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BSG 17.07.2024 - B 7 AS 9/24 B
BSG 17.07.2024 - B 7 AS 9/24 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anspruch auf rechtliches Gehör - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - Erforderlichkeit einer erneuten Anhörungsmitteilung bei wesentlicher Änderung der Prozesssituation - Ermessen - Überprüfbarkeit - Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags zusammen mit der Entscheidung über die Berufung
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Hildesheim, 15. Dezember 2022, Az: S 24 AS 472/20, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 1. Juni 2023, Az: L 7 AS 166/23, Beschluss
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 1. Juni 2023 - L 7 AS 166/23 - wird zurückgewiesen.
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Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.10.2019 bis 30.9.2020. Der Beklagte hat nach Ablehnung dieses Mehrbedarfs im Verwaltungsverfahren im Verlauf des Klageverfahrens einen Betrag in Höhe von 10 % des Regelbedarfs als ernährungsbedingten Mehrbedarf für den streitbefangenen Zeitraum bewilligt. Die Klage auf höhere Leistungen hat das SG abgewiesen (Urteil vom 15.12.2022). Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen und gleichzeitig die Bewilligung von PKH beantragt. Vom Berichterstatter des LSG ist nach Eingang der Akten des SG der Kläger auf die Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG hingewiesen und ihm ist unter Fristsetzung die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden (Schreiben vom 3.5.2023). Nach Eingang einer weiteren Begründung des Klägers hat das LSG die Berufung zurückgewiesen und gleichzeitig die Gewährung von PKH abgelehnt (Beschluss vom 1.6.2023).
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Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG. Er macht geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft im Beschlusswege nach § 153 Abs 4 SGG entschieden. Er sei nicht ordnungsgemäß angehört worden und das LSG habe sich ermessensfehlerhaft auf einen Beschluss beschränkt, obwohl die Vorrausetzungen dieser Vorschrift nicht vorgelegen hätten. Außerdem rügt er als Verfahrensfehler, über seinen PKH-Antrag sei erst mit dem Beschluss in der Sache und damit verspätet entschieden worden.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zum Teil unbegründet und im Übrigen unzulässig.
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Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 16 mwN). Soweit der Kläger eine fehlerhafte Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG rügt, entsprechen die Ausführungen noch den Bezeichnungsvoraussetzungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde ist in diesem Punkt aber unbegründet (dazu 1). Was die weiteren Verfahrensrügen betrifft, ist die Beschwerde bereits unzulässig (dazu 2).
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1. Die Anhörung des LSG zur Entscheidung durch Beschluss ist nicht verfahrensfehlerhaft. Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vorher zu hören.
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Vorliegend ist der Kläger unter Fristsetzung auf die Möglichkeit der Zurückweisung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG hingewiesen worden (Schreiben vom 3.5.2023); er hat mit diesem Schreiben eine weitere Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, die er auch wahrgenommen hat. Zur (weiteren) Begründung der Berufung wurde der Kläger zwar nicht aufgefordert. Dies war indessen auch nicht erforderlich, denn der Kläger hatte seine Berufung bereits begründet. Das Schreiben vom 3.5.2023 entspricht daher den gesetzlichen Anforderungen.
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Soweit die Beschwerde geltend macht, eine Anhörung solle erst nach Eingang der Berufungsbegründung erfolgen und vorher nur, wenn eine Begründung nicht mehr zu erwarten sei (Hinweis auf BSG vom 26.8.2004 - B 13 RJ 203/03 B), trifft dies den vorliegenden Sachverhalt nicht. In der Rechtsprechung des BSG ist allerdings anerkannt, dass eine Anhörung insbesondere dann zu wiederholen ist, wenn sich eine Prozesssituation wesentlich geändert hat (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 153 RdNr 20 mwN). Eine solche Änderung kann sich etwa daraus ergeben, dass weiterer substantiierter Vortrag erfolgt (vgl BSG vom 2.11.2015 - B 13 R 203/15 B - RdNr 12 f; BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 156/16 B - RdNr 3; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 153 RdNr 20a). Eine solche neue Prozesssituation, die eine erneute Anhörungspflicht ausgelöst hätte, liegt hier nicht vor. Die Hinweise des Klägers in seiner weiteren Stellungnahme auf falsch interpretierte medizinische Unterlagen und auf einen höheren Mehrbedarf begründeten keine neue Prozesssituation. Für die Erinnerung an die Entscheidung über den PKH-Antrag gilt dies ebenso (zur Bedeutung einer verspäteten PKH-Entscheidung sogleich).
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2. Soweit weitere Verfahrensfehler geltend gemacht werden, ist die Beschwerde unzulässig, weil der Kläger mit der Beschwerdebegründung keinen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, als Zulassungsgrund in der gebotenen Weise bezeichnet hat.
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a) Soweit der Kläger rügt, das LSG habe sich ermessensfehlerhaft auf einen Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG beschränkt, obwohl die Vorrausetzungen dieser Vorschrift nicht vorgelegen hätten, wird dies den Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf einen fehlerhaften Gebrauch dieses Ermessens, dh auf sachfremde Erwägungen und eine grobe Fehleinschätzung überprüft werden. Eine grobe Fehleinschätzung liegt vor, wenn bei Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist (stRspr; etwa BSG vom 21.10.2021 - B 5 R 51/21 B - RdNr 4; BSG vom 12.5.2022 - B 4 AS 396/21 B - RdNr 3; vgl zum Ganzen auch Burkiczak in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 153 RdNr 83 ff). Zu den genannten Voraussetzungen und Maßgaben fehlt es an konkreten, fallbezogenen Ausführungen in der Beschwerdebegründung. Dies gilt insbesondere, soweit die Beschwerde geltend macht, das Ermessen sei auf Null reduziert, weil der Sachverhalt nicht umfassend ermittelt worden sei. Ob und welche entscheidungserheblichen Ermittlungen im Einzelnen unterblieben sind, wird nicht aufgezeigt. Ermittlungsfehler werden auch nicht - unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Alt 3 SGG) - eigenständig als Verfahrensfehler gerügt.
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Soweit der Kläger vorbringt, er habe in der ersten Instanz nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können, ist eine fehlerhafte Ermessensausübung des LSG ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Denn konkrete Umstände, die auf Verfahrensfehler des SG hindeuten und die sich auf das Berufungsverfahren ausgewirkt haben könnten, werden nicht aufgezeigt.
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b) Auch soweit der Kläger als Verfahrensfehler rügt, über seinen PKH-Antrag sei erst mit dem Beschluss in der Sache und damit verspätet entschieden worden, wird die Beschwerdebegründung den Begründungsanforderungen nicht gerecht. Zwar trifft es zu, dass die Verfahrensweise des LSG den Zweck der PKH, auch Unbemittelten den Zugang zum Rechtsschutz zu ermöglichen, verfehlt (so BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9 RdNr 9, unter Hinweis auf BVerfG <Kammer> vom 26.6.2003 - 1 BvR 1152/02 - SozR 4-1500 § 73a Nr 1). Eine Zulassung der Revision vermag dies nach stRspr allerdings nur dann zu rechtfertigen, wenn nach rückschauender Beurteilung bei einer zeitgerechten Entscheidung PKH wegen hinreichender Erfolgsaussicht zu bewilligen gewesen wäre (vgl nur BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9 RdNr 10; BSG vom 25.7.2013 - B 14 AS 101/13 B - RdNr 9; BSG vom 2.9.2019 - B 14 AS 251/18 B - RdNr 6). Hierfür ist nach dem Beschwerdevorbringen nichts ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
S. Knickrehm
Neumann
Söhngen
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