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BFH 12.01.2010 - VIII B 159/08
BFH 12.01.2010 - VIII B 159/08 - Festsetzungsverjährung bei gleichzeitigen Ermittlungen der Steuerfahndung im Strafverfahren und Besteuerungsverfahren
Normen
§ 169 Abs 2 AO, § 171 Abs 5 S 1 AO, § 171 Abs 5 S 2 AO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 24. Juli 2008, Az: 5 K 776/08, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Es ist geklärt, dass die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung im Sinne von § 171 Abs. 5 Satz 1 AO entweder im Steuerstrafverfahren oder im Besteuerungsverfahren durchgeführt werden kann .
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2. NV: Die Steuerfahndung ist auch dann zuständig wenn wegen der Steuerstraftat bereits Verfolgungverjährung eingetreten, die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO aber noch nicht abgelaufen ist .
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3. NV: Allerdings ist ebenfalls geklärt, dass die Ablaufhemmung durch eine Ermittlungsmaßnahme nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nur eintritt, wenn der Steuerpflichtige erkennen kann, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte --u.a. aus einem Wertpapierdepot in der Schweiz-- umfangreiche Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt, aber nur zum Teil in ihren Einkommensteuererklärungen angegeben. Dies wurde der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts X aufgrund von Kontrollmaterial bekannt, welches aus einem Ermittlungsverfahren einer anderen Steuerfahndungsstelle gegen Verantwortliche und Mitarbeiter einer Bank wegen Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung herrührte. Daraufhin leitete die Steuerfahndungsstelle X ein Steuerstrafverfahren gegen die Klägerin ein und richtete an sie am 1. Februar 2000 folgendes Schreiben:
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"... am 31.01.2000 habe ich gegen Sie das Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung 1993 bis 1997 und der Vermögensteuerhinterziehung ab 01.01.1993 eingeleitet, weil der Verdacht besteht, dass Sie Kapitalanlagen bei der Z-Bank Schweiz und daraus resultierende Kapitalerträge im Inland nicht versteuert haben. ...
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Ich weise Sie ausdrücklich daraufhin, dass Sie als Beschuldigte im Steuerstrafverfahren zu keinen Aussagen verpflichtet und zu keiner Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet sind.
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Zur Vermeidung ansonsten gebotener strafprozessualer Maßnahmen rege ich an, von diesem Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch zu machen. Sollten Sie dieser Anregung folgen, bitte ich Sie, die nachstehenden Fragen zu beantworten und die Nachweise zu erbringen:
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1. Seit wann verfügen sie über eine Kontoverbindung zur
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Z-Bank Schweiz?
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1.1 Kontonummer
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1.2 Kontenarten (z.B. Kontokorrent-/Giro-/Festgeld-/ Wertpapierdepot)
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2. Ich bitte sämtliche
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- Depotaufstellungen
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- Saldenbestätigungen
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- Kontoübersichten
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- Erträgnisaufstellungen
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- Wertpapierkauf- und Verkaufsabrechnungen
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- Kuponeinreichungsbelege
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und dergl. zu den Akten zu geben, aus denen die Besteuerungsgrundlagen eindeutig ermittelt werden können.
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3. Ich bitte anzugeben, bei welchen weiteren in- und ausländischen Banken im Zeitraum ab 1989 weitere zinstragende Konten/Wertpapierdepots unterhalten worden sind. Hierüber bitte ich dieselben Dokumente zu den Akten zu geben, wie diese unter Tz 2 angefordert worden sind. ...
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Ich bitte um Beantwortung der obigen Fragen und um Erbringung der erbetenen Nachweise innerhalb von 4 Wochen nach Erhalt dieses Schreibens.
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Innerhalb derselben Frist bitte ich mich zu unterrichten, falls Sie von dem Ihnen oben erläuterten Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, damit die dann erforderlichen Maßnahmen seitens der Ermittlungsbehörde eingeleitet werden können.
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Ich weise Sie schließlich daraufhin, dass Sie bezüglich der obigen Fragen, die Zeiträume außerhalb des strafbefangenen Zeitraums betreffen, als Beteiligte im Besteuerungsverfahren zu Angaben verpflichtet sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die steuerliche Festsetzungsverjährungsfrist nicht mit der Strafverfolgungsverjährungsfrist deckt. ..."
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Nachdem das Finanzgericht (FG) für das Jahr 1993 die gegen den entsprechenden Änderungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen hatte und die Klägerin die Inhaberschaft des Depots in der Schweiz nicht mehr bestritt, erließ das FA im November 2007 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre (1989 und 1990). Darin erfasste das FA weitere der Höhe nach geschätzte Einnahmen aus Kapitalvermögen. Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der die Klägerin im Wesentlichen den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend machte, wies das FG ab. Die wegen Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung --AO--) wäre zwar regulär am 31. Dezember 2000 für die Einkommensteuer 1989 und am 31. Dezember 2001 für die Einkommensteuer 1990 abgelaufen; ihr Ablauf sei jedoch im Februar 2000 durch die Handlungen der Steuerfahndungsstelle X zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehemmt worden. Obwohl in dem Schreiben der Steuerfahndungsstelle "etwas unglücklich" strafrechtliche und steuerrechtliche Ermittlungen vermengt seien, werde dennoch unmissverständlich deutlich, dass die von der Klägerin für die Streitjahre (1989 und 1990) verlangten Angaben das Besteuerungsverfahren beträfen.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend.
Entscheidungsgründe
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
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1. Die Revision ist nicht zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Zu Unrecht rügt die Klägerin, es gebe zur Frage der Verfahrensvermischung von Strafverfahren und Besteuerungsverfahren keine Rechtsprechung. Es ist geklärt, dass die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung i.S. von § 171 Abs. 5 Satz 1 AO entweder im Steuerstrafverfahren oder im Besteuerungsverfahren durchgeführt werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. April 1997 XI R 61/94, BFHE 183, 13, BStBl II 1997, 595, unter 3.; BFH-Beschluss vom 29. Oktober 1986 I B 28/86, BFHE 147, 492 , BStBl II 1987, 440). Die Zuständigkeit der Steuerfahndung zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO hängt nicht davon ab, dass tatsächlich gleichzeitig auch ein Steuerstrafverfahren durchgeführt wird; die Steuerfahndung ist auch dann zuständig, wenn wegen der Steuerstraftat --wie im Streitfall-- bereits Verfolgungsverjährung eingetreten, die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO aber noch nicht abgelaufen ist (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 1997 VII B 45/97, BFHE 184, 266, BStBl II 1998, 231). Allerdings ist ebenfalls geklärt, dass die Ablaufhemmung durch eine Ermittlungsmaßnahme nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nur eintritt, wenn der Steuerpflichtige erkennen kann, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird (BFH-Urteile in BFHE 183, 13, BStBl II 1997, 595, unter 3., m.w.N.; vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, 2428).
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Diese rechtlichen Maßstäbe hat im Streitfall auch das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Deshalb ist es nicht geboten, dass sich der BFH als Revisionsgericht zur Fortbildung des Rechts erneut mit der Problematik befasst.
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Das FG hat auf dieser Grundlage indes den Sachverhalt dahin gewürdigt, für die Klägerin sei unmissverständlich deutlich geworden, dass die Steuerfahndung von ihr Angaben im Besteuerungsverfahren für die Jahre 1989 und 1990 verlangt habe. Obwohl das Schreiben der Steuerfahndung vom 1. Februar 2000 strafrechtliche und steuerliche Ermittlungen vermengt habe, sei für einen aufmerksamen und normal begabten Leser --folglich auch für die Klägerin-- daraus hervorgegangen, dass die Steuerfahndung die Klägerin nach ihren Einnahmen aus Kapitalvermögen ab dem Jahr 1989 gefragt habe und diese der Besteuerung habe unterwerfen wollen. Die Richtigkeit dieser Tatsachenwürdigung kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geprüft werden. Unrichtige Tatsachenwürdigung ist kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO. Im Übrigen wäre diese Tatsachenwürdigung, da sie möglich ist, auch in einem nachfolgenden Revisionsverfahren für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
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2. Aus dem von der Klägerin angeführten BFH-Urteil in DStR 2009, 2428 ergibt sich keine andere Beurteilung. Die von der Klägerin aus jenem Urteil zitierte Formulierung, nach der die Ablaufhemmung nur in Bezug auf denjenigen konkreten Steueranspruch eintritt, der durch eine im Ermittlungsverfahren näher aufzuklärende Straftat verletzt worden sein soll, betraf die Vorschrift des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO, also die Ablaufhemmung durch Einleitung eines Strafverfahrens. Außerdem ist in jener Entscheidung ausgesprochen, dass Ermittlungen der Strafsachen- und Bußgeldstelle nicht der Steuerfahndung zugerechnet werden und daher die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht auslösen können. Im Streitfall geht es hingegen gerade um die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO.
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3. Die Vorentscheidung beruht auch nicht auf einem Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Es ist kein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 und 2 FGO, § 96 Abs. 2 FGO und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ersichtlich. Allein die Tatsache, dass das FG nicht sämtliches Vorbringen der Klägerin im Einzelnen beantwortet und ihr Vorbringen abweichend von ihrer Auffassung gewürdigt hat, ergibt keinen Verfahrensfehler. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten insgesamt zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.
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