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BAG 28.02.2023 - 2 AZR 194/22
BAG 28.02.2023 - 2 AZR 194/22 - Außerordentliche Kündigung wegen Bedrohung - versehentlich falsche Angabe von Sozialdaten gegenüber dem Betriebsrat - Kenntnis des Gremiums von den richtigen Daten
Vorinstanz
vorgehend ArbG Mönchengladbach, 12. Mai 2021, Az: 6 Ca 468/20, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 19. Januar 2022, Az: 12 Sa 705/21, Urteil
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 2022 - 12 Sa 705/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Der Kläger war bei der Beklagten seit Mai 1998 als Busfahrer beschäftigt. Zwischen den Parteien ist streitig gewesen, ob er den Personaldisponenten der Beklagten und dessen Familie in einem Gespräch am 12. Februar 2020 bedroht hat.
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Die Beklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 24. Februar 2020 zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen. Dabei gab sie versehentlich an, er sei ledig und kinderlos. Dem Gremium war bekannt, dass der Kläger verheiratet ist und ein Kind hat. Am 25. Februar 2020 widersprach der Betriebsrat in einer ausdrücklich als „abschließend“ bezeichneten Stellungnahme den beabsichtigten Kündigungen ua. unter Hinweis auf die Unterhaltspflichten des Klägers.
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Mit Schreiben vom 26. Februar 2020, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Zudem erklärte sie mit Schreiben vom 29. April 2020 - nach erneuter Anhörung des Betriebsrats - eine weitere ordentliche Kündigung.
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Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen alle drei Kündigungen gewandt und ua. gemeint, die Kündigungen vom 26. Februar 2020 seien wegen der fehlerhaften Unterrichtung des Betriebsrats unwirksam.
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Der Kläger hat beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Februar 2020 noch durch die vorsorglich hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2020 aufgelöst wird;
2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits als Busfahrer weiterzubeschäftigen;
3.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die am 29. April 2020 erklärte ordentliche Kündigung zum 31. August 2020 aufgelöst wird.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung des Personaldisponenten der Beklagten als Zeugen sowie informatorischer Anhörung des Klägers abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dessen dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der gegen die außerordentliche Kündigung vom 26. Februar 2020 gerichtete Klageantrag ist unbegründet. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang beim Kläger aufgelöst.
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I. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass für die innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärte außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist.
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1. Eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben ua. von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten (ErfK/Niemann 23. Aufl. BGB § 626 Rn. 86), für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, kommt „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 23, BAGE 159, 250).
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2. Die Würdigung des Berufungsgerichts, es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel iSv. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Richtigkeit der Feststellung des Arbeitsgerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO begründeten, der Kläger habe den Personaldisponenten der Beklagten, der fünf Tage zuvor eine Abmahnung in seinen - des Klägers - Briefkasten eingeworfen hatte, in dem Gespräch am 12. Februar 2020 bedroht mit den Worten „Ihr Ochsen, wenn ich noch einmal einen von Euch vor meiner Haustür oder meinem Briefkasten sehe, werde ich Euch schlagen, dann kann nicht mal die Polizei Euch helfen.“ und „Ochse, Du musst in Zukunft auf Dich und Deine Familie achten.“, ist frei von revisiblen Rechtsfehlern.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat alle in der Berufungs- und abermals in der Revisionsbegründung angesprochenen Umstände betreffend die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit von dessen Aussage (angebliche Zugehörigkeit des Personaldisponenten zum „Arbeitgeberlager“, anderer Wortlaut der Bekundungen gegenüber der Polizei und vermeintliches Ablesen seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht von einem Blatt) in seine Würdigung einbezogen und widerspruchsfrei sowie ohne Verletzung von Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen gewürdigt (zum Prüfungsmaßstab vgl. BAG 5. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 48). Die Revision setzt letztlich nur ihre eigene Würdigung der Zeugenaussage an die Stelle von derjenigen durch das Berufungsgericht. Einen Rechtsfehler zeigt sie damit nicht auf.
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b) Die Revision wendet sich nicht gegen die zutreffende, im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH 30. November 2010 - 1 StR 509/10 - Rn. 6; 24. Juni 2003 - VI ZR 327/02 - Rn. 6 ff.; BVerwG 31. Juli 2014 - 2 B 20.14 - Rn. 9 ff.) stehende Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei nicht gegenbeweislich an einen „Lügendetektor“ (polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests) anzuschließen gewesen, weil es sich - auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren - um ein völlig ungeeignetes Beweismittel handele.
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3. Ebenfalls frei von revisiblen Rechtsfehlern sind die jeweils von den zutreffenden Rechtssätzen ausgehenden Annahmen des Landesarbeitsgerichts, es habe sich um ernstliche Drohungen gehandelt (vgl. BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 27, BAGE 159, 250), eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich gewesen (vgl. BAG 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 - Rn. 27, BAGE 175, 94) und auch die weitere Interessenabwägung falle zulasten des Klägers aus (vgl. BAG 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 29). Im Rahmen der revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbaren Interessenabwägung (vgl. BAG 20. Mai 2021 - 2 AZR 457/20 - Rn. 32 f., BAGE 175, 83) hat es dem Kläger seine Unterhaltspflichten und eine als beanstandungsfrei unterstellte vorherige Beschäftigungszeit zugutegehalten, sodass es weder auf einen Bezug der Unterhaltspflichten zum Kündigungsvorwurf (vgl. BAG 2. März 1989 - 2 AZR 280/88 - zu I 2 b dd der Gründe) noch auf die Berechtigung der ihm - dem Kläger - erteilten Abmahnungen ankam.
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II. Die außerordentliche Kündigung ist nicht entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen unzureichender Beteiligung des Betriebsrats unwirksam.
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1. Die Beklagte hat das Gremium mit Schreiben vom 24. Februar 2020 zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung unter Angabe der aus ihrer Sicht in dem Gespräch am 12. Februar 2020 erfolgten Drohungen durch den Kläger und unter Darstellung von dessen gegenteiliger Einlassung angehört. Das Gremium hat dazu am 25. Februar 2020 ausdrücklich „abschließend“ Stellung genommen. Damit war das Anhörungsverfahren vor Zugang der außerordentlichen Kündigung abgeschlossen (vgl. BAG 25. Mai 2016 - 2 AZR 345/15 - Rn. 24, BAGE 155, 181).
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2. Die Anhörung ist nicht deshalb mangelhaft, weil die Beklagte im Anhörungsschreiben die Unterhaltspflichten des Klägers unzutreffend angegeben hat.
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a) Nach der nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO angegriffenen und deshalb gemäß § 559 Abs. 1 ZPO für den Senat bindenden Feststellung des Landesarbeitsgerichts erfolgte die Falschangabe zu den Unterhaltspflichten des Klägers lediglich versehentlich. Damit fehlt es an einer bewusst unrichtigen oder irreführenden Unterrichtung über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, die schon für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen könnte (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 16, BAGE 152, 118).
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b) Zudem waren dem Gremium der Familienstand des Klägers sowie dessen Unterhaltspflicht für ein Kind ohne das Erfordernis eigener Nachforschungen zuverlässig bekannt (vgl. BAG 5. Dezember 2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 68; 17. März 2016 - 2 AZR 182/15 - Rn. 22, BAGE 154, 303). Der Betriebsrat ist durch die abweichenden Angaben im Unterrichtungsschreiben nicht „verunsichert“ worden. Vielmehr hat er den beabsichtigten Kündigungen gerade auch unter Hinweis darauf widersprochen, dass der Kläger verheiratet und einem Kind unterhaltspflichtig sei. Dies belegt, dass ihm durch die versehentliche Falschangabe durch die Beklagte im Unterrichtungsschreiben kein Einwand abgeschnitten wurde. Er konnte aufgrund des bei ihm bestehenden Kenntnisstands sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung nehmen. Damit wurde den Zwecken des Anhörungsverfahrens uneingeschränkt genügt, ohne dass es darauf ankäme, ob bei einer beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung die Sozialdaten des Arbeitnehmers überhaupt zu den „Gründen für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG rechnen (dazu APS/Koch 6. Aufl. BetrVG § 102 Rn. 94a).
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III. Die - zwei - Kündigungsschutzanträge gegen die ordentlichen Kündigungen vom 26. Februar 2020 und 29. April 2020 sowie der Weiterbeschäftigungsantrag fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Bei den weiteren Kündigungsschutzanträgen handelt es sich um unechte Hilfsanträge für den Fall, dass die jeweils vorrangige(n) Kündigung(en) - wie nicht - für unwirksam erachtet werden sollten. Der Weiterbeschäftigungsantrag wird vom Kläger zwar explizit als Hauptantrag verfolgt, indes soll über ihn nicht mehr entschieden werden, wenn die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen ist. Das ist durch das Senatsurteil der Fall.
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IV. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
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