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BAG 20.01.2021 - 7 ABR 3/20
BAG 20.01.2021 - 7 ABR 3/20 - Betriebsratswahl - Anfechtung - Wahlumschläge
Normen
§ 19 Abs 1 BetrVG, § 11 Abs 1 S 2 BetrVGDV1WO, § 12 Abs 3 BetrVGDV1WO
Vorinstanz
vorgehend ArbG Bonn, 10. April 2019, Az: 2 BV 37/18, Beschluss
vorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 22. November 2019, Az: 9 TaBV 30/19, Beschluss
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln vom 22. November 2019 - 9 TaBV 30/19 - wird zurückgewiesen.
Gründe
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A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
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In dem Betrieb der zu 5. beteiligten Arbeitgeberin fand am 24. Mai 2018 eine Betriebsratswahl statt, aus der der zu 4. beteiligte Betriebsrat hervorging.
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Der Wahlvorstand hatte bei dieser Wahl für die Stimmabgabe im Wahllokal keine Wahlumschläge zur Verfügung gestellt, so dass die persönliche Stimmabgabe ohne Verwendung von Wahlumschlägen erfolgte. Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 25. Mai 2018 bekannt gemacht. Auf die Liste 1 (Gewerkschaft v) entfielen 195 Stimmen, auf die Liste 2 (Gewerkschaft N) entfielen 69 Stimmen. Gewählt wurden ua. die Beteiligten zu 2. und 3., die auf der Liste 2 kandidiert hatten.
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Mit ihrer am 8. Juni 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift haben die zu 1. bis 3. beteiligten wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen die Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom 24. Mai 2018 geltend gemacht und hilfsweise die Wahl angefochten. Sie haben ua. die Auffassung vertreten, der Wahlvorstand habe dadurch, dass er die Stimmabgabe im Wahllokal ohne Verwendung von Wahlumschlägen durchführen ließ, gegen § 11 Abs. 1, § 12 Abs. 3 WO verstoßen.
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Die Antragstellerinnen haben beantragt,
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die Betriebsratswahl vom 24. Mai 2018 für nichtig zu erklären,
hilfsweise die Betriebsratswahl vom 24. Mai 2018 für unwirksam zu erklären.
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Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter. Die Antragstellerinnen beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.
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I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Dem steht nicht entgegen, dass der Betriebsrat erst nach Einlegung der Rechtsbeschwerde durch seinen bereits in den Vorinstanzen mandatierten Verfahrensbevollmächtigten den Beschluss gefasst hat, die Rechtsbeschwerde durchzuführen. Nach den auch im Beschlussverfahren geltenden Vorschriften des § 81 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG ermächtigt die einmal erteilte Prozessvollmacht im Außenverhältnis - in den zeitlichen Grenzen des § 87 ZPO - zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen einschließlich der Einlegung von Rechtsmitteln (vgl. BAG 29. Juli 2020 - 7 ABR 27/19 - Rn. 30; 18. März 2015 - 7 ABR 4/13 - Rn. 12; 6. November 2013 - 7 ABR 84/11 - Rn. 21 ff. mwN).
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II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Betriebsratswahl vom 24. Mai 2018 zu Recht für unwirksam erklärt.
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1. Nach § 19 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.
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2. Diese Voraussetzungen liegen vor.
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a) Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind erfüllt.
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aa) Die Antragstellerinnen sind in ihrer Eigenschaft als wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Der Anfechtungsberechtigung der Beteiligten zu 2. und 3. steht ihre Wahl zu Mitgliedern des Betriebsrats nicht entgegen. Auch als gewählt festgestellte Mitglieder des Betriebsrats können als wahlberechtigte Arbeitnehmer die Anfechtung betreiben (BAG 16. September 2020 - 7 ABR 30/19 - Rn. 16; 21. März 2017 - 7 ABR 19/15 - Rn. 15, BAGE 158, 256; 20. Juli 1982 - 1 ABR 19/81 - zu B III der Gründe).
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bb) Der Wahlanfechtungsantrag ist am 8. Juni 2018 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach der am 25. Mai 2018 erfolgten Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen.
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b) Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG liegen ebenfalls vor.
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aa) Der Wahlvorstand hat dadurch gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen, dass er die Stimmabgabe im Wahllokal entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 12 Abs. 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung - WO) ohne Verwendung von Wahlumschlägen durchführen ließ.
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(1) Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 WO erfolgt die Stimmabgabe durch Abgabe von Stimmzetteln in den hierfür bestimmten Umschlägen (Wahlumschlägen). Nach § 12 Abs. 3 WO gibt die Wählerin oder der Wähler ihren oder seinen Namen an und wirft den Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, in die Wahlurne ein, nachdem die Stimmabgabe in der Wählerliste vermerkt worden ist. Danach schreibt die Wahlordnung die Verwendung von Wahlumschlägen bei der Stimmabgabe vor. Diese Wahlumschläge sind vom Wahlvorstand den Wählern bereitzustellen (Fitting BetrVG 30. Aufl. § 11 WO Rn. 4; Forst in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 11 WO Rn. 2).
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(2) Die Regelungen in § 11 Abs. 1 Satz 2, § 12 Abs. 3 WO sind wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG (Forst in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 11 WO Rn. 2; HWGNRH-Huke/Nicolai BetrVG 10. Aufl. Anhang II Rn. 89; Jacobs GK-BetrVG 11. Aufl. § 11 WO Rn. 7). Es handelt sich um zwingende Bestimmungen der Wahlordnung, die dem elementaren Grundsatz der geheimen Wahl (§ 14 Abs. 1 BetrVG) dienen.
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Nach dem Grundsatz der geheimen Wahl darf die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden. Dies dient dem Zweck, den Wähler vor jeglichem sozialen Druck zu schützen (BAG 2. August 2017 - 7 ABR 42/15 - Rn. 32, BAGE 160, 27; 12. Juni 2013 - 7 ABR 77/11 - Rn. 20, BAGE 145, 225). Dadurch wird sichergestellt, dass jeder Arbeitnehmer seine Wahl in Ansehung der ihm bekannten Tatsachen und Meinungen nach seiner freien Überzeugung treffen kann (BAG 25. Oktober 2017 - 7 ABR 10/16 - Rn. 17, BAGE 161, 1). Diese Grundsätze sind insbesondere durch das Verfahren über die Stimmabgabe, den Wahlvorgang und die Stimmauszählung in §§ 11 ff. WO formalisiert und unabdingbar ausgestaltet (BAG 12. Juni 2013 - 7 ABR 77/11 - Rn. 20, aaO). Bei der Stimmabgabe wird die Wahrung des Wahlgeheimnisses dadurch gewährleistet, dass der Wähler den Stimmzettel unbeobachtet persönlich kennzeichnet und in den Wahlumschlag einlegt (vgl. zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung BAG 21. März 2018 - 7 ABR 29/16 - Rn. 31). Damit wird verhindert, dass das Stimmverhalten bei der Stimmabgabe sichtbar wird.
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Dem steht nicht entgegen, dass bei anderen als Betriebsratswahlen - etwa bei Bundestagswahlen und den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat - keine Wahlumschläge mehr verwendet werden. Bei diesen Wahlen wird auf andere Weise, nämlich durch das Erfordernis der Faltung des Stimmzettels, dem Grundsatz der geheimen Wahl Rechnung getragen. So sieht § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO in der seit dem 21. Februar 2002 geltenden Fassung vor, dass der gefaltete Stimmzettel in die Wahlurne eingeworfen wird. Der Wahlvorstand hat nach § 56 Abs. 6 Nr. 5 BWO einen Wähler ua. dann zurückzuweisen, wenn er seinen Stimmzettel so gefaltet hat, dass seine Stimmabgabe erkennbar ist. Vergleichbares gilt für die Stimmabgabe nach den Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz, zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz und zum Drittelbeteiligungsgesetz (vgl. etwa § 17 Abs. 3 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz; § 14 Abs. 3 der Verordnung zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Drittelbeteiligungsgesetz; § 15 Abs. 3 der Wahlordnung zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz). Danach erfolgt die Stimmabgabe durch Einwurf des gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne; der Wähler hat den Stimmzettel in der Weise zu falten, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist. Demgegenüber hat der Verordnungsgeber der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 12 Abs. 3 WO nicht geändert, so dass bei Betriebsratswahlen das Wahlgeheimnis nicht durch die Faltung von Stimmzetteln, sondern durch Verwendung von Wahlumschlägen zu wahren ist. Damit wird auch gewährleistet, dass bei der Auszählung Briefwahlstimmen, die im ungeöffneten Wahlumschlag in die Wahlurne einzulegen sind (§ 26 Abs. 1 Satz 2 WO), und persönlich abgegebene Stimmen nicht zu unterscheiden sind.
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(3) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts stellt die Berücksichtigung der ohne Wahlumschläge abgegebenen Stimmen bei der Ermittlung des Wahlergebnisses im vorliegenden Fall keinen eigenständigen Wahlrechtsverstoß dar. Es handelt sich nur um eine Konsequenz der vom Wahlvorstand veranlassten Durchführung der persönlichen Stimmabgabe ohne Wahlumschläge.
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bb) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 2, § 12 Abs. 3 WO das Wahlergebnis beeinflussen konnte.
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(1) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (st. Rspr., vgl. etwa BAG 16. September 2020 - 7 ABR 30/19 - Rn. 28; 18. Juli 2012 - 7 ABR 21/11 - Rn. 30 mwN).
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(2) Es ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis bei Verwendung von Wahlumschlägen anders ausgefallen wäre, denn es ist nicht undenkbar, dass Wählerinnen und Wähler sich bei der Stimmabgabe von der Annahme beeinflussen ließen, ihr Stimmverhalten könnte mangels Verwendung von Wahlumschlägen bekannt werden. Soweit der Betriebsrat geltend macht, es sei nicht dargelegt, dass Wähler konkret oder abstrakt eine Verletzung ihres Wahlgeheimnisses gefürchtet hätten, verkennt er, dass die fehlende Kausalität eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften für das Wahlergebnis positiv festzustellen ist.
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Gräfl
Klose
M. Rennpferdt
Kley
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