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BSG 28.09.2016 - B 6 KA 27/16 B
BSG 28.09.2016 - B 6 KA 27/16 B - Vertragsarzt - Ausstellung einer Arzneimittelverordnung - keine generelle Verpflichtung zur Nachfrage bezüglich stationärem Krankenhausaufenthalt des Versicherten
Normen
§ 73 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 5, § 82 Abs 1 SGB 5, § 15 Abs 2 S 1 Alt 2 BMV-Ä, § 48 Abs 1 BMV-Ä
Vorinstanz
vorgehend SG Mainz, 30. Juli 2014, Az: S 16 KA 9/13, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 3. März 2016, Az: L 5 KA 41/14, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. März 2016 wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 325 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Im Streit steht die Feststellung eines sonstigen Schadens in Höhe von 324,66 Euro wegen vertragsärztlicher Arzneimittelverordnungen während einer stationären Behandlung. Die bei der Klägerin, einer gesetzlichen Krankenkasse, versicherte B. befand sich in der Zeit vom 20.3.2002 bis zum 9.4.2002 in stationärer Behandlung. Am 2.4.2002 verordnete der zu 1. beigeladene Vertragsarzt der Versicherten zwei Arzneimittel; die Verordnungen wurden am Ausstellungstag eingelöst. Der Behandlungsschein weist nach den Feststellungen des LSG für den 2.4.2002 einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus. Der Prüfungsausschuss lehnte den Antrag der Klägerin auf Feststellung eines sonstigen Schadens in Höhe der ihr entstandenen Verordnungskosten ab; der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 28.11.2007 - den er nachfolgend durch den Bescheid vom 3.5.2012 ersetzte - zurück. Das SG hat die hiergegen erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Verschulden des Beigeladenen zu 1. sei nicht erkennbar (Urteil des SG vom 30.7.2014). Die Krankenhauseinweisung sei durch einen anderen Arzt erfolgt und auch sonst hätten keine konkreten Anhaltspunkte für einen Krankenhausaufenthalt vorgelegen. Gegen eine grundsätzliche Pflicht zu einer entsprechenden Nachfrage spreche die durch § 15 Abs 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) zugelassene Verordnung ohne aktuelle persönliche Untersuchung.
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Auch die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben (Urteil des LSG vom 3.3.2016). Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG ausgeführt, es fehle an der Feststellung des Verschuldens des Beigeladenen zu 1. Selbst wenn dieser die Versicherte im Zusammenhang mit den am 2.4.2002 ausgestellten Arzneimittelverordnungen nicht persönlich untersucht haben sollte, könne von einem Fehlverhalten nicht ausgegangen werden, weil der Vertragsarzt nach § 15 Abs 2 Satz 1 BMV-Ä Arzneimittelverordnungen auch dann ausstellen dürfe, wenn ihm der Zustand des Patienten aus der laufenden Behandlung bekannt sei. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Beigeladene zu 1. Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass sich die Versicherte im Zeitpunkt der Ausstellung der Arzneimittelverordnungen in stationärer Krankenhausbehandlung befunden habe und dass die Medikamente zur Einnahme während dieser Zeit bestimmt gewesen seien. Ohne solche konkreten Anhaltspunkte sei er zu einer entsprechenden Nachfrage nicht verpflichtet gewesen. Es gebe keine gesetzliche Grundlage für eine solche Nachfragepflicht ohne bestimmten Anlass.
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
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II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg, denn sie ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls unbegründet.
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Die Revisionszulassung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f sowie BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Nichts anderes gilt, wenn kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit der vom LSG dazu vertretenen Auffassung bestehen kann, weil sich die Beantwortung bereits ohne Weiteres aus der streitigen Norm selbst ergibt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 2.4.2003 - B 6 KA 83/02 B - Juris RdNr 4). Die Bedeutung über den Einzelfall hinaus ist nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des vorliegenden Einzelfalls einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 50/07 B - RdNr 6 iVm 11). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG <Kammer> SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).
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Die Rechtsfrage,
welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit für einen Vertragsarzt der Zustand des Patienten aus der laufenden Behandlung im Sinne des § 15 Abs 2 BMV-Ä als bekannt gilt,
ist nicht entscheidungserheblich, denn die Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage wirkt sich nicht auf die in einem Revisionsverfahren zu treffende Entscheidung aus, ob gegen den Beigeladenen zu 1. ein "sonstiger Schaden" festzusetzen ist.
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Nach § 15 Abs 2 Satz 1 BMV-Ä dürfen Verordnungen vom Vertragsarzt nur ausgestellt werden, wenn er sich persönlich von dem Krankheitszustand des Patienten überzeugt hat oder wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Somit darf ein Vertragsarzt nur in begründeten Ausnahmefällen darauf verzichten, sich selbst einen Eindruck von der medizinischen Verordnungsnotwendigkeit zu verschaffen. Ein Verstoß gegen § 15 Abs 2 BMV-Ä könnte zwar dem Grunde nach eine weitere, neben den Vorwurf einer mangelnden Prüfung des Vorliegens einer stationären Aufnahme tretende, Pflichtverletzung begründen. Dies würde aber voraussetzen, dass der Beigeladene zu 1. vorliegend überhaupt nach § 15 Abs 2 Satz 1 zweite Alternative BMV-Ä vorgegangen ist. Das LSG jedoch hat keine Feststellungen der Art getroffen, dass sich der Beigeladene zu 1. nicht - im Sinne der ersten Alternative - persönlich vom Krankheitszustand der Versicherten überzeugt hat, sondern hat lediglich fakultativ ("selbst wenn") Ausführungen dazu gemacht, dass dies einer Verordnung nicht entgegengestanden hätte. Das SG, auf dessen Ausführungen das Berufungsgericht ausdrücklich Bezug genommen hat, hat - ungeachtet der von der Klägerin geäußerten Zweifel - darauf verwiesen, dass der Beigeladene zu 1. für den Tag der Ausstellung der Verordnung die Gebührenordnungsposition Nr 1 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen abgerechnet habe, welche einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient voraussetze. Diesbezügliche Aufklärungsrügen hat die Klägerin nicht erhoben.
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Die Rechtsfrage,
"ob die Behauptung eines Vertragsarztes, er habe keine Kenntnis von einem Krankenhausaufenthalt gehabt, ausreicht, ein Verschulden zu verneinen, oder ob es zu den vertragsärztlichen Pflichten vor Ausstellung einer Verordnung gehört, zu prüfen bzw. zu hinterfragen, ob die Leistungspflicht der GKV gegeben ist",
ist nicht in einem Revisionsverfahren klärungsfähig, weil ihre Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt.
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Es besteht keine generelle Verpflichtung der Vertragsärzte, sich vor Ausstellung einer Arzneimittelverordnung zu vergewissern, dass der Versicherte, für den die Verordnung ausgestellt wird, sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer stationären Krankenhausbehandlung befindet. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist nicht erkennbar und eine solche wird auch nicht von der Klägerin aufgezeigt. Das für die Feststellung eines "sonstigen Schadens" erforderliche schuldhafte Handeln (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 31 RdNr 34-35) könnte Vertragsärzten jedoch nur dann vorgehalten werden, wenn sie einer sie betreffenden Verpflichtung zuwider gehandelt hätten.
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Dies schließt es zwar nicht aus, dass Vertragsärzte im Einzelfall gehalten sein können, vor Ausstellung einer Verordnung abzuklären, ob dem ein stationärer Krankenhausaufenthalt des Patienten entgegensteht. Dies gilt allerdings nur, sofern konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies der Fall sein könnte. Sucht der Patient die Arztpraxis persönlich auf, kann der Vertragsarzt schon nach der Lebenswirklichkeit regelmäßig davon ausgehen, dass der Patient nicht zeitgleich stationär aufgenommen wurde. Bei einem lediglich telefonischen Kontakt gilt dies zwar nicht ohne Weiteres. Auch wenn ein Patient lediglich telefonisch um Ausstellung eines Folge-Rezepts für eine Dauermedikation bittet, bedarf es dennoch des Hinzutretens weiterer Gesichtspunkte - etwa eine vom Patienten gegenüber dem Arzt geäußerte Absicht, sich stationär behandeln lassen zu wollen -, um eine Nachforschungspflicht des Vertragsarztes zu begründen (so auch Clemens in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 106 RdNr 140). Dass ein derartiger Ausnahmefall vorliegend gegeben ist, hat das LSG nicht festgestellt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin auch die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
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Die Festsetzung des Streitwerts entspricht - gerundet - der Festsetzung der Vorinstanz vom 3.3.2016, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG).
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