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BFH 13.07.2010 - V B 121/09
BFH 13.07.2010 - V B 121/09 - Nichtzulassungsbeschwerde - Beweiskraft der Buchführung - Schätzung von Besteuerungsgrundlagen - Sachentscheidung nach Beweislastgrundsätzen - Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde keine Divergenzentscheidung - Beweiswürdigung und Sachverhaltswürdigung des FG
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 3 Nr 3 FGO, §§ 140ff AO, § 158 AO, § 162 AO, § 140 AO
Vorinstanz
vorgehend FG München, 27. August 2009, Az: 3 K 2609/06, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Ist die für eine formell ordnungsgemäße Buchführung geltende Vermutung ihrer sachlichen Richtigkeit widerlegt, sind die Teile der Buchführung zu korrigieren, auf die sich die sachlichen Beanstandungen beziehen. Steht dabei ein bestimmter Sachverhalt zur Überzeugung des Finanzgerichts fest, bedarf es keiner Schätzung von Besteuerungsgrundlagen.
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2. NV: Die Frage, wer die objektive Beweislast für das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Tatsachen trägt, ist nur dann in einem Revisionsverfahren klärungsfähig, wenn das Finanzgericht eine Sachentscheidung nach Beweislastgrundsätzen getroffen hat.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn über Rechtsfragen zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt und die klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sind (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluss vom 24. September 2008 X B 86/07, BFH/NV 2009, 18, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder bereits aufgrund der Rechtsprechung geklärt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11. November 2009 V B 46/09, Zeitschrift für Steuern und Recht 2010, R 165, m.w.N.).
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a) Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) aufgeworfene Rechtsfrage, ob handschriftliche Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die wirtschaftlich absolut unwahrscheinlich sind, und deren Summe außerhalb des entsprechenden Schätzrahmens des betreffenden Betriebs liegt, ohne weitere Vergleichsrechnung der Besteuerung zugrunde gelegt werden dürfen, lässt sich ohne weiteres aus dem Gesetz (§ 158 der Abgabenordnung --AO-- i.V.m. § 162 AO) beantworten. Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Danach löst die --formelle-- Ordnungsmäßigkeit der Buchführung die Vermutung ihrer sachlichen Richtigkeit aus.
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Ist --wie im Streitfall-- diese Vermutung widerlegt, ergibt sich aus der gesetzlichen Einschränkung "soweit", dass die sachlich unrichtigen Teile der Buchführung richtig zu stellen sind. Es sind also nur die Teile der Buchführung zu korrigieren, auf die sich die sachlichen Beanstandungen beziehen. Diese Korrektur darf erst dann durch eine Schätzung nach § 162 Abs. 1 bis 3 AO erfolgen, wenn und soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO), eine gezielte Korrektur also nicht möglich ist. Folglich besteht ein Vorrang der Sachverhaltsermittlung und -feststellung gegenüber einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen. Steht danach ein bestimmter Sachverhalt fest, bedarf es keiner Schätzung, es sind vielmehr die festgestellten Besteuerungsgrundlagen der Besteuerung zugrunde zu legen. Ob diese Besteuerungsgrundlagen "unwahrscheinlich" sind oder außerhalb eines Schätzrahmens liegen, ist ohne Bedeutung. Ebenso wenig bedarf es der Überprüfung dieser Besteuerungsgrundlagen durch eine "Vergleichsrechnung".
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Das Finanzgericht (FG) hat diese Grundsätze in seinem Urteil beachtet. Es hat keine "Schätzung" von Besteuerungsgrundlagen vorgenommen, sondern ist nach Würdigung der maßgeblichen Umstände des Streitfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Zahlen der rechten Spalte in den Kalendern für 1995 bis 1998 und den Zahlen in den Kalendern ab 1. April 1999 um die tatsächlichen Umsätze der beiden Pizzerien handelt.
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b) Die weitere Rechtsfrage, ob der Steuerpflichtige zu beweisen hat, dass handschriftliche Notizen keine Einnahmen im Rahmen seines Gewerbes sind, ist weder klärungsbedürftig noch klärbar.
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aa) Es ist durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärt, dass nach der sog. Beweislastgrundregel die Feststellungslast (objektive Beweislast) --bei einer nicht mehr behebbaren Ungewissheit über den Sachverhalt-- für die steuerbegründenden und -erhöhenden Tatsachen die Finanzbehörde und für die steuerentlastenden oder -mindernden Tatsachen den Steuerpflichtigen trifft (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Oktober 2005 XI B 111/04, BFH/NV 2006, 320, m.w.N.). Da es sich bei handschriftlichen Notizen über (höhere) Einnahmen bzw. Umsätze eines Steuerpflichtigen um steuererhöhende Tatsachen handelt, träfe im Falle einer Beweislastentscheidung die Finanzbehörde die Feststellungslast (objektive Beweislast).
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bb) Abgesehen davon ist die aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall nicht klärungsfähig. Denn die Frage, wer unter bestimmten Voraussetzungen die objektive Beweislast für das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Tatsachen trägt, stellt sich nur dann, wenn das FG eine Sachentscheidung nach Beweislastgrundsätzen getroffen hat. Nur dann besteht die Möglichkeit einer Klärung der Beweislastfrage in einem Revisionsverfahren (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 1989 X B 90/87, BFH/NV 1989, 709). Im vorliegenden Fall beruht das Urteil des FG nicht auf der Unaufklärbarkeit eines bestimmten Sachverhalts (Beweislosigkeit), sondern auf der nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des FG, dass die Eintragungen in den Kalendern den tatsächlich erzielten Umsätzen aus dem Betrieb der Pizzerien entsprechen.
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2. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO (Divergenz) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
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a) Unbeschadet des Umstands, dass die Klägerin die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung und der (angeblichen) Divergenzentscheidungen (BFH-Urteile vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381, und vom 9. August 1991 III R 129/85, BFHE 165, 326, BStBl II 1992, 55) nicht derart herausgearbeitet und gegenüber gestellt hat, dass eine Abweichung erkennbar wird, kann eine Divergenz nur gegeben sein, wenn das FG bei einem gleich oder ähnlich gelagerten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Rechtsauffassung eines anderen Gerichts abweicht (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Juli 2007 VII B 149/06, BFH/NV 2007, 1915, m.w.N.) Daran fehlt es, soweit die Klägerin eine Divergenz zum BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381 behauptet. Die genannte Entscheidung betrifft die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und die Rechtsfolgen bei groben Schätzungsfehlern (§§ 162, 125 AO). Hiervon unterscheiden sich sowohl der Sachverhalt als auch die Rechtsfragen des Streitfalls. In diesem geht es --wie unter 1.a) näher ausgeführt wurde-- um die gegenüber einer Schätzung vorrangige Steuerfestsetzung auf der Grundlage von ermittelten und vom FG für zutreffend erachteten Tatsachen (Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen).
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b) Eine Divergenz zu dem BFH-Urteil in BFHE 165, 326, BStBl II 1992, 55 liegt ebenfalls nicht vor. Aus diesem Urteil ergibt sich der abstrakte Rechtssatz, dass ein Sachverhalt nur dann zur Überzeugung des Gerichts feststeht und als erwiesen anzusehen ist, wenn er sich mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen lässt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das FG weder ausdrücklich noch stillschweigend von diesem Rechtssatz abgewichen. Es ist vielmehr unter Anwendung dieses Rechtssatzes und unter Berücksichtigung eines durch die Verletzung der Mitwirkungspflicht geminderten Beweismaßes (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 2009 X R 20/05, BFH/NV 2009, 912, m.w.N.) zu der Überzeugung gelangt, dass in den von der Klägerin geführten Kalendern die tatsächlich erzielten Umsätze aufgezeichnet worden sind.
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c) Soweit die Klägerin eine Abweichung zum BFH-Beschluss vom 5. April 2004 X B 176/03, juris geltend macht, ist die Rüge unschlüssig. Eine Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des BFH setzt voraus, dass in der Divergenzentscheidung über eine revisible Rechtsfrage entschieden wurde. In Beschlüssen, die in einem Nichtzulassungsverfahren ergangen sind, werden keine Rechtsfragen entschieden, sodass diese als Divergenzentscheidungen ausscheiden (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Juli 2004 X B 175/03, BFH/NV 2004, 1544).
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3. Die Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) durch Übergehen von mehreren Beweisanträgen ist nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) und überdies unbegründet.
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a) Ergibt sich --wie im Streitfall-- aus dem angefochtenen Urteil selbst, dass und weshalb das FG einen Beweis nicht erhoben hat, so genügt zur Bezeichnung des Verfahrensfehlers zwar die schlichte Rüge der Nichterhebung des Beweises (BFH-Beschlüsse vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297; vom 19. Januar 2007 IV B 51/05, BFH/NV 2007, 1089). Hinzu kommen muss jedoch zumindest die weitere Auseinandersetzung mit dem Ablehnungsgrund des Gerichts (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Oktober 2007 IX B 34/07, BFH/NV 2008, 239). Hieran fehlt es im Streitfall. Das Gericht hat auf Seite 10 und 11 seines Urteils dargelegt, dass und aus welchen Gründen es die angebotenen Beweismittel für untauglich und unerheblich hielt. Mit diesen Ablehnungsgründen hat sich die Klägerin in keiner Weise befasst. Sie hat lediglich beanstandet, das FG habe nicht hinreichend begründet, wie die Klägerin unter den gegebenen Umständen die der Besteuerung zugrunde gelegten Umsätze habe erzielen können. Das Vorbringen der Klägerin richtet sich somit im Ergebnis gegen die Sachverhaltswürdigung des FG sowie gegen die vom FG gezogenen Schlussfolgerungen. Darin liegt jedoch nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern die einer falschen Rechtsanwendung, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289). Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874, m.w.N.).
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b) Im Übrigen ist die Rüge auch unbegründet, da das FG den von der Klägerin gestellten Beweisanträgen nicht zu entsprechen brauchte.
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aa) Auf die Erhebung eines von einem Beteiligten beantragten Beweises darf das FG im Regelfall nur dann verzichten, wenn es die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsache zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar oder die zu beweisende Tatsache nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG nicht rechtserheblich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. Januar 2006 IX B 56/05, BFH/NV 2006, 954, und vom 10. Oktober 2007 X B 45/07, BFH/NV 2008, 96). Kein Verfahrensmangel ist daher gegeben, wenn das FG einen Beweis nicht erhebt, auf den es lediglich nach der materiell-rechtlichen Ansicht eines Beteiligten ankommt, nicht aber derjenigen des FG.
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bb) Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für die Ablehnung der Beweisanträge vor. Nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG waren die Beweisanträge nicht entscheidungserheblich. Da das FG nach Würdigung der maßgeblichen Umstände des Streitfalls davon überzeugt war, dass die in den Kalendern aufgezeichneten Beträge die tatsächlich von der Klägerin in den Streitjahren erzielten Bruttoumsätze waren, hätte es, wie im Urteil dargelegt, die Klage auch dann abgewiesen, wenn sich --wie von der Klägerin behauptet und unter Beweis gestellt-- der sachverständige Zeuge, ein Sachverständiger oder die als Zeugen benannten Gäste der Pizzerien dahingehend geäußert hätten, dass Umsätze in derartiger Höhe nicht zu erzielen gewesen seien.
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