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BFH 25.02.2011 - VII B 226/10
BFH 25.02.2011 - VII B 226/10 - Zur einstweiligen Anordnung auf Rücknahme eines Insolvenzantrags
Normen
§ 114 FGO, § 102 FGO, § 13 Abs 2 InsO, § 249 Abs 1 AO, § 251 Abs 1 AO
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 15. November 2010, Az: 3 V 168/10, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Gegen den beim Amtsgericht gestellten Antrag des FA, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen zu eröffnen, ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten gegeben .
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2. NV: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des Finanzgerichts mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrags seitens des Finanzamtes ist jedenfalls so lange gegeben, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des FA mangels kostendeckender Masse rechtskräftig abgelehnt hat .
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3. NV: Der Antrag des FA, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, ist kein Verwaltungsakt, aber schlichtes hoheitliches Handeln der Vollstreckungsbehörde, das den besonderen Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung unterliegt. Zur Überprüfung dieser Ermessensentscheidung ist das FG zuständig. Es hat dabei zu prüfen, ob das FA die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis ergebenden Besonderheiten umfassend gewürdigt hat .
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4. NV: Um einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen, muss dargelegt werden, dass für die Stellung des Insolvenzantrags die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind oder dass der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde .
Tatbestand
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I. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) gegen den Beschluss des Finanzgerichts (FG), mit dem sein Antrag, den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Insolvenzantrag zurückzunehmen, als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen wurde.
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Das FG hielt zwar den Rechtsweg zu den Finanzgerichten für den nach § 114 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beurteilten vorläufigen Rechtsschutz für gegeben, es fehle jedoch am Rechtsschutzbedürfnis, da der gebotene Rechtsschutz gegen einen Insolvenzantrag des FA einfacher und sachnäher durch das Insolvenzgericht gewährt werden könne. Gründe für eine, im Falle der Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes durch das FG, stets gegebene Doppelbefassung verschiedener Gerichte mit denselben Fragen sah das FG nicht, alle potentiellen im Zusammenhang mit einer Insolvenzantragstellung zu prüfenden Fragen, einschließlich derer, die in die Ermessensentscheidung des FA einzugehen hätten, seien auch durch das Insolvenzgericht zu prüfen und könnten von diesem ebenso gut geprüft werden.
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Mangels eines Anordnungsanspruchs sei der Antrag außerdem unbegründet. Für den Insolvenzantrag fehle es nicht am Insolvenzgrund, da der Antragsteller seine Zahlungsunfähigkeit selbst vorgetragen habe. Der Antrag sei auch nicht unverhältnismäßig oder ermessensfehlerhaft: Bei Antragstellung sei ein Vollstreckungsaufschub nicht mehr wirksam gewesen, verrechenbare Guthaben, die zu einer vollständigen oder überwiegenden Tilgung der Rückstände hätten führen können, habe der Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, für das FA sei das Vorhandensein einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse --angesichts möglicher Anfechtungsansprüche bezüglich Zahlungen des Antragstellers auf Schulden der Ehefrau-- nicht fernliegend gewesen und eine akute Lebensgefahr wegen der Stressbelastung infolge der Insolvenzantragstellung habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Auch sonstige Erwägungen des FA --Verzicht auf weitere Einzelzwangsvollstreckungen und die eidesstattliche Versicherung, Verhältnismäßigkeit der möglichen Auswirkung des Insolvenzantrags auf die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft vor dem Hintergrund der Rückstandshöhe und der Zeitdauer der Vollstreckungsversuche-- sah das FG als nachvollziehbar, jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft an. Auch sah es keine Anhaltspunkte, dass das FA mit dem Antrag auf den Antragsteller Druck habe ausüben wollen, Teilzahlungen zu leisten oder die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz beabsichtigt habe.
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Der zugelassenen Beschwerde hat das FG nicht abgeholfen.
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Der Antragsteller macht geltend, der Beschluss des FG sei grob fehlerhaft, das Gericht sei ohne nachvollziehbaren Grund von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen. Eine in Aussicht gestellte weitergehende Beschwerdebegründung ist nicht eingegangen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat es zu Recht abgelehnt, das FA im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 114 Abs. 1 FGO zur Rücknahme des Insolvenzantrags zu verurteilen.
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1. Allerdings ist entgegen der Auffassung des FG das Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des FG mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrags seitens des FA jedenfalls solange gegeben, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des FA mangels kostendeckender Masse rechtskräftig abgelehnt hat und mit dieser Entscheidung des Insolvenzgerichts der Insolvenzantrag des FA seine Erledigung gefunden hat, denn nach § 13 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) kann der Antrag danach nicht mehr zurückgenommen werden (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2010 VII B 166/09, BFH/NV 2010, 1122).
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a) Wie auch vom FG nicht infrage gestellt, ist gegen den beim Amtsgericht gestellten Antrag des FA, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen zu eröffnen, der Finanzrechtsweg gegeben (ständige Rechtsprechung, schon zur Konkursordnung, vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787, m.w.N.).
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b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist das Rechtsschutzinteresse für eine finanzgerichtliche Entscheidung zu bejahen. Der Antrag ist zwar kein Verwaltungsakt, aber schlichtes hoheitliches Handeln der Vollstreckungsbehörde. Er erfordert eine fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung des konkreten Steuerschuldverhältnisses und zwar unabhängig von den Insolvenzvoraussetzungen (Senatsurteil vom 19. Dezember 1989 VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710). Zur Überprüfung dieser Ermessensentscheidung hält der BFH seit jeher das FG und nicht das Insolvenzgericht für zuständig (z.B. Senatsbeschluss vom 26. Februar 2007 VII B 98/06, BFH/NV 2007, 1270).
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aa) Die vom FG im Anschluss an Stimmen in der Literatur vorgebrachten Argumente rechtfertigen nach Auffassung des beschließenden Senats nicht die Annahme, das allgemeine Rechtsschutzinteresse an der finanzgerichtlichen Kontrolle der Ermessensentscheidung des FA fehle.
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Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, dass der sich aus den Vorschriften der InsO ergebende Prüfauftrag an die Insolvenzgerichte faktisch deckungsgleich ist mit demjenigen der Ermessenskontrolle an die Finanzgerichte nach § 102 FGO i.V.m. den Vollstreckungsvorschriften der Abgabenordnung (AO).
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Nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften (§§ 13, 14 InsO) ist das FA hinsichtlich der Anforderungen an einen Insolvenzantrag den übrigen Gläubigern gleichgestellt. Die vom Insolvenzgericht zu prüfenden Voraussetzungen sind die Glaubhaftmachung der Forderung und des Eröffnungsgrundes, das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und --als grundrechtliche Schranke-- die Wahrung der Verhältnismäßigkeit.
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Die Entscheidung des FA, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, unterliegt als hoheitliches Handeln einer Vollstreckungsbehörde darüber hinaus aber den besonderen Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2005 VII B 180/04, BFH/NV 2005, 1002). Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehören zwar zweifellos auch jene, an denen das rechtliche Interesse des privatrechtlichen Gläubigers an der Insolvenzeröffnung nach §§ 13, 14 InsO und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen ist. Darüber hinaus aber hat das FA die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis ergebenden Besonderheiten umfassend zu würdigen. Eine Deckungsgleichheit der zu prüfenden Aspekte mag es danach bei entsprechender Fallgestaltung geben, nicht aber dem Grunde nach. Daraus resultiert das Rechtsschutzinteresse an einer finanzgerichtlichen Prüfung eines vom FA gestellten Insolvenzantrags. Es gilt sicherzustellen, dass das FA alle entscheidungserheblichen Umstände gesehen und ermessensgerecht gewürdigt hat.
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Als praktische Beispiele seien genannt: die Prognose über eine für den Vollstreckungsschuldner günstige Änderung eines Grundlagenbescheids; die Erfolgsaussicht eines noch offenen Erlass- oder Stundungsantrags; die Aussicht, dass die Abgabenschuld von einem weiteren Gesamtschuldner beglichen wird; die Bewertung der bisherigen Mitwirkung des Vollstreckungsschuldners, der Höhe des Rückstandes und der Aussicht auf dessen --ggf. ratenweise-- Tilgung; die Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen eines Insolvenzantrags, z.B. bei einer bestehenden Organschaft.
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bb) Ob das FA im konkreten Fall Anlass hatte, Gesichtspunkte dieser Art in seine Entscheidung, einen Insolvenzantrag zu stellen, einzubeziehen, ist keine Frage des allgemeinen Rechtsschutzinteresses, entscheidend für die Zulässigkeit des finanzgerichtlichen Rechtsbehelfs ist allein die Möglichkeit der fehlerhaften Ermessensausübung durch das FA.
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2. Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung des FG, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Ermangelung eines Anordnungsanspruchs unbegründet ist. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch (§ 114 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung) nicht glaubhaft gemacht.
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Dazu hätte dargelegt werden müssen, dass der in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörde gestellten Vollstreckungsmaßnahme --Insolvenzantrag-- (vgl. § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 AO) ein Ermessensfehler (§ 102 FGO) anhaftet, sei es, dass für den Antrag die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind oder dass der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1991, 787). Ein solcher Ermessensfehler kann bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung im Streitfall nicht festgestellt werden.
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Das FG hat die maßgeblichen Gesichtspunkte für die vom FA getroffene Entscheidung, den Insolvenzantrag zu stellen, im Einzelnen erörtert und ist unter zutreffender Heranziehung der insoweit ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Insolvenzantrag des FA berechtigt war. Der Antragsteller hat weder Einwendungen gegen die tatsächlichen Feststellungen noch gegen die rechtliche Würdigung des FG erhoben. Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung für eine über die umfangreichen tatsächlichen Feststellungen und rechtlich überzeugenden Ausführungen des FG hinausgehende Begründung der Entscheidung.
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