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BFH 29.10.2010 - V B 130/09
BFH 29.10.2010 - V B 130/09 - Korrektur bestandkräftiger Steuerbescheide bei nachträglich erkannter fehlerhafter Richtlinienumsetzung - FG nicht zur Anrufung des EuGH verpflichtet
Normen
§ 347 Abs 1 S 1 AO, § 355 Abs 1 S 1 AO, § 172ff AO, § 172 AO, Art 267 AEUV, Art 234 EG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 16. September 2009, Az: 7 K 7296/05 B, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Es ist geklärt, dass das Unionsrecht bei nachträglich erkannter fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie keine günstigere Behandlung des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den Lauf und die Dauer der Einspruchsfrist (§§ 347 Abs. 1 Satz 1, 335 Abs. 1 Satz 1 AO) verlangt .
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2. NV: Es ist geklärt, dass nach den Vorgaben des Unionsrechts ein bestandskräftiger Steuerbescheid bei einer erst nachträglich erkannten fehlerhaften Richtlinienumsetzung nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar sein muss. Das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO regelt die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche abschließend .
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ein Anspruch auf Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre (1979 bis 1999) zusteht.
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Die Klägerin betrieb in den Streitjahren eine Spielhalle und führte dort Umsätze durch den Betrieb von Glücksspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit aus.
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In den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre wurden diese Umsätze vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) als umsatzsteuerpflichtig behandelt.
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Mit Urteil vom 17. Februar 2005 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Linneweber und Akritidis C-453/02 und C-462/02 (Slg. 2005, I-1131, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 371), dass Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) unmittelbare Wirkung zukomme, so dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten auf die Steuerfreiheit dieser Umsätze berufen könne. Bei Ergehen dieses Urteils waren die zuletzt ergangenen Steuerfestsetzungen für alle Streitjahre bestandskräftig.
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Mit Schreiben vom 17. März 2005 legte die Klägerin unter Hinweis auf das EuGH-Urteil Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, DStR 2005, 371 Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre 1979 bis 1998 ein und machte ohne Erfolg die Steuerfreiheit für die Umsätze mit Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit geltend. Für das Streitjahr 1999 begehrte sie erfolglos die Änderung des zuletzt ergangenen Bescheids.
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Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen eingelegte Klage aus den in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2010, 15 mitgeteilten Gründen abgewiesen.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie verweist auf die bei Eingang der Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Revisionsverfahren V R 48/09, V R 49/09, V R 51/09, V R 57/09 und beruft sich in diesem Zusammenhang auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zudem formuliert sie Vorlagefragen an den EuGH für ein späteres Revisionsverfahren. Überdies sei die Revision zur Fortbildung und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Die Zulassung der Revision habe schließlich gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu erfolgen, weil das FG ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nicht in Betracht gezogen habe.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen.
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Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet und wird daher als unbegründet zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 FGO).
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
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Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt in Betracht, wenn Auslegungszweifel in Bezug auf das anzuwendende Unionsrecht vorhanden sind und im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einzuholen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 9. November 2007 IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390).
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Die Klägerin wirft in der Beschwerdebegründung vom 28. Dezember 2009 und 11. März 2010 mehrere Auslegungsfragen auf. Sie hält für zweifelhaft, ob nach den Vorgaben des Unionsrechts die Einspruchsfrist (§§ 347 Abs. 1 Satz 1, 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung) wegen einer fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie 77/388/EWG durch den Gesetzgeber einer Anlaufhemmung unterliege, bis der Steuerpflichtige durch ein EuGH-Urteil Kenntnis vom Umsetzungsverstoß erlange. Ferner sei klärungsbedürftig, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar sei, dass bei einem nachträglich erkannten Verstoß eines Steuerbescheids gegen das Unionsrecht --wie in der bisherigen Rechtsprechung des BFH angenommen (vgl. Entscheidungen vom 23. November 2006 V R 67/05, BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889; vom 15. Juni 2009 I B 230/08, BFH/NV 2009, 1779)-- unter Berücksichtigung der sog. "Kühne und Heitz-Rechtsprechung" des EuGH (Urteil vom 13. Januar 2004 C-453/00, Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-837) ein bestandskräftiger Steuerbescheid nicht mehr geändert werden könne, weil das deutsche Verfahrensrecht hierfür keine Korrekturvorschrift enthalte und für einen Änderungsanspruch außerdem erforderlich sei, dass der Steuerpflichtige den Rechtsweg bis zum Ende beschritten habe.
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Die aufgeworfenen Auslegungsfragen sind jedoch geklärt (vgl. auch z.B. BFH-Entscheidungen vom 8. Juli 2009 XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1, und vom 9. Juni 2010 X B 41/10, BFH/NV 2010, 1783). Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504 (juris).
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2. Da die Rechtsfortbildungsrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ein Spezialtatbestand der Grundsatzrevision ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. April 2007 III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518; in BFH/NV 2010, 1783), kommt die Zulassung der Revision aus den unter II.1. dargelegten Gründen nicht in Betracht.
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3. Soweit die Klägerin eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) begehrt, hat sie nicht --wie erforderlich-- die behauptete Abweichung durch das Gegenüberstellen einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus der Entscheidung der Vorinstanz einerseits und einer Divergenzentscheidung andererseits i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Die Ausführungen erschöpfen sich im Stile einer Revisionsbegründung darin, ihre Rechtsauffassung zur zutreffenden Auslegung des Unionsrechts darzulegen. Eine Zulassung der Revision zur Vermeidung einer drohenden "nachträglichen Divergenz" (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. Oktober 2002 IV B 126/01, BFH/NV 2003, 291; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2009 V B 34/08, BFH/NV 2009, 2011) kommt nicht in Betracht. Der Senat hat die von der Klägerin benannten Verfahren mittlerweile entschieden; damit stimmen die tragenden Rechtssätze des angefochtenen FG-Urteils überein.
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4. Der Vortrag der Klägerin, dem FG sei ein Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO unterlaufen, weil es eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht gezogen habe, ist nicht schlüssig i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Das FG ist kein letztinstanzliches Gericht i.S. des Art. 267 AEUV (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038; BFH-Beschluss vom 1. August 2002 VII B 35/02, BFH/NV 2002, 1499), so dass es bei Zweifeln über die Auslegung des Unionsrechts unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu einer Vorlage verpflichtet sein kann.
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