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BAG 26.04.2023 - 10 AZR 163/22
BAG 26.04.2023 - 10 AZR 163/22 - Tarifliche Sonderzahlung - Kürzung - Lohnersatzleistung
Normen
§ 1 TVG, § 3 Abs 1 TVG, § 4 Abs 1 TVG
Vorinstanz
vorgehend ArbG Frankfurt (Oder), 1. Juli 2021, Az: 8 Ca 193/21, Urteil
vorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 3. März 2022, Az: 10 Sa 1085/21, Urteil
Tenor
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1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. März 2022 - 10 Sa 1085/21 - aufgehoben.
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2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Juli 2021 - 8 Ca 193/21 - wird zurückgewiesen.
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3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Höhe der tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 2020.
- 2
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Der Kläger ist seit dem 7. Juni 2003 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen in Vollzeit beschäftigt. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer der gewerblichen Verbundgruppen in Brandenburg vom 22. Dezember 2011 (MTV).
- 3
-
Der MTV hat auszugsweise folgenden Inhalt:
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„§ 16 Urlaubsgeld
Jeder Arbeitnehmer/jede Arbeitnehmerin erhält ein Urlaubsgeld nach Maßgabe folgender Bestimmungen:
1.
Das Urlaubsgeld beträgt nach einer sechsmonatigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit (Wartezeit) 460,- €, für Auszubildende 230,- €.
…
7.
Für Zeiträume, in denen kein Anspruch auf Arbeitsentgelt, Entgeltfortzahlung oder Lohnersatzleistungen besteht, entfällt für jeden vollen Monat 1/12 des tariflichen Urlaubsgeldes.
…
§ 17 Sonderzahlungen
1.
Arbeitnehmer/innen und Auszubildende erhalten eine Sonderzahlung entsprechend den folgenden Bestimmungen:
2.
Der Anspruch entsteht nach einer sechsmonatigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit.
Die Sonderzahlung wird jeweils mit dem Novembergehalt des Jahres nach Entstehung des Anspruchs fällig, sofern durch Einzelvereinbarungen oder Betriebsvereinbarung keine abweichende Regelung getroffen ist.
3.
Die Sonderzahlung beträgt 35% des Tarifentgeltes für November.
…
5.
In dem Jahr, in dem der/die Arbeitnehmer/in oder Auszubildende auf eigene Veranlassung den Betrieb verlässt oder das Arbeitsverhältnis durch verhaltensbedingte Kündigung beendet wird, besteht kein Anspruch auf eine Sonderzahlung. Ausnahmen bilden die Arbeitnehmer/innen, die wegen Invalidität, Erreichung der Altersgrenze bzw. Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes in der 2. Jahreshälfte ausscheiden. Diese Arbeitnehmer/innen haben vollen Anspruch auf eine Sonderzahlung.
6.
Ruhen die Rechte aus dem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis, z. B. bei Wehrdienst, Zivildienst, Elternzeit oder besteht kein Anspruch auf Arbeitsentgelt, Ausbildungsvergütung, Lohnersatzleistungen von mehr als zwei Wochen im Kalendermonat, so ermäßigt sich der Anspruch um 1/12 je Kalendermonat.
…
§ 19 Altersvorsorgebetrag
1.
In Vollzeit Beschäftigte und Auszubildende haben Anspruch auf eine kalenderjährliche Einmalzahlung in Höhe von 340 € (Altersvorsorgebetrag), die ausschließlich für Zwecke der Altersvorsorge verwendet werden kann. Der Anspruch ermäßigt sich für jeden Kalendermonat, für den weniger als zwei Wochen Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, um 1/12.
…
4.
Der Anspruch auf den Altersvorsorgebetrag besteht auch für Zeiten des gesetzlichen Mutterschutzes, bei anderen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses ohne Entgeltfortzahlung, soweit ein entsprechender Erstattungsanspruch des Arbeitgebers besteht, den dieser gegebenenfalls auch durch eine Abtretung erlangen kann.“
- 4
-
Der Kläger war im Zeitraum vom 20. April 2020 bis zum 30. August 2020 arbeitsunfähig erkrankt; ab dem 2. Juni 2020 bezog er Krankengeld.
- 5
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Im November 2020 leistete die Rechtsvorgängerin der Beklagten an den Kläger eine Sonderzahlung iHv. 738,00 Euro brutto. Dabei kürzte sie den grundsätzlich iHv. 984,00 Euro brutto bestehenden Anspruch für die Zeit des Krankengeldbezugs um 3/12.
- 6
-
Der Kläger forderte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit außergerichtlichem Schreiben vom 20. Januar 2021 zur Zahlung des Differenzbetrags iHv. 246,00 Euro brutto auf. Eine Reaktion auf dieses Schreiben erfolgte nicht.
- 7
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Mit seiner am 12. Februar 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 17. Februar 2021 zugestellten Klage hat der Kläger sein Zahlungsbegehren weiterverfolgt. Er hat gemeint, während der gesamten Dauer der Erkrankung Lohnersatzleistungen iSv. § 17 Nr. 6 MTV bezogen zu haben, sodass eine Kürzung der Sonderzahlung nicht gerechtfertigt sei. Der Begriff der „Lohnersatzleistungen“ erfasse Geldleistungen, die an die Stelle des ausbleibenden Arbeitsentgelts träten, sodass sowohl die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als auch das Krankengeld hierunter fielen. Mit der Jahressonderzahlung solle in erster Linie die Betriebstreue und nicht die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung honoriert werden.
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Der Kläger hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 246,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2020 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Lohnersatzleistungen iSv. § 17 Nr. 6 MTV seien nur solche des Arbeitgebers. Die Tarifvertragsparteien hätten zwei Fallgestaltungen definiert, die zu einer Kürzung der Sonderzahlung berechtigten, zum einen Ruhenstatbestände und zum anderen fehlende Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers. Tragender Grund für die Kürzung der Sonderzahlung sei jeweils die Nichtarbeit für einen nicht unerheblichen Zeitraum. Daraus sei erkennbar, dass die Tarifvertragsparteien mit der Sonderzahlung insbesondere tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung honorieren wollten.
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Die Kürzungstatbestände wegen des Fehlens eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt, Ausbildungsvergütung und Lohnersatzleistungen müssten im Zusammenhang gesehen werden. Die gemeinsame Klammer für diese Begriffe sei die Zahlung durch den Arbeitgeber und nicht durch Dritte. Hierfür spreche auch die Systematik der Norm. Ein anderes Verständnis würde im Übrigen dazu führen, dass so gut wie kein Anwendungsbereich für die Kürzungsmöglichkeit nach § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV verbleibe.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die ungekürzte Sonderzahlung für das Jahr 2020. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Entscheidung des Arbeitsgerichts wiederherzustellen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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I. Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 17 Nr. 1 bis 3 MTV auf die volle Sonderzahlung für das Jahr 2020 und insoweit auf Zahlung des Differenzbetrags iHv. 246,00 Euro brutto zu. Die Beklagte war entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht berechtigt, die Sonderzahlung nach § 17 Nr. 6 MTV wegen des Krankengeldbezugs um 3/12 zu kürzen.
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1. Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend.
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2. Der Kläger erfüllt - was zwischen den Parteien nicht im Streit steht - grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen nach § 17 MTV für die tarifliche Sonderzahlung iHv. 35 % des Tarifentgelts für November (§ 17 Nr. 3 MTV). Er hat im Jahr 2020 eine mehr als sechsmonatige ununterbrochene Betriebszugehörigkeit aufzuweisen und das Arbeitsverhältnis bestand während des gesamten Kalenderjahres.
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3. Die Beklagte war auch nicht berechtigt, die Sonderzahlung für die Monate Juni, Juli und August 2020, in welchen der Kläger fast durchgängig Krankengeld bezogen hat, nach § 17 Nr. 6 MTV um je 1/12 zu kürzen. Die tariflichen Voraussetzungen für eine Kürzung der Sonderzahlung sind nicht gegeben.
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a) Eine Kürzung nach § 17 Nr. 6 Halbs. 1 MTV kommt nicht in Betracht. Im Fall einer über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinausgehenden Erkrankung ruht das Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht, sondern auf Seiten des Arbeitnehmers liegt eine Leistungsstörung vor (st. Rspr., zuletzt zB BAG 12. Oktober 2022 - 10 AZR 496/21 - Rn. 33 mwN).
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b) Auch eine Kürzung nach § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV scheidet aus. Der Kläger hatte während des streitgegenständlichen Zeitraums in jedem Monat Anspruch auf Arbeitsentgelt in Form von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (1. Juni 2020) oder auf eine Lohnersatzleistung im Sinn der Tarifnorm (2. Juni bis 30. August 2020). Krankengeld fällt unter diesen Begriff. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (v gl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB BAG 16. November 2022 - 10 AZR 210/19 - Rn. 13).
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aa) Bereits der Wortlaut von § 17 Nr. 6 MTV spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien von einem weiten Verständnis des Begriffs „Lohnersatzleistungen“ ausgegangen sind und nicht nur solche des Arbeitgebers, sondern auch Leistungen von dritter Seite - wie das Krankengeld - erfasst wissen wollten.
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(1) Bei der Wortlautauslegung ist, wenn die Tarifvertragsparteien einen Begriff nicht eigenständig definieren, erläutern oder einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden, vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Wird ein Fachbegriff verwendet, der in allgemeinen oder in fachlichen Kreisen eine bestimmte Bedeutung hat, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit diesem Begriff den allgemein üblichen Sinn verbinden wollten, wenn nicht sichere Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung gegeben sind, die aus dem Tarifwortlaut oder anderen aus dem Tarifvertrag selbst ersichtlichen Gründen erkennbar sein müssen. Wird ein bestimmter Begriff mehrfach in einem Tarifvertrag verwendet, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien dem Begriff im Geltungsbereich dieses Tarifvertrags stets die gleiche Bedeutung beimessen wollen (st. Rspr., zuletzt zB BAG 24. Februar 2021 - 10 AZR 130/19 - Rn. 18 mwN).
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(2) Die Tarifvertragsparteien des MTV haben den Begriff der „Lohnersatzleistungen“ nicht selbst definiert. Es gab und gibt auch keinen feststehenden Rechtsbegriff der Lohn- bzw. Entgeltersatzleistung für den Bereich des Arbeitsrechts. Die Beklagte weist insoweit zutreffend darauf hin, dass es nicht auf den Begriff der „Lohnersatzleistung“ in § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, der eine Vielzahl von Leistungen beinhaltet, ankommt. Der Norm liegt keine verallgemeinerungsfähige Begriffsbestimmung zugrunde, die über ihren Anwendungsbereich im Steuerrecht hinaus allgemeine Geltung beanspruchen könnte.
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(3) Das allgemeine arbeitsrechtliche Verständnis von „Lohnersatzleistungen“ im Zeitpunkt des Abschlusses des MTV war ein weites. Als Lohnersatzleistungen wurden alle Leistungen angesehen, die dazu dienen, den Ausfall des Lohns bzw. Arbeitsentgelts in bestimmten, für den Arbeitnehmer typischerweise schwierigen sozialen Situationen auszugleichen (vgl. BAG 25. April 2007 - 10 AZR 110/06 - Rn. 24). So fielen nach der im Zeitpunkt des Abschlusses des MTV vorliegenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter diesen Begriff sowohl Lohnersatzleistungen des Arbeitgebers als auch der Sozialversicherungsträger. Als Lohnersatzleistungen wurden ua. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. BAG 25. April 2007 - 10 AZR 110/06 - Rn. 24; 9. Oktober 2002 - 5 AZR 356/01 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 103, 60; siehe zur entsprechenden Bezeichnung als Entgeltersatzleistung BAG 15. November 2018 - 6 AZR 522/17 - Rn. 25, BAGE 164, 168), der Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld (vgl. BAG 25. April 2007 - 10 AZR 110/06 - Rn. 24; 29. Januar 2003 - 5 AZR 701/01 - zu 1 der Gründe), der Zuschuss des Arbeitgebers zum Krankengeld (vgl. BAG 25. April 2007 - 10 AZR 110/06 - Rn. 24) sowie Leistungen wegen vorübergehender Verhinderung iSv. § 616 BGB (vgl. BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - zu II 2 a bb (3) (aa) der Gründe) bezeichnet. Das Bundesarbeitsgericht verstand unter Lohnersatzleistungen aber auch Krankengeldleistungen (vgl. BAG 17. Oktober 1990 - 5 AZR 10/90 - zu I 3 b der Gründe, BAGE 66, 126; 7. Oktober 1987 - 5 AZR 610/86 - zu II 1 der Gründe, BAGE 56, 191; enger wohl BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - aaO), das vormalige Konkursausfallgeld (BAG 11. Februar 1998 - 5 AZR 159/97 -zu 3 der Gründe) sowie das Arbeitslosengeld (BAG 14. März 2006 - 9 AZR 312/05 - Rn. 56, BAGE 117, 231). Dieses weite Verständnis in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung spricht dafür, dass das Krankengeld unter den Begriff der „Lohnersatzleistungen“ fällt (vgl. zur Berücksichtigung der Rechtsprechung bei der Auslegung eines Tarifvertrags BAG 22. Februar 2023 - 10 AZR 332/20 - Rn. 55 mwN).
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(4) Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien von einem engeren Verständnis ausgegangen sind, ergeben sich aus dem MTV nicht. Insbesondere hat ein Wille, die Sonderzahlung für Zeiten des Krankengeldbezugs zu kürzen, keinen hinreichenden Niederschlag im Wortlaut des ohne jegliche Einschränkungen verwendeten Begriffs „Lohnersatzleistungen“ gefunden. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich ein solcher auch nicht aus der Aneinanderreihung der Begriffe „Arbeitsentgelt, Ausbildungsvergütung, Lohnersatzleistungen“. Zwar könnte die Nennung der „Lohnersatzleistungen“ im Anschluss an „Arbeitsentgelt, Ausbildungsvergütung“ dafür sprechen, dass es sich in allen drei Fällen um arbeitgeberseitige Leistungen handeln soll. Die durch Kommata getrennte Reihung von „Arbeitsentgelt, Ausbildungsvergütung, Lohnersatzleistungen“ kann aber auch so verstanden werden, dass sie verschiedene, voneinander unabhängige Elemente eines Tatbestands enthält, die diesen jeweils erweitern.
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bb) Systematik und Gesamtzusammenhang des MTV zeigen - insbesondere unter Berücksichtigung von § 16 Nr. 7 MTV und § 19 Nr. 1 und 4 MTV - ebenfalls, dass zu den „Lohnersatzleistungen“ iSv. § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV auch das Krankengeld zählt.
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(1) Nach § 16 Nr. 7 MTV entfällt für Zeiträume, in denen „kein Anspruch auf Arbeitsentgelt, Entgeltfortzahlung oder Lohnersatzleistungen besteht“, für jeden vollen Monat 1/12 des tariflichen Urlaubsgeldanspruchs. Die Tarifvertragsparteien haben dabei in § 16 Nr. 7 MTV die Begriffe „Entgeltfortzahlung“ und „Lohnersatzleistungen“ ausdrücklich nebeneinander aufgeführt. Damit wird verdeutlicht, dass der Begriff der Lohnersatzleistung über den der Entgeltfortzahlung iSv. § 3 EFZG hinausgehen und umfassender zu verstehen sein muss. Diese Gegenüberstellung zeigt, dass unter „Lohnersatzleistungen“ nicht nur arbeitgeberseitige Leistungen fallen, sondern insbesondere auch das Krankengeld, das sich an die Entgeltfortzahlung bei längerer Arbeitsunfähigkeit anschließt. Da die Tarifvertragsparteien einem Begriff im Geltungsbereich eines Tarifvertrags im Zweifel stets die gleiche Bedeutung beimessen wollen, wenn - wie vorliegend - keine gegenteiligen Anhaltspunkte ersichtlich sind (Rn. 20), muss dieses Verständnis auch für § 17 Nr. 6 MTV gelten.
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(2) Aus der Regelung in § 16 Nr. 7 MTV ergibt sich außerdem, dass den Tarifvertragsparteien die in der betrieblichen Praxis nicht seltene Fallkonstellation einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers präsent war (vgl. zu diesem Aspekt BAG 25. September 2013 - 10 AZR 850/12 - Rn. 19). Insoweit wird ihnen auch bewusst gewesen sein, dass im Fall länger andauernder Arbeitsunfähigkeit im Anschluss an die Entgeltfortzahlung regelmäßig ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Dennoch haben sie darauf verzichtet, den Begriff der Lohnersatzleistungen zu definieren oder generell bzw. speziell in § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV einzuschränken, insbesondere den Krankengeldbezug auszunehmen, obwohl sie ansonsten detaillierte Regelungen zur Anspruchsentstehung und zum Anspruchsausschluss getroffen haben (vgl. § 17 Nr. 2 Satz 1, Nr. 5 und 6 MTV).
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(3) Auch § 19 MTV stützt dieses Verständnis. § 19 Nr. 1 MTV regelt einen Anspruch auf einen Altersvorsorgebetrag und eine Kürzungsmöglichkeit um 1/12 für jeden Kalendermonat, für den weniger als zwei Wochen Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Ausnahmen von dieser Kürzung sind nach § 19 Nr. 4 MTV nur in - im Vergleich zu § 17 Nr. 6 MTV - ganz eng umrissenen Fallgestaltungen vorgesehen. Dies verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien detaillierte Regelungen getroffen haben, unter welchen Voraussetzungen tarifliche Leistungen beansprucht werden können und unter welchen Umständen sich der Anspruch reduziert. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass sie für den Krankengeldbezug in § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV eine Regelung getroffen hätten, wenn sie bei diesem in der betrieblichen Praxis regelmäßig auftretenden Fall eine Kürzung des Sonderzahlungsanspruchs beabsichtigt hätten.
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(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem nicht die systematische Zusammenschau mit dem Ruhenstatbestand der Elternzeit (vgl. BAG 18. November 2020 - 5 AZR 57/20 - Rn. 24) in § 17 Nr. 6 Halbs. 1 MTV entgegen. Das Gegenteil ist der Fall. Entscheidender Anknüpfungspunkt der Kürzung nach Halbsatz 1 ist das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, also einer wechselseitigen Suspendierung der Hauptpflichten. Ob während des Ruhens - wie häufig - Leistungen von Dritten bezogen werden, ist für diesen Kürzungstatbestand unerheblich. Halbsatz 2 stellt hingegen als Voraussetzung für die Kürzung gerade auf das Fehlen eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt oder Lohnersatzleistungen ab.
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cc) Sinn und Zweck des § 17 Nr. 6 MTV stehen dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar dient die Sonderzahlung auch der Vergütung für geleistete Arbeit. Dies bringt ua. § 17 Nr. 6 Halbs. 1 MTV zum Ausdruck, wonach ein Anspruch nicht für Zeiten besteht, in welchen das Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis ruht. Aus weiteren Regelungen des § 17 MTV wird aber ersichtlich, dass mit der Sonderzahlung ebenfalls die Betriebszugehörigkeit bzw. Betriebstreue honoriert werden soll. So entsteht ein Anspruch nach § 17 Nr. 2 MTV erst nach einer sechsmonatigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit und ein Anspruch besteht nach § 17 Nr. 5 MTV nicht in dem Jahr, in dem der Arbeitnehmer bzw. Auszubildende auf eigene Veranlassung oder wegen einer verhaltensbedingten Kündigung aus dem Betrieb ausscheidet. Ausnahmen gelten wiederum bei Arbeitnehmern, die wegen Invalidität, Erreichung der Altersgrenze bzw. Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden. Diese haben den vollen Anspruch auf eine Sonderzahlung. Insgesamt handelt es sich bei der tariflichen Sonderzahlung um eine Leistung mit Mischcharakter, bei der die Tarifvertragsparteien Anspruchsvoraussetzungen und Kürzungsmöglichkeiten differenziert festgelegt haben (vgl. BAG 14. März 2012 - 10 AZR 112/11 - Rn. 12). Eine einzelne Zwecksetzung, die dazu zwingen würde, das Krankengeld aus dem Begriff der „Lohnersatzleistungen“ iSv. § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV auszunehmen, besteht nicht.
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dd) Diese Auslegung führt auch zu einem praktisch brauchbaren Ergebnis. Soweit der Arbeitgeber nicht bereits von den Sozialleistungsträgern Kenntnis über den Zeitraum des Bezugs von Krankengeld oder anderen Lohnersatzleistungen erlangt hat, kann dieser Umstand ohne Weiteres vom Arbeitnehmer dargelegt und ggf. nachgewiesen werden.
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ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten verbleibt auch bei einem solchen Verständnis des Begriffs der Lohnersatzleistungen ein - wenn auch tariflich vorgegeben enger - Anwendungsbereich für die Kürzungsmöglichkeit nach § 16 Nr. 7 Halbs. 2 MTV.
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(1) Hauptanwendungsfall des § 17 Nr. 6 Halbs. 2 MTV ist danach der Wegfall des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers von mehr als zwei Wochen im Kalendermonat nach dem allgemeinen Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ (vgl. dazu zB BAG 18. Januar 2023 - 5 AZR 93/22 - Rn. 9 mwN; 12. Oktober 2022 - 10 AZR 496/21 - Rn. 19), beispielsweise im Fall des unentschuldigten Fehlens des Arbeitnehmers oder des Fehlens der Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 615 BGB, ohne dass Lohnersatzleistungen bezogen werden. Ebenso kann die Sonderzahlung gekürzt werden, wenn die Krankengeldzahlung ausläuft, das Arbeitsverhältnis weiter fortbesteht und der Arbeitnehmer keine Lohnersatzleistungen bezieht.
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(2) Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf einen möglichen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ende des Krankengeldbezugs verweist und meint, dieses sei bei einem weiten Verständnis auch als Lohnersatzleistung zu sehen, mit der Folge eines - nicht gewollten - ausufernden Tatbestands, trifft dies nicht zu. Bezieht der Arbeitnehmer im fortbestehenden Arbeitsverhältnis Arbeitslosengeld, weil der Arbeitgeber im Hinblick auf die andauernde Arbeitsunfähigkeit auf die Ausübung seines Direktionsrechts verzichtet hat, ist wegen der suspendierten Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis von dessen Ruhen auszugehen (vgl. BAG 14. März 2006 - 9 AZR 312/05 - Rn. 27, BAGE 117, 231; 9. August 1995 - 10 AZR 539/94 - zu II der Gründe, BAGE 80, 308). In einem solchen Fall folgt eine Kürzung des Sonderzahlungsanspruchs bereits aus § 17 Nr. 6 Halbs. 1 MTV.
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4. Der Kläger hat die Ausschlussfrist von drei Monaten seit Fälligkeit des Anspruchs nach § 27 Nr. 2 Halbs. 1 MTV gewahrt. Der Sonderzahlungsanspruch für das Jahr 2020 ist nach § 17 Nr. 2 Unterabs. 2, § 8 Nr. 8 Satz 1 MTV am letzten Arbeitstag des Monats, also am 30. November 2020, zur Zahlung fällig geworden. Der Kläger hat den streitgegenständlichen Anspruch sowohl durch sein außergerichtliches Schreiben vom 20. Januar 2021 als auch durch die der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 17. Februar 2021 zugestellte Klage innerhalb von drei Monaten seit Fälligkeit geltend gemacht.
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5. Die Höhe des Anspruchs ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
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II. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO).
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W. Reinfelder
Weber
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Frankenberg
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