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BSG 28.04.2017 - B 1 KR 15/17 B
BSG 28.04.2017 - B 1 KR 15/17 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Prozesskostenhilfe - verspäteter Eingang des PKH-Gesuchs - Fristversäumnis - prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts
Normen
§ 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG, § 114 ZPO, § 121 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Dortmund, 27. Oktober 2016, Az: S 39 KR 1873/13, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. Februar 2017, Az: L 5 KR 883/16, Beschluss
Tenor
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Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2017 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr 220,92 Euro Kosten für das selbst beschaffte Arzneimittel Armour Thyroid zu erstatten und sie zukünftig mit diesem Medikament zu versorgen, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG ua ausgeführt, das begehrte Fertigarzneimittel sei zulassungspflichtig und weder in Deutschland noch EU-weit zugelassen. Ein Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use scheide aus. Eine notstandsähnliche Situation, die eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertige, liege ebenso wenig vor wie ein Seltenheitsfall (Beschluss vom 14.2.2017, zugestellt am 21.2.2017). Die Klägerin hat mit einem am 17.3.2017 beim LSG eingegangenen und an das BSG weitergeleiteten Schreiben selbst sinngemäß Beschwerde ("Widerspruch") gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 14.2.2017 eingelegt und unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe (Erklärung) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Das Schreiben nebst Erklärung mit Anlagen ist am 23.3.2017 beim BSG eingegangen.
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II. 1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.
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a) Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Klägerin nicht fristgerecht innerhalb der Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 S 2 SGG) beim BSG PKH beantragt hat (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 10.12.2014 - B 1 KR 11/14 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 5 S 12 mwN). Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl BVerfGE 57, 250, 275; BVerfGE 60, 1, 6 f; BVerfGE 75, 183, 188 ff) und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl BVerfGE 38, 105, 111 ff; BVerfGE 40, 95, 98 f; BVerfGE 46, 202, 210; BVerfGE 78, 123, 126). Dementsprechend kann der verspätete Eingang des PKH-Gesuchs nicht einem Beteiligten vorgeworfen werden, wenn das Fristversäumnis (auch) auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen (vgl BVerfGE 93, 99, 114 f, dort zur Weiterleitung einer beim LG eingegangenen Berufung an das OLG; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 61 mwN).
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So liegt der Fall hier. Denn das Fristversäumnis ist dem Organisationsbereich des LSG zuzuordnen. Gegen den ihr am 21.2.2017 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 17.3.2017 (Freitag) "Widerspruch" eingelegt und die Erklärung eingereicht. Das LSG hat erst am 20.3.2017 (Montag) die Weiterleitung des Schriftsatzes an das BSG verfügt. Die Verfügung wurde am 21.3.2017 ausgeführt. Das LSG hätte angesichts des drohenden Fristablaufs durch eine zeitnahe Weiterleitung des Schreibens der Klägerin für einen rechtzeitigen Zugang des PKH-Antrags beim BSG Sorge tragen müssen und auch können. Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (vgl BVerfGE 93, 99, 114 f; BSGE 38, 248, 261 f = SozR 1500 § 67 Nr 1 S 11 f; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 61; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 5). Zwar ist ein Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, jedes Schriftstück unmittelbar nach seinem Eingang daraufhin zu überprüfen, ob darin etwa eine Rechtsmittelschrift enthalten ist, die an das zuständige Gericht weitergeleitet werden muss (vgl BSGE 38, 248, 261 = SozR 1500 § 67 Nr 1 S 10 f); insbesondere besteht keine Verpflichtung, ggf außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang der Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten (vgl BSG Beschluss vom 23.7.2012 - B 13 R 280/12 B - Juris RdNr 6 mwN). Hier ist der Charakter des Schreibens der Klägerin als Antrag auf Zulassung der Revision und Bewilligung von PKH für das Verfahren vor dem BSG aber deutlich zum Ausdruck gekommen. Der drohende Fristablauf ist unschwer und nicht nur erst bei eingehender Durcharbeitung zu erkennen gewesen. Der Antrag ist auch noch so früh beim LSG eingegangen, dass das LSG die hinreichende Möglichkeit hatte, es bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang rechtzeitig weiterzuleiten. Dass bei dieser Sachlage die Weiterleitung des Schreiben nicht schon am Freitag verfügt und die Verfügung am selben Tag ausgeführt wurde, kann der Klägerin nicht zugerechnet werden.
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b) Nach Durchsicht der Akten fehlen aber auch unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin Anhaltspunkte dafür, dass sie einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
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Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Insbesondere ist mit Blick auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats kein Klärungsbedarf zu Fragen im Zusammenhang mit dem Off-Label-Use (vgl nur BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR) oder der grundrechtsorientierten Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl nur BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR; BSG Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R - vorgesehen für BSGE und SozR) erkennbar.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Ebenso fehlt jeglicher Anhalt dafür, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach Durchsicht der Akten ist insbesondere ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht erkennbar. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat keinen Beweisantrag gestellt. Auch soweit das LSG nach dem Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG die Klägerin nicht erneut angehört hat, nachdem diese ihre Berufungsbegründung "ergänzt" hat, fehlen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Will ein Gericht durch Beschluss über eine zulässige Berufung entscheiden, muss es die Beteiligten nach ordnungsgemäßer Anhörung nur dann erneut anhören, wenn sich die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13). Die Ausführungen der Klägerin nach der Anhörungsmitteilung haben die Prozesssituation nicht (mehr) geändert. Sie sind für die Entscheidung des LSG nicht relevant gewesen.
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2. Die von der Klägerin selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, da sie nicht von einem vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4 SGG).
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Die Verwerfung des Rechtsmittels der Klägerin erfolgt entsprechend § 169 S 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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