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BVerfG 12.05.2023 - 1 BvR 886/22
BVerfG 12.05.2023 - 1 BvR 886/22 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde wegen Versagung von Versorgungsansprüchen nach OEG wegen im Jahre 1977 durchgeführter geschlechtszuweisender Operation eines zweigeschlechtlichen Menschen - unzureichende Darlegung einer Grundrechtsverletzung, mangelnde Auseinandersetzung mit fachgerichtlichen Entscheidungen
Normen
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 1 Abs 1 OEG
Vorinstanz
vorgehend BSG, 9. Mai 2022, Az: B 9 V 3/22 BH, Beschluss
vorgehend BSG, 16. Dezember 2021, Az: B 9 V 32/21 B, Beschluss
vorgehend Landessozialgericht Hamburg, 13. Juli 2021, Az: L 3 VE 1/19, Beschluss
vorgehend SG Hamburg, 19. Dezember 2018, Az: S 12 VE 46/14, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil kein zwingender Annahmegrund nach § 93a BVerfGG vorliegt und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist.
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Die beschwerdeführende Person macht im fachgerichtlichen Verfahren Versorgungsansprüche auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) insbesondere wegen einer im Jahr 1977 im Alter von fünf Jahren durchgeführten Klitoridektomie geltend.
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1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Sozialgerichts wendet, ist diese Entscheidung durch die nachfolgende erneute Sachentscheidung des Landessozialgerichts prozessual überholt, so dass es bei fehlender Darlegung einer fortbestehenden eigenständigen Beschwer bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. BVerfGK 7, 312 316>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2020 - 1 BvR 2134/19 -, Rn. 1).
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2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Beschlüsse des Bundessozialgerichts vom 16. Dezember 2021 und 9. Mai 2022 richtet, beschränken sich diese Entscheidungen auf die Nichtzulassung der Revision beziehungsweise die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Anhörungsrüge und enthalten damit keine Entscheidung in der Sache, so dass die materiellen Ausführungen ins Leere gehen (vgl. BVerfGE 128, 90 99>). Die Verletzung von Verfahrensgrundrechten ist nicht ausreichend substantiiert dargetan und auch nicht ersichtlich.
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3. a) Soweit sich die beschwerdeführende Person gegen die - von dem Landessozialgericht zu Grunde gelegte - Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wendet, wonach ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff dann die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG erfüllt, wenn er aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, BSGE 106, 91 99 f. Rn. 42>), setzt sie sich nicht damit auseinander, dass die Auslegung des einfachen Rechts, die Wahl der hierbei anzuwendenden Methoden sowie die Anwendung des Rechts auf den Einzelfall primär Aufgabe der dafür zuständigen Fachgerichte sind und von dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen sind (vgl. BVerfGE 128, 193 209>; 135, 1 15 f. Rn. 47>). Sie rügt die Anwendung des einfachen Rechts, nicht aber die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Eine Verfassungswidrigkeit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts legt die beschwerdeführende Person ausgehend hiervon nicht substantiiert dar. Auch eine Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 1 Abs. 1 OEG wird nicht substantiiert dargetan.
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b) Die beschwerdeführende Person setzt sich weiter nicht in der gebotenen Weise mit den Ausführungen des Landessozialgerichts auseinander, wonach bei Würdigung des Sachverhaltes und der erhobenen Beweise bereits eine - zur Annahme der behaupteten Folter bzw. ärztlichen Menschenversuche offensichtlich erforderliche - feindliche Willensrichtung der damals behandelnden Ärzte nicht festzustellen war. Sie unterstellt vielmehr, dass die Klitoridektomie, die medikamentöse Behandlung sowie eine nicht näher bestimmte Blasenpunktion in einer Tradition ärztlicher Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus gestanden hätten und als Folter bzw. Menschenversuch anzusehen seien. Die beschwerdeführende Person bezieht sich nur rudimentär auf die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte und erörtert nicht, in welcher Weise bei deren Auslegung Vorgaben internationaler Menschenrechtsverträge - deren Verletzung die beschwerdeführende Person hier unmittelbar rügen möchte - zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfGE 138, 296 355 f. Rn. 149>). Insbesondere ersetzt der Verweis auf die allgemeinen Empfehlungen der entsprechenden Ausschüsse der Vereinten Nationen zu intergeschlechtlichen Personen in den Berichten CAT/C/DEU/CO/5 vom 12. Dezember 2011 (Ziff. 20) und CCPR/C/DEU/CO/7 vom 11. November 2021 (Rn. 20 f.) nicht die zur Darlegung einer Grundrechtsverletzung gebotene sachliche Auseinandersetzung mit der fachgerichtlichen Beweiswürdigung. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt sich abgesehen davon bei der rechtlichen Bewertung der als entschädigungspflichtig angesehenen ärztlichen Handlungen auch nicht mit einem seither eingetretenen Wandel in dem gesellschaftlichen und rechtlichen Verständnis der Geschlechtszugehörigkeit (vgl. BVerfGE 147, 1 24 Rn. 50> unter Verweis auf den Beschluss des Ersten Senats vom 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -, BVerfGE 49, 286 ff.) auseinander.
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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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