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BFH 13.10.2023 - VIII B 99/22
BFH 13.10.2023 - VIII B 99/22 - Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens bei nachträglich beigezogenen Unterlagen
Normen
§ 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 FGO, § 143 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Thüringer Finanzgericht, 17. März 2022, Az: 4 K 559/19, Urteil
Leitsatz
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NV: Das Gericht berücksichtigt das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht einwandfrei, wenn es seine Entscheidung auf Umstände stützt, die sich aus Unterlagen ergeben, die erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils beigezogen wurden.
Tenor
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Die Beschwerde wird, soweit sie das Streitjahr 2011 betrifft, als unzulässig verworfen.
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Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 17.03.2022 - 4 K 559/19 aufgehoben, soweit es die Streitjahre 2012 und 2013 betrifft.
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Die Sache wird insoweit an das Thüringer Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Die Beteiligten streiten in der Sache über die Höhe von Absetzungen für Abnutzung (AfA) im Zusammenhang mit dem Umbau und der Sanierung eines Gebäudes und dabei insbesondere um die Frage, ob dabei angefallene Aufwendungen als Mietereinbauten der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) oder der Gesellschafter zu behandeln sind.
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Die Klägerin ist eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. An der Klägerin sind die Gesellschafter X, Y, Z und Q zu je einem Viertel beteiligt. Die Gesellschafter X, Y und Z sind außerdem Eigentümer des Grundstücks nebst aufstehendem Gebäude S-Allee in A, das sie in den Streitjahren 2012 und 2013 teilweise an die Klägerin zum Betrieb der Praxis und teilweise an Dritte zu Wohnzwecken vermieteten. In den Streitjahren wurde im Erdgeschoss des Gebäudes ein Anbau errichtet, um die Praxisräume zu erweitern. Die hierfür insgesamt entstandenen Kosten teilte die Klägerin in Aufwendungen für den Rohbau, der im Vermögen der Grundstücksgemeinschaft, bestehend aus den Gesellschaftern X, Y und Z, bilanziell erfasst wurde, in Aufwendungen für Mietereinbauten (152.342,34 € im Jahr 2012 und 103.336,67 € im Jahr 2013), die im Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter X, Y und Z bei der Klägerin erfasst wurden, und in Erhaltungsaufwand, der ebenfalls im Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter X, Y und Z erfasst wurde, auf. Für die als Mietereinbauten im Sonderbetriebsvermögen aktivierten Aufwendungen ermittelte die Klägerin in den Streitjahren AfA auf der Grundlage einer Nutzungsdauer von zehn Jahren.
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Der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) kam im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung zu dem Schluss, dass der Rohbau Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter X, Y und Z bei der Klägerin darstelle. Die als Mietereinbauten geltend gemachten Aufwendungen gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes, seien ebenfalls dem Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter X, Y und Z bei der Klägerin zuzurechnen und einheitlich mit diesem abzuschreiben. Gegen die entsprechend geänderten Bescheide über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung für die Jahre 2011 bis 2013 erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage vor dem Finanzgericht (FG).
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 17.03.2022 wies der Senatsvorsitzende des FG darauf hin, dass der Senat auch ohne weitere Belegvorlage davon ausgehe, dass die von der Klägerin als Mietereinbauten geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich von der Klägerin und nicht von der Grundstücksgemeinschaft getragen worden seien. Im Laufe des Sitzungstags verkündete der Senatsvorsitzende die Entscheidung, mit der der Klage teilweise stattgegeben wurde.
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Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung forderte der Senatsvorsitzende bei der Klägerin weitere Unterlagen zur Zuordnung der Baukosten der Umbau- und Sanierungsmaßnahmen für die Immobilie S-Allee in A an. Von dieser Anforderung wurde das FA nicht unterrichtet. Mit Schreiben vom 02.06.2022 übersandte die Klägerin dem FG unter anderem eine Aufstellung der Baukosten, aus der sich eine Zuordnung zur Grundstücksgemeinschaft, bestehend aus den Gesellschaftern Y, X und Z einerseits und zum Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter Y, X und Z bei der Klägerin andererseits ergab. Diese Aufstellung leitete das FG nicht an das FA weiter. Am 20.07.2022 gelangten die Urteilsgründe zur Geschäftsstelle, in denen das FG zur Begründung seiner Auffassung, dass die als Mietereinbauten geltend gemachten Aufwendungen als solche zu behandeln und über eine Nutzungsdauer von zehn Jahren abzuschreiben seien, die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 02.06.2022 übersandte Baukostenaufstellung heranzog. Die Baukostenaufstellung wurde dem Urteil als Anlage beigefügt und mit diesem der Klägerin und dem FA zugestellt.
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Mit seiner gegen das Urteil erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde rügt das FA im Wesentlichen einen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler in Gestalt einer fehlerhaften Beweiswürdigung und Verfahrensfehler.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg.
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1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie das Streitjahr 2011 betrifft. Insoweit hat das FA keinen Grund zur Zulassung der Revision im Sinne des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt, obwohl dies gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO für eine ordnungsgemäße Begründung der Beschwerde erforderlich ist.
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2. Soweit sie die Streitjahre 2012 und 2013 betrifft, ist die Beschwerde begründet. Sie führt insoweit unter Anwendung des § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
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a) Dem FG ist ein Verfahrensfehler gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO unterlaufen. Es hat bei seiner Würdigung, dass die Klägerin als Mieterin zumindest teilweise die Kosten der Umbaumaßnahmen getragen habe und deshalb die Voraussetzungen für die Annahme von Mietereinbauten vorliegen, das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht einwandfrei berücksichtigt.
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aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gesamtergebnis des Verfahrens umfasst den gesamten durch das Klagebegehren begrenzten und durch die Sachaufklärung des Gerichts und die Mitverantwortung der Beteiligten konkretisierten Prozessstoff (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 04.02.2021 - VIII B 38/20, BFH/NV 2021, 641, Rz 3). Das Gesamtergebnis des Verfahrens wird insbesondere konkretisiert durch die Schriftsätze der Beteiligten, ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sowie in einem etwaigen Erörterungstermin, ihr Verhalten, die den Streitfall betreffenden Steuerakten, beigezogene Akten eines anderen Verfahrens, vom Gericht eingeholte Auskünfte, Urkunden und die aufgrund einer gegebenenfalls durchgeführten Beweisaufnahme gewonnenen Beweisergebnisse. Auch offenkundige und gerichtsbekannte Tatsachen sind zu berücksichtigen (BFH-Beschlüsse vom 23.04.2020 - X B 156/19, BFH/NV 2020, 1077, Rz 10; vom 20.09.2022 - VIII B 135/21, BFH/NV 2022, 1301, Rz 4).
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bb) Für eine einwandfreie Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens darf das Gericht weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden noch seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen. Ebenso wenig darf das Gericht Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung ankommt, ungeprüft behaupten. Es darf auch nicht von einem entscheidungserheblichen Sachverhalt ausgehen, der in den Akten keine Stütze findet oder der nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird (BFH-Beschlüsse vom 23.04.2020 - X B 156/19, BFH/NV 2020, 1077, Rz 11; vom 20.09.2022 - VIII B 135/21, BFH/NV 2022, 1301, Rz 5). Das Gericht darf seine Entscheidung außerdem nicht auf Umstände stützen, die sich aus Unterlagen ergeben, die erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils beigezogen wurden.
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cc) Indem das FG seine Entscheidung maßgeblich auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 02.06.2022 eingereichte Baukostenaufstellung gestützt hat, hat es Umstände berücksichtigt, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens gehörten. Diese Baukostenaufstellung war nicht Gegenstand des Verfahrens, weil das FG sie erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils am 17.03.2022 im Rahmen einer weiteren Sachaufklärung beigezogen hat. Die Aussage in der Vorentscheidung, die Baukostenaufstellung sei bereits im Verwaltungsverfahren eingereicht worden und damit als Bestandteil der beigezogenen Akten zum Gegenstand des Verfahrens geworden, kann der Senat anhand der ihm vorliegenden Akten des FA nicht nachvollziehen. Auch das FA hat in seiner Beschwerdebegründung bestritten, dass ihm die Baukostenaufstellung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegt worden war.
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b) Der Senat hält es für zweckmäßig und sachgerecht, die Vorentscheidung betreffend die Streitjahre 2012 und 2013 aufzuheben und die Sache gemäß § 116 Abs. 6 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
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Das FG wird im zweiten Rechtsgang die Baukostenaufstellung in das Verfahren einzuführen und dem FA Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben haben. Zudem wird es sich mit den weiteren in der Beschwerdebegründung des FA angesprochenen und als fehlerhaft oder widersprüchlich gerügten Feststellungen zur Kostentragung für die Umbaumaßnahmen und einem im Ergebnis doppelten Abzug einzelner Kostenpositionen auseinanderzusetzen haben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Das FG hat mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten des durch diesen Beschluss rechtskräftig abgeschlossenen Teil des Verfahrens zu entscheiden (vgl. BFH-Urteile vom 17.11.2011 - IV R 2/09, BFH/NV 2012, 1309; vom 13.06.2013 - III R 10/11, BFH/NV 2013, 1868; BFH-Beschluss vom 11.12.2013 - XI B 33/13, BFH/NV 2014, 714, Rz 22).
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