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BSG 10.07.2012 - B 13 R 450/11 B
BSG 10.07.2012 - B 13 R 450/11 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - erheblicher Grund - Terminsverlegungsantrag - Zurückverweisung
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 30. Juli 2009, Az: S 8 R 270/08
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 2. November 2011, Az: L 2 R 456/09, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 2. November 2011 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
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Der 1960 geborene Kläger bezog von der Beklagten zeitlich befristet vom 1.9.2004 bis zum 30.4.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 21.9.2004).
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Auf seinen Weiterzahlungsantrag erkannte die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer beginnend ab 1.5.2006 an (Bescheid vom 30.3.2006). Den darüber hinausgehenden Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung lehnte sie bindend ab (Bescheid vom 31.3.2006; Widerspruchsbescheid vom 27.6.2006).
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Einen im Dezember 2007 gestellten Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.2.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.5.2008 ab.
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Das SG hat nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte sowie Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Rheumatologie Dr. M. vom 25.11.2008 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 16.3.2009 mit Urteil vom 30.7.2009 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, da er nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen noch über ein Leistungsvermögen von körperlich leichten und zeitweilig mittelschweren Arbeiten in einem zeitlichen Umfang von arbeitstäglich mindestens sechs Stunden und mehr verfüge.
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Im Berufungsverfahren hat das LSG ua ein nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 24.1.2011 erstelltes Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Forensische Psychiatrie und Neurologie Frau Dr. B. vom 3.6.2011 eingeholt. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger noch körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten im Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen zumutbar seien.
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Nachdem der Vorsitzende mit Verfügung vom 4.10.2011 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 2.11.2011 bestimmt hatte, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.10.2011 und nochmals fernmündlich am 25.10.2011 mitgeteilt, dass dem Kläger auf seinen Antrag mit Bescheid vom 2.9.2011 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in einer medizinisch-psychosomatischen Klinik bewilligt worden sei. Aus Kapazitätsgründen könne der Maßnahmebeginn bis zu vier Monaten nach der Bewilligung liegen. Die Beklagte hat angeregt, den Verhandlungstermin bis zum Eingang des Rehabilitationsentlassungsberichts zu verschieben. Dem hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.10.2011 zugestimmt.
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Das LSG hat den Beteiligten mit Schreiben vom 28.10.2011 jedoch mitgeteilt, dass es keinen Anlass für eine Terminsaufhebung sehe. In der mündlichen Verhandlung am 2.11.2011 hat der Kläger neben dem Sachantrag ua "hilfsweise" beantragt, "zu vertagen und zunächst die anstehende medizinische Reha-Maßnahme und deren Ergebnisse abzuwarten".
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Mit Urteil vom selben Tag hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe nach den erst- und zweitinstanzlich eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten noch ein Leistungsvermögen für körperlich leichte und zeitweise mittelschwere Arbeiten im Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden. Es habe kein erheblicher Grund bestanden, den Rechtsstreit zu vertagen und die Ergebnisse der medizinischen Rehabilitation abzuwarten; die Ergebnisse der dem Kläger mit dem Ziel der Stabilisierung und Besserung seines Gesundheitszustands bewilligten medizinischen Rehabilitation seien für die Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht relevant.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verfahrensmängel geltend. Er rügt ua, das LSG hätte seinem Antrag, den Termin zu vertagen und die anstehende medizinische Rehabilitationsmaßnahme und deren Ergebnisse abzuwarten, entsprechen müssen. Es liege ein Verstoß gegen § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO vor. Denn das Nichtvorliegen des Entlassungsberichts stelle einen erheblichen Grund für die Vertagung des Termins dar. Es sei nicht auszuschließen, dass entweder Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt oder weitere medizinische Sachaufklärung erfolgt wäre. Überdies sei sein mit der Beklagten übereinstimmendes Begehren auf Terminsverschiebung als Antrag auf Ruhen des Verfahrens gemäß § 202 SGG iVm § 251 ZPO auszulegen. Diesem Ruhensantrag hätte das LSG stattgeben müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem zwischenzeitlich vorliegenden ärztlichen Entlassungsbericht vom 1.2.2012 über die vom 23.11.2011 bis 4.1.2012 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme, dass er nur noch über ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden arbeitstäglich für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit und den allgemeinen Arbeitsmarkt verfüge.
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II. Auf die Beschwerde des Klägers war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
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Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), dass das LSG gemäß § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 S 1 ZPO verpflichtet gewesen wäre, die mündliche Verhandlung bis zum Eingang des ärztlichen Entlassungsberichts der Rehabilitationsmaßnahme zu vertagen, um deren Ergebnisse zu seinem Gesundheitszustand und sozialmedizinischem Leistungsvermögen berücksichtigen zu können.
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Ein iS des § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO gestellter Vertagungsantrag mit einem substantiiert geltend und gegebenenfalls glaubhaft gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (Senatsbeschluss vom 29.3.2006 - B 13 RJ 199/05 B - Juris RdNr 6; BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - Juris RdNr 7).
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Als Vertagungsgrund kommen nicht lediglich Gesichtspunkte des rechtlichen Gehörs in Betracht, sondern - ausnahmsweise - auch die Inaussichtstellung neuer aussagekräftiger Beweise im Zusammenhang mit unmittelbar bevorstehenden stationären Aufenthalten (BSG vom 16.5.1995 - 9 BV 175/94 - Juris RdNr 7).
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Zu Recht hat das LSG zwar darauf verwiesen, dass der Rechtsstreit auch ohne weitere Ermittlungen entscheidungsreif erscheinen konnte, zumal alle von der Beklagten und den Vorinstanzen gehörten orthopädischen und neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen dem Kläger übereinstimmend ein arbeitstägliches Leistungsvermögen für zumindest körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten von sechs Stunden attestiert hatten, und ferner die Beklagte die medizinische Rehabilitationsmaßnahme nicht zu Ermittlungszwecken, sondern zur Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustands des Klägers bewilligt hatte. Dennoch drängten die besonderen Umstände des vorliegenden Falles dazu, alle vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und damit die Ergebnisse des Entlassungsberichts der medizinisch-psychosomatischen Klinik abzuwarten und bei der Beurteilung des sozialmedizinischen Leistungsvermögens des Klägers zu berücksichtigen.
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Nach zutreffender Rechtsauffassung des LSG kam es entscheidend darauf an, wie das Leistungsvermögen des Klägers unter Berücksichtigung seiner Gesundheitsstörungen zu bewerten ist. Insoweit war aus den bisherigen Gutachten deutlich geworden, dass die Problematik der beim Kläger vorliegenden besonderen Fallkonstellation insbesondere in der Diskrepanz zwischen den auf orthopädischem Fachgebiet zu erhebenden Befunden und der (auch durch die Aufgabe des Minijobs als Taxifahrer deutlich gewordenen) Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit durch den Kläger selbst lag. Die sich in solchen Fällen stellenden schwierigen tatsächlichen Fragen auch auf psychiatrischem und medizinisch-psychosomatischem Fachgebiet lassen sich durch eine sozialmedizinisch ausgerichtete stationäre Beobachtung oftmals verlässlicher beantworten als durch Begutachtungen nach ambulanter Untersuchung. Wenn aber - wie hier - eine stationäre Rehabilitation von der Beklagten im laufenden Rentenverfahren bereits bewilligt worden war, zudem in nächster Zukunft anstand und der Kläger an dieser Maßnahme auch teilnehmen wollte, war es verfahrensfehlerhaft, die Tatsacheninstanz abzuschließen, ohne ihre Ergebnisse abzuwarten.
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Dem steht nicht entgegen, dass die medizinische Rehabilitationsmaßnahme zur Stabilisierung und Besserung des klägerischen Gesundheitszustands erfolgen sollte. Denn auch im Rahmen einer solchen Maßnahme geben die Ärzte der Rehabilitationseinrichtung eine eingehende sozialmedizinische Epikrise hinsichtlich des Leistungsvermögens für den allgemeinen Arbeitsmarkt ab. Darauf kam es vorliegend aber an. Auf dieser Grundlage hätte das LSG dem Vertagungsantrag entsprechen müssen.
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Anhaltspunkte, dass dadurch eine nicht zu rechtfertigende (unverhältnismäßige bzw rechtsmissbräuchliche) Verzögerung des Rechtsstreits zu befürchten war, lagen nicht vor. Insbesondere war keine (wesentlich) längere Verzögerung zu erwarten als bei Beauftragung eines Sachverständigen. Denn sowohl die Beklagte als auch der Kläger hatten übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die bereits mit Bescheid vom 2.9.2011 bewilligte stationäre Rehabilitationsmaßnahme zeitnah bevorstand bzw baldmöglichst beginnen sollte; auch wollte der Kläger an dieser Maßnahme teilnehmen. Hinzu kam, dass beide Beteiligten angeregt hatten, den Termin zu verlegen, und somit nicht auf eine Beschleunigung drängten.
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Auf der unterlassenen Terminsverlegung und den nicht berücksichtigten Ergebnissen des ärztlichen Entlassungsberichts der medizinisch-psychosomatischen Rehabilitationseinrichtung zum sozialmedizinischen Leistungsvermögen des Klägers kann das Berufungsurteil beruhen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aufgrund der dort gewonnenen Erkenntnisse ein für die Gewährung der begehrten Rente wegen voller Erwerbsminderung ausreichend gemindertes Leistungsvermögen ergeben hätte und der Kläger aufgrund dessen mit seinem Klagebegehren - zumindest teilweise - Erfolg haben könnte.
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Der Senat musste nicht mehr entscheiden, ob die von dem Kläger geltend gemachten weiteren Verfahrensmängel zutreffend bezeichnet worden sind.
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Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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