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BFH 28.08.2012 - VII B 22/12
BFH 28.08.2012 - VII B 22/12 - (Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Erhebung der Kernbrennstoffsteuer)
Normen
§ 6 Abs 1 KernbrStG, § 240 Abs 1 AO, § 361 AO
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 10. Januar 2012, Az: 4 V 288/11, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Die Aufhebung eines Beschlusses über die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung beseitigt dessen Rechtswirkung von Anfang an, weshalb vom Steuerpflichtigen für den gesamten Zeitraum, in dem er festgesetzte Steuern nicht gezahlt hat, Säumniszuschläge zu entrichten sind .
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2. NV: Erledigungserklärungen eines prozessual sachkundigen Vertreters eines der Beteiligten sind auch hinsichtlich der damit beabsichtigten Rechtsfolgen einer Auslegung zugänglich .
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3. NV: Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt unter den Umständen des Streifalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu .
Tatbestand
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I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) hat für den Monat Juni 2011 beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Hauptzollamt --HZA--) gemäß § 6 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) eine Steueranmeldung über Kernbrennstoffsteuer abgegeben. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Antragstellerin Klage erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) hat das HZA abgelehnt. Der Einspruch blieb erfolglos. Daraufhin hat die Antragstellerin die Kernbrennstoffsteuer entrichtet und beim Finanzgericht (FG) die Aufhebung der Vollziehung beantragt. Das FG hat die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung aufgehoben und die Aufhebung bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in den Verfahren VII B 171/11 und VII B 185/11 gegenüber den Rechtsmittelführern, längstens bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung über den erstinstanzlichen Abschluss des finanzgerichtlichen Klageverfahrens befristet. Gegen die Entscheidung des FG hat das HZA Beschwerde eingelegt. Inzwischen hat der BFH mit Beschlüssen vom 9. März 2012 VII B 171/11 (BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418) und VII B 185/11 (BFH/NV 2012, 999) die Entscheidungen des FG aufgehoben und die Anträge auf Aufhebung der Vollziehung abgelehnt. Die Entscheidungen sind den Beteiligten am 14. bzw. 15. und 16. März 2012 zugestellt worden.
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Mit Schriftsatz vom 16. März 2012 teilte die Antragstellerin mit, dass sie die Kernbrennstoffsteuer für den Monat Juni 2011 in den nächsten Tagen zahlen werde. Eine Entscheidung in der Beschwerdesache sei deshalb nicht mehr erforderlich. Die Beschwerde des HZA sei von Anfang an unzulässig gewesen, weil das HZA mit ihr seine Position nicht hätte verbessern können. Es handele sich daher um eine unzulässige verdeckte Kostenbeschwerde. Unabhängig von der Entscheidung des BFH habe schon bei Einlegung des Rechtsmittels festgestanden, dass die Antragstellerin die Steuer erneut hätte entrichten müssen. Hierfür hätte das HZA eine neue Zahlungsfrist von einem Monat gewähren müssen. Dies ergebe sich aus Ziff. 8.2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 361 der Abgabenordnung (AO). Infolgedessen hätte das HZA die Zahlung der Steuer nicht beschleunigen können. Auch sei zu berücksichtigen, dass sich die Entscheidung des FG mit Ablauf der darin festgelegten Frist von selbst erledigt habe. Somit sei das Rechtsschutzinteresse des HZA an einer Aufhebung des Beschlusses entfallen. Im Übrigen wäre in Kenntnis der Rechtsauffassung des BFH kein Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gestellt worden, so dass selbst bei Annahme der Zulässigkeit der Beschwerde die Kostenentscheidung des FG Bestand haben sollte.
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Für den Fall, dass über die Beschwerde erst nach Ablauf des Aussetzungszeitraums entschieden werde, hat das HZA die Beschwerde für erledigt erklärt und beantragt, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Beschluss des FG habe sich nicht bereits durch die freiwillige Rückzahlung der Kernbrennstoffsteuer erledigt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei die Beschwerde zulässig gewesen. Denn bei einer Aufhebung des FG-Beschlusses wäre die geschuldete Steuer sofort fällig gewesen. Auf den Streitfall sei Ziff. 8.2 AEAO zu § 361 AO nicht anwendbar. Somit hätte das HZA seine Rechtsposition durch das eingelegte Rechtsmittel verbessern können. Da in den Parallelverfahren VII B 171/11 und VII B 185/11 die Anträge auf Aufhebung der Vollziehung abgelehnt worden seien, wäre die Antragstellerin auch in diesem Verfahren unterlegen. Daher seien ihr nach billigem Ermessen gemäß § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten aufzuerlegen.
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Schließlich hat sich die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 18. Juni 2012 der Erledigungserklärung des HZA angeschlossen und das Beschwerdeverfahren ebenfalls für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde des HZA ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung.
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1. Entgegen der Auffassung der Beteiligten hat sich durch die Zustellung der BFH-Beschlüsse vom 9. März 2012 VII B 171/11 und VII B 185/11 die Hauptsache nicht erledigt.
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Wird ein gerichtlicher Beschluss über die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung vom Rechtsmittelgericht aufgehoben, so wirkt diese Entscheidung nicht nur für die Zukunft, sondern beseitigt die Rechtswirkung des Beschlusses von Anfang an. Trotz des (aufgehobenen) Beschlusses verwirkt der Steuerpflichtige also für den Zeitraum, in dem er festgesetzte Steuer nicht gezahlt hat oder ihm diese aufgrund der Instanzentscheidung zurückgewährt worden ist, Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 AO; das gilt unabhängig davon, ob, was streitig ist, die Gewährung der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung die Fälligkeit der festgesetzten Steuer beseitigt oder lediglich ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal jener Vorschrift ist.
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Hat im Streitfall die Entscheidung des FG keinen Bestand, sind mithin Säumniszuschläge verwirkt. Ob ihre Erhebung unterbleibt, weil sie mit Rücksicht auf schützenswertes Vertrauen der Antragstellerin auf den Bestand der Entscheidung des FG aus Gründen der Billigkeit ganz oder zumindest insoweit erlassen werden, als nicht auch bei Bestätigung dieser Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht Aussetzungszinsen angefallen wären, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Die bloße Aussicht auf einen solchen (Teil-)Erlass von Säumniszuschlägen führt nicht zur Erledigung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung oder des diesbezüglichen Rechtsmittelverfahrens.
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2. Es liegt auch keine wirksame übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens mit der Folge vor, dass der Beschluss des FG in Rechtskraft erwachsen wäre und von dem beschließenden Senat nur noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden wäre. Das HZA hat sich zwar dahin erklärt, es erkläre seine Beschwerde für erledigt, und die Antragstellerin hat sich dem ausdrücklich angeschlossen. Aus dem Sinnzusammenhang des diesbezüglichen Schriftsatzes des HZA ergibt sich allerdings klar und eindeutig, dass es damit nicht die eben bezeichneten Rechtsfolgen herbeiführen, sondern lediglich seine Auffassung zum Ausdruck bringen wollte, dass für die Zukunft von dem Beschluss über die Aufhebung der Vollziehung des FG keine Rechtswirkungen mehr ausgingen, zumal die Antragstellerin die festgesetzte Steuer inzwischen bezahlt habe. Da auch Erklärungen eines prozessual sachkundigen Vertreters eines Beteiligten der Auslegung zugänglich sind und bei dieser Auslegung nicht am buchstäblichen Wortsinn zu haften, sondern das wirklich Gemeinte zu erforschen ist (Schwarz in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 138 FGO Rz 51, m.w.N.), kann der Erklärung des HZA mithin nicht entnommen werden, dass dieses seine Beschwerde für erledigt erklären wollte.
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Der Senat muss folglich nach wie vor über die Beschwerde des HZA, deren Zulässigkeit angesichts der eingangs dargestellten Rechtsfolge eines in Rechtskraft erwachsenen Beschlusses über die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nicht zweifelhaft ist, zur Sache entscheiden.
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3. Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt nach den Umständen des Streitfalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu, so dass eine Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung nicht in Betracht kommt. Aus diesem Grund kann die Entscheidung des FG keinen Bestand haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der beschließende Senat zur näheren Begründung auf seinen Beschluss in BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418.
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