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BSG 11.07.2022 - B 9 V 41/21 B
BSG 11.07.2022 - B 9 V 41/21 B - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - sozialgerichtliches Verfahren - Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz - Fiktion des Nichtvorliegens einer Klageänderung - unveränderter Klagegrund - Erforderlichkeit der vollständigen und chronologisch geordneten Darlegung des gesamten Verfahrensgangs sowie der bindenden Tatsachenfeststellungen - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Sachverhaltsschilderung - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 163 SGG, § 99 Abs 3 Nr 2 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 103 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Koblenz, 5. April 2018, Az: S 4 VH 1/16, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 17. November 2021, Az: L 4 VU 2/18, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung des inzwischen verstorbenen Ehemanns der Klägerin wegen rechtsstaatswidriger Haft in der DDR.
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Mit Urteil vom 17.11.2021 hat das LSG einen Anspruch des verstorbenen Ehemanns der Klägerin auf Entschädigungsleistungen verneint. Die Berufung sei unzulässig, soweit dieser damit erstmals eine Entscheidung über das erst während des Berufungsverfahrens diagnostizierte Plattenepithelkarzinoms des rechten Zungenrandes als Folge seiner Inhaftierung begehre, weil darin eine unzulässige Klageänderung liege. Wegen der Unzulässigkeit der so erweiterten Klage komme es auf die zu ihrer Begründung hilfsweise beantragte medizinische Sachverhaltsermittlung nicht an. Im Übrigen bedinge die Verbitterungsstörung, die als Schädigungsfolge der rechtsstaatswidrigen Haft anzuerkennen sei, keinen höheren GdS als 20.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns (§ 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB I) Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe durch die Ablehnung des hilfsweise gestellten Beweisantrags seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt und zudem die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie weder den behaupteten Verfahrensmangel noch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
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Wird - wie durch die Klägerin - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht ( § 103 SGG ) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen BSG Beschluss vom 20. 2 .2019 - B 9 SB 67/18 B - juris RdNr 6 mwN).
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Diese Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge erfüllt die Beschwerde nicht im gebotenen Maße. Es fehlt bereits an der erforderlichen zusammenhängenden, vollständigen, chronologisch geordneten und aus sich heraus verständlichen Darstellung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Tatumstände, die nach der materiellen Rechtsauffassung des LSG zu weiterer Sachaufklärung Anlass hätten geben können (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.4.2022 - B 9 SB 59/21 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 10). Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil und/oder den Gerichts- und Verwaltungsakten selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 14.2.2019 - B 9 SB 51/18 B - juris RdNr 23).
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Die Beschwerdebegründung setzt mit ihrer Schilderung des Sachverhalts erst mit dem Berufungsverfahren ein, ohne zuvor den Ablauf des Verwaltungs- und des erstinstanzlichen Verfahrens darzulegen. Somit bleibt insbesondere der genaue Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie des SG-Urteils und damit auch der beim LSG angefallene Streitgegenstand unklar. Auf dieser lückenhaften Tatsachengrundlage ist es dem Senat verwehrt, den von der Klägerin gerügten Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen § 103 SGG allein anhand der Beschwerdebegründung zu beurteilen. Das gilt insbesondere für die vermeintlich unrichtige Annahme einer unzulässigen Klageänderung in der Berufungsinstanz durch das LSG und dessen darauf gestützte Ablehnung eines Beweisantrags. Denn maßgeblich für die Fiktion des Nichtvorliegens einer Klageänderung trotz Änderung des Klageantrags ist auch im Berufungsverfahren nach § 153 Abs 1 iVm § 99 Abs 3 Nr 2 SGG, dass der Klagegrund, dh der tatsächliche Lebenssachverhalt aus dem der verstorbene Ehemann der Klägerin seinen gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruch hergeleitet hat, derselbe geblieben ist (vgl BSG Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 47/17 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 32 RdNr 12; BSG Urteil vom 5.5.2010 - B 11 AL 28/09 R - SozR 4-4300 § 57 Nr 5 RdNr 10; Guttenberger in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 99 RdNr 30; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 99 RdNr 3). Um also beurteilen zu können, ob trotz Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz der zu seiner Begründung erforderliche Lebenssachverhalt (Klagegrund) unverändert geblieben ist, hätte es der vollständigen und chronologisch geordneten Darlegung des gesamten Verfahrensgangs sowie des für die Entscheidung des LSG maßgeblichen und von ihm für das BSG bindend festgestellten Sachverhalts (vgl § 163 SGG) bedurft, an der es hier jedoch fehlt.
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Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich und kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11).
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2. Aus den genannten Gründen ebenfalls nicht hinreichend dargetan ist die behauptete grundsätzliche Bedeutung der von der Beschwerde problematisierten fachlichen Anforderungen an Sachverständige bei der Begutachtung von DDR-Haftfolgen. Eine vollständige und aus sich heraus verständliche Schilderung des für die Entscheidung des LSG erheblichen Sachverhalts und der Verfahrensgeschichte gehört auch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge (stRspr; zB BSG Beschluss vom 4.5.2021 - B 9 V 67/20 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 27.6.2018 - B 5 RE 11/17 B - juris RdNr 11, jeweils mwN; zu den Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzrüge s allgemein zB BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 V 29/20 B - juris RdNr 4 mwN). Ohne die erforderliche umfassende Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG stellt. Überdies fehlt es aber auch an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung. Denn als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das BSG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere Entscheidungen des BSG ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 9 SB 44/18 B - juris RdNr 8 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage noch nicht beantwortet hat (stRspr; zB BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 450/14 B - juris RdNr 9). Entsprechende Ausführungen fehlen jedoch.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Kaltenstein Othmer Röhl
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