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BSG 06.03.2023 - B 11 AL 31/22 B
BSG 06.03.2023 - B 11 AL 31/22 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und Klärungsfähigkeit - fingierte frühere Arbeitslosmeldung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 137 Abs 1 Nr 2 SGB 3, § 137 Abs 2 SGB 3, § 141 SGB 3, § 323 Abs 1 S 2 SGB 3
Vorinstanz
vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 15. Januar 2021, Az: S 13 AL 45/20, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht für das Saarland, 22. September 2022, Az: L 6 AL 2/21, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 22. September 2022 wird als unzulässig verworfen.
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Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil als Zulassungsgrund weder eine grundsätzliche Bedeutung noch ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, in der gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet wird (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
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1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
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Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger, der in der Sache einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) geltend macht, hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, "ob im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs das Antragsdatum der Arbeitslosmeldung korrigiert werden kann". Diese Frage ist bereits in sich nicht schlüssig, denn die Arbeitslosmeldung ist eine materielle Anspruchsvoraussetzung des Alg (§ 137 Abs 1 Nr 2 iVm § 141 SGB III), während das Antragserfordernis in § 323 SGB III geregelt und verfahrensrechtlicher Natur ist (vgl zu den Unterschieden und den entstehungsgeschichtlichen Hintergründen nur Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 323 RdNr 32 ff, Stand Oktober 2021). Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, worauf die Frage tatsächlich abzielt. Dies kann einerseits (nur) die Antragstellung sein, worauf die allgemeinen Ausführungen zum Herstellungsanspruch hindeuten könnten, durchaus aber andererseits auch die Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung, wenn ausgeführt wird, dass sich der Kläger bei richtiger Beratung direkt am 12.9.2019 arbeitslos gemeldet hätte.
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Unabhängig davon, dass also schon keine klar formulierte Rechtsfrage vorliegt, wäre in jeder Variante des möglichen Verständnisses der Frage nicht dargelegt, warum die Frage im vorliegenden Rechtsstreit klärungsfähig sein würde. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39 und BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Deshalb hat der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darzulegen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Hieran fehlt es.
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Denn zum einen wird nicht deutlich, warum eine über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingierte frühere Antragstellung überhaupt Auswirkungen auf die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für Alg haben könnte. Das LSG hat festgestellt, dass der Kläger sich erst am 8.10.2019 arbeitslos gemeldet hat. Davon geht auch der Kläger selbst nach seinem Vorbringen aus. Fehlt es daher (auch) an einer rechtzeitigen Arbeitslosmeldung, ist nicht hinreichend dargelegt, warum die Fiktion einer früheren Antragstellung einen materiell-rechtlichen Anspruch begründen soll. Letztlich will der Kläger doch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (auch) eine frühere Arbeitslosmeldung fingieren, was nach der von ihm selbst zitierten Rechtsprechung des BSG gerade ausgeschlossen ist.
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Andererseits zeigt die Beschwerde aber auch nicht auf, warum die Anspruchsvoraussetzungen bei einer früheren Arbeitslosmeldung vorliegen sollen. Um dies zu begründen, hätte es Ausführungen dazu bedurft, dass und ab wann Arbeitslosigkeit (§ 137 Abs 1 Nr 1 iVm § 138 SGB III) vorgelegen hat, und dass die Anwartschaftszeit (§ 137 Abs 1 Nr 3 iVm § 142 SGB III) erfüllt war. Allein der Vortrag, wenn der Kläger sich am 12.9.2019 arbeitslos gemeldet hätte, "wäre ihm sein Anspruch in vollem Umfang erhalten geblieben", reicht insoweit nicht aus. Hinzu kommt, dass aus dem Beschwerdevorbringen auch nicht klar hervorgeht, ab wann der Kläger überhaupt Alg begehrt und ob bzw in welcher Weise er vom Dispositionsrecht nach § 137 Abs 2 SGB III Gebrauch machen wollte, was für die Anspruchsvoraussetzungen ebenfalls von Bedeutung sein könnte.
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2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Die Beschwerdebegründung, die als Verfahrensmangel allein eine unterbliebene Beweisaufnahme rügt, wird auch diesen Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Sie bezeichnet schon keinen im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellten oder ausdrücklich aufrecht-erhaltenen konkreten Beweisantrag.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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