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BVerfG 11.09.2015 - 2 BvR 2640/12
BVerfG 11.09.2015 - 2 BvR 2640/12 - Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 18. Oktober 2012, Az: 6 A 770/11, Beschluss
vorgehend VG Minden, 10. März 2011, Az: 4 K 2146/09, Urteil
nachgehend BVerfG, 14. Februar 2019, Az: 2 BvR 2781/17, Nichtannahmebeschluss
Tenor
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Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2012 - 6 A 770/11 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 10. März 2011 - 4 K 2146/09 - und der Bescheid der Bezirksregierung Detmold vom 5. August 2009 - 47 HAG - 146 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts und das Urteil des Verwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Er ist angestellter Lehrer im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl er das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.
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1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2015 <GVBl S. 499>). Sie können auch als Tarifbeschäftigte nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) angestellt werden (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23. April 2007 - BASS 21-01 Nr. 11). Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe richtet sich unter anderem nach den Vorschriften der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO).
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2. Der Beschwerdeführer erlangte 1981 die allgemeine Hochschulreife und leistete im Anschluss bis 1983 den Zivildienst ab. Er bestand nach seinem Studium 1988 die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien (Fächer: Musik und Deutsch). Den hiernach begonnenen Vorbereitungsdienst unterbrach der Beschwerdeführer nach einem halben Jahr zunächst und nahm ein Musikstudium auf, welches er 1993 mit der künstlerischen Reifeprüfung abschloss. Ab 1993 absolvierte er sodann den Vorbereitungsdienst vollständig und legte im Jahr 1995 die Zweite Staatsprüfung ab. Seit 1995 war er zunächst befristet als Aushilfsangestellter und seit 1998 unbefristet als angestellte Lehrkraft im Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen eingestellt. In den Jahren 1997, 2001 und 2002 gestellte Verbeamtungsanträge lehnte die zuständige Bezirksregierung bestandskräftig unter anderem mit der Begründung ab, dass der Ausnahmen von der Altersgrenze gestattende "Mangelfacherlass" (Runderlass vom 22. Dezember 2000 - 121 - 22/03 Nr. 1050/00) nur auf neu einzustellende Lehrkräfte angewandt werde, der Beschwerdeführer sich aber bereits im Schuldienst befunden habe.
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3. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der Laufbahnverordnung vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.
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4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) in der Fassung vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) beschloss die Landesregierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) eine teilweise Neuregelung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.
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5. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (2 C 18.07) beantragte der Beschwerdeführer im Mai 2009 erneut die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung Detmold lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5. August 2009 unter Bezugnahme auf die Neuregelung der Laufbahnverordnung ab.
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6. Die auf Neubescheidung gerichtete Klage des Beschwerdeführers wies das Verwaltungsgericht Minden mit Urteil vom 10. März 2011 ab. Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze überschritten. Die Vorschriften der §§ 52, 6, 84 LVO 2009 seien nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts wirksam. Ein Ausnahmetatbestand greife zugunsten des Beschwerdeführers nicht ein. Der 18-monatige Zivildienst könne - unterstellt, er wäre für das Überschreiten der Höchstaltersgrenze kausal geworden - diese Überschreitung nicht ausgleichen. Auch lägen die Voraussetzungen von § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO 2009 nicht vor. Die zum Teil konkludente Ablehnung der Verbeamtungsanträge des Beschwerdeführers sei jeweils bestandskräftig geworden und daher nicht mehr zu berücksichtigen. Der Dienstherr habe auch nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 die Neuregelung der Laufbahnverordnung abwarten dürfen. Allein der Umstand, dass zur Zeit der Antragstellung keine Höchstaltersgrenze bestanden habe, lasse die Anwendung der Neuregelung nicht unbillig erscheinen. Auch läge keine Verzögerung des beruflichen Werdegangs des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine - unterstellte - fehlerhafte Befristung seines Arbeitsvertrages aus dem Zeitraum 1995 bis 1996 vor. Anhaltspunkte dafür, dass eine Verbeamtung gerade des Beschwerdeführers habe verhindert werden sollen, hätten sich nicht ergeben.
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7. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht zurück. Der Beschwerdeführer lege insbesondere ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dar. Das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich seiner Entscheidung zutreffend auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt. Das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach der Laufbahnverordnung zeige der Beschwerdeführer nicht auf. Die Neuregelungen zur Höchstaltersgrenze seien auch mit Art. 33 Abs. 2 GG und mit Unionsrecht vereinbar, wie auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. Februar 2012 - 2 C 76.10 -festgestellt habe. Eine Vorlageverpflichtung zum Gerichtshof der Europäischen Union bestehe nicht. Die entscheidungserheblichen Fragen ließen sich auf Grundlage der Rechtsprechung des Gerichtshofs beantworten.
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II.
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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sowie den Bescheid der Bezirksregierung, mittelbar gegen § 6 Abs. 1, § 52 Abs. 1 LVO 2009. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 GG) und des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Einstellungshöchstalter stelle zudem eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 (ABl. L 303 vom 2. Dezember 2000, S. 16 ff.) dar.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unter Bezugnahme auf die Entscheidung und jeweiligen Stellungnahmen in den verbundenen Senatsverfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt. Eine weitere Stellungnahme ist nicht erfolgt. Die Gerichtsakten der Vorinstanzen haben der Kammer vorgelegen.
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III.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte des Beschwerdeführers ein. Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009, nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.
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3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und des Verwaltungsgerichts Minden aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag des Beschwerdeführers befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. BVerfGE 104, 337 356>).
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4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher Einstellungshöchstaltersgrenzen.
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