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BSG 26.05.2020 - B 2 U 214/19 B
BSG 26.05.2020 - B 2 U 214/19 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - zulässige und begründete Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung der tatrichterlichen Aufklärungspflicht gem § 103 SGG - Nichtfolgen eines Beweisantrags - ohne hinreichende Begründung - objektive Sicht - Erforderlichkeit: weitere Sachaufklärung)
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 103 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Hamburg, 3. Januar 2019, Az: S 40 U 170/17
vorgehend Landessozialgericht Hamburg, 6. November 2019, Az: L 2 U 7/19, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. November 2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 1.6.2009 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
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Der Kläger war von Mai 2008 bis April 2011 als professioneller Eishockeyspieler bei der K. GmbH in K. beschäftigt. 2016 zeigte er gegenüber der Beklagten an, dass er am 1.6.2009 beim Krafttraining in seiner slowakischen Heimat einen Unfall erlitten habe, als er mit dem rechten Arm gegen eine Eisenstange geprallt sei und sich eine Muskelverletzung zugezogen habe. Die Beklagte lehnte die Feststellung eines Arbeitsunfalls mit der Begründung ab, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls nicht versichert gewesen sei. Aufgrund des Fehlens eines schriftlichen Trainingsplans mit Angaben zu Art, Umfang und Dauer der einzelnen Übungen und Trainingseinheiten sowie angesichts der fehlenden Überwachung der sportlichen Aktivitäten bestehe kein innerer Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit (Bescheid vom 8.9.2016, Widerspruchsbescheid vom 23.3.2017). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 3.1.2019). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 6.11.2019). Zwar habe der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls zum versicherten Personenkreis der Beschäftigten gehört (§ 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII), jedoch habe er keine konkrete Rechtspflicht gehabt, das Krafttraining zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Umfang und mit einem vorgegebenen Inhalt als Gegenleistung für das gezahlte Gehalt auszuführen. Würde man den inneren Zusammenhang unabhängig von einer solchen konkreten Rechtspflicht bejahen, drohe die uferlose Ausweitung des Versicherungsschutzes außerhalb der Einflusssphäre der die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung aufbringenden Unternehmer. Es lasse sich nur feststellen, dass dem Kläger mündlich als Trainingsziel vorgegeben worden sei, sich nach der Sommerpause in einem körperlichen Zustand zurückzumelden, der ein Bestehen der Leistungstests erlaube. Eine den Kläger verpflichtende konkrete Anweisung habe jedoch schon nach seinem eigenen Vortrag nicht bestanden. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, den ehemaligen Sportchef sowie den ehemaligen Mannschaftsarzt unter anderem zu der Frage, "War den ausländischen Spielern und dem Kläger das 'Vorbereitungstrainingsprogramm' (Sommertraining) allgemein bekannt bzw. mündlich oder schriftlich vorgegeben?", als Zeugen zu vernehmen, beinhalte einen unzulässigen Ausforschungsbeweis zu Tatsachen, die vom Kläger selbst nicht behauptet worden seien.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung der tatrichterlichen Aufklärungspflicht des § 103 SGG.
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II. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ist die Revision gegen eine Entscheidung des LSG zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wird der Verfahrensmangel auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gestützt, muss "er sich auf einen Beweisantrag beziehen, dem des LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist". Um den Verfahrensmangel ordnungsgemäß zu bezeichnen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG), muss die Beschwerdebegründung (a) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, (b) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (c) die Tatumstände darlegen, die den Beweisantrag betreffen und weitere Sachaufklärung erfordert hätten, (d) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (e) schildern, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN und Nr 21 RdNr 5). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung gerecht.
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2. Die formgerecht gerügte Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht des § 103 SGG liegt auch vor. Dem protokollierten und damit bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag des Klägers, den ehemaligen Sportchef sowie den ehemaligen Mannschaftsarzt zu der Frage zu vernehmen, ob ihm das Vorbereitungstrainingsprogramm vorgegeben war, ist das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.
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Es ist dabei unerheblich, ob das LSG die Ablehnung des Beweisantrags aus seiner Sicht hinreichend begründet hat, sondern es kommt allein darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr seit BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5; zuletzt Senatsbeschlüsse vom 26.11.2019 - B 2 U 122/19 B - juris RdNr 6 und vom 31.8.2017 - B 2 U 76/17 B - juris RdNr 4 sowie vom 30.3.2017 - B 2 U 181/16 B - juris RdNr 7). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (Senatsbeschlüsse aaO und BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B - juris RdNr 8), insbesondere bevor es eine Beweislastentscheidung trifft. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache (zugunsten des Beweisführenden) als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unzulässig, völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder der Fehler bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl Senatsbeschlüsse aaO sowie BSG Beschlüsse vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 406/06 B - juris RdNr 8; vom 20.10.2010 - B 13 R 511/09 B - juris RdNr 14; vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris RdNr 4 und vom 24.4.2014 - B 13 R 325/13 B - juris RdNr 13).
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Ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung hätte sich das LSG aus objektiver Sicht gedrängt fühlen müssen, den Beweisanträgen des Klägers zu folgen, den ehemaligen Sportchef sowie den ehemaligen Mannschaftsarzt als Zeugen dazu zu hören, ob ihm das Vorbereitungstrainingsprogramm zB in Form eines Trainingsplans vorgegeben war, dh ob ihm seine Arbeitgeberin die Weisung erteilt hat, ein Krafttraining zu absolvieren und es ihm zugleich freigestellt hat, dies in der Slowakei durchzuführen. Das LSG stützt seine Entscheidung maßgeblich auf den Umstand, dass den Kläger keine konkrete Rechtspflicht getroffen habe, das Training zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Umfang und mit einem vorgegebenen Inhalt als Gegenleistung für das gezahlte Gehalt auszuführen und dass keine den Kläger verpflichtende konkrete Anweisung vorgelegen habe. Nach den eigenen Ausführungen des LSG im Tatbestand hatte der Kläger jedoch bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragen, dass während der Sommerpause in seiner Heimat die vertragliche Verpflichtung bestanden habe, seine körperliche Fitness auf höchstem Niveau zu halten. Auch wenn der Verein keinen schriftlichen Trainingsplan vorgelegt habe, so seien die deutlich das Maß eines Hobbysportlers übersteigenden Trainingsziele klar vorgegeben gewesen. Daher durfte das LSG den Beweisantrag nicht als Ausforschungsbeweis "ins Blaue hinein", ablehnen, weil es damit in unzulässiger Weise das Gegenteil der vom Kläger unter Beweis gestellten Tatsache als bewiesen unterstellt hat (vgl Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 84). Das LSG hätte sich vielmehr gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag des Klägers zu der Tatsache, dass ihm von seinem Arbeitgeber das Training mündlich vorgegeben worden sei, zu entsprechen.
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Es fehlen gerade Feststellungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags und den daraus resultierenden Haupt- und Nebenpflichten des Klägers, die die Arbeitgeberin kraft ihres Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO) selbst oder durch Dritte schriftlich und mündlich hätte konkretisieren können (§§ 315, 317 BGB). Insoweit wird das LSG insbesondere zu prüfen haben, ob das Krafttraining eine Betätigung war, die wegen eines unter Umständen mündlich vorgegebenen Trainingsplans als Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Pflichten im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zwingend auszuführen war. Nur dann, wenn der Kläger im Urlaub von jeder Arbeitspflicht freigestellt oder sonst frei darin gewesen wäre, den Ort, die Zeit und die Sportart zu bestimmen, mit der er sich fit hält, würde dies gegen eine seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnende Verrichtung sprechen, weil dann das Krafttraining nicht in einem vom Arbeitgeber fremdbestimmten Gefahrenbereich stattgefunden hätte (s BSG Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 40).
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Bei dieser Sachlage ist in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Klägers nicht auszuschließen, dass die beantragte Zeugenvernehmung den Vollbeweis von Tatsachen erbracht hätte, die die Zurechnung des unfallbringenden Krafttrainings zur versicherten Tätigkeit des Klägers als Eishockeyspieler begründen hätten können.
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Die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG liegen somit vor. Der Senat hebt gemäß § 160a Abs 5 SGG die angefochtene Berufungsentscheidung auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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