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BFH 13.04.2016 - III R 24/15
BFH 13.04.2016 - III R 24/15 - Kindergeld: Kein Einspruch gegen die in der Einspruchsentscheidung enthaltene Kostenentscheidung - Beschwer als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Revision - Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Vorverfahren
Normen
§ 77 Abs 1 EStG 2009, § 77 Abs 2 EStG 2009, § 40 Abs 2 FGO, § 139 Abs 3 S 3 FGO, § 149 FGO, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 25. März 2015, Az: 15 K 3756/14 Kg, Urteil
nachgehend FG Düsseldorf, 10. August 2016, Az: 15 K 1864/16 Kg, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Wendet sich ein Einspruchsführer gegen die im Rahmen einer Einspruchsentscheidung ergangene Kostenentscheidung nach § 77 Abs. 1, 2 EStG, ist statthafter Rechtsbehelf ausschließlich die Klage, nicht (auch) der Einspruch (vgl. Senatsurteil vom 13. Mai 2015 III R 8/14, BFHE 249, 422, BStBl II 2015, 844).
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2. NV: Wird die Klage entsprechend dem Antrag des Beklagten abgewiesen, erfordert die Revision dessen materielle Beschwer. Eine derartige materielle Beschwer liegt wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung auch dann vor, wenn das FG die Klage statt durch Sachurteil durch Prozessurteil als unzulässig abweist, es sei denn, der Beklagte kann nach dem Prozessurteil nicht mehr mit einer neuen Klage überzogen werden.
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3. NV: Der Urkundsbeamte des FG darf in einem nach § 149 FGO ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss nicht über die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Vorverfahren entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob eine Entscheidung nach § 77 EStG oder nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO ergeht. Im erstgenannten Fall entscheidet die Familienkasse oder bei Streit hierüber das FG, im zweitgenannten Fall das FG.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 25. März 2015 15 K 3756/14 Kg aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Mutter des im Jahr 1989 geborenen Sohnes (J). Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 11. August 2014 gegenüber der Klägerin die Kindergeldfestsetzung für J für den Zeitraum Oktober 2011 bis einschließlich März 2013 auf und forderte das für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld zurück. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein.
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Mit Bescheid vom 17. September 2014 änderte die Familienkasse den angefochtenen Bescheid gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) dahingehend ab, dass Kindergeld für J für den Zeitraum September 2012 bis April 2013 zu Recht gezahlt worden sei sowie für die Monate ab Mai 2013 weitergezahlt werde.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 18. November 2014 wies die Familienkasse den Einspruch nach Erlass des Änderungsbescheids vom 17. September 2014 als unbegründet zurück. Da die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung von J für den Zeitraum Oktober 2011 bis August 2012 nicht gegeben seien, sei der Einspruch nach Erlass des Änderungsbescheids vom 17. September 2014 nicht mehr begründet. In der Einspruchsentscheidung wurde zugleich unter Bezugnahme auf § 77 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entschieden, dass die der Klägerin im Rechtsbehelfsverfahren gegebenenfalls entstandenen Aufwendungen nicht übernommen würden (sog. Kostengrundentscheidung; nachfolgend Kostenentscheidung). Außerdem enthielt sie die einheitliche Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen diese Entscheidung beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben werden könne.
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Mit der dagegen gerichteten Klage --eingegangen beim FG am 27. November 2014-- begehrte die Klägerin, die Familienkasse zur Erstattung der ihr im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten zu verpflichten.
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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 1380 veröffentlichten Prozessurteil ab, weil es an der Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens gefehlt habe; die Klägerin habe bereits keinen Einspruch gegen die Kostenentscheidung nach § 77 EStG eingelegt. Auch wenn die Kostenentscheidung --wie hier-- mit der Einspruchsentscheidung verbunden werde, stelle sie einen eigenständigen Verwaltungsakt dar, der keine Einspruchsentscheidung i.S. des § 348 Nr. 1 AO sei. Die Verfahrenskosten erlegte das FG nach § 137 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Familienkasse auf, weil die in der Einspruchsentscheidung vom 18. November 2014 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung unzutreffend gewesen sei.
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Mit der Revision macht die Familienkasse eine Verletzung des § 348 Nr. 1 AO geltend.
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Sie beantragt,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 25. März 2015 15 K 3756/14 Kg aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Der Einspruchsentscheidung vom 18. November 2014 hätte es angesichts des Bescheids der Familienkasse vom 17. September 2014 nicht bedurft, weil sich damit das Einspruchsbegehren erledigt habe. Zudem fehle der Familienkasse das Rechtsschutzbedürfnis. Das FG habe mit Beschluss vom 1. September 2015 über die Kostenerstattung nach § 77 EStG entschieden, wogegen die Familienkasse kein Rechtsmittel eingelegt, sondern vielmehr ihr --der Klägerin-- die festgesetzten Kosten erstattet habe.
Entscheidungsgründe
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II. Die zulässige Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
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1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist die Familienkasse durch die hier als unzulässig statt als unbegründet abgewiesene Klage beschwert.
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a) Wird die Klage --wie hier-- entsprechend dem Antrag des Beklagten abgewiesen, erfordert die Revision dessen materielle Beschwer (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. April 2009 X R 16/06, BFHE 225, 4, BStBl II 2009, 732, unter II.1., m.w.N.). Eine derartige materielle Beschwer liegt wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung auch dann vor, wenn das FG die Klage statt durch Sachurteil durch Prozessurteil als unzulässig abweist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 2009 V R 81/07, BFHE 225, 193, BStBl II 2010, 109, unter II.1., m.w.N.), es sei denn, der Beklagte kann nach dem Prozessurteil nicht mehr mit einer neuen Klage überzogen werden (BFH-Beschluss vom 28. November 2007 I R 7/07, BFH/NV 2008, 986, unter II.1., m.w.N.). Hiernach ist die Familienkasse im Streitfall materiell beschwert, weil sich bei Rechtskraft der Vorentscheidung --nach Durchführung des aus Sicht des FG statthaften Einspruchsverfahrens-- eine Klage anschließen könnte.
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b) Entgegen der Auffassung der Klägerin fehlt der Revision auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil das FG bereits mit Beschluss vom 1. September 2015 15 K 3756/14 Kg über die Kostenerstattung nach § 77 EStG entschieden habe. Denn der nach § 149 FGO ergangene Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des FG enthielt --zu Recht-- keine Regelung hinsichtlich der Aufwendungen, die durch das Einspruchsverfahren betreffend die Kindergeldfestsetzung entstanden sind. Der Urkundsbeamte darf nicht über die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Vorverfahren entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob eine Entscheidung nach § 77 EStG oder nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO ergeht. Im erstgenannten Fall entscheidet die Familienkasse oder bei Streit hierüber das FG, im zweitgenannten Fall das FG (vgl. z.B. Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 139 Rz 132).
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2. Die Revision ist auch begründet. Denn das FG hat die Klage zu Unrecht mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, es fehle an dem nach § 44 FGO erforderlichen Vorverfahren.
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a) Wendet sich ein Einspruchsführer gegen die im Rahmen einer Einspruchsentscheidung ergangene Kostenentscheidung nach § 77 Abs. 1, 2 EStG, ist --wie der Senat jüngst mit Urteil vom 13. Mai 2015 III R 8/14 (BFHE 249, 422, BStBl II 2015, 844, Rz 11) entschieden hat-- statthafter Rechtsbehelf ausschließlich die Klage, nicht (auch) der Einspruch. Auf die Gründe dieses bei Ergehen der hier mit Revision angegriffenen Vorentscheidung noch nicht ergangenen Senatsurteils wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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b) Die angegriffene Entscheidung entspricht nicht diesen Grundsätzen. Die Klägerin musste gegen die Kostenentscheidung vom 18. November 2014 Klage erheben. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen, da die Kostenentscheidung im Streitfall im Rahmen der Einspruchsentscheidung getroffen wurde.
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Selbst wenn es --wie die Klägerin meint-- keiner Einspruchsentscheidung bedurft hätte, weil (nach ihrem Vorbringen) das Einspruchsverfahren nicht den Zeitraum Oktober 2011 bis August 2012 umfasst habe, läge nicht die Situation eines Vollabhilfebescheids vor, gegen den der Einspruch statthaft wäre (BFH-Urteil vom 18. April 2007 XI R 47/05, BFHE 217, 18, BStBl II 2007, 736, unter II.1.a). Denn die Familienkasse hat vielmehr trotz des Abhilfebescheids vom 17. September 2014 am 18. November 2014 eine förmliche Einspruchsentscheidung getroffen, gegen welche die Klage statthaft ist.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif und daher gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
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a) Soweit der Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung erfolgreich ist, hat die Familienkasse demjenigen, der den Einspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (§ 77 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Kostenquote richtet sich nach dem Verhältnis des Erfolgs zum Misserfolg des Einspruchs, wobei sich das Maß des Unterliegens und Obsiegens nach dem Antragsbegehren und seinem endgültigen Erfolg richtet. Für diese Zwecke ist die Höhe des begehrten Kindergeldes ins Verhältnis zur Höhe des tatsächlich zugesprochenen Kindergeldes zu setzen (Senatsurteil in BFHE 249, 422, BStBl II 2015, 844, Rz 37). Im Ergebnis ist damit auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf den Inhalt der (ggf. bestandskräftigen) Einspruchsentscheidung abzustellen. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 77 Abs. 1 Satz 3 EStG).
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b) Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG lassen keine abschließende Beurteilung des Senats zu, ob die Familienkasse die Erstattung der notwendigen Aufwendungen für das Einspruchsverfahren zu Recht abgelehnt hat. Die Einspruchsschreiben vom 19. August 2014 lassen vermuten, dass die Klägerin sich damit nur gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab September 2012 wenden wollte. Diesem Begehren wäre mit dem Abhilfebescheid der Familienkasse vom 17. September 2014 umfassend entsprochen worden. Sollte der Klägerin mangels Verschulden ein Erstattungsanspruch nach § 77 Abs. 1 und 2 EStG zustehen, spricht somit viel dafür, dass der Einspruch in vollem Umfang erfolgreich war. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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