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BVerfG 24.04.2018 - 1 BvR 745/17, 1 BvR 981/17
BVerfG 24.04.2018 - 1 BvR 745/17, 1 BvR 981/17 - Vizepräsident Kirchhof im Verfahren bzgl der Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkbeiträge nicht gem § 18 BVerfGG von der Mitwirkung ausgeschlossen - zudem Ablehnungsgesuche (§ 19 BVerfGG) zwar zulässig, aber unbegründet
Normen
§ 18 Abs 1 Nr 1 BVerfGG, § 18 Abs 2 BVerfGG, § 19 Abs 1 BVerfGG
Vorinstanz
vorgehend BVerwG, 25. Januar 2017, Az: 6 C 11/16, Urteil
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 3. März 2016, Az: 2 S 386/15, Urteil
vorgehend VG Stuttgart, 27. Januar 2015, Az: 3 K 1773/14, Urteil
nachgehend BVerfG, 24. September 2018, Az: 1 BvR 981/17, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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1. Vizepräsident Kirchhof ist nicht von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen.
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2. Die Ablehnungsgesuche gegen Vizepräsident Kirchhof werden als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
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A.
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Die Beschwerdeführer machen einen Ausschluss gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG und die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 19 BVerfGG des Vizepräsidenten Kirchhof wegen gutachtlicher Äußerungen seines Bruders geltend.
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I.
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Der Einführung des Rundfunkbeitrags durch Art. 1 des Fünfzehnten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 15./17./21. Dezember 2010 (Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, GBl.BW 2011, S. 477) gingen mehrjährige Reformüberlegungen voraus. Hierbei wurden mehrere Modelle zur Reform der früheren Rundfunkgebühr erörtert. Eines dieser Modelle war die Einführung einer Abgabe für Wohnungen oder Haushalte sowie Betriebsstätten, die zum nicht unerheblichen Teil in den in Kraft getretenen Rundfunkbeitragstaatsvertrag eingegangen sind.
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Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Modells erstattete unter anderem der Finanzverfassungsrechtler und ehemalige Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Paul Kirchhof im April 2010 im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio ein "Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks". Das Gutachten bejahte die Verfassungsmäßigkeit einer geräteunabhängigen Wohnungs- und Betriebsstättenabgabe und qualifizierte eine solche Abgabe finanzverfassungsrechtlich als Beitrag. In der Gesetzesbegründung zu den Umsetzungsgesetzen des Rundfunkbeitragstaatsvertrags verwiesen die Gesetzgeber neben "mehreren wissenschaftlichen Expertisen" zur Frage der abgabenrechtlichen, finanzverfassungsrechtlichen und europarechtlichen Aspekte auch auf das Gutachten von Paul Kirchhof (vgl. Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 15/197, S. 33).
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II.
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Mit Schriftsatz vom 11. April 2018 haben die Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) angeregt, den Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG wegen Verwandtschaft mit einem an der Sache Beteiligten von der Ausübung seines Richteramts auszuschließen; ersatzweise haben sie beantragt, ihn wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG abzulehnen.
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1. Zur Begründung des Ausschlusses führen die Antragsteller aus, nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG sei ein Richter des Bundesverfassungsgerichts von der Ausübung seines Richteramts unter anderem ausgeschlossen, wenn er mit einem an der Sache Beteiligten in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt sei. Vizepräsident Ferdinand Kirchhof sei der Bruder von Paul Kirchhof, welcher gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BVerfGG an der Sache beteiligt sei. Eine Beteiligung liege vor, wenn ein Richter oder ein naher Angehöriger im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG ein über § 18 Abs. 2 BVerfGG hinausgehendes besonderes, konkretes Interesse am Ausgang des Verfahrens habe, etwa weil dieser im Fall eines positiven oder negativen Verfahrensausgangs über die sich aus der Aufhebung eines Gesetzes ergebenden Rechtsfolgen hinaus unmittelbar Ansprüche geltend machen könne oder wenn gegen ihn Ansprüche erhoben werden könnten.
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Nach diesen Maßstäben sei Paul Kirchhof Beteiligter an der Sache im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG. Denn er habe nicht nur ein aus einem allgemeinen Gesichtspunkt folgendes Interesse, sondern vielmehr ein besonderes, konkretes Interesse am Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens. Sein im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio erstattetes Gutachten habe den von den Ländern beabsichtigten "Systemwechsel" als machbar bestätigt. Das Gutachten sei maßgebliche Grundlage für die daraufhin verabschiedeten Regelungen des Rundfunkbeitragstaatsvertrags geworden. Sollte der Senat nunmehr die Verfassungswidrigkeit der Regelungen des Rundfunkbeitragstaatsvertrags feststellen und sie aufheben, hätte dies für Paul Kirchhof nicht nur einen enormen Reputationsverlust zur Folge, sondern würde auch dazu führen, dass die Länder beziehungsweise die Landesrundfunkanstalten Schadensersatzansprüche gegen ihn geltend machen könnten.
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2. Zur Begründung des Befangenheitsantrags nach § 19 BVerfGG führen die Antragsteller aus, Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Vizepräsident Ferdinand Kirchhof ergäben sich über die Umstände im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG hinaus aus einer summativen Wirkung des Verwandtschaftsverhältnisses und der Tätigkeit von Paul Kirchhof, die weit über die bloße Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Beitragsmodells hinausreiche und letztlich in besonderer Weise zur Übernahme einer Gewährfunktion für die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitragstaatsvertrags in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Punkten geführt habe. Das Gutachten sei von vornherein dazu bestimmt gewesen, das Gesetzesvorhaben verfassungsrechtlich abzustützen. Ihm sei, wie der Gang des Gesetzgebungsverfahrens zeige, eine für die Entscheidung ausschlaggebende Funktion zugekommen. Angesichts dessen sei bei einer die Lebenswahrscheinlichkeit nicht außer Acht lassenden Betrachtung die Besorgnis der Antragsteller nicht von der Hand zu weisen, Vizepräsident Kirchhof könne der streitbefangenen Rechtsfrage nicht mehr mit der Unbefangenheit gegenübertreten, wie wenn sein Bruder lediglich seine wissenschaftliche Meinung geäußert hätte.
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III.
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Vizepräsident Kirchhof hat unter dem 18. April 2018 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben. Er habe sich zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags weder öffentlich noch innerhalb der Familie jemals geäußert, geschweige denn darüber diskutiert. Es liege ihm fern, aus familiärer Bindung eine bestimmte verfassungsrechtliche Sichtweise einzunehmen.
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Die Antragsteller und die Äußerungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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B.
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Vizepräsident Kirchhof ist von der Mitwirkung in den vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen (§ 18 BVerfGG, dazu I). Die Ablehnungsgesuche werden als unbegründet zurückgewiesen (§ 19 BVerfGG, dazu II).
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I.
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Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramts unter anderem ausgeschlossen, wenn er mit einem an der Sache Beteiligten in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG). Nach § 18 Abs. 2 BVerfGG gilt dabei nicht als Beteiligter, wer aufgrund nur allgemeiner Gesichtspunkte am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Daher erfordert eine Beteiligung jedenfalls eine enge, konkrete Beziehung zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens (vgl. BVerfGE 47, 105 108>).
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Zwar ist Paul Kirchhof mit dem Vizepräsidenten Kirchhof als dessen Bruder in der Seitenlinie im zweiten Grade verwandt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG). Es fehlt jedoch an einer engen, konkreten Beziehung Paul Kirchhofs zum Gegenstand des Verfahrens. Allein der Umstand, dass Paul Kirchhof in einem - von mehreren - Rechtsgutachten im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio einen wohnungs- und betriebsstättenbezogenen Rundfunkbeitrag verfassungsrechtlich befürwortet und damit einen - möglicherweise maßgeblichen - Anstoß für die Einführung der gegenwärtigen Regelung geschaffen hat, verschafft keine solche enge, konkrete Beziehung zum gegenständlichen Verfahren. Es sind keinerlei relevante unmittelbare Vorteile oder Nachteile (vgl. Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleib-treu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 18 Rn. 2 <September 2017>; Kliegel, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 18 Rn. 7) erkennbar, die Paul Kirchhof aus einer Entscheidung des Senats erwachsen könnten. Die von den Antragstellern angeführte Möglichkeit von Regressansprüchen im Falle einer stattgebenden Entscheidung des Senats erscheint fernliegend und hinge ohnehin von weiteren Zwischenschritten ab. Auch der behauptete, eventuell drohende "Reputationsverlust" durch die unterschiedliche Bewertung von Rechtsfragen würde allenfalls ein allgemeines Interesse am Ausgang des Verfahrens nach § 18 Abs. 2 BVerfGG begründen, das für die Annahme einer Beteiligtenstellung gerade nicht ausreicht.
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II.
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Die Ablehnungsgesuche sind zulässig, aber unbegründet.
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Die Ablehnung eines Richters nach § 19 BVerfGG setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich "parteilich" oder "befangen" ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 135, 248 257 Rn. 23>; 142, 9 14 Rn. 14>; 142, 18 21 Rn. 11>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 -, www.bverfg.de, Rn. 17). Allerdings kann eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG einen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts nicht rechtfertigen; es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade wegen dieser Gründe dennoch ein Richter über eine Befangenheitsablehnung von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Daher muss stets etwas Zusätzliches gegeben sein, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann (vgl. BVerfGE 135, 248 257 Rn. 24>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 -, www.bverfg.de, Rn. 20). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Richter des Bundesverfassungsgerichts über jene Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden (vgl. BVerfGE 108, 122 129>).
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Solche zusätzlichen Umstände liegen in der Person des Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof nicht vor. Darauf, ob Paul Kirchhof nach den Ausführungen der Antragsteller über die Erstattung des Gutachtens hinaus in besonderem Maße mit den Regelungen des Rundfunkbeitragstaatsvertrags in Verbindung gebracht werden kann, als deren "Urheber" anzusehen ist und eine besondere Gewähr für die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung übernommen hat, kommt es für sich genommen nicht an. Denn im Rahmen des § 19 BVerfGG müssen die zusätzlichen Umstände, die geeignet sein sollen, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen, in der Person des abgelehnten Richters vorliegen (vgl. BVerfGE 135, 248 257 ff. Rn. 25 ff.>). Allein Verwandtschaft begründet keine Besorgnis der Befangenheit. Etwaige Umstände, die eine besondere Verbindung Paul Kirchhofs zur streitgegenständlichen Regelung belegen sollen, könnten die Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG daher nur dann begründen, wenn dadurch auch die Unparteilichkeit des Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof berührt wäre. Wenn die Antragsteller insoweit darauf abheben, Vizepräsident Kirchhof könne der streitbefangenen Rechtsfrage nicht mehr mit der Unbefangenheit gegenübertreten, wie wenn sein Bruder Paul Kirchhof ohne Gutachtenauftrag lediglich seine wissenschaftliche Meinung geäußert hätte, stellt dies - unabhängig von der Überzeugungskraft dieser Differenzierung - keinen besonderen Umstand dar, der die Unparteilichkeit von Vizepräsident Kirchhof in Zweifel ziehen könnte.
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