160, unter II.2.e) ergibt, auf das sich das FG bei seinem Urteil zu Recht gestützt hat, setzt eine tatsächliche Verständigung "besondere Vereinbarungen über eine bestimmte (steuerliche) Behandlung von Sachverhalten" voraus. Dass über "Feststellungen Einigkeit erzielt wurde" reicht hierfür nach diesem Urteil nicht aus. Dementsprechend ist das FG nicht von der BFH-Rechtsprechung abgewichen, indem es der in einem einseitigen Schreiben eines Finanzamts enthaltenen Formulierung "es bestünden keine Bedenken" nicht den Charakter einer Vereinbarung beigemessen hat. Ob die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung auf Vertrag oder Treu und Glauben beruht, ist hierfür entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich. In jedem Fall ist eine eindeutige Willensäußerung über Inhalt und Gegenstand der Verständigung erforderlich. Dass die gegenseitige Bindung dabei jeder tatsächlichen Verständigung immanent ist, ohne dass es einer ausdrücklichen Erklärung der Beteiligten bedarf (BFH-Urteil vom 12. August 1999 XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537, unter II.3.), ist entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich, da das FG auch nach diesem Urteil zu ermitteln hat, "ob die Beteiligten sich über Fragen des Sachverhalts einigen wollten und tatsächlich geeinigt haben", was das FG zutreffend verneint hat.
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3. Die Rechtsfrage, "ob im Fall des Freizeitparks wegen des einheitlichen Zwecks der Freizeitgestaltung bzw. des verschafften Gesamterlebnisses generell von einer einheitlichen Leistung, die nicht aufgeteilt werden kann, auszugehen ist", dient entgegen der Auffassung der Klägerin aus den vorstehend unter 1. dargelegten Gründen auch nicht der Rechtsfortbildung.
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4. Schließlich liegt auch kein Verfahrensfehler vor.
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a) Die im Zusammenhang mit der von der Klägerin behaupteten tatsächlichen Verständigung erhobene Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung ist unbeachtlich, da eine derartige Verständigung im Streitfall nicht vorliegt.
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b) Dass das früher zuständige Finanzamt die Möglichkeit einer tatsächlichen Verständigung zum Gegenstand einer Besprechung machen wollte, und dass das FG dem keine Bedeutung beigemessen hat, begründet keinen Verstoß gegen das Gebot zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 FGO), da das FG aufgrund des Wortlauts der von der Klägerin als tatsächliche Verständigung angesehenen Erklärung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) vom Nichtvorliegen einer derartigen Verständigung ausgehen konnte.
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c) Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt darin, dass entsprechend § 81 Abs. 2 FGO nur ein Mitglied des FG-Senats das Betriebsgelände in Augenschein genommen hat.
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d) Schließlich liegt keine Überraschungsentscheidung (§ 96 Abs. 2 FGO) vor, da dem hierfür durch die Klägerin angeführten Schreiben des FG vom 16. Dezember 2009 klar zu entnehmen war, dass der Berichterstatter seine Meinung "vorbehaltlich der Entscheidung des Senats" äußerte und sich der Hinweis des Berichterstatters darauf bezog, dass es nicht sachgerecht sei, "allein" aufgrund der Beurteilung bei "Fitnessstudios mit angegliederten Saunabetrieb" auch im Streitfall von einer einheitlichen Leistung auszugehen.
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