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BVerfG 10.03.2021 - 1 BvR 2583/20
BVerfG 10.03.2021 - 1 BvR 2583/20 - Anordnung der Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Erledigterklärung - hier: Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen in einem praktizierten paritätischen Wechselmodell - Wahlmöglichkeit des Antragstellers zwischen Bestellung eines Ergänzungspflegers und Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen als schwierige, nicht im PKH-Verfahren zu entscheidende Rechtsfrage
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 1628 BGB, § 1629 Abs 2 S 3 BGB, § 1796 BGB
Vorinstanz
vorgehend OLG München, 15. Oktober 2020, Az: 30 UF 1071/20, Beschluss
nachgehend BVerfG, 20. September 2021, Az: 1 BvR 2583/20, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betraf die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für ein Beschwerdeverfahren, in dem die Beschwerdeführerin die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen in einem praktizierten (paritätischen) Wechselmodell verfolgt.
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1. Die Beschwerdeführerin ist Mutter von zwei minderjährigen Kindern, die aus der Ehe mit dem Vater hervorgegangen sind. Die getrenntlebenden Eltern üben die elterliche Sorge für beide Kinder gemeinsam aus und betreuen sie mit gleichen Anteilen in einem paritätischen Wechselmodell.
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a) Im März 2020 stellte die Beschwerdeführerin beim Familiengericht einen auf § 1628 BGB gestützten Antrag auf Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen im Wege einstweiliger Anordnung. Das Familiengericht entzog beiden Eltern daraufhin mit nicht angegriffenem Beschluss auf der Grundlage von § 1629 Abs. 2, § 1796 BGB die elterliche Sorge in dem Teilbereich "Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen" und übertrug sie auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger.
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b) Hiergegen legte die Beschwerdeführerin beim Oberlandesgericht München Beschwerde ein, mit der sie insbesondere eine Verletzung ihres höchstrichterlich anerkannten Wahlrechts zwischen dem von ihr gestellten Antrag nach § 1628 BGB und einem Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen bei praktiziertem Wechselmodell rügte und beantragte Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren.
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Das Oberlandesgericht wies den Verfahrenskostenhilfeantrag der Beschwerdeführerin nach vorherigem richterlichen Hinweis mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 15. Oktober 2020 zurück, weil die eingelegte Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, der Bundesgerichtshof habe zwar für den Fall eines (paritätischen) Wechselmodells darauf hingewiesen, dass für die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen ein Ergänzungspfleger zu bestellen oder eine Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen sei (unter Verweis auf BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 - XII ZR 126/03 -, juris, Rn. 9 und BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - XII ZB 234/13 -, juris, Rn. 16). Aufgrund eines vorliegenden Interessenkonflikts zwischen den Interessen der Eltern und der Kinder im Sinne des § 1796 BGB (i.V.m. § 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB), der sich aus der im Falle eines praktizierten Wechselmodells in Betracht kommenden anteiligen Barunterhaltspflicht beider Elternteile ergebe, sei vorliegend jedoch die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil das Oberlandesgericht über eine schwierige, ungeklärte Rechtsfrage, nämlich die Frage nach einer Wahlmöglichkeit des Antragstellers zwischen einem Antrag nach § 1628 BGB und einem Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen in einem praktizierten Wechselmodell, entschieden habe.
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Mit Beschluss vom 20. November 2020 bewilligte das Oberlandesgericht der Beschwerdeführerin Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten unter Abänderung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung. Die Rechtsfrage, ob grundsätzlich eine Wahlmöglichkeit des Antragstellers besteht oder ob aufgrund eines Interessenkonflikts, den der Senat in seiner ursprünglichen Entscheidung angenommen habe, in gewissen Fallkonstellationen die Anwendbarkeit des § 1666 BGB und die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich sei, sei bislang nicht abschließend geklärt.
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Daraufhin erklärte die Beschwerdeführerin das vorliegende Verfassungsbeschwerdeverfahren für erledigt und beantragte die Anordnung der Auslagenerstattung.
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3. Der Freistaat Bayern hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
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I.
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Der Beschwerdeführerin sind ihre durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
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1. Wird eine Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt, so ist über sie nicht mehr zu entscheiden (vgl. BVerfGE 85, 109 113>). In Fällen dieser Art ist die Kammer jedoch zur Entscheidung über die Auslagenerstattung befugt (vgl. BVerfGE 72, 34 38 f.>).
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Über die Erstattung der Auslagen ist nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden, § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen dar (vgl. BVerfGE 66, 152 154>). Bei der Entscheidung ist eine Gesamtwürdigung aller bekannten Umstände vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 - 1 BvR 309/11 -, Rn. 2). Mit Blick auf die Funktion und die Tragweite verfassungsgerichtlicher Entscheidungen kommt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 85, 109 115>; 87, 394 398>; 133, 37 38 Rn. 2>). Eine Erstattung von Auslagen kommt allerdings dann in Frage, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder wenn die verfassungsrechtliche Lage ‒ etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleichliegenden Fall ‒ bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 114 ff.>; 133, 37 38 f. Rn. 2>). Vor allem dann, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft und davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt gehalten hat, kann es billig sein, dem Beschwerdeführer seine Auslagen zu erstatten (vgl. BVerfGE 85, 109 114 f.>; 87, 394 397>; 91, 146 147>; 133, 37 38 Rn. 2>).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Auslagenerstattung anzuordnen. Das Oberlandesgericht hat mit der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren der Beschwerdeführerin unter Abänderung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung zum Ausdruck gebracht, dass es das Begehren der Beschwerdeführerin selbst für berechtigt erachtet hat. Für die Auslagenerstattung ist der Freistaat Bayern als Rechtsträger heranzuziehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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