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BFH 23.08.2016 - V R 10/15
BFH 23.08.2016 - V R 10/15 - (Kindergeld: Persönliche Anspruchsberechtigung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten - Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 23.08.2016 V R 19/15)
Normen
§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009, Art 67 S 1 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009, EStG VZ 2012
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 2. Februar 2015, Az: 14 K 1165/13 Kg, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009 führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Anschluss an BFH Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612) .
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 2. Februar 2015 14 K 1165/13 Kg aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist polnische Staatsbürgerin, die in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) lebt und als Gewerbetreibende selbständig ist. Sie ist Mutter der Kinder E (geboren 1994) und P (geboren 1996), die im Streitzeitraum in Polen im Haushalt des von der Klägerin geschiedenen Kindsvaters lebten und dort eine Schule oder Hochschule besuchten. Familienleistungen nach polnischem Recht wurden nicht gewährt.
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Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte einen Antrag der Klägerin auf Kindergeld für ihre beiden Kinder ab Juli 2012 ab, da der Kindsvater vorrangig kindergeldberechtigt sei. Den dagegen eingelegten Einspruch wies sie im März 2013 zurück. Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse mit Urteil vom 2. Februar 2015 14 K 1165/13 Kg, Kindergeld für E und P festzusetzen. Dagegen wendet sich die Familienkasse mit der Revision.
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Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 21. April 2015 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Trapkowski C-378/14 ausgesetzt. Nach Veröffentlichung des EuGH-Urteils Trapkowski vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich zu dem EuGH-Urteil zu äußern. Die Familienkasse ist der Auffassung, der EuGH habe ihren Rechtsstandpunkt bestätigt.
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Die Familienkasse beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Klägerin ist durch ihren Ehemann, der nicht zu den in § 62 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Personen gehört, der Rechtsauffassung der Familienkasse entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG-Urteil verletzt § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Danach hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.
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1. Die Klägerin ist zwar kindergeldberechtigt, weil sie in Deutschland lebt und Mutter einer Tochter ist, die ihren Wohnsitz in Polen hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 EStG) und für die ein Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sowie eines Sohnes, der seinen Wohnsitz gleichfalls in Polen hatte und für den auch ein Anspruch auf Kindergeld besteht (§ 32 Abs. 3 EStG).
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Die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes; denn mit Blick auf das Unionsrecht ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der Kindsvater vorrangig anspruchsberechtigt.
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a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
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b) Eine Person hat nach Art. 67 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) --wie hier die Klägerin nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 883/2004-- Anspruch auf Familienleistungen (wie hier Kindergeld nach Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j VO Nr. 883/2004) nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats (hier: Deutschland gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO Nr. 883/2004) auch für Familienangehörige, die zwar in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, die aber so behandelt werden, als wohnten sie im zuständigen Mitgliedstaat. Denn bei der Anwendung von Art. 67 und 68 VO Nr. 883/2004 ist nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle Beteiligten --insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt-- unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen (dazu eingehend EuGH-Urteil Trapkowski, EU:C:2015:720, DStRE 2015, 1501).
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Diese Fiktion führt dazu, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht, wenn dieser das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (vgl. dazu im Einzelnen BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFHE 253, 136, BStBl II 2016, 612).
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c) So verhält es sich im Streitfall: E und P leben im Haushalt des ebenfalls kindergeldberechtigten Kindsvaters, so dass die Klägerin gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG keinen Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldes hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Kindsvater ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer ist (vgl. § 62 Abs. 2 EStG), bestehen nicht.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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