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BFH 17.08.2010 - X B 190/09
BFH 17.08.2010 - X B 190/09 - Unterschriftserfordernis - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normen
§ 116 Abs 2 S 3 FGO, § 56 Abs 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 20. Oktober 2009, Az: 2 K 1319/06, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist schriftlich einzulegen. Das Fehlen der Unterschrift kann ausnahmsweise unschädlich sein, wenn sich aus anderen Umständen zweifelsfrei ergibt, dass die Beschwerde mit Wissen und Wollen des (angegebenen) Absenders gefertigt und abgesendet worden ist.
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2. NV: Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen können, sind vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen. Dabei müssen die Tatsachen - über präsente Beweismittel - glaubhaft gemacht werden.
Gründe
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Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist eingelegt wurde.
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1. Nach § 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils des Finanzgerichts (FG) einzulegen. Im vorliegenden Fall ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger das angefochtene FG-Urteil vom 20. Oktober 2009 am 2. November 2009 zugestellt worden. Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde lief daher am 2. Dezember 2009 ab. Die am 2. Dezember 2009 beim Bundesfinanzhof (BFH) per Telefax eingetroffene Beschwerde war nicht unterzeichnet.
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a) Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist schriftlich einzulegen (allgemeine Meinung, vgl. z.B. den Beschluss des erkennenden Senats vom 15. Januar 2002 X B 143/01, BFH/NV 2002, 669, m.w.N.). Das ergibt sich zwar für die Nichtzulassungsbeschwerde --anders als für die Revision (§ 120 Abs. 1 FGO) und für die Beschwerde nach § 128 FGO (§ 129 Abs. 1 FGO)-- nicht unmittelbar aus dem Gesetz, aber aus dem Umstand, dass es sich um einen bestimmenden Schriftsatz handelt. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Anordnung in § 116 Abs. 2 Satz 3 FGO, dass der Beschwerdeschrift eine Ausfertigung oder Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt werden soll. Dem Erfordernis der Schriftlichkeit eines bestimmenden Schriftsatzes ist regelmäßig nur dann genügt, wenn dieser unterschrieben, d.h. handschriftlich unterzeichnet ist (Beschlüsse des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1980, 172, und vom 5. April 2000 GmS-OGB 1/98, NJW 2000, 2340, 2341, sowie des Großen Senats des BFH vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, 285, BStBl II 1974, 242).
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b) Zwar kann --worauf die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 14. Juli 2010 zu Recht hinweisen-- das Fehlen der Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein, wenn sich aus anderen, eine Beweisaufnahme nicht erfordernden Umständen eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr dafür ergibt, dass die Beschwerde mit Wissen und Wollen des (angegebenen) Absenders gefertigt und dem Gericht zugeleitet worden ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt jedoch im Streitfall nicht vor.
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Die Unterschrift soll die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits zwischen den Beteiligten sicherstellen. Es muss gewährleistet sein, dass nicht nur ein Entwurf, sondern eine gewollte Prozesserklärung vorliegt, ferner dass die Erklärung von einer bestimmten Person herrührt und diese für den Inhalt die Verantwortung übernimmt. Die Unterschrift ist das im Rechtsverkehr typische Merkmal und verlässliche Mittel, um den Urheber eines Schriftstücks und seinen (endgültigen) Willen festzustellen, die niedergelegte Erklärung in den Verkehr zu bringen. Dies gilt insbesondere dann, wenn --wie im Streitfall-- in einer Kanzlei mehrere Angestellte tätig sind.
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An der Sicherheit, dass es sich um eine gewollte Prozesserklärung handelt, fehlte es bei dem nicht unterzeichneten, als Telefax am 2. Dezember 2009 eingetroffenen Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger. Hierauf sowie auf § 56 FGO wurden sie mit Schreiben des Vorsitzenden des angerufenen Senats vom 23. Dezember 2009, zugestellt am 29. Dezember 2009, hingewiesen. Die daraufhin am 29. Dezember 2009 per Telefax nachgereichte --unterzeichnete-- Beschwerdeschrift ist verspätet beim BFH eingegangen.
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2. Den Klägern kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO gewährt werden, da sie nicht glaubhaft gemacht haben, ihr Prozessbevollmächtigter sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die Beschwerdeeinlegungsfrist einzuhalten.
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a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) nach Wegfall des Hindernisses der Antrag gestellt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).
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b) Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuches haben die Kläger vorgetragen, die Praxis ihres Prozessbevollmächtigten sei nach DIN EN 9001:2000 zertifiziert, die Büroorganisation sei damit vom TÜV Nord geprüft worden und unterliege daher keinem Mangel. Durch das Vorliegen eines Organisationshandbuchs sei sichergestellt, dass Fristversäumnisse vermieden würden.
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Dem Prozessbevollmächtigten sei das Rechtsmittel zur Unterzeichnung vorgelegt und von diesem zur Korrektur eines Rechtschreibfehlers zurückgegeben worden mit der Arbeitsanweisung, das korrigierte Schreiben erneut vorzulegen. Dies sei jedoch offenbar aufgrund eines Büroversehens nicht erfolgt. Im Rahmen der Ausgangskontrolle sei der Fristenzettel durch die zuständige Sachbearbeiterin K abgezeichnet worden. Die für die Fristenüberwachung und Aussendung aller fristwahrenden Postausgänge verantwortliche Kanzleimitarbeiterin K, seit 2007 Rechtsfachwirtin, sei zuverlässig; ihr sei seit sieben Jahren keine Fristversäumnis unterlaufen. Zum Beweis seines Vorbringens hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine Kopie des Fristenzettels vom 4. November 2009 sowie die Ablichtung des Zeugnisses der Sachbearbeiterin K über die Prüfung zum anerkannten Abschluss "Geprüfte Rechtsfachwirtin" beigefügt.
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c) Es mangelt an der Glaubhaftmachung des Fehlens eines eigenen Verschuldens des Prozessbevollmächtigten der Kläger. Fehlt unter einem fristwahrenden Schriftsatz die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten, so beruht dies in aller Regel auf einem schuldhaften Verhalten desselben. Denn bei der Anfertigung von Rechtsmittelschriften handelt es sich grundsätzlich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten. Ist die Prüfung des Vorhandenseins der Unterschrift auf Mitarbeiter übertragen worden, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, sofern glaubhaft gemacht wird, dass im Rahmen der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten dafür Vorsorge getroffen worden ist, dass die Einhaltung der Fristen mit Sicherheit gewahrt wird. Dies erfordert eine wirksame Ausgangskontrolle, die voraussetzt, dass die Organisation des Betriebsablaufs so gestaltet ist, dass eine Fristversäumung infolge Absendung nicht unterschriebener Schriftsätze in allen --auch in außergewöhnlichen, aber voraussehbaren-- Fällen vermieden wird.
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aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob das Vorbringen, das Büro des Prozessbevollmächtigten sei nach DIN EN 9001:2000 zertifiziert, allein ausreichen kann, das Fehlen eines Organisationsverschuldens glaubhaft zu machen. Es fehlt jegliche Darstellung zur regelmäßigen Handhabung der Fristenkontrolle in seinem Büro und zur Überprüfung seines Personals bei der Einhaltung der Fristen, insbesondere wenn es sich um nicht alltägliche Fristen handelt. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger, die Sachbearbeiterin K habe bisher zuverlässig gearbeitet, bezieht sich nicht auf seine Büroorganisation und die dortige Handhabung der Fristenkontrolle. Der Senat kann aufgrund dieser unzureichenden Darstellung nicht ohne weiteres von einem entschuldbaren Büroversehen einer Mitarbeiterin ausgehen, da ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist.
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bb) Entscheidend ist aber, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger die von ihm vorgetragenen Tatsachen nicht glaubhaft gemacht hat. Es fehlen als präsente Beweismittel i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO eine Ablichtung des Organisationshandbuchs sowie als weiteres Mittel der Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung der Sachbearbeiterin K zur Richtigkeit der Sachverhaltsschilderung des Prozessbevollmächtigten der Kläger (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2001 X R 42/01, BFH/NV 2002, 533). Die beigefügte Zeugniskopie hat keinen Aussagewert in Bezug auf das Glaubhaftmachen des geschilderten Sachverhalts. Die Kopie des Fristenzettels kann ebenfalls nicht eine eidesstattliche Versicherung einer an den Vorkommnissen beteiligten dritten Person ersetzen.
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Die von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger beigebrachten Beweismittel sind infolgedessen nicht ausreichend, um den behaupteten Geschehensablauf glaubhaft zu machen, vor allem da weitere präsente Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten, diese aber nicht vorgelegt wurden (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2003 VI B 95/03, BFH/NV 2004, 219, m.w.N.).
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