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EuGH 27.02.2014 - C-454/12, C-455/12
EuGH 27.02.2014 - C-454/12, C-455/12 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer) - 27. Februar 2014 ( *1) - „Vorabentscheidungsersuchen — Mehrwertsteuer — Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie — Art. 12 Abs. 3 — Anhang H Kategorie 5 — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 98 Abs. 1 und 2 — Anhang III Nr. 5 — Grundsatz der Neutralität — Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks — Regelung eines Mitgliedstaats, wonach für die Beförderung per Taxi und per Mietwagen mit Fahrergestellung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gelten“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-454/12 und C-455/12
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 10. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2012, in den Verfahren
Pro Med Logistik GmbH (C-454/12)
gegen
Finanzamt Dresden-Süd
und
Eckard Pongratz als Insolvenzverwalter von Karin Oertel (C-455/12)
gegen
Finanzamt Würzburg mit Außenstelle Ochsenfurt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. G. Fernlund (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Pro Med Logistik GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt J. Seelinger,
von Herrn Pongratz, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Küffner und T. Streit,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von B. Tidore, avvocato dello Stato,
der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und C. Soulay als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2001/4/EG des Rates vom 19. Januar 2001 (ABl. L 22, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie), der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) und des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität.
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Pro Med Logistik GmbH (im Folgenden: Pro Med) und dem Finanzamt Dresden-Süd sowie zwischen Herrn Pongratz in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter von Frau Oertel und dem Finanzamt Würzburg wegen Mehrwertsteuer auf die Beförderung von Personen mit Mietwagen für die Jahre 2003 bis 2007.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Sechste Richtlinie
Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.
Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 und 3 dieser Richtlinie bestimmt:
„Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat auf einen bestimmten Vomhundertsatz der Besteuerungsgrundlage festgesetzt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. Vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2005 darf dieser Satz nicht niedriger als 15 % sein.
…
Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar.“
In Anhang H („Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt.-Sätze angewandt werden können“) der Richtlinie heißt es:
„Bei der Übertragung der nachstehenden Kategorien von Gegenständen in ihre einzelstaatlichen Rechtsvorschriften können die Mitgliedstaaten den genauen Geltungsbereich der betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur abgrenzen.
Kategorie
Warenbezeichnung
…
5
Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks;
…“
Mehrwertsteuerrichtlinie
Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“
Art. 97 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2010 muss der Normalsatz mindestens 15 % betragen.“
Art. 98 Abs. 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.“
Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält in Nr. 5 des Verzeichnisses der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Art. 98 angewendet werden können, die „Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks“.
Deutsches Recht
Nach § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in seiner für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgebenden Fassung vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2878) betrug die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 % in den Jahren 2003 bis 2006 und 19 % im Jahr 2007.
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG bestimmte:
„Die Steuer ermäßigt sich auf sieben Prozent für die folgenden Umsätze:
die Beförderungen von Personen im Schienenbahnverkehr mit Ausnahme der Bergbahnen, im Verkehr mit Oberleitungsomnibussen, im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen, im Verkehr mit Taxen und die Beförderungen im Fährverkehr
innerhalb einer Gemeinde oder
wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt.“
§ 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690) bestimmt in der für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgebenden geänderten Fassung:
„Sachlicher Geltungsbereich
(1) Den Vorschriften dieses Gesetzes unterliegt die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsomnibussen (Obussen) und mit Kraftfahrzeugen. Als Entgelt sind auch wirtschaftliche Vorteile anzusehen, die mittelbar für die Wirtschaftlichkeit einer auf diese Weise geförderten Erwerbstätigkeit erstrebt werden.
(2) Diesem Gesetz unterliegen nicht Beförderungen
mit Personenkraftwagen, wenn das Gesamtentgelt die Betriebskosten der Fahrt nicht übersteigt;
mit Krankenkraftwagen, wenn damit kranke, verletzte oder sonst hilfsbedürftige Personen befördert werden, die während der Fahrt einer medizinisch fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtung des Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen solches auf Grund ihres Zustandes zu erwarten ist.“
§ 2 Abs. 1 Nr. 4 PBefG schreibt vor:
„Wer im Sinne des § 1 Abs. 1
…
mit Kraftfahrzeugen im Gelegenheitsverkehr (§ 46)
Personen befördert, muss im Besitz einer Genehmigung sein. Er ist Unternehmer im Sinne dieses Gesetzes.“
§ 13 Abs. 4 Satz 1 PBefG lautet:
„Beim Verkehr mit Taxen ist die Genehmigung zu versagen, wenn die öffentlichen Verkehrsinteressen dadurch beeinträchtigt werden, dass durch die Ausübung des beantragten Verkehrs das örtliche Taxengewerbe in seiner Funktionsfähigkeit bedroht wird.“
§ 21 Abs. 1 bis 3 PBefG bestimmt:
„(1) Der Unternehmer ist verpflichtet, den ihm genehmigten Betrieb aufzunehmen und während der Geltungsdauer der Genehmigung den öffentlichen Verkehrsinteressen und dem Stand der Technik entsprechend aufrechtzuerhalten.
(2) Die Genehmigungsbehörde kann dem Unternehmer für die Aufnahme des Betriebs eine Frist setzen.
(3) Die Genehmigungsbehörde kann dem Unternehmer auferlegen, den von ihm betriebenen Verkehr zu erweitern oder zu ändern, wenn die öffentlichen Verkehrsinteressen es erfordern und es dem Unternehmer unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Lage, einer ausreichenden Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals und der notwendigen technischen Entwicklung zugemutet werden kann. …“
§ 22 PBefG lautet:
„Der Unternehmer ist zur Beförderung verpflichtet, wenn
die Beförderungsbedingungen eingehalten werden,
die Beförderung mit den regelmäßig eingesetzten Beförderungsmitteln möglich ist und
die Beförderung nicht durch Umstände verhindert wird, die der Unternehmer nicht abwenden und denen er auch nicht abhelfen kann.“
Nach § 46 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 PBefG sind der Verkehr mit Taxen und der Verkehr mit Mietwagen verschiedene Formen des nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 PBefG genehmigungspflichtigen „Gelegenheitsverkehrs“.
§ 47 PBefG bestimmt:
„(1) Verkehr mit Taxen ist die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die der Unternehmer an behördlich zugelassenen Stellen bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt. Der Unternehmer kann Beförderungsaufträge auch während einer Fahrt oder am Betriebssitz entgegennehmen.
(2) Taxen dürfen nur in der Gemeinde bereitgehalten werden, in der der Unternehmer seinen Betriebssitz hat. Fahrten auf vorherige Bestellung dürfen auch von anderen Gemeinden aus durchgeführt werden. Die Genehmigungsbehörde kann im Einvernehmen mit anderen Genehmigungsbehörden das Bereithalten an behördlich zugelassenen Stellen außerhalb der Betriebssitzgemeinde gestatten und einen größeren Bezirk festsetzen.
(3) Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung den Umfang der Betriebspflicht, die Ordnung auf Taxenständen sowie Einzelheiten des Dienstbetriebs zu regeln. Sie kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung übertragen. In der Rechtsverordnung können insbesondere Regelungen getroffen werden über
das Bereithalten von Taxen in Sonderfällen einschließlich eines Bereitschaftsdienstes,
die Annahme und Ausführung von fernmündlichen Fahraufträgen,
den Fahr- und Funkbetrieb,
die Behindertenbeförderung und
die Krankenbeförderung, soweit es sich nicht um Beförderungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 handelt.
(4) Die Beförderungspflicht besteht nur für Fahrten innerhalb des Geltungsbereichs der nach § 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 festgesetzten Beförderungsentgelte (Pflichtfahrbereich).
(5) Die Vermietung von Taxen an Selbstfahrer ist verboten.“
§ 49 Abs. 4 PBefG lautet:
„Verkehr mit Mietwagen ist die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die nur im Ganzen zur Beförderung gemietet werden und mit denen der Unternehmer Fahrten ausführt, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt und die nicht Verkehr mit Taxen nach § 47 sind. Mit Mietwagen dürfen nur Beförderungsaufträge ausgeführt werden, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen sind. Nach Ausführung des Beförderungsauftrags hat der Mietwagen unverzüglich zum Betriebssitz zurückzukehren, es sei denn, er hat vor der Fahrt von seinem Betriebssitz oder der Wohnung oder während der Fahrt fernmündlich einen neuen Beförderungsauftrag erhalten. Den Eingang des Beförderungsauftrages am Betriebssitz oder in der Wohnung hat der Mietwagenunternehmer buchmäßig zu erfassen und die Aufzeichnung ein Jahr aufzubewahren. Annahme, Vermittlung und Ausführung von Beförderungsaufträgen, das Bereithalten des Mietwagens sowie Werbung für Mietwagenverkehr dürfen weder allein noch in ihrer Verbindung geeignet sein, zur Verwechslung mit dem Taxenverkehr zu führen. Den Taxen vorbehaltene Zeichen und Merkmale dürfen für Mietwagen nicht verwendet werden. Die §§ 21 und 22 sind nicht anzuwenden.“
§ 51 PBefG bestimmt:
„(1) Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Beförderungsentgelte und -bedingungen für den Taxenverkehr festzusetzen. Die Rechtsverordnung kann insbesondere Regelungen vorsehen über
Grundpreise, Kilometerpreise und Zeitpreise,
Zuschläge,
Vorauszahlungen,
die Abrechnung,
die Zahlungsweise und
die Zulässigkeit von Sondervereinbarungen für den Pflichtfahrbereich.
Die Landesregierung kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung übertragen.
(2) Sondervereinbarungen für den Pflichtfahrbereich sind nur zulässig, wenn
ein bestimmter Zeitraum, eine Mindestfahrtenzahl oder ein Mindestumsatz im Monat festgelegt wird,
eine Ordnung des Verkehrsmarktes nicht gestört wird,
die Beförderungsentgelte und -bedingungen schriftlich vereinbart sind und
in der Rechtsverordnung eine Pflicht zur Genehmigung oder Anzeige vorgesehen ist.
(3) Bei der Festsetzung der Beförderungsentgelte und -bedingungen sind § 14 Abs. 2 und 3 sowie § 39 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.
(4) Die ermächtigten Stellen können für einen Bereich, der über den Zuständigkeitsbereich einer die Beförderungsentgelte und -bedingungen festsetzenden Stelle hinausgeht, in gegenseitigem Einvernehmen einheitliche Beförderungsentgelte und -bedingungen vereinbaren.
(5) Für die Anwendung der Beförderungsentgelte und -bedingungen gilt § 39 Abs. 3 entsprechend.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-454/12
Pro Med ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht, die u. a. über eine Genehmigung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 PBefG für den Verkehr mit Mietwagen verfügt, nicht jedoch über eine Genehmigung für den Verkehr mit Taxen im Sinne von § 47 PBefG.
In den Jahren 2006 und 2007 führte Pro Med im Auftrag von Krankenkassen Krankenfahrten mit hierfür nicht besonders eingerichteten Fahrzeugen durch.
Am 27. November 2007 verpflichtete sich Pro Med zur Erfüllung aller Bedingungen, die in dem zwischen der Krankenkasse A und dem Taxi- und Mietwagenunternehmerverband (im Folgenden: Verband) zum 1. Oktober 2007 geschlossenen Vertrag zur Durchführung von Krankenfahrten für Versicherte der Krankenkasse A mittels Taxiunternehmen vereinbart worden waren. Gegenstand des Vertrags ist nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 die Beteiligung der im Verband organisierten Taxiunternehmen an der Durchführung von Krankenfahrten der bei der Krankenkasse A Versicherten. Gemäß § 5 Abs. 1 des Vertrags gilt für die Vergütung der Krankenfahrten die Gebührenvereinbarung nach Anlage 1 des Vertrags.
Infolge einer Steuerprüfung des Finanzamts Dresden-Süd wurde Pro Med aufgegeben, die im Rahmen des Vertrags zwischen der Krankenkasse A und dem Verband erbrachten Beförderungsdienstleistungen mit dem allgemeinen Steuersatz gemäß § 12 Abs. 1 UStG zu erklären. Ihre Einsprüche, mit denen sie u. a. eine Besteuerung nach dem in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG vorgesehenen ermäßigten Steuersatz begehrte, blieben ohne Erfolg.
Pro Med erhob Klage beim Finanzgericht. Dieses verneinte eine Berechtigung von Pro Med, den ermäßigten Steuersatz auf die betreffenden Beförderungsleistungen anzuwenden, und führte zur Begründung aus, dass sie mangels entsprechender Genehmigung keine Beförderungsleistungen im Verkehr mit Taxen erbracht habe. Das Finanzgericht äußerte jedoch Zweifel in Bezug auf die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung dieser beiden Kategorien von Unternehmen. Taxiunternehmen hätten nämlich die Möglichkeit, Beförderungsleistungen für Krankenkassen zu erbringen, die nicht den für den öffentlichen Nahverkehr geltenden Tarifen unterlägen und auf Vereinbarungen mit den Krankenkassen beruhten. Diesen Beförderungsleistungen fehlten aber die wesentlichen Merkmale des öffentlichen Nahverkehrs, auf denen die steuerliche Begünstigung beruhe.
Pro Med legte gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts, mit der ihr die Möglichkeit der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf den Umsatz aus von ihr erbrachten Krankenbeförderungsleistungen verweigert wurde, Revision ein.
Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob die nationale selektive Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Einklang steht. Zum einen dienten aus der Sicht des Verbrauchers sowohl Taxen als auch Mietwagen mit Fahrergestellung der Personenbeförderung, was für eine Vergleichbarkeit der Leistungen spreche. Zum anderen bestünden hinsichtlich ihrer Bedingungen, selbst im Fall einer Sondervereinbarung zwischen einem Taxiunternehmen und Großkunden, insbesondere in Bezug auf die Festlegung des Beförderungsentgelts sowie die Betriebs- und Beförderungspflicht wesentliche Unterschiede, die eine Verletzung des genannten Grundsatzes ausschließen könnten.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stehen Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 in Verbindung mit Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie und Art. 98 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Nr. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie unter Beachtung des Neutralitätsprinzips einer nationalen Regelung entgegen, die für die Beförderung von Personen im Verkehr mit Taxen im Nahverkehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorsieht, wohingegen für die Beförderung von Personen mit sogenannten Mietwagen im Nahverkehr der Regelsteuersatz gilt?
Ist bei der Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, ob Fahrten auf der Grundlage von Sondervereinbarungen mit Großkunden unter nahezu gleichlautenden Bedingungen von Kraftdroschken- bzw. Taxiunternehmern und Mietwagenunternehmern ausgeführt werden?
Rechtssache C-455/12
Frau Oertel leitete in der Stadt A seit Ende Dezember 1994 ein Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung. Der Katalog ihrer Dienstleistungen umfasste Personenbeförderung, Krankentransporte (sitzend), Beförderung von Dialysepatienten, Beförderung von Schülern, Kurierdienst und Materialfahrten, Hotel- und Flughafentransfers, Stadtrundfahrten sowie Organisation von Transfers.
Zu den Kunden von Frau Oertel gehörten neben Privatpersonen eine Reihe von Dauer- und Großkunden. Aufträge und Vorbestellungen wurden telefonisch, per Telefax oder per E-Mail entgegengenommen. Die Fahrpreisgestaltung richtete sich nach einem in feste Tarifzonen eingeteilten Plan, anhand dessen die Endpreise für die Kunden berechnet werden konnten. Im fraglichen Zeitraum verfügte Frau Oertel über zehn betriebseigene Fahrzeuge.
In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Steuerjahre 2003 bis 2006 wandte Frau Oertel auf ihren Umsatz aus der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrergestellung für Strecken von nicht mehr als 50 km oder innerhalb der Stadt A den ermäßigten Steuersatz, also den Satz von 7 %, an.
Das Finanzamt Würzburg wies die Erklärungen zurück und wandte auf die in Rede stehenden Umsätze den Regelsteuersatz, also den Satz von 16 %, an.
Frau Oertel erhob Klage beim Finanzgericht. Dieses wies ihre Klage, mit der sie die Anwendung des ermäßigten Satzes auf den fraglichen Umsatz begehrte, im Wesentlichen ab. Es führte aus, dass das Unternehmen von Frau Oertel als Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Satzes nicht erfülle und dass die Regelung, die die Anwendung dieses Satzes auf Taxiunternehmen beschränke, verfassungsgemäß sei. Frau Oertel könne auch weder nach der Sechsten Richtlinie die Anwendung dieses Satzes verlangen noch sich auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität berufen. Die Anwendung zweier verschiedener Sätze beschränke zwar den Wettbewerb zwischen den beiden Kategorien von Unternehmen, da ihre Leistungen gleichartig seien; diese Beschränkung sei jedoch insbesondere durch das öffentliche Interesse – im vorliegenden Fall – an der geordneten und flächendeckenden Erfüllung von Aufgaben des Nahverkehrs durch Taxiunternehmen gerechtfertigt.
Frau Oertel legte gegen diese Entscheidung, mit der ihr die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes verweigert wurde, Revision ein.
Der Bundesfinanzhof, der hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität die gleichen Zweifel wie in der Rechtssache C-454/12 hegt, hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 in Verbindung mit Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie unter Beachtung des Neutralitätsprinzips einer nationalen Regelung entgegen, die für die Beförderung von Personen im Verkehr mit Taxen im Nahverkehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorsieht, wohingegen für die Beförderung von Personen mit sogenannten Mietwagen im Nahverkehr der Regelsteuersatz gilt?
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 wurde dem vorlegenden Gericht mitgeteilt, dass der von Frau Oertel bei ihm anhängig gemachte Rechtsstreit von Herrn Pongratz in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter des Unternehmens von Frau Oertel fortgeführt werde.
Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. November 2012 sind die Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage in der Rechtssache C-454/12 und zur einzigen Frage in der Rechtssache C-455/12
Mit der ersten Frage in der Rechtssache C-454/12 und der einzigen Frage in der Rechtssache C-455/12, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang H Kategorie 5 und Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 5 sowie der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dem entgegenstehen, dass zwei Arten von Dienstleistungen der Personenbeförderung im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen, einem ermäßigten Satz und dem normalen Steuersatz, unterworfen werden.
Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass der gleiche Mehrwertsteuersatz – der Normalsatz – für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gilt.
Abweichend von diesem Grundsatz erkennt Art. 98 Abs. 1 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu, einen oder zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Nach Art. 98 Abs. 2 sind die ermäßigten Mehrwertsteuersätze nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III der Richtlinie genannten Kategorien anwendbar.
Anhang III Nr. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie gestattet die Anwendung eines ermäßigten Satzes auf Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks.
Die in diesen Bestimmungen festgelegten Regeln stimmen im Wesentlichen mit denen in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 und 3 sowie in Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie überein.
Der Gerichtshof hat zu Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie bereits ausgeführt, dass der Wortlaut dieser Bestimmung nicht zu der Auslegung zwingt, dass der ermäßigte Steuersatz nur dann angewandt werden kann, wenn er sich auf alle Aspekte einer Kategorie von Leistungen im Sinne des Anhangs H dieser Richtlinie bezieht, so dass eine selektive Anwendung eines ermäßigten Satzes nicht ausgeschlossen ist, sofern sie keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht (vgl. Urteil vom 6. Mai 2010, Kommission/Frankreich, C-94/09, Slg. 2010, I-4261, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat ebenfalls klargestellt, dass seine Auslegung von Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie auf die im Wesentlichen gleichlautenden Abs. 1 und 2 von Art. 98 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu erstrecken ist (Urteil Kommission/Frankreich, Rn. 27).
Der Gerichtshof hat infolgedessen entschieden, dass die Mitgliedstaaten, sofern der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, die Möglichkeit haben, konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Leistungen im Sinne des Anhangs III der Mehrwertsteuerrichtlinie und des Anhangs H der Sechsten Richtlinie mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Frankreich, Rn. 26 und 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Demnach unterliegt die den Mitgliedstaaten zuerkannte Wahrnehmung der Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes der zweifachen Bedingung, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen herausgelöst werden und zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Diese Bedingungen sollen sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit nur unter Umständen Gebrauch machen, die die einfache und korrekte Anwendung des gewählten ermäßigten Satzes gewährleisten und jede Form von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch verhindern (vgl. Urteil Kommission/Frankreich, Rn. 30).
Folglich ist zu prüfen, ob die Beförderung von Personen per Taxi, für die nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes vorsehen, einen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungskategorie „Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks“, die sowohl in Anhang III Nr. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch in Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie aufgeführt ist, darstellt und, wenn ja, ob die Anwendung dieses Satzes allein auf die Tätigkeit der Beförderung von Personen per Taxi den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beeinträchtigt.
Zum Begriff „konkreter und spezifischer Aspekt“
Zur Klärung der Frage, ob die Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der von den Unternehmen erbrachten Leistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt, ist zu prüfen, ob es sich um die Erbringung einer Dienstleistung handelt, die getrennt von den übrigen Leistungen dieser Kategorie als solche bestimmbar ist (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Frankreich, Rn. 35).
Hierzu ergibt sich aus den Angaben in den Vorlageentscheidungen, dass Taxiunternehmen in vollem Umfang als Erbringer einer öffentlichen Dienstleistung der Beförderung von Personen angesehen werden, deren Tätigkeit von der Erteilung einer Genehmigung durch die zuständige Behörde abhängig ist und erheblichen Verpflichtungen unterliegt. Zu diesen Verpflichtungen gehört u. a., dass sie ihre Tätigkeit entsprechend den öffentlichen Verkehrsinteressen aufrechterhalten (§ 21 PBefG), die Beförderung durchführen (§ 22 PBefG) und die festgesetzten Beförderungsentgelte beachten (§§ 47 Abs. 4 und 51 Abs. 1 PBefG).
Ein rechtlicher Rahmen, der Taxiunternehmen – im Unterschied zu Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung – zwänge, Beförderungsleistungen unter Übernahme einer Betriebspflicht zu erbringen, und ihnen verböte, eine Beförderung in Erwartung insbesondere einer profitableren Fahrt abzulehnen oder Situationen gewinnbringend zu nutzen, in denen sie ein vom offiziellen Tarif abweichendes Beförderungsentgelt verlangen könnten, ist geeignet, unterschiedliche Leistungen zu kennzeichnen.
Unter solchen Umständen kann die Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi als eine Dienstleistung eingestuft werden, die getrennt von den übrigen Leistungen der betreffenden Kategorie – der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks – als solche bestimmbar ist. Diese Tätigkeit könnte somit einen konkreten und spezifischen Aspekt der genannten Kategorie darstellen.
Es ist indessen Sache des nationalen Gerichts, anhand der nationalen Regelung und der tatsächlichen Umstände, mit denen es befasst ist, zu prüfen, ob dies in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten der Fall ist.
Zur Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität
Nach gefestigter Rechtsprechung lässt es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. Urteil vom 10. November 2011, The Rank Group, C-259/10 und C-260/10, Slg. 2011, I-10947, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Klärung der Frage, ob zwei Dienstleistungen im Sinne dieser Rechtsprechung gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen, wobei künstliche, auf unbedeutenden Unterschieden beruhende Unterscheidungen vermieden werden müssen (vgl. Urteil The Rank Group, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zwei Dienstleistungen sind daher gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach Maßgabe eines Kriteriums der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere dieser Dienstleistungen zu wählen, nicht erheblich beeinflussen (vgl. Urteil The Rank Group, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ferner ist daran zu erinnern, dass es für die Beurteilung der Vergleichbarkeit von Leistungen nicht allein auf die Gegenüberstellung einzelner Leistungen ankommt, sondern der Kontext zu berücksichtigen ist, in dem sie erbracht werden (vgl. Urteil vom 23. April 2009, TNT Post UK, C-357/07, Slg. 2009, I-3025, Rn. 38).
Insoweit hat der Gerichtshof anerkannt, dass in bestimmten Ausnahmefällen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Wirtschaftszweige Unterschiede im rechtlichen Rahmen und in der rechtlichen Regelung der betreffenden Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen in den Augen des Verbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit im Hinblick auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse führen können (vgl. in diesem Sinne Urteil The Rank Group, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Somit sind auch die unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen, denen die beiden in Rn. 48 des vorliegenden Urteils genannten Beförderungsarten unterliegen, und deshalb ihre jeweiligen Merkmale zu berücksichtigen, die in den Augen der Durchschnittsverbraucher die eine von der anderen unterscheiden.
Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht ausgeführt, dass Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung nur Beförderungsaufträge annehmen dürften, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen seien; dagegen sei Taxiunternehmen die Annahme von Aufträgen stets gestattet, was das Vorhandensein von Fahrzeugen an genau bestimmten Stellen oder die Abrufbarkeit voraussetze. Es hat ferner hervorgehoben, dass zwischen diesen beiden Beförderungsarten Unterschiede in Bezug auf die Annahme, die Übermittlung und die Durchführung der Beförderungsaufträge sowie in Bezug auf das Bereithalten des Fahrzeugs und die Werbung bestünden. Das vorlegende Gericht hält diese Unterschiede allein oder in Verbindung miteinander für geeignet, jede Gefahr einer Verwechslung zwischen dem Taxenverkehr und dem Mietwagenverkehr mit Fahrergestellung zu vermeiden. Es hat schließlich darauf hingewiesen, dass den Taxen vorbehaltene Zeichen und Merkmale für Mietwagen mit Fahrergestellung nicht verwendet werden dürften.
Solche Unterschiede auf der Ebene der rechtlichen Anforderungen, denen die fraglichen Beförderungsarten unterliegen, können – wenn sie sich als zutreffend erweisen, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist – in den Augen des durchschnittlichen Nutzers einen Unterschied zwischen diesen Beförderungsarten schaffen, da jede von ihnen geeignet ist, unterschiedliche Bedürfnisse des Nutzers zu befriedigen, und somit auf seine Entscheidung, die eine oder die andere Beförderungsart zu wählen, maßgeblichen Einfluss haben kann, so dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität ihrer abweichenden steuerlichen Behandlung nicht entgegenstünde.
Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-454/12 und die einzige Frage in der Rechtssache C-455/12 zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang H Kategorie 5 und Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 5 unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze, eines ermäßigten und des normalen Steuersatzes, auf zwei Arten von Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, nicht entgegenstehen, sofern zum einen aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen, denen diese beiden Beförderungsarten unterliegen, die Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungskategorie der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Sinne von Kategorie 5 bzw. Nr. 5 der Anhänge dieser Richtlinien darstellt und zum anderen die fraglichen Unterschiede maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des durchschnittlichen Nutzers für die eine oder die andere Beförderungsart haben. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies in den Ausgangsverfahren der Fall ist.
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-454/12
Mit seiner zweiten Frage in der Rechtssache C-454/12 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bei der Beantwortung der ersten Frage in der Rechtssache C-454/12 und der einzigen Frage in der Rechtssache C-455/12 zu berücksichtigen ist, dass Taxiunternehmen und Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung ihre Leistungen auf der Grundlage einer Sondervereinbarung erbringen, die unterschiedslos und unter nahezu gleichlautenden Bedingungen auf diese verschiedenen Unternehmen Anwendung findet.
Wie in Rn. 46 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist zur Klärung der Frage, ob ein Mitgliedstaat unter solchen Umständen die Möglichkeit hat, auf die Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, während er die per Mietwagen mit Fahrergestellung durchgeführte Beförderung dem normalen Steuersatz unterwirft, zu prüfen, ob diese Dienstleistung einen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungskategorie „Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks“, die sowohl in Anhang III Nr. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch in Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie aufgeführt ist, darstellt und, wenn ja, ob die Anwendung dieses Satzes den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beeinträchtigt.
Hierzu ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen im Wesentlichen Krankentransporte im Rahmen einer Vereinbarung wie der Vereinbarung zwischen der Krankenkasse A und dem Verband sind, die auf die Taxiunternehmen und die Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung, mit denen sie getroffen wurde, unterschiedslos angewandt wird. Nach den Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ist das Beförderungsentgelt in dieser Vereinbarung festgelegt und gilt in gleicher Weise für beide Beförderungskategorien. Zudem führe die Vereinbarung für diese beiden Beförderungskategorien zu keiner anderen Beförderungs- und Betriebspflicht als der bereits aufgrund des Vertrags bestehenden Pflicht zur tatsächlichen Durchführung des Transports. Die Taxiunternehmen unterlägen somit im Rahmen einer solchen Vereinbarung nicht den außerhalb dieser Vereinbarung für sie geltenden rechtlichen Anforderungen.
Sollten sich diese Umstände als zutreffend erweisen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, müsste dieses davon ausgehen, dass im Rahmen der Vereinbarung zwischen der Krankenkasse A und dem Verband die Beförderung von Personen per Taxi keinen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungskategorie der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt. Zudem wäre diese Tätigkeit daher, aus der Sicht des durchschnittlichen Nutzers, als der Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Mietwagen mit Fahrergestellung gleichartig anzusehen. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Tätigkeit des Krankentransports im Rahmen von Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Personenbeförderungsunternehmen in ihrer Gesamtheit einen konkreten und spezifischen Aspekt der von Unternehmen, die Personen und das mitgeführte Gepäck befördern, erbrachten Leistungen im Sinne der in Rn. 44 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellen könnte.
Folglich ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C-454/12 zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang H Kategorie 5 und Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 5 unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dagegen dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auf zwei Arten von Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, entgegenstehen, wenn aufgrund einer Sondervereinbarung, die auf die Taxiunternehmen und die Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung, mit denen sie getroffen wurde, unterschiedslos angewandt wird, die Beförderung von Personen per Taxi keinen konkreten und spezifischen Aspekt der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt und wenn die im Rahmen dieser Vereinbarung durchgeführte Tätigkeit, aus der Sicht des durchschnittlichen Nutzers, als der Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Mietwagen mit Fahrergestellung gleichartig anzusehen ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Kosten
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 in Verbindung mit Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2001/4/EG des Rates vom 19. Januar 2001 geänderten Fassung und Art. 98 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass sie der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze, eines ermäßigten und des normalen Steuersatzes, auf zwei Arten von Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, nicht entgegenstehen, sofern zum einen aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen, denen diese beiden Beförderungsarten unterliegen, die Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungskategorie der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Sinne von Kategorie 5 bzw. Nr. 5 der Anhänge dieser Richtlinien darstellt und zum anderen die fraglichen Unterschiede maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des durchschnittlichen Nutzers für die eine oder die andere Beförderungsart haben. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies in den Ausgangsverfahren der Fall ist.
Dagegen sind Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 in Verbindung mit Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2001/4 geänderten Fassung und Art. 98 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112 unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass sie der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auf zwei Arten von Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, entgegenstehen, wenn aufgrund einer Sondervereinbarung, die auf die Taxiunternehmen und die Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung, mit denen sie getroffen wurde, unterschiedslos angewandt wird, die Beförderung von Personen per Taxi keinen konkreten und spezifischen Aspekt der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt und wenn die im Rahmen dieser Vereinbarung durchgeführte Tätigkeit, aus der Sicht des durchschnittlichen Nutzers, als der Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Mietwagen mit Fahrergestellung gleichartig anzusehen ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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