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BFH 16.05.2013 - V R 23/12
BFH 16.05.2013 - V R 23/12 - Bedeutung des Widerrufs einer verbindlichen Auskunft für das Klageverfahren gegen eine Steuerfestsetzung
Normen
§ 74 FGO, § 89 Abs 2 AO, § 2 Abs 1 StAuskV, § 2 Abs 2 StAuskV
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 23. Juli 2012, Az: 9 K 2780/09, Urteil
Leitsatz
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Widerruft das FA eine verbindliche Auskunft, ist das Klageverfahren gegen eine Steuerfestsetzung, für die die verbindliche Auskunft ohne den Widerruf bindend wäre, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Widerruf gemäß § 74 FGO auszusetzen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erbrachte im Streitzeitraum entgeltliche Leistungen durch die Nutzungsüberlassung sog. Floating-Tanks. Diese enthielten konzentrierte Salzwasserlösungen, so dass beim sog. Floaten die Last des eigenen Körpergewichts entfiel und sich Muskeln entspannen konnten. Die Tanks waren schallisoliert, wodurch der "sensorische Input" auf ein Minimum reduziert wurde. Die durchschnittliche Dauer einer Anwendung betrug 50 bis 60 Minuten.
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Die Methode wurde zur Entspannung im Wellnessbereich sowie zu therapeutischen Zwecken wie z.B. zur Heilung stressbedingter Erkrankungen und Bluthochdruck, in der Orthopädie, Dermatologie und Sportmedizin eingesetzt. Es handelte sich --eine medizinische Indikation vorausgesetzt-- um eine physikalische Therapieform.
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Auf Antrag vom 11. Dezember 2007 hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs am 23. Januar 2008 eine verbindliche Auskunft erteilt, nach der die Floating-Leistungen der Klägerin dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) unterliegen. Mit Schreiben vom 26. Januar 2009 widerrief das FA die verbindliche Auskunft. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, über den das FA noch nicht entschieden hat.
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In ihrer Umsatzsteuervoranmeldung I/2009 meldete die Klägerin Umsätze in Höhe von ... € an und beantragte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Das FA lehnte dies ab und setzte mit Bescheid vom 25. September 2009 die Umsatzsteuer auf die Floating-Leistungen nach dem Regelsteuersatz fest.
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Hiergegen erhob die Klägerin Sprungklage zum Finanzgericht (FG) nach § 45 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), der das FA mit Schreiben vom 17. Juli 2009 zustimmte.
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Während des FG-Verfahrens änderte das FA den Umsatzsteuerbescheid I/2009 durch Bescheid vom 6. Juli 2009, der gemäß § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens wurde, da die verbindliche Auskunft noch für Januar 2009 Wirkung entfaltet habe und minderte die Umsatzsteuer entsprechend.
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Mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 2323 veröffentlichten Urteil wies das FG die Klage ab, da die Klägerin nicht den Nachweis erbracht habe, dass das Floating als medizinische Heilbehandlung genutzt werde und damit ein Heilbad vorliege.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie biete Salzwasser-Schwebebäder in speziellen Kapseln (sog. Floating-Tanks). Dabei handele es sich um einen wannenartigen Behälter, in dem der Kunde in einer natürlichen Sole aus Wasser und Salz schwebe. Dies habe positive Auswirkungen auf den menschlichen Organismus. So werde z.B. die Wirbelsäule entlastet, hoher Blutdruck gesenkt oder Stress reduziert. Hierzu habe sie dem FG zahlreiche Stellungnahmen namhafter Experten vorgelegt. Hieraus ergebe sich, dass ihre Kunden das Floating als medizinische Heilbehandlung nutzten und ein Heilbad i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG vorliege. Die gegenteilige Auffassung des FG entspreche nicht der bisherigen Rechtsprechung. Sie habe auch Nachweise durch Kundenbefragungen erbracht.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und den Bescheid zur Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung I/2009 vom 6. Juli 2009 dahingehend abzuändern, dass die Vorauszahlung auf ... € festgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Während des Revisionsverfahrens erging der Umsatzsteuer-Jahressteuerbescheid 2009 vom 5. September 2012.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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1. Das Urteil des FG war aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil der während des Revisionsverfahrens ergangene Umsatzsteuer–Jahresbescheid für 2009 vom 5. September 2012 gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid I/2009, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, ersetzt hat und nunmehr Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. November 2005 V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1., und vom 17. Dezember 2008 XI R 79/07, BFHE 224, 156, BStBl II 2009, 434, unter II.1.). Da das FG über einen nicht mehr existenten Bescheid entschieden hat, kann das Urteil keinen Bestand haben.
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Auch wenn der Änderungsbescheid den Streitstoff nicht berührt hat, wie die Klägerin mitgeteilt hat, scheidet im Streitfall eine Sachentscheidung des BFH aus, weil das Urteil an einem Verfahrensmangel leidet. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO)
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2. Verfahrensfehlerhaft hat das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzung nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt, bis über den Einspruch gegen den Widerruf der verbindlichen Auskunft abschließend entschieden ist, denn die Entscheidung über die Wirksamkeit des Widerrufs der am 23. Januar 2008 erteilten Zusage ist vorgreiflich für die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr 2009.
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a) Unterlässt das FG eine gebotene Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO, liegt darin ein Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens (BFH-Entscheidungen vom 17. Dezember 2003 I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; vom 9. Februar 2005 X R 52/03, BFH/NV 2005, 1235; vom 16. November 2006 XI B 156/05, BFH/NV 2007, 401, und vom 31. Mai 2010 X B 162/09, BFH/NV 2010, 2011, jeweils m.w.N.), der von Amts wegen zu berücksichtigen ist (BFH-Urteile vom 9. September 2010 IV R 31/08, BFH/NV 2011, 413; vom 14. Februar 2008 IV R 44/05, BFH/NV 2008, 1156, m.w.N.).
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b) Voraussetzung für die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine Abhängigkeit zwischen zwei anhängigen Verfahren in diesem Sinne besteht, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits (hier des Verfahrens gegen die Umsatzsteuer-Festsetzung für 2009) von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren (hier dem Einspruchsverfahren gegen den Widerruf einer bereits erteilten Zusage in Bezug auf die dem geänderten Umsatzsteuerbescheid zugrunde liegende Streitfrage, ob auf die Floating-Leistungen der Klägerin der ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden ist) in der Sache beeinflusst werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn ein Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer erteilten verbindlichen Auskunft gestritten wird, ist wegen der Bindung an eine erteilte Auskunft --anders als ein Verfahren über einen erfolglosen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft (Negativbescheid)-- i.S. des § 74 FGO vorgreiflich für das entsprechende Festsetzungsverfahren.
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aa) Nach § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) kann der Steuerpflichtige aus Gründen der Planungs- und Entscheidungssicherheit eine verbindliche Auskunft (Zusage) darüber verlangen, wie ein in der Zukunft liegender Besteuerungstatbestand steuerrechtlich zu beurteilen ist. Nach § 2 Abs. 1 der ab dem 8. Dezember 2007 geltenden Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 AO (Steuer-Auskunftsverordnung --StAuskV--) ist die von der nach § 89 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO zuständigen Finanzbehörde erteilte verbindliche Auskunft für die Besteuerung des Antragstellers bindend, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht. Die verbindliche Auskunft ist nur dann nicht bindend, wenn sie --anders als im Streitfall, in dem das FA zugunsten der Klägerin zugesagt hat, dass die Floating-Leistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterlägen -- zuungunsten des Steuerpflichtigen dem geltenden Recht widerspricht.
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bb) Die positive verbindliche Auskunft ist ein Verwaltungsakt und enthält die für die betreffende Steuerart verbindliche Feststellung über eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung des der Auskunft zugrundeliegenden Sachverhalts (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 2009 VI R 54/07, BFHE 225, 50, BStBl II 2010, 996 zur Anrufungsauskunft nach § 42e des Einkommensteuergesetzes). Das FA kann die Auskunft, insbesondere sofern sich ihre Rechtswidrigkeit herausstellt, im Besteuerungsverfahren zwar nach § 2 Abs. 3 StAuskV ex nunc aufheben oder ändern (vgl. BFH-Urteile vom 2. September 2009 I R 20/09, BFH/NV 2010, 391; vom 29. Februar 2012 IX R 11/11, BFHE 237, 9, BStBl II 2012, 651 zu den Kriterien für die Ermessensentscheidung). Die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft entfällt dann nach § 2 Abs. 2 StAuskV ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, bindet die erteilte Auskunft, wenn sie wie --im Streitfall-- zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt, bei identischem Sachverhalt selbst dann, wenn sie dem geltenden Recht widerspricht. Dem FA ist daher in Bezug auf diese positive Feststellung in der Auskunft eine Rechtmäßigkeitsprüfung im Rahmen der entsprechenden Steuerfestsetzung verwehrt. Ist aber bei einer verwaltungsaktbezogenen Klage die Prüfung der Rechtmäßigkeit ausgeschlossen, besteht insoweit eine Abhängigkeit i.S. des § 74 FGO (z.B. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177; BFH-Beschluss vom 11. März 2011 II B 152/10, BFH/NV 2011, 1008).
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