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BVerfG 27.09.2011 - 1 BvR 232/11
BVerfG 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 GG) durch überlange Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens bzgl Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - hier: erstinstanzliche Verfahrensdauer von über vier Jahren, keine Förderung des Verfahren seit nahezu drei Jahren - Mangels Rechtsgrundlage jedoch keine Zuerkennung einer Ausgleichszahlung im Verfassungsbeschwerdeverfahren
Normen
Art 19 Abs 4 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 95 BVerfGG, Art 6 Abs 1 MRK, §§ 19ff SGB 2, § 13 Nr 3 SGB 2, § 19 SGB 2, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 96 Abs 1 SGG
Tenor
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1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim - S 45 AS 185/07 (vormals: S 33 AS 185/07) - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) verletzt.
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2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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3. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer zu 1) lebt gemeinsam mit seinen drei am 5. Mai 1992, am 17. Januar 1994 und am 28. Februar 2000 geborenen Kindern, den Beschwerdeführern zu 2) bis 4), in einer laut Mietvertrag 110 qm großen Wohnung zur Miete. Für die Unterkunft ist eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € zu entrichten.
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Im fachgerichtlich streitigen Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 stellte der Grundsicherungsträger ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II fest. Ein solches Recht verneinte er hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 4), da diese ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken könnten (Bescheid vom 22. November 2006; Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2007; Bescheid vom 7. Januar 2011).
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2. Die Beschwerdeführer erhoben hiergegen am 14. Februar 2007 Klage, mit der sie die Gewährung höherer beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II verfolgen. Im Wesentlichen beanstanden sie, dass hinsichtlich der Leistungen für Kosten der Unterkunft nicht von der Angemessenheit der monatlichen Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € ausgegangen worden sei.
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Nachdem die Klageerwiderung des Grundsicherungsträgers eingegangen war, verfügte das Sozialgericht am 21. März 2007 unter Hinweis auf ein vor einer anderen Kammer anhängiges Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiedervorlage der Akten in zwei Monaten. Am 1. Juni 2007 wurde deswegen die Wiedervorlage der Akten in drei Monaten, am 20. September 2007 in zwei Monaten und, nach Eingang eines Schreibens der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2007, am Folgetag in drei Monaten verfügt. Noch im Oktober 2007 entschied sich das Sozialgericht nunmehr, die Ermittlungen dieser anderen Kammer in einem früher anhängigen Klageverfahren, bei dem um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für einen früheren Zeitraum gestritten wurde, abzuwarten. Die deswegen schließlich mit Verfügung vom 2. Juli 2008 durch das Sozialgericht angeregte Antragstellung auf Ruhen des Verfahrens lehnten die Beschwerdeführer mit am 14. Juli 2008 eingegangenem Schreiben ab. Danach beschränkte sich das Sozialgericht im Wesentlichen darauf, eingehende Schriftstücke der Verfahrensbeteiligten der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Bei den hauptsächlich von den Beschwerdeführern ausgehenden Schreiben ging es inhaltlich im Wesentlichen darum, dass der Grundsicherungsträger bislang überhaupt keine Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angestellt habe. Ferner führten die Beschwerdeführer regelmäßig Entscheidungen des Bundessozialgerichts an, die sich mit Leistungen für Kosten der Unterkunft befassten.
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Mit Schriftsatz vom 17. März 2010, der zwei Tage später beim Sozialgericht einging, trug der Grundsicherungsträger unter Berücksichtigung mittlerweile er-gangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die streitgegenständliche Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Hierauf erwiderten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. März 2010. Zum Zwecke der Beweiserhebung durch das Gericht benannte der Grundsicherungsträger im Schriftsatz vom 19. Mai 2010 eine der Personen, die an dem von ihm übersandten Gutachten mitgewirkt hatte. Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 lehnten die Beschwerdeführer es ab, dass die benannte Person durch das Gericht gehört werde.
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Auf die Anforderung der Verfahrensakten durch das Landessozialgericht verfügte das Sozialgericht am 16. Juli 2010 deren Übersendung und das Anlegen einer Restakte. Nachdem die Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben auf einen Bescheid vom 7. Januar 2011 eingingen, forderte das Sozialgericht den Grundsicherungsträger auf, eine Kopie hiervon zu übersenden; dem kam der Verwaltungsträger nach. Anschließend wurden keine verfahrensleitenden Verfügungen seitens des Gerichts vorgenommen. Ende April 2011 wurde die Wiedervorlage der Akten in drei Wochen verfügt. Durch Präsidiumsbeschluss des Sozialgerichts ist das Verfahren schließlich mit Wirkung ab 1. Mai 2011 von der 33. auf die 45. Kammer dieses Gerichts übertragen worden.
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3. Mit ihrer am 27. Januar 2011 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die ihres Erachtens verfassungswidrige bisherige Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und beantragen überdies die Festsetzung eines zu zahlenden Ausgleichsbetrags für die Verfahrensverzögerung. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.
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Die Beschwerdeführer tragen im Wesentlichen vor, das Sozialgericht habe das Verfahren von Anfang an nicht betrieben. Die zunächst zuständige Richterin sei überhaupt nicht tätig geworden. Mit Ausnahme des Verweises auf Ermittlungen in einem anderen Verfahren und des Versuchs, das Verfahren ruhend zu stellen, sei - nach einem Richterwechsel - im Jahre 2008 und bis Mitte 2009 das Verfahren nicht nur nicht befördert worden, sondern man habe auch den Versuch unternommen, durch übermäßig lange Fristsetzungen und verspätete Weiterleitungen von Schriftsätzen, das Verfahren zu behindern. Ebenso habe der dritte zuständige Richter, nach einem Richterwechsel im August 2009, das Verfahren in keiner Weise gefördert. Der Grundsicherungsträger sei in der Zeit zwischen September 2008 und Januar 2011 seitens des Gerichts kein einziges Mal um eine Stellungnahme gebeten worden.
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4. Das Niedersächsische Justizministerium hat am 27. Mai 2011 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint.
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Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.
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II.
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Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde und eine Stattgabe durch die Kammer zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b und § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht wenden (Art. 19 Abs. 4 GG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden (vgl. BVerfGE 60, 253 269>; 88, 118 124>; 93, 1 13>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist auch eine mögliche Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG substantiiert dargelegt worden.
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2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.
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Die Beschwerdeführer sind durch die Untätigkeit des Sozialgerichts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die von ihnen daneben angeführten Normen des Grundgesetzes - Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) - betreffen hingegen die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn (vgl. BVerfGE 82, 126 155>; 93, 99 107>).
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a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 269>; 88, 118 124>; 93, 1 13>). Dies entspricht auch den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten an Gerichtsverfahren in einem demokratischen Rechtsstaat (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juli 1997 - 125/1996/744/943 - Probstmeier/Deutschland, NJW 1997, S. 2809 2810>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. BVerfGE 55, 349 369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 215>; auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die auch aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilende Bedeutung der Sache sowie die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten und insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 335>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).
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b) Danach ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass infolge der Untätigkeit des Sozialgerichts über den Abschluss des am 14. Februar 2007 eingeleiteten erstinstanzlichen Verfahrens über Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach inzwischen über vier Jahren noch keine Klarheit besteht. Insbesondere ist nicht hinnehmbar, dass das Sozialgericht das Verfahren nunmehr in einem Zeitraum von nahezu drei Jahren in keiner Weise gefördert hat.
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aa) Zu den Rechtsangelegenheiten, die wegen ihrer Natur und ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern sind, gehören Verfahren, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um Fürsorgeleistungen wie vorliegend die Grundsicherungsleistungen gestritten wird. Solche Leistungen dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sind also auch aus der Sicht von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG von erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfGE 125, 175 222 f.>).
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bb) Die Sachmaterie war nicht in einem Maße komplex, dass sie ein derart langes Verfahren rechtfertigen könnte.
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(1) Ergeht während des Klageverfahrens ein neuer Verwaltungsakt, der den mit der Klage angefochtenen abändert (§ 96 Abs. 1 SGG), so kann allein hieraus nicht auf die Schwierigkeit der Sachmaterie geschlossen werden. So wurde vorliegend etwa durch den ohnehin erst am 7. Januar 2011 ergangenen und auf § 44 SGB X gestützten Verwaltungsakt, unter Zurücknahme des zunächst mit der Klage angefochtenen Verwaltungsaktes, ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf höhere als bereits mit jenem Bescheid gewährte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II festgestellt. Dies kann seinen Grund auch allein darin gehabt haben, dass der Grundsicherungsträger zunächst von einem Sachverhalt ausgegangen war, der sich später als unrichtig erwiesen hat (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X); und damit unabhängig davon, ob die Sachmaterie schwierig war oder nicht.
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(2) Soweit das Justizministerium einwendet, der Gang des Verfahrens sei von rechtlich komplexen und bis zu den jeweiligen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht obergerichtlich entschiedenen Fragen geprägt gewesen, so kann dem nicht gefolgt werden.
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(aa) Die Frage, ob von dem jeweiligen Einkommen der Beschwerdeführer zu 2) bis 4) ein pauschaler Betrag in Höhe von monatlich 30 € für die Beiträge zu privaten Versicherungen abzuziehen ist, ist rechtlich nicht schwierig. Die Antwort ergibt sich unzweifelhaft aus der gesetzlichen Regelung des § 13 Nr. 3 SGB II in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II- V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl I S. 2622) in der Fassung der Verordnung vom 22. August 2005 (BGBl I S. 2499). Die Frage, ob, und wenn ja, mit welchem Anteil die Kosten für die Warmwasserbereitung in der Regelleistung enthalten sind, wurde durch das Bundessozialgericht bereits in der Entscheidung vom 27. Februar 2008 (BSGE 100, 94) in den Grundzügen geklärt.
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(bb) Die im Kern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen sind, gehört zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts. Sie war bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt.
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(α) Die Beschwerdeführer begehren im Ausgangsverfahren die Gewährung höherer als die mit den angefochtenen Verwaltungsakten festgestellten beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II. Zur Begründung stützen sie sich im Wesentlichen darauf, dass die ihnen tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft entgegen der Auffassung des Grundsicherungsträgers gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als angemessen zugrunde zu legen seien. Bei dem Begriff der „Angemessenheit“ handelt es sich um einen durch die Fachgerichte vollständig überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSGE 97, 203 206>). Zwar können solche Rechtsbegriffe unter Umständen wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwal-tungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Im Hinblick auf die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist allerdings zu beachten, dass der 7b. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft im Wesentlichen in zwei Entscheidungen vom 7. November 2006 konkretisierte (vgl. BSGE 97, 231 und 254). Er orientierte sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 97, 110; 101, 194). Dem ist der später für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständig gewordene 14. Senat des Bundessozialgerichts gefolgt und hat die Angemessenheitsprüfung in einem mehrstufigen Verfahren vorgenommen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R -, ZFSH/SGB 2008, S. 422; Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R -, juris). Diesem Vorgehen hat sich der nunmehr neben dem 14. Senat ausschließlich für das Grundsicherungsrecht zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen (vgl. BSGE 102, 263).
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Danach ist die Angemessenheitsprüfung in drei Schritten vorzunehmen, wobei in einem ersten Schritt abstrakt die angemessenen Wohnungsgrößen und Wohnungsstandards bestimmt werden, in einem zweiten Schritt festgelegt wird, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlicher Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist und im dritten Schritt ermittelt wird, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Das Bundessozialgericht vertritt dabei die sogenannte „Produkttheorie“, wonach es genügt, wenn das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (vgl. BSGE 102, 263 265 f.>). Es ist Sache der gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Grundsicherungsträger, für die Angemessenheitsprüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Entscheiden sie ohne ein solches Konzept, sind sie im Rahmen der prozessualen Mitwir-kungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht schlüssig erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind (vgl. BSGE 104, 192 198 f.>). Zur Amtsermittlungspflicht des Gerichts gehört dann der Versuch, vom Grundsicherungsträger die erforderlichen Daten zu erlangen und gegebenenfalls für eine Auswertung zu sorgen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R -, NZS 2010, S. 515 517>). Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass - etwa durch Zeitablauf - keine weiteren Erkenntnisse erlangt werden können, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 199>) vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen der Hilfebedürftigen für die Unterkunft zu übernehmen, bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) in der Fassung von Art. 25 Nr. 5a des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) beziehungsweise § 12 WoGG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24. September 2008 (BGBl I S. 1856).
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(β) Da es sich bei den Leistungen für Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II um solche Leistungen handelt, die einen anderen Bedarf decken sollen als denjenigen, für den die Regelleistung bestimmt ist (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II i.d.F. vor dem 1. Januar 2011 und § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB II i.d.F. von Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 <BGBl I S. 453>), ist die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Ausgangsverfahren unabhängig davon zu prüfen gewesen, ob die Normen, nach denen die Höhe der Regelleistung im SGB II bestimmt wird, als verfassungswidrig eingestuft werden. Daher ist es unerheblich, dass das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) hierzu grundlegende Ausführungen gemacht hat.
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(γ) Ergibt sich, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht trotzdem in vollem Umfang als Unterkunftsbedarf berücksichtigt werden können. Vom Sozialgericht wäre dann noch zu prüfen, ob eine Übernahme dieser den Beschwerdeführern im fachgerichtlich streitigen Zeitraum entstandenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in Betracht kommt (BSGE 102, 263 269>).
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cc) Die Beschwerdeführer selbst haben ebenfalls nicht maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. In ihren Schreiben führten sie regelmäßig neuere Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu Leistungen für Kosten der Unterkunft an und gaben deren Inhalt wieder. Hierdurch war das Sozialgericht nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft anzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Kammer, die das zugrunde liegende Verfahren zu bearbeiten hatte beziehungsweise hat, gleichzeitig ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig war, so dass es auch deswegen nicht zu einer Verzögerung gekommen sein kann.
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dd) Eine gerichtlich zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen.
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ee) Die lange Verfahrensdauer geht vielmehr im Wesentlichen auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Das Sozialgericht hat das Verfahren nur in unzu-reichender Weise gefördert.
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(1) Ob bereits zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht zunächst den Abschluss eines bei einer anderen Kammer geführten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und dann die weiteren Ermittlungen in einem dort früher anhängig gewordenen Klageverfahren abwarten wollte, mag dahinstehen. Dem Zuwarten könnte die nachvollziehbare Erwägung zugrunde gelegen haben, dass in diesen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind. Denn auch in diesen Verfahren wurde um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gestritten, wenn auch für frühere Zeiträume.
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(2) Hingegen begegnet die Untätigkeit des Sozialgerichts nach der am 14. Juli 2008 eingegangenen Mitteilung der Beschwerdeführer, trotz der Ermittlungen des Gerichts in dem anderen Klageverfahren keinen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen zu wollen, durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte das Gericht das Verfahren dadurch fördern müssen, dass es selbst das Notwendige veranlasst, um - zunächst - die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bestimmen zu können. Die Aktivitäten des Gerichts erschöpften sich jedoch darin, eingehende Schriftsätze der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Hiervon auszunehmen ist zwar die Zeit vom 19. März bis 11. Juni 2010. Denn am 19. März 2010 trug der Grundsicherungsträger, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Das Sozialgericht hat es dann allerdings ver-säumt, nachdem die Beschwerdeführer am 11. Juni 2010 mitgeteilt hatten, der Anregung des Grundsicherungsträgers nicht näher treten zu wollen, einen der Gutachter vor dem Sozialgericht als sachverständigen Zeugen zu hören, das Ver-fahren dergestalt weiter zu fördern, dass es nun selbst Ermittlungen anstellt oder, wenn es von der Entscheidungsreife der Sache ausgeht, über das Klagebegehren zu entscheiden.
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(3) Die Verzögerungen mögen zu einem gewissen Teil auch durch den Wechsel in der Kammerbesetzung Anfang August 2009 verursacht worden sein. Dem Staat sind solche Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, NJW-RR 2010, S. 207 209>). Insoweit hätte das Sozialgericht durch sein Präsidium prüfen müssen, ob es beispielsweise die Kammer mit einem oder einer erfahreneren Richter oder Richterin besetzt oder ob die Geschäftsverteilung zu ändern ist. Letzteres hat das Präsidium des Sozialgerichts auch mit Wirkung ab 1. Mai 2011 beschlossen.
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(4) Dem Sozialgericht kommt zudem nicht zugute, dass das Landessozialgericht im Juli 2010 die Verfahrensakten angefordert hatte. Denn ob der langen Verfahrensdauer hätte es eine Zweitakte anlegen müssen.
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(5) Auch haben die Beschwerdeführer nicht nur mit ihrem mit „Beweisantrag“ überschriebenen Schreiben vom 4. Oktober 2008 Ermittlungen des Sozialgerichts hinsichtlich der Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angeregt. Sie haben zudem in ihren Schreiben vom 9. Februar 2009 und 2. März 2010 sinngemäß darauf hingewiesen, dass solche Ermittlungen immer noch nicht erfolgt seien. Es ist nicht ersichtlich, warum das Gericht dem nicht hätte folgen können.
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ff) Nach alledem ist eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grund-recht aus Art. 19 Abs. 4 GG festzustellen. Das Sozialgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst raschen Entscheidung führen.
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III.
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Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die von den Beschwerdeführern erstrebte Zuerkennung einer Ausgleichszahlung kommt im Verfassungsbeschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht in Betracht (vgl. § 95 BVerfGG).
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IV.
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Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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