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BFH 22.11.2011 - VII R 27/11
BFH 22.11.2011 - VII R 27/11 - Rückruf einer Überweisung auf gekündigtes Konto
Normen
§ 37 Abs 2 S 1 AO, § 676f S 1 BGB
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 24. März 2011, Az: 6 K 2439/10 AO, Urteil
Leitsatz
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Überweist das Finanzamt eine Steuererstattung auf ein früheres, inzwischen von der Bank gekündigtes Kontokorrentkonto des Steuerpflichtigen, obwohl dieser ihm dafür ein anderes Konto benannt hat, kann es den Erstattungsbetrag auch dann nicht von der Bank zurückfordern, wenn diese denselben mit einem fortbestehenden Schuldensaldo auf dem betreffenden Konto verrechnet hat.
Tatbestand
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I. Herr A. (A) unterhielt mit der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer Bank, Geschäftsverbindungen. U.a. war für ihn ein Girokonto eingerichtet, das als Geschäftskonto seiner Einzelfirma fungierte. Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 15. Mai 2009 den Girovertrag und die Geschäftsverbindung mit A mit Wirkung zum 9. Juli 2009 bzw. zum 15. August 2009 gekündigt. Zu diesen Zeitpunkten bestanden fällige Verbindlichkeiten des A gegenüber der Klägerin, u.a. ein Schuldsaldo auf dem Kontokorrentkonto in Höhe von etwa ... €.
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Auf dieses Konto, das A zunächst gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) angegeben hatte, überwies das FA ein Guthaben aus einem Steuererstattungsanspruch in Höhe von ... €, obwohl ihm A zuvor für die Erstattung eine neue Kontoverbindung bei einer anderen Bank mitgeteilt hatte. Die Klägerin verrechnete nunmehr die Gutschrift mit einem Teil des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schuldsaldos. Nachdem das FA die fehlerhafte Überweisung bemerkt hatte, erließ es gegen die Klägerin am 8. Oktober 2009 einen Rückforderungsbescheid über ... €.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt und hob den Rückforderungsbescheid auf. Zur Begründung führte es (unter Hinweis auf die Senatsentscheidungen vom 30. August 2005 VII R 64/04, BFHE 210, 219, BStBl II 2006, 353, und vom 10. November 2009 VII R 6/09, BFHE 227, 360, BStBl II 2010, 255) im Wesentlichen aus, die Klägerin sei durch die Überweisung des A zustehenden Steuererstattungsbetrages auf dessen früheres Konto nicht Leistungsempfängerin i.S. des § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geworden. Daran ändere auch nichts, dass die Klägerin den Erstattungsbetrag auf das gekündigte, aber noch nicht abgerechnete Girokonto des A verbucht habe. Unerheblich sei, ob die Klägerin mit eigenen Ansprüchen habe aufrechnen dürfen. Sie bleibe auch dann lediglich Zahlstelle, während A als Leistungsempfänger anzusehen sei. Entscheidend sei, dass der für die streitige Überweisung vom 29. September 2009 noch geltende § 676f des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auch bei einem durch Kündigung erloschenen Girovertrag "in dessen Nachwirkung" Anwendung finde (Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 5. Dezember 2006 XI ZR 21/06, BGHZ 170, 121, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2007, 914). Für den Giroverkehr stelle diese Regelung eine Spezialregelung zum allgemeinen Herausgabeanspruch des § 667 BGB dar, mit der die Zuordnung des Überweisungsbetrages zum Vermögensbereich des (früheren) Kontoinhabers erfolge. Soweit, wie im Streitfall, ein schlichter Rückruf des angewiesenen Betrages durch das FA nach § 676a BGB nicht mehr möglich sei, schließe der durch die Gutschrift entstandene Herausgabeanspruch des (früheren) Kontoinhabers zivilrechtlich einen Bereicherungsanspruch (nach § 812 BGB) des Überweisenden gegen die die Gutschrift vornehmende Empfängerbank (hier also gegen die Klägerin) aus. Da ein Rückzahlungsanspruch nur gegenüber einem Leistungsempfänger --A-- in Betracht komme, sei die Klägerin durch den Rückforderungsbescheid in ihren Rechten verletzt.
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Zudem liege eine wirksame Aufrechnungserklärung der Klägerin vor. Mit der Verrechnung komme der Erstattungsbetrag A tatsächlich auch zugute, weil er in Höhe des verrechneten Betrages von einer Verpflichtung gegenüber der Bank befreit werde. Die Klägerin sei bei dieser Sach- und Rechtslage nicht ungerechtfertigt bereichert i.S. des § 812 BGB. Bei der vom Bundesfinanzhof (BFH) geforderten zivilrechtlichen Betrachtung scheide ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin deshalb auch dann aus, wenn man nicht (allein) auf die Gutschrift, sondern (auch) auf den Umstand der Aufrechnung abstelle. Einer Auszahlung des Überweisungsbetrages durch die Klägerin an A bedürfe es in keinem Fall, um eine Rückforderung gegen die Klägerin auszuschließen.
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Mit der Revision macht das FA geltend, die vom FG in Bezug genommenen Entscheidungen des BFH seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Mit der Aufrechnung habe die Klägerin eine eigene Zweckbestimmung der Leistung getroffen und nicht lediglich als Zahlstelle für A fungiert. Dadurch sei sie selbst Leistungsempfängerin geworden.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht Bundesrecht.
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Der gegen die Klägerin erlassene Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig. Das FA hat keinen Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, auf dessen Rechnung gezahlt worden ist, gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages, wenn ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist. Im Streitfall war nicht die Klägerin die Empfängerin der Leistung des FA, sondern A war --als Inhaber des Steuererstattungsanspruches-- Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO.
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1. Wie der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 227, 360, BStBl II 2010, 255 ausgeführt hat, will das FA mit einer Überweisung auf ein vom Steuerpflichtigen angegebenes Konto nicht zu Gunsten des Kreditinstituts, sondern mit befreiender Wirkung gegenüber dem Anspruchsberechtigten leisten, der das Konto angegeben hat. Das Kreditinstitut ist nicht Leistungsempfänger, sondern lediglich die vom Steuerpflichtigen bezeichnete Zahlstelle, und zwar selbst dann, wenn es das Konto vor der Überweisung des FA gekündigt hat. Der Senat hat sich damit der Rechtsauffassung des BGH (Urteil in BGHZ 170, 121, NJW 2007, 914) angeschlossen, der in der Entgegennahme des Überweisungsbetrages und dessen Verbuchung auf dem intern weitergeführten Konto ein Handeln für den früheren Kontoinhaber --weiterhin als Zahlstelle-- sieht. Denn die Bank ist in Nachwirkung des Girovertrages verpflichtet, Zahlungen, die sie --wozu sie befugt ist (vgl. BGH-Beschluss vom 21. März 1995 XI ZR 189/94, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis --ZIP-- 1995, 659, m.w.N.)-- für den früheren Kunden entgegennimmt, auf dem bisherigen Konto entsprechend § 676f Satz 1 BGB zu verbuchen bzw. nach § 667 BGB herauszugeben. Mit der Gutschrift erfüllt sie demnach eine eigene nachvertragliche Pflicht, während sich die Leistung zwischen dem Überweisenden, der die fehlgehende Zahlung veranlasst hat, und dem Überweisungsempfänger vollzieht (vgl. BGH-Urteil vom 15. November 2005 XI ZR 265/04, ZIP 2006, 17, II. 1.).
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2. Entgegen der Auffassung der Revision sind diese Erwägungen nicht nur auf den seinerzeit entschiedenen Fall anwendbar, in dem das Kreditinstitut den Überweisungsbetrag letztlich an den Insolvenzverwalter ausgekehrt hatte. Aus ihnen folgt vielmehr auch für die vorliegende Fallkonstellation, in der die Klägerin den eingebuchten Erstattungsbetrag mit dem Schuldsaldo auf dem Kontokorrentkonto verrechnet hat, dass sie mit der Einbuchung ihrer nachwirkenden Verpflichtung aus dem Girovertrag gegenüber A nachgekommen ist. Denn nimmt eine Bank berechtigterweise eine Zahlung entgegen und verbucht sie auf dem vormaligen Kundenkonto, so verhält sie sich entsprechend ihrer nachwirkenden Verpflichtung aus der Kontokorrentabrede, unabhängig davon, ob sich das Konto im Soll oder im Haben befindet.
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3. Soweit der Senat in den Beschlüssen vom 28. Januar 2004 VII B 139/03 (BFH/NV 2004, 762) und vom 6. Juni 2003 VII B 262/02 (BFH/NV 2003, 1532, m.w.N.) eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht fest.
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Wenn nach der ständigen Rechtsprechung des BGH die Bank eines Überweisungsempfängers im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmäßig nur als bloße Leistungsmittlerin, d.h. als Zahlstelle des Überweisungsempfängers handelt und als solche in keinerlei Leistungsverhältnis zu dem Überweisenden steht, kann von ihr unter keinen Umständen die Herausgabe einer Fehlüberweisung verlangt werden, wenn sie den Überweisungsbetrag auf dem Konto des Überweisungsempfängers gutgeschrieben hat. Ausdrücklich formuliert der BGH: "Wenn der Empfänger vom Überweisenden irrtümlich falsch bezeichnet wird, liegt ein Fehler im Valutaverhältnis (d.h. zwischen dem Überweisenden und dem Überweisungsempfänger) vor, der grundsätzlich auch in diesem bereicherungsrechtlich abzuwickeln ist."
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4. Indem die Klägerin im Streitfall --nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG-- den vom FA überwiesenen Betrag entsprechend dem Überweisungsauftrag auf dem Konto des A verbucht und mit dem bestehenden Schuldsaldo verrechnet hat, hat sie für den früheren Kontoinhaber gehandelt und die Überweisung offenkundig nicht etwa als Zahlung an sich angesehen. Denn sie hat sich insoweit entsprechend ihren nachwirkenden Pflichten aus dem Girovertrag verhalten. Die Verrechnung der Gutschrift mit dem bestehenden Schuldsaldo ist in dem banküblichen --seinerzeit auch mit A bestehenden-- Kontokorrentverhältnis begründet und stellt deshalb keine eigene Zweckbestimmung der Klägerin über die Verwendung der eingegangenen Überweisung dar. Ob die Klägerin im Innenverhältnis zu A berechtigt war, die Gutschrift zu verrechnen oder ob A aus einem abstrakten Schuldversprechen bzw. -anerkenntnis gemäß §§ 780 f. BGB oder unmittelbar aus §§ 667, 681 Satz 2, § 677 BGB einen --ggf. pfändbaren-- Anspruch auf Herausgabe des Betrages hatte (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 170, 121, II. 1. b bb, NJW 2007, 914), ist für den vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich und bedarf deshalb keiner Erörterung.
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5. Nicht zu entscheiden hat der Senat bei der gegebenen Fallgestaltung, ob das FA einen zivilrechtlichen Kondiktionsanspruch gegen die Klägerin hätte, wenn diese die eingegangene Überweisung etwa zur Tilgung eines noch valutierenden Darlehens verwendet hätte.
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