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BFH 10.05.2012 - X B 183/11
BFH 10.05.2012 - X B 183/11 - (Keine Zwangsruhe im Einspruchsverfahren bei vorläufiger Steuerfestsetzung - Verfahrensruhe bei Bezugsverfahren vor dem EGMR - Fehlende Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage - Keine grundsätzliche Bedeutung bei behaupteten Ermessensfehlern - Keine Verwerfungskompetenz des EGMR)
Normen
Art 3 GG, § 165 Abs 1 S 2 Nr 3 AO, § 165 Abs 1 S 2 Nr 4 AO, § 363 Abs 2 S 1 AO, § 363 Abs 2 S 2 AO, § 363 Abs 2 S 4 AO, § 10 Abs 3 EStG 2009, § 10 Abs 4 EStG 2009, § 10 Abs 4a EStG 2009, § 74 FGO, § 76 FGO, § 155 FGO, § 251 ZPO, Art 46 MRK, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 5 AO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 16. November 2011, Az: 3 K 269/11, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Soweit eine Steuer vorläufig festgesetzt ist, kommt die Zwangsruhe im Einspruchsverfahren nicht in Betracht .
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2. NV: Ob ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bezugsverfahren sein kann, ist für § 363 Abs. 2 Satz 2 AO (Zwangsruhe im Einspruchsverfahren) ebenso zu beurteilen wie für § 165 Abs. 1 Nr. 3 AO (Vorläufigkeitsvermerk betreffend die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht) .
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3. NV: Die Maßstäbe für die Entscheidung über die Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO dürfen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht umgehen .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte Aufwendungen für Krankenversicherungen als Sonderausgaben geltend gemacht. Mit dem Einkommensteuerbescheid ließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lediglich einen begrenzten Sonderausgabenabzug zu, erklärte allerdings die Festsetzung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 der Abgabenordnung (AO) für vorläufig unter anderem hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
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Im Einspruchsverfahren berief sich der Kläger auf das beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unter 2795/10 anhängige Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125), mit dem das BVerfG die Fortgeltung der dem Grunde nach für verfassungswidrig erachteten Vorschriften zum Sonderausgabenabzug (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 4 EStG) bis zum 31. Dezember 2009 angeordnet hatte. Das Einspruchsverfahren war daher nach seiner Auffassung zum Ruhen zu bringen.
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Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Das Verfahren vor dem EGMR löse nicht die Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO aus, da der EGMR dort nicht erwähnt sei. Die Verfahrensruhe aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO komme nicht in Betracht, da die Entscheidungen des EGMR keine kassatorische Wirkung hätten, die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung nicht beseitigen und daher im Allgemeinen keine Wirkung auf eine individuelle Steuerfestsetzung haben könnten.
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Das Finanzgericht (FG) hat die auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung und Verpflichtung des FA zum Ausspruch der Verfahrensruhe gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Eine erweiternde Auslegung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO sei angesichts des eindeutig auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschränkten Wortlauts nicht möglich. Die Anordnung der Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO sei eine Ermessensentscheidung, die keine Fehler erkennen lasse. Angesichts des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 120, 125 dürfe das FA dem Interesse der Verwaltung an einem ökonomischen Verfahren Vorrang vor dem als aussichtslos eingeschätzten Begehren des Klägers einräumen. Selbst wenn das FA dem Verfahren vor dem EGMR hypothetisch Erfolgsaussicht beigelegt hätte, hätte dies angesichts des Risikos massenhaft offener Einspruchsverfahren keine andere Entscheidung erfordert. Eine Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor, was schon ein Umkehrschluss aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO ergebe.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend und trägt sinngemäß vor:
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Die Grundsatzfrage laute, ob ein vor dem EGMR anhängiges Beschwerdeverfahren ein Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 363 Abs. 2 Satz 1 AO begründe und ob der Antrag ermessensfehlerfrei abgelehnt werden könne. Es sei streitig, ob die vom BVerfG getroffene Weitergeltungsanordnung gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoße. Hierauf beziehe sich das beim EGMR anhängige Verfahren. Dessen Entscheidungen seien nach Art. 46 EMRK bindend. Es sei zu erwägen, ob der EGMR den in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ausdrücklich genannten Gerichten gleichzustellen sei. Die Überlegungen des FG zu § 363 Abs. 2 Satz 1 AO und dort zur hypothetischen Erfolgsaussicht verstießen gegen materielles Recht und Denkgesetze. Der Kläger sei für massenhaft offene Einspruchsverfahren nicht verantwortlich. Für die Frage, ob die Verfahrensruhe zweckmäßig sei, bedürfe es keines Musterverfahrens bei einem der in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO genannten Gerichte. Ein finanzgerichtliches Musterverfahren genüge. Insoweit gebe es Verfahren vor dem Thüringer FG und dem Niedersächsischen FG. Die Führung von Einspruchs- und Klageverfahren ohne sachlichen Grund führe bei der Finanzverwaltung, den Finanzgerichten und den Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen. Die Praxis hinsichtlich der vorliegenden Streitfrage berühre auch Art. 3 des Grundgesetzes, namentlich die Rechtsanwendungsgleichheit und die Rechtsetzungsgleichheit. Wegen der Weitergeltungsanordnung des BVerfG zu den Krankenkassenbeiträgen gebe es Tausende von Einspruchsverfahren bei den Finanzämtern. Einige Finanzämter stimmten der Verfahrensruhe zu. Meist werde über die Einsprüche schlicht nicht entschieden. Einige (wenige) Verfahren seien bei Gerichten anhängig. Es frage sich, ob gerade diese (wenigen) Finanzämter ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt hätten. Mit dem seitens des FG herangezogenen § 363 Abs. 2 Satz 4 AO habe dies alles nichts zu tun, zumal auch er eine Ermessensvorschrift sei und das FA vor seiner Anwendung den Kläger hören müsse.
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Zudem hätte er --der Kläger-- sich in seiner Klage ausdrücklich auf weitere Verfahren (beim Bundesfinanzhof --BFH-- unter X R 15/09, beim BVerfG unter 2 BvR 288/10 und 2 BvR 289/10) berufen. Das FG habe insoweit gegen materielle Rechtsvorschriften verstoßen, den Sachverhalt nicht ermittelt und diese Verfahren nicht in die Urteilsbegründung aufgenommen.
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Im Übrigen habe der BFH von Amts wegen zu prüfen, ob nach Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (bzw. heute Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) eine Pflicht zur Vorlage an den EuGH bestehe. Bestehe nur die ernsthafte Möglichkeit, dass dies geschehen werde, sei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
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Schließlich liege ein Verfahrensfehler vor. Eine Sachentscheidung trotz Aussetzungspflicht sei ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens. Das FG habe den Hinweis des Klägers auf das vor dem EGMR anhängige Verfahren nicht als offensichtlich unbegründet bewertet; es habe aber nicht ermessensfehlerfrei geprüft, ob das Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen oder nach § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung zum Ruhen zu bringen sei. Jedenfalls sei eine solche Prüfung nicht erkennbar. Insofern liege darin auch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nach § 76 FGO. Die Finanzämter und Finanzgerichte würden weiter mit derartigen Verfahren überschwemmt, was § 74 FGO gerade verhindern wolle.
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Stattdessen mute die zumindest ungewöhnlich kurze Zeit zwischen Einspruchsentscheidung und Terminierung wie eine Disziplinierungsmaßnahme an.
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Das FA hat keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet. Der Senat lässt offen, ob die Darlegungen des Klägers zu der grundsätzlichen Bedeutung eines Verfahrens vor dem EGMR im Rahmen von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 363 Abs. 2 Satz 1 AO, die nicht näher auf die Unterschiede zwischen diesen Vorschriften eingehen, den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügen. Die Beschwerde ist diesbezüglich jedenfalls unbegründet.
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1. Soweit der Kläger die Grundsatzfrage aufwirft, ob ein vor dem EGMR anhängiges Beschwerdeverfahren ein laufendes Verfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zum Ruhen bringe, ist die Beschwerde mangels Klärungsfähigkeit der Frage unbegründet.
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Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die Rechtsfrage im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Beschluss vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838). Das setzt voraus, dass die Beantwortung der Rechtsfrage für die Entscheidung des Streitfalls entscheidungserheblich ist.
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Daran fehlt es. Selbst wenn ein vor dem EGMR anhängiges Beschwerdeverfahren dem Grunde nach in erweiternder Auslegung von § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO geeignet sein könnte, die Verfahrensruhe zu begründen, hätte dieser Verfahrensruhe im Streitfall gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO die vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO entgegengestanden.
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Die Einkommensteuer des Klägers wurde im Bescheid vom 20. Januar 2011 gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4 und 4a AO) vorläufig festgesetzt. Das FA hatte zudem in seiner Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die befristete Weitergeltungsanordnung der für verfassungswidrig erklärten Regelung zur Abziehbarkeit der Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen verfassungswidrig sei, von dem Vorläufigkeitsvermerk umfasst sei.
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a) § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO ordnet die Verfahrensruhe unter anderem für den Fall an, dass wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem EuGH anhängig ist. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ermöglicht die vorläufige Festsetzung der Steuer unter anderem für den Fall, dass die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob die seitens des BVerfG angeordnete Fortgeltung des § 10 Abs. 3 bzw. Abs. 4 EStG gegen die EMRK verstößt, betrifft die Vereinbarkeit des (fortgeltenden) Rechts mit höherrangigem Recht. Sie ist damit eine Rechtsfrage, die grundsätzlich auch tauglicher Gegenstand einer vorläufigen Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO sein kann.
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Während § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO sich unter anderem --soweit im vorliegenden Fall relevant-- auf Verfahren bei dem "Europäischen Gerichtshof" (EuGH) bezieht, verweist § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO auf Verfahren bei dem "Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften". Ungeachtet der unterschiedlichen Formulierungen, die auf den unterschiedlichen Bezeichnungen im Maastricht-Vertrag und im Vertrag von Lissabon beruhen, steht fest, dass der EGMR vom Wortlaut beider Vorschriften nicht erfasst ist. Eine etwaige erweiternde Auslegung oder Analogie durch Ausdehnung auf Bezugsverfahren vor dem EGMR könnte nur für beide Vorschriften parallel in Betracht kommen.
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b) Sollte der EGMR dem in § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO genannten EuGH gleichzustellen sein, so wäre er folglich auch dem in § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO genannten Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gleichzustellen. Die vorläufige Festsetzung umfasste dann genau die Rechtsfrage, die der Kläger beantwortet wissen möchte. Das bedeutete gleichzeitig aber auch, dass nach § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO die Verfahrensruhe ausgeschlossen wäre. Die auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage hätte folglich auch auf dieser Grundlage abgewiesen werden müssen.
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2. Die weitere Frage, ob ein FA es ohne Ermessensfehler ablehnen kann, ein Einspruchsverfahren trotz eines anhängigen Verfahrens vor dem EGMR nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen zu lassen, besitzt ebenfalls mangels Klärungsbedürftigkeit keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Frage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie eindeutig so zu entscheiden ist, wie das FG es getan hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). So verhält es sich hier.
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a) § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine Ermessensvorschrift. Die Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie ist deshalb allgemeinen Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht zugänglich (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 9. November 2011 V B 43/11, BFH/NV 2012, 170) und kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen.
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b) Etwas anderes kann dann gelten, wenn zum einen auf Grund bestimmter Umstände eine Ermessensreduzierung auf Null in Frage steht und zum anderen diese Umstände ihrerseits nicht nur solche des Einzelfalls sind.
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Bereits an Ersterem fehlt es. Eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 363 Abs. 2 Satz 1 AO kommt nicht in Betracht. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob dies --wie das FG meint-- aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO zu folgern sein könnte. Es ergibt sich jedenfalls aus dem Nebeneinander der Sätze 1 und 2. Falls Satz 2 so zu verstehen sein sollte, dass er den EGMR umfasst, ist Satz 1 von vornherein nicht einschlägig. Falls Satz 2 den EGMR nicht umfassen sollte, bedeutet das im Umkehrschluss, dass nach Satz 1 eine Verfahrensruhe mit Rücksicht auf ein vor dem EGMR betriebenes Verfahren nicht zwingend sein kann.
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3. Ein Verfahrensfehler liegt ebenfalls nicht vor.
a) Das Verfahren war nicht entsprechend § 74 FGO auszusetzen. Die analoge Anwendung von § 74 FGO setzt voraus, dass in dem Bezugsverfahren über die Wirksamkeit einer Norm mit Wirkung für und gegen alle entschieden werden kann. Diese Verwerfungskompetenz besitzt der EGMR nicht. Der Senat nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf sein Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09 (BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, dort II.3.b).
b) Der Hinweis auf den Untersuchungsgrundsatz des § 76 FGO geht in diesem Zusammenhang fehl, da dieser sich auf den Sachverhalt bezieht, während der Kläger hier eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung rügt.
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4. Hinsichtlich der weiteren Beanstandungen des Klägers sind Zulassungsgründe entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht hinreichend dargelegt.
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a) Soweit es die Vorlage an den EuGH betrifft, hat der Kläger schon nicht dargestellt, auf welche Rechtsfrage sich diese Vorlage beziehen soll.
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b) Die Vorhaltungen des Klägers hinsichtlich der Verfahren X R 15/09 beim BFH sowie 2 BvR 288/10 und 2 BvR 289/10 beim BVerfG sind zu pauschal, als dass der Senat erkennen könnte, welchen Zulassungsgrund der Kläger diesbezüglich geltend machen möchte.
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