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BAG 18.04.2024 - 4 AZB 24/23
BAG 18.04.2024 - 4 AZB 24/23 - Kostenfestsetzung - Rechtsanwaltskosten - Rechtsmissbrauch
Normen
§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, § 91 Abs 2 S 1 ZPO, § 11 Abs 2 S 2 Nr 4 ArbGG, § 11 Abs 2 S 2 Nr 5 ArbGG, § 67 Abs 4 S 2 ArbGG
Vorinstanz
vorgehend ArbG Dortmund, 1. August 2023, Az: 10 Ca 2910/20, Beschluss
vorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 4. Oktober 2023, Az: 17 Ta 252/23, Beschluss
Tenor
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1. Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Oktober 2023 - 17 Ta 252/23 - und der Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 1. August 2023 - 10 Ca 2910/20 - in der Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 18. August 2023 aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag des Klägers und über die Kosten der Rechtsmittelverfahren an das Arbeitsgericht Dortmund mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass die Kosten der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten V dem Grunde nach erstattungsfähig sind.
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3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 2.527,56 Euro festgesetzt.
Gründe
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A. Der Kläger begehrt im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren für die Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten in der Berufungsinstanz.
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Der Kläger machte im Ausgangsverfahren die Unwirksamkeit einer von dem Beklagten als Insolvenzverwalter seiner Arbeitgeberin ausgesprochenen Kündigung, hilfsweise einen Wiedereinstellungsanspruch geltend. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Dagegen legte der Kläger durch die DGB Rechtsschutz GmbH, die ihn bereits erstinstanzlich vertreten hatte, Berufung ein und begründete diese. Nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 19. November 2021 und Eingang der Berufungserwiderung beauftragte der Kläger am 19. Juli 2021 zusätzlich seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Prozessvertretung. Dieser bestellte sich zum weiteren Prozessbevollmächtigten, reichte im Verlauf des Verfahrens mehrere Schriftsätze ein und vertrat den Kläger - jeweils gemeinsam mit einem Vertreter der DGB Rechtsschutz GmbH - in der mündlichen Verhandlung beim Landesarbeitsgericht am 19. November 2021 und am 18. März 2022. Das Landesarbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt und legte die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten zu 75 vH und dem Kläger zu 25 vH auf.
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Mit Schriftsatz vom 10. März 2023 hat der Kläger die Festsetzung seiner Kosten für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Berufungsverfahren beantragt. Das Arbeitsgericht hat daraufhin den Beklagten nach § 106 Abs. 1 ZPO zur Berechnung seiner Kosten aufgefordert. Dieser Aufforderung ist der Beklagte nachgekommen und hat zugleich die Auffassung vertreten, die vom Kläger geltend gemachten Kosten seien nicht erstattungsfähig. Das Arbeitsgericht hat den Kostenfestsetzungsantrag des Klägers mit Beschluss vom 1. August 2023 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Klägers ist begründet.
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I. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Insbesondere genügt ihre Begründung - entgegen der Ansicht des Beklagten - den gesetzlichen Anforderungen des § 575 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ZPO (BAG 28. Mai 2014 - 10 AZB 20/14 - Rn. 12).
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1. Das Landesarbeitsgericht hat die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten mit der Begründung verneint, die Beauftragung des Rechtsanwalts als zusätzlichem Prozessbevollmächtigten nach Berufungseinlegung und -begründung, Eingang der Berufungserwiderung und Terminsbestimmung sei nicht als zweckentsprechend anzusehen, da im Zeitpunkt der Beauftragung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen vorgebracht werden konnten.
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2. Der Kläger hat geltend gemacht, die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts seien stets als zweckentsprechend verursachte Kosten anzusehen. Der Erstattungsfähigkeit stehe der Zeitpunkt der Beauftragung nicht entgegen, da sein Rechtsanwalt die Vertretung Monate vor dem anberaumten Gerichtstermin übernommen habe. Diese Ausführungen sind geeignet, die angefochtene Entscheidung in Frage zu stellen.
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II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist begründet.
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1. Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung objektiv notwendig waren. Für die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts regelt § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO, dass diese in allen Prozessen zu erstatten sind. Die Vorschrift bildet insofern eine Ausnahme zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet (BAG 15. Dezember 2023 - 9 AZB 13/23 - Rn. 12 mwN).
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2. Die Rechtsausübung im Zivilverfahren und damit auch die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO unterliegt allerdings dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot.
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a) Nach diesem Grundsatz trifft jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Kosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind. Gesetzlich eingeräumte Wahlmöglichkeiten bleiben jedoch unberührt (BAG 15. Dezember 2023 - 9 AZB 13/23 - Rn. 14; 18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 20 mwN, BAGE 153, 261).
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b) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines beauftragten Rechtsanwalts gelten unabhängig von den konkreten Umständen stets als zweckentsprechend verursachte Kosten. Eine Partei soll sich im Prozess anwaltlicher Hilfe bedienen können, ohne Kostennachteile befürchten zu müssen. Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO ist daher grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Partei für das Verfahren einen Rechtsanwalt beauftragen durfte und dies objektiv notwendig war. Prüfungsmaßstab ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei in der konkreten prozessualen Situation ebenfalls einen Rechtsanwalt beauftragt hätte (BAG 15. Dezember 2023 - 9 AZB 13/23 - Rn. 15; 18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 21 mwN, BAGE 153, 261). Das ist für Rechtsmittelverfahren grundsätzlich zu bejahen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kann dagegen nicht als zweckentsprechend angesehen werden, wenn sie offensichtlich nutzlos ist (BAG 15. Dezember 2023 - 9 AZB 13/23 - Rn. 16 mwN).
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c) Diese Grundsätze gelten ebenso für die Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz. § 91 ZPO gilt im Berufungs- und Revisionsrechtszug uneingeschränkt, da es insoweit an einer Bezugnahme in § 64 Abs. 7, § 72 Abs. 6 auf § 12a ArbGG fehlt. Danach sind der obsiegenden Partei im Berufungsverfahren die Anwaltskosten auch dann zu ersetzen, wenn eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern iSv. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 ArbGG, die im ersten Rechtszug mit der Vertretung beauftragt war, bereit gewesen wäre, die Vertretung unentgeltlich zu übernehmen. Nur wenn ein Verbandsvertreter das gerichtliche Verfahren in einer Instanz bereits betrieben hat, ist zu prüfen, ob die nachträgliche Mandatierung eines Rechtsanwalts in der konkreten Prozesssituation und angesichts des bereits erfolgten Prozessfortschritts noch zweckentsprechend und nicht nutzlos war (BAG 18. November 2015 - 10 AZB 43/15 - Rn. 23 ff. mwN, BAGE 153, 261).
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3. Danach war die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Kläger nicht rechtsmissbräuchlich.
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a) Die Mandatierung erfolgte zwar erst nach Eingang der Berufungsbegründung und -erwiderung beim Landesarbeitsgericht sowie der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und damit zu einem Zeitpunkt, in dem neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen vorgebracht werden konnten (§ 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG). Diese Umstände rechtfertigen aber entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, die nachträgliche Mandatierung sei als nicht zweckentsprechend anzusehen. Das gilt schon deshalb, weil die Mandatierung am 19. Juli 2021 und damit vier Monate vor dem anberaumten Termin erfolgte. In dieser Situation durfte der Kläger von der Möglichkeit neuen Sachvortrags ausgehen. Das wird im Übrigen durch den weiteren Prozessverlauf bestätigt. Der Kläger hatte zwar erstinstanzlich einen erforderlichen Stilllegungsbeschluss des Beklagten in Abrede gestellt, dessen Existenz aber in der Berufungsbegründung eingeräumt. Mit Schriftsatz seines Rechtsanwalts vom 23. August 2021 hat er den Stilllegungsbeschluss erneut bestritten und damit seinen Sachvortrag geändert. Diesen geänderten Vortrag hat das Landesarbeitsgericht berücksichtigt und der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte habe nicht nachgewiesen, im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs am 29. Juni 2020 die Stilllegung des ganzen Betriebs der Insolvenzschuldnerin ernstlich und endgültig geplant zu haben.
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b) Der Erstattungsfähigkeit der Kosten steht nicht entgegen, dass das Mandatsverhältnis mit der DGB Rechtsschutz GmbH und deren Prozessvertretung von dem Kläger bei Mandatierung des jetzigen Prozessbevollmächtigten nicht beendet wurde. Das lässt die Hinzuziehung des Rechtsanwalts nicht als offensichtlich nutzlos erscheinen. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet keine Anwendung.
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III. Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Der Senat macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache unmittelbar an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH 24. Mai 2023 - VII ZB 69/21 - Rn. 33, BGHZ 237, 195). Eine eigene Entscheidung durch den Senat kommt nicht in Betracht. Es ist eine Kostenausgleichung nach § 106 ZPO durchzuführen; der Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten ist nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
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