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BSG 19.03.2020 - B 4 AS 54/20 B
BSG 19.03.2020 - B 4 AS 54/20 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Verwerfung der Berufung wegen Unzulässigkeit durch Beschluss des LSG - Wert des Beschwerdegegenstands - Berücksichtigung von beanstandeten Erstattungsansprüchen - fehlendes Sachurteil
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Gotha, 8. Juni 2015, Az: S 44 AS 6905/11
vorgehend Thüringer Landessozialgericht, 13. September 2019, Az: L 4 AS 57/16, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 13. September 2019 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Im Streit ist die Höhe des Anspruchs des Klägers und seiner verstorbenen Ehefrau auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.7.2011 bis 31.12.2011.
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Der Beklagte bewilligte Leistungen zunächst vorläufig (Bescheid vom 22.6.2011; Änderungsbescheid vom 30.6.2011). Der dagegen erhobene Wiederspruch blieb nach Änderungen noch im Widerspruchsverfahren erfolglos (Änderungsbescheid vom 22.8.2011; Widerspruchsbescheid vom 13.9.2011). Im Verlauf des Klageverfahrens hat der Beklagte einen weiteren Änderungsbescheid erteilt (Bescheid vom 10.11.2011) und sodann die Leistungen endgültig festgesetzt, verbunden mit Erstattungsansprüchen in Höhe von 842,52 Euro bzw 842,58 Euro für den Kläger und seine Ehefrau (Bescheide vom 3.5.2013).
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Aus der Niederschrift über die letzte mündliche Verhandlung im Klageverfahren vom 8.6.2015 ergibt sich, dass der Kläger und seine Ehefrau - nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass die Bescheide vom 3.5.2013 nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden seien - beantragt haben, "den Bescheid vom 22.6.2011 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 30.6.2011 und 22.8.2011, des Widerspruchsbescheides vom 13.9.2011, des Änderungsbescheides vom 10.11.2011 und der Erstattungsbescheide vom 3.5.2013 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von weiteren 216,49 Euro für die Zeit vom 1.7.2011 bis 31.12.2011 zu zahlen". Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.6.2015; zur Geschäftsstelle gelangt am 11.12.2015 und dem Kläger zugestellt am 17.12.2015). Das LSG hat im Berufungsverfahren zunächst den Antrag des Klägers auf PKH abgelehnt (Beschluss vom 19.7.2019). Die Berufung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie bereits unzulässig sei, denn es seien nach dem Hergang der mündlichen Verhandlung nur Leistungen in Höhe von weiteren 216,49 Euro im Streit gewesen. Nach Anhörung des Klägers hat das LSG sodann die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen (Beschluss vom 13.9.2019). Zur Begründung hat es auf den Beschluss über die Ablehnung von PKH Bezug genommen.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Außerdem rügt er als Verfahrensmangel, dass das LSG unter Verletzung von § 144 Abs 1 Satz 1 SGG nicht in der Sache entschieden und zudem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
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II. Die jedenfalls bezogen auf die Rüge eines Verfahrensmangels zulässige Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG. Der Entscheidung liegt ein formgerecht gerügter (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) zugrunde. Das LSG hätte die Berufung nicht als unzulässig ansehen, sondern in der Sache entscheiden müssen. Dies ist ein Verfahrensmangel, denn bei einem Prozessurteil handelt es sich im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (stRspr; vgl nur BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - RdNr 5; BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 651/15 B - RdNr 5, jeweils mwN).
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Entgegen der Auffassung des LSG ist die Berufung auch ohne Zulassung zulässig gewesen, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 Euro (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Die Auslegung des Klageantrags durch das LSG, wonach allein weitere Leistungen in Höhe von nur 216,46 Euro begehrt wurden, ist vom Senat als Auslegung einer Prozesserklärung vollständig zu überprüfen (vgl BSG vom 15.6.2016 - B 4 AS 651/15 B - RdNr 7; BSG vom 23.2.2017 - B 11 AL 2/16 R - RdNr 15). Diese Auslegung ist nicht nachvollziehbar. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes bzw Teilklagerücknahme muss klar und eindeutig (BSG vom 23.2.2005 - B 6 KA 77/03 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 S 7, juris RdNr 15 mwN) sowie unmissverständlich und unzweifelhaft (BSG vom 16.12.1981 - 11 RA 39/81 - BSGE 53, 44, 46 = SozR 2200 § 1397 Nr 2 S 4, juris RdNr 27) erfolgen. Daran fehlt es hier. Wenn sich jemand noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gegen Bescheide wendet, die für den streitbefangenen Zeitraum Erstattungen von mehr als 800 Euro für jeden der beiden Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft verfügen (Bescheide vom 3.5.2013), und sodann noch weitere Leistungen für diesen Zeitraum beantragt, kann nicht von einer Beschränkung des Klagebegehrens nur auf die weitere Leistungen ausgegangen werden. Denn ein Anspruch auf weitere Leistungen im Falle der hier streitbefangenen endgültigen Festsetzung von Grundsicherungsleistungen für einen bestimmten Zeitraum kommt nur in Betracht, wenn kein Erstattungsanspruch für diesen Zeitraum besteht.
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Vor diesem Hintergrund ist trotz der vom LSG gewürdigten Erklärungen des Klägers, die sich im Wesentlichen nur auf Berechnungselemente des Anspruchs beziehen, auch der Erstattungsanspruch als von der Klage umfasst anzusehen. Deshalb ist von einem Streitwert von mehr als 750 Euro und somit von einer Zulässigkeit der Berufung auch ohne Zulassung auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sein Begehren im Zeitpunkt der Berufungseinlegung (vgl BSG vom 23.2.2011 - B 11 AL 15/10 R - SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 13) beschränkt haben könnte, bestehen nicht, denn er wiederholt ausdrücklich seinen im Klageverfahren zuletzt gestellten Antrag und macht zudem deutlich, dass er sich auch gegen die Erstattung von Leistungen wendet.
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Die Entscheidung des LSG beruht auch auf diesem Verfahrensfehler, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Sachentscheidung, die dann auch nur unter den Voraussetzungen des § 153 Abs 4 SGG im Beschlusswege ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter erfolgen dürfte, zu einem anderen Ergebnis führt.
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Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.
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Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob weitere Zulassungsgründe vorliegen, denn auch in diesem Fall müsste voraussichtlich eine Zurückverweisung erfolgen (vgl nur BSG 14.12.2016 - B 13 R 204/16 B - RdNr 18; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 19d mwN).
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
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