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BVerfG 02.07.2024 - 2 BvR 678/24
BVerfG 02.07.2024 - 2 BvR 678/24 - Nichtannahmebeschluss: Zur Frage der Abschiebung eines Ausländers bei mangelnder Beherrschung der im Herkunftsstaat gesprochenen Sprachen - Grenzen der Verweisung auf die Nutzung digitaler Hilfsmittel (Übersetzungsprogramme auf Smartphones) - hier: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels substantiierter Darlegung einer Grundrechtsverletzung
Normen
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 8 Abs 1 MRK, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 53 Abs 1 AufenthG 2004, § 53 Abs 2 AufenthG 2004
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 29. April 2024, Az: 18 B 203/24, Beschluss
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. April 2024, Az: 18 A 287/24, Beschluss
vorgehend VG Köln, 20. Dezember 2023, Az: 12 K 6805/22, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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I.
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1. Der im Jahr 1997 in Deutschland geborene Beschwerdeführer besitzt die Staatsangehörigkeit der Demokratischen Republik Kongo. Die Mutter und Geschwister des Beschwerdeführers leben ebenfalls in Deutschland. Der Beschwerdeführer versteht die in der Demokratischen Republik Kongo gesprochenen Sprachen Lingala und Französisch, vermag sich aber nicht in diesen Sprachen auszudrücken.
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2. Der Beschwerdeführer wurde aufgrund seines straffälligen Verhaltens mit Verfügung vom 2. Dezember 2022 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die gegen die Ausweisungsverfügung erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Die auf Grundlage von § 53 Abs. 1 AufenthG verfügte Ausweisung sei rechtmäßig. Der weitere Verbleib des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik gefährde wegen dessen Verhaltens die öffentliche Sicherheit. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls überwiege das öffentliche Interesse an seiner Ausreise gegenüber den Bleibeinteressen des Beschwerdeführers.
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Zwar lebten die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers in Deutschland. Sie seien indes alle volljährig und nicht auf gegenseitige Unterstützung im Bundesgebiet angewiesen. Den Kontakt zu seinen Verwandten könne der Beschwerdeführer auch von der Demokratischen Republik Kongo aus über Telekommunikationsmittel aufrechterhalten. Auch sei es ihm zumutbar, sich in der Demokratischen Republik Kongo zu integrieren. Er spreche zwar weder Französisch noch Lingala, verstehe die Sprachen aber, weshalb eine - wenn auch voraussichtlich schwere - Eingewöhnung in die sozialen Strukturen in der Demokratischen Republik Kongo und der Aufbau eines Privatlebens für den arbeitsfähigen Kläger nicht unmöglich oder unzumutbar seien. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer auf die Möglichkeit, mittels Mobiltelefon digitale Übersetzungsprogramme in Anspruch zu nehmen, zu verweisen. Zudem habe er Beziehungen zu vielen seiner in Deutschland lebenden Verwandten, die ihm - nicht nur finanziell - auch aus der Ferne zur Seite stehen könnten.
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3. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts lehnte das Oberverwaltungsgericht ab.
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II.
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Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts und den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erhobene Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig ist.
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1. Der Beschwerdeführer legt nicht auf eine den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Weise dar, dass die angegriffenen Entscheidungen ihn in seinem durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten, allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie in seinem durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzen könnten.
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Die in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der Annahme, dem Beschwerdeführer sei es zuzumuten, eine im Falle seiner Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo zunächst bestehende Sprachbarriere mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen auf seinem Smartphone zu überwinden, bestehenden Zweifel setzen sich im vorliegenden Einzelfall nicht durch.
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a) Bei der im Rahmen von § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG durchzuführenden Untersuchung, zu welchem Grad der Ausländer in Bezug auf sein Herkunftsland als entwurzelt anzusehen ist, ist unter anderem maßgeblich, ob er Kenntnisse der Sprache dieses Landes besitzt (vgl. EGMR (GK), Üner v. Niederlande, Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99 - NVwZ 2007, 1279, Rn. 57; EGMR, Boultif v. Switzerland, Urteil vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00 - BeckRS 2001, 165093, Rn. 48). Dieser Umstand ist bei der Abwägung, ob das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Ausländers überwiegt und bei der Prüfung, ob sich die Ausweisung für den Ausländer als unverhältnismäßig darstellt, wesentlich zu berücksichtigen.
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b) Mit dem Gehalt von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG wäre es unvereinbar, den Ausländer im Rahmen der Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen für die künftige Pflege seiner sozialen Beziehungen zu in Deutschland verbliebenen Angehörigen, für die Kommunikation mit den Mitmenschen in seinem Heimatland und für die Sicherung seines Lebensunterhalts schlechterdings und pauschal auf die Nutzung von digitalen Technologien und insbesondere Smartphones zu verweisen. Denn vom Schutzbereich der freien Persönlichkeitsentfaltung und der autonomen privaten Lebensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) erfasst ist auch die Freiheit des Einzelnen, über Form und Intensität der Kontaktaufnahme mit Angehörigen und Mitmenschen selbst zu entscheiden. Bei der Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen darf durch den Verweis auf Chat- oder Übersetzungsprogramme insbesondere nicht der Eindruck erweckt werden, mit der Entfernung aus dem Bundesgebiet gehe für den Ausländer lediglich ein geringfügiger Eingriff in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG einher. Schließlich darf ein pauschaler Hinweis auf die Möglichkeit, ein Smartphone oder andere digitale Technologien zu nutzen, nicht dazu führen, dass durch eine etwaige Ausweisung begründete besondere Härten, wie sie insbesondere in Deutschland verwurzelte faktische Inländer treffen, sich generell nicht mehr gegen Ausweisungsinteressen durchzusetzen vermögen. Im Übrigen läge es jedenfalls bei eher selten gesprochenen Sprachen nahe zu prüfen, ob die vom Verwaltungsgericht angesprochenen elektronischen Übersetzungshilfen für die jeweils in Bezug genommene Sprache tatsächlich verfügbar und nach der Infrastruktur des Abschiebezielstaates - etwa: Nutzbarkeit von Smartphones in allen Landesteilen - auch erreichbar ist.
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c) Diesen Anforderungen ist das Verwaltungsgericht vorliegend gerecht geworden, indem es im Rahmen einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer weder die Amtssprache der Demokratischen Republik Kongo, Französisch, noch das als Verkehrssprache genutzte Lingala sprechen, wohl aber beide Sprachen verstehen kann, ausdrücklich gewürdigt und den Beschwerdeführer - nur - für die Anfangszeit notfalls auf die Nutzung von Übersetzungssoftware verwiesen hat. Dass es vor diesem Hintergrund eine Trennung des Beschwerdeführers von seiner in Deutschland lebenden Mutter und seinen volljährigen Geschwistern als zumutbar angesehen hat, ist deshalb im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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