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BAG 29.04.2015 - 5 AZR 756/13
BAG 29.04.2015 - 5 AZR 756/13 - Annahmeverzug - Gründungszuschuss - Anspruchsübergang
Normen
§ 115 Abs 1 SGB 10, § 615 S 1 BGB, § 611 Abs 1 BGB
Vorinstanz
vorgehend ArbG Oberhausen, 8. Februar 2013, Az: 3 Ca 555/11, Teilurteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 16. Juli 2013, Az: 16 Sa 381/13, Urteil
Leitsatz
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Die für den Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X geforderte sachliche Kongruenz ist stets gegeben, wenn der Sozialleistungsträger die Sozialleistung "gleichwohl" anstelle des vom Arbeitgeber nicht gezahlten Arbeitsentgelts gewährt.
Tenor
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 2013 - 16 Sa 381/13 - wird zurückgewiesen.
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2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die dem Kläger für den Zeitraum 1. März bis 5. September 2011 zustehende Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe eines dem Kläger geleisteten Gründungszuschusses kraft Gesetzes auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen ist.
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Der 1947 geborene Kläger war seit 1979 bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, beschäftigt, zuletzt als Oberarzt in der Kardiologie zu einem Bruttomonatsgehalt iHv. 12.744,00 Euro. Nach rechtskräftiger Feststellung des Landesarbeitsgerichts endete das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen Erreichens der Altersgrenze mit Ablauf des 29. Februar 2012. Zuvor hatte die Beklagte mehrere Kündigungen ausgesprochen, deren Unwirksamkeit inzwischen rechtskräftig festgestellt ist. Im Verlaufe dieser Kündigungsrechtsstreite bezog der Kläger im Zeitraum 1. März bis 5. September 2011 aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit einen Gründungszuschuss iHv. 13.850,95 Euro.
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Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte schulde ihm für die Zeit vom 1. März bis zum 5. September 2011 Vergütung wegen Annahmeverzugs in voller Höhe und nicht vermindert um den Gründungszuschuss. Der Gründungszuschuss sei keine Sozialleistung iSv. § 115 Abs. 1 SGB X. Die Leistung werde nicht gewährt, weil ein Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt zahle, sondern um den Arbeitnehmer bei seiner Existenzgründung zu unterstützen. Der Existenzgründer könne frei entscheiden, wofür er den Gründungszuschuss verwende. Insbesondere sei er nicht verpflichtet, den Gründungszuschuss zur sozialen Sicherung oder für seinen Lebensunterhalt einzusetzen. Der Gründungszuschuss trete folglich nicht an die Stelle des Vergütungsanspruchs.
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Der Kläger hat - soweit noch erheblich - zuletzt sinngemäß beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.850,95 Euro netto nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert. Die noch streitigen Vergütungsansprüche seien auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen.
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Von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 29. Februar 2012 ausgehend hat das Arbeitsgericht über den Zahlungsantrag nicht entschieden. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich der noch streitigen Vergütung für die Monate März bis September 2011 in Höhe eines Teilbetrags von 13.850,95 Euro netto nebst Zinsen zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger ist insoweit nicht aktivlegitimiert, denn sein Anspruch ist in Höhe des für den Zeitraum 1. März bis 5. September 2011 gewährten Gründungszuschusses gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen.
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I. Nach § 115 Abs. 1 SGB X geht, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über. Ein Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X setzt danach voraus, dass der Sozialleistungsträger berechtigterweise mit eigenen Leistungen eingetreten ist, weil der Arbeitgeber unberechtigterweise seiner Leistungspflicht nicht nachgekommen ist (Kausalität). § 115 Abs. 1 SGB X schafft einen Vermögensausgleich zwischen dem Sozialleistungsträger und dem Arbeitgeber für die Fälle, in denen der Leistungsträger in Vorleistung getreten ist, weil der Arbeitgeber unberechtigterweise Entgeltansprüche nicht erfüllt (BeckOK SozR/Pohl Stand 1. März 2014 SGB X § 115 Rn. 2). Zweck der Vorschrift ist es, dem Sozialleistungsträger die Leistungen zurückzuerstatten, die nicht angefallen wären, wenn der Arbeitgeber seiner Leistungspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre. § 115 Abs. 1 SGB X soll Doppelleistungen an den Arbeitnehmer und Entlastungen des Arbeitgebers durch Sozialleistungen verhindern. Durch die - nicht erfüllten - Verpflichtungen des Arbeitgebers sollen keine finanziellen Belastungen des Sozialleistungsträgers entstehen (Bieresborn in v. Wulffen/Schütze SGB X 8. Aufl. § 115 Rn. 2). Der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X erfordert eine sachliche und zeitliche Kongruenz von Entgeltanspruch und Sozialleistung (vgl. BAG 21. März 2012 - 5 AZR 61/11 - Rn. 20, 21, BAGE 141, 95; 10. April 2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 76, 77).
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II. Die Voraussetzungen eines Anspruchsübergangs nach § 115 Abs. 1 SGB X sind hinsichtlich der noch streitigen Vergütung wegen Annahmeverzugs erfüllt.
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1. Bei den Vergütungsansprüchen des Klägers handelt es sich um übergangsfähige Entgeltleistungen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die dem Kläger wegen Annahmeverzugs gemäß § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 iVm. §§ 293 ff. BGB für den Streitzeitraum geschuldete Bruttovergütung ist Entgelt in diesem Sinne.
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2. Die Nichterfüllung der Vergütungsansprüche des Klägers durch die Beklagte für den Streitzeitraum war für die Gewährung des Gründungszuschusses kausal.
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a) Zwischen dem von der Beklagten geschuldeten Entgelt und der als Gründungszuschuss an den Kläger erbrachten Sozialleistung besteht eine sachliche Kongruenz.
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aa) Voraussetzung für eine sachliche Kongruenz ist, dass der Arbeitgeber den Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Sozialleistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Die Entstehung des Sozialleistungsverhältnisses muss auf der Nichtzahlung des Arbeitsentgelts beruhen (v. Maydell in GK-SGB X 3 § 115 Rn. 5, 11, 12; Tapper in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB X Stand 1. Dezember 2012 § 115 SGB X Rn. 37). In Betracht kommen nur solche Sozialleistungen, die eine Entgeltersatzfunktion aufweisen. Der Entgeltersatzcharakter der Sozialleistung gewährleistet eine sachliche Kongruenz von geschuldetem Arbeitsentgelt und Sozialleistung (BeckOK SozR/Pohl Stand 1. März 2014 SGB X § 115 Rn. 14, 17). Hiervon ist bei Leistungen, die der Sozialversicherungsträger als Gleichwohlgewährung erbringt, stets auszugehen (vgl. zum Arbeitslosengeld BeckOK SozR/Pohl aaO Rn. 14). Diese Leistungen treten an die Stelle des vom Arbeitgeber geschuldeten, aber unberechtigterweise nicht gezahlten Arbeitsentgelts.
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bb) Der Kläger hat den Gründungszuschuss als eine Sozialleistung nach dem Recht der Arbeitsförderung im Wege der Gleichwohlgewährung erhalten. Die Leistung wäre ihm nicht gewährt worden, wenn die Beklagte ihre Vergütungspflicht erfüllt hätte. Allerdings beruhte die Gewährung des Gründungszuschusses nicht auf den vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten, erst am 1. April 2012 in Kraft getretenen Regelungen der §§ 93, 94 SGB III, sondern den §§ 57, 58 SGB III in der bis 27. Dezember 2011 geltenden Fassung (im Folgenden aF).
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(1) Nach § 57 Abs. 1 SGB III aF hatten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit ihre Arbeitslosigkeit beendeten, unter den weiteren in § 57 SGB III aF geregelten Voraussetzungen Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Die Leistung war gemäß § 57 Abs. 3 SGB III aF bei Vorliegen von Ruhenstatbeständen nach §§ 142 bis 144 SGB III ausgeschlossen. Nach § 143 Abs. 1 SGB III in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung (im Folgenden aF) ruhte der Anspruch auf Arbeitslosengeld ua. während der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhielt oder zu beanspruchen hatte. Soweit der Arbeitslose die in Absatz 1 genannten Leistungen tatsächlich nicht erhielt, wurde nach § 143 Abs. 3 SGB III aF das Arbeitslosengeld auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhte.
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(2) Dem Kläger wäre kein Gründungszuschuss bewilligt worden, wenn die Beklagte ihm gegenüber ihre Vergütungspflicht erfüllt hätte. In diesem Fall hätte der den Anspruch nach § 57 Abs. 3 SGB III aF ausschließende Ruhenstatbestand des § 143 Abs. 1 SGB III aF vorgelegen (vgl. Gagel/Winkler SGB III Stand Dezember 2014 § 93 Rn. 52). Indem die Bewilligung gemäß § 143 Abs. 3 SGB III aF „gleichwohl“ erfolgte, dh. trotz bestehender Vergütungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte, kam dem Gründungszuschuss eine Entgeltersatzfunktion zu. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt wird deshalb, soweit der Gründungszuschuss gleichwohl gewährt wurde, von dem in § 115 SGB X gesetzlich angeordneten Anspruchsübergang erfasst (vgl. ebenso zum Überbrückungsgeld nach den früher geltenden Regelungen des § 57 SGB III Bernard in Spellbrink/Eicher Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts § 9 Rn. 104a).
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b) Auch die für einen Anspruchsübergang erforderliche zeitliche Kongruenz ist gegeben. Sie setzt keine völlige Deckung von arbeitsrechtlichem Vergütungs- und sozialrechtlichem Leistungszeitraum voraus. Entscheidend ist, für welchen Zeitraum die Leistungen des Arbeitgebers auf der einen und die des Sozialleistungsträgers auf der anderen Seite bestimmt sind (vgl. BAG 21. März 2012 - 5 AZR 61/11 - Rn. 20, 21, BAGE 141, 95; 10. April 2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 77). Die Bundesagentur für Arbeit gewährte dem Kläger - ausweislich der Bestätigung vom 5. Juni 2012 - für den Zeitraum 1. März bis 5. September 2011 einen Gründungszuschuss in unstreitiger Höhe von 13.850,95 Euro. Eine Verschiebung des Bezugszeitraums ist nicht eingetreten (vgl. dazu BAG 6. September 2006 - 5 AZR 703/05 - BAGE 119, 232).
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III. Der Gründungszuschuss ist von der Forderung des Klägers als „Nettobetrag“ in Abzug zu bringen. Sozialversicherungsbeiträge werden von der Bundesagentur für Arbeit auf den Gründungszuschuss, der nicht nur dem Lebensunterhalt, sondern auch der sozialen Absicherung des Existenzgründers dient, nicht entrichtet (BAG 21. Dezember 2010 - 10 AZB 14/10 - Rn. 14).
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IV. Der Kläger hat keinen weiteren Zinsanspruch. Gemäß § 288 Abs. 1, § 286 BGB ist die Bruttovergütung nur bis zum Zeitpunkt des Eingangs des Gründungszuschusses beim Kläger in vollem Umfang zu verzinsen, danach nur noch der um den Gründungszuschuss verminderte Betrag (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 16). Der Gründungszuschuss wurde monatlich geleistet, § 58 Abs. 1 SGB III aF. Der Kläger hat nicht behauptet, die Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit seien bei ihm erst nach Ablauf des jeweiligen Bezugsmonats eingegangen.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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