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BVerfG 09.04.2020 - 1 BvQ 22/20
BVerfG 09.04.2020 - 1 BvQ 22/20 - Ablehnung des Erlasses einer eA zur Außervollzugsetzung von § 28 Abs 1 S 1, S 2 IfSG idF vom 27.03.2020 - Ermächtigung zu Schutzmaßnahmen (§ 28 IfSG) bzw zum Verordnungserlass (§ 32 IfSG) betrifft Antragsteller nicht unmittelbar - Möglichkeit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle von auf Grundlage des §§ 28, 32 IfSG nF erlassener Rechtsverordnungen
Normen
§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 28 Abs 1 S 1 IfSG vom 27.04.2020, § 28 Abs 1 S 2 IfSG vom 27.04.2020, § 32 S 1 IfSG, § 47 Abs 1 Nr 2 VwGO, § 15 VwGOAG HE
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich wegen der im Zusammenhang mit dem Coronavirus getroffenen Grundrechtseinschränkungen gegen eine Ermächtigungsnorm des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) des Bundes.
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I.
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1. Der in Hessen lebende Antragsteller leidet seit mehreren Jahren an einer psychischen Erkrankung und einer schweren Depression. Seit November 2017 befindet er sich in ambulanter und seit August 2019 in therapeutischer Behandlung. Er begehrt mit seinem am 3. April 2020 gestellten isolierten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens für die Dauer von sechs Monaten, außer Kraft zu setzen.
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2. § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 lautet:
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Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. […]
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Darüber hinaus ermächtigt § 32 IfSG die Landesregierungen zum Erlass von Rechtsverordnungen:
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Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.
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Das Land Hessen erließ im März 2020 unter anderem die Dritte Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus. Nach deren § 1 Abs. 1 ist der Kontakt zu anderen Menschen auf das absolut nötige Minimum zu reduzieren; der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im eigenen Haushalt lebenden Person oder im Kreise der Angehörigen des eigenen Hausstandes gestattet. Diese Verordnung beruht auf § 32 Satz 1 IfSG.
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3. Der Antragsteller trägt vor, § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG verletze ihn in seinen Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und in seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Durch umfangreiche Aufenthaltsbeschränkungen, Kontakt- und Betretungsverbote sowie Schließungen von fast allen öffentlichen Einrichtungen sowie Gastronomie- und Dienstleistungsbetrieben habe sich sein Gesundheitszustand merklich verschlechtert. Die Isolation belaste ihn wegen seiner psychischen Erkrankung in besonderem Maße. Er fürchte, dass sich sein Gesundheitszustand durch die Maßnahmen soweit verschlimmern könnte, dass er unter Umständen einen Suizid begehe. Fachgerichtlicher Rechtsschutz sei offensichtlich sinn- und aussichtslos. Bei einer gesetzesunmittelbaren Verfassungsbeschwerde könne bei allgemeiner Bedeutung auf eine Erschöpfung des Rechtswegs verzichtet werden. Alle Bürger seien betroffen. Eine Vielzahl psychisch kranker Menschen treffe dies zudem in besonderem Maße.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist hier im Ergebnis deshalb unzulässig, weil der Antragsteller durch § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG nicht unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist. Die geltend gemachten Belastungen beruhen vielmehr auf einer von der Hessischen Landesregierung nach § 32 IfSG erlassenen Rechtsverordnung, gegen die der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz grundsätzlich eröffnet ist.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung darf allerdings dann nicht ergehen, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 111, 147 152 f.>; stRspr).
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2. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre hier unzulässig, weil der Antragsteller durch die beanstandete Vorschrift nicht unmittelbar in seinen Grundrechten beschränkt wird.
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a) Ein Beschwerdeführer, der ein Gesetz selbst angreift, muss geltend machen können, gerade durch die angegriffene Rechtsnorm und nicht erst durch ihren Vollzug in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 109, 279 306>; 146, 71 108>). Die Verfassungsbeschwerde kann sich nur ausnahmsweise unmittelbar gegen ein vollziehungsbedürftiges Gesetz richten, insbesondere wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten kann, weil es ihn nicht gibt oder weil er keine Kenntnis von der Maßnahme erlangt (vgl. BVerfGE 109, 279 306>; 122, 63 81 f.>).
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b) Der Antragsteller ist nicht unmittelbar durch § 28 IfSG betroffen. Die Norm ordnet selbst keine Maßnahmen an, sondern ermächtigt die Behörden notwendige Schutzmaßnahmen zu ergreifen. § 32 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, entsprechende Gebote und Verbote auch durch Rechtsverordnung zu erlassen. Die von dem Antragsteller geltend gemachten Belastungen beruhen auf einer gemäß § 32 IfSG erlassenen Rechtsverordnung. Ein Rechtsweg gegen Rechtsverordnungen ist in Hessen eröffnet. Rechtsverordnungen können grundsätzlich nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 15 HessAGVwGO im Normenkontrollverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf ihre Gültigkeit überprüft werden. § 47 Abs. 6 VwGO sieht auch die Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vor, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist. Dem Antragsteller entsteht daher durch den Verweis auf fachgerichtlichen Rechtsschutz auch kein schwerer und unzumutbarer Nachteil, § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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