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BVerfG 23.07.2019 - 1 BvR 2032/18
BVerfG 23.07.2019 - 1 BvR 2032/18 - Nichtannahmebeschluss: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Handhabung des § 5 KSchG zur nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage - vorliegend keine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz im arbeitsgerichtlichen Verfahren (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG)
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 5 Abs 3 S 1 KSchG
Vorinstanz
vorgehend BAG, 25. April 2018, Az: 2 AZR 493/17, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Bremen, 3. August 2017, Az: 2 Sa 26/17, Urteil
vorgehend Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, 13. Dezember 2016, Az: 6 Ca 6172/16, Zwischenurteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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1. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass seine nicht fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage von der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht nachträglich zugelassen wurde. Er war von seiner Arbeitsverpflichtung freigestellt worden, hatte mehrere Änderungs- und Beendigungskündigungen erfolgreich vor den Arbeitsgerichten angegriffen und bis zu einer Klärung der Rechtslage nunmehr eine Beschäftigung im Ausland angetreten. In Deutschland war er nicht mehr polizeilich gemeldet und vermietete sein Wohnhaus, behielt aber seinen Namen am Hausbriefkasten und kam in unregelmäßigen Abständen zurück. Er gab keine Nachsendung seiner Post in Auftrag, sondern bat seinen Mieter, von Einschreiben und Zustellungen sogleich digitale Aufnahmen zu übersenden und die übrige Post etwa einmal im Monat zu schicken; dem kam der Mieter regelmäßig nach. Seine Prozessbevollmächtigten hatten den Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin gebeten, alle für den Beschwerdeführer bestimmten Schreiben an sie zuzustellen, was die Arbeitgeberin auch - mit Ausnahme des hier streitigen Kündigungsschreibens - tat. Die erneute ordentliche Kündigung wurde durch einen Botendienst in den Hausbriefkasten gelegt; eine Kopie an die Prozessbevollmächtigten gab es nicht. Der Briefumschlag war neutral gehalten und glich äußerlich Umschlägen, in denen die Arbeitgeberin regelmäßig allgemeine Informationen versandte. Der Beschwerdeführer nahm dieses Schreiben von seinem Mieter etwa dreieinhalb Wochen später vor Ort persönlich in Empfang. Fast vier Wochen nach Zustellung und vier Tage nach Kenntnisnahme der Kündigung erhob er Kündigungsschutzklage und beantragte zugleich vorsorglich, diese nach § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.
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2. Dieser Antrag war in allen drei Instanzen erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer die ihm nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt im Sinne von § 5 KSchG nicht beachtet hätte. Sein Aufenthalt im Ausland sei keine vorübergehende Ortsabwesenheit von kurzer Dauer. Er hätte daher besondere Vorkehrungen für eine zeitnahe Kenntnisnahme seiner Post treffen müssen. Dazu gehöre es, eine Person seines Vertrauens damit zu beauftragen, seine Post regelmäßig zu öffnen und ihn oder einen zur Wahrnehmung seiner Rechte beauftragten Dritten zeitnah über ihren Inhalt zu informieren oder sie entsprechend weiterleiten zu lassen. Die Anweisung an seinen Mieter genüge dem nicht. Die Nachsendung der gesammelten Post einmal im Monat stelle nicht sicher, dass der Beschwerdeführer zeitnah Kenntnis nehmen könne. Auch habe er nicht auf die Praxis der Arbeitgeberin vertrauen können, seine Prozessbevollmächtigten über Zustellungen an ihn zu unterrichten, denn das sei nicht verbindlich vereinbart gewesen. Auch eine vertragliche Nebenpflicht zur Erkennbarkeit derartiger Schreiben gebe es nicht. Sein Unterlassen, die erforderlichen Vorkehrungen für eine zeitnahe Kenntnisnahme von in seinen Briefkasten eingeworfenen Schriftstücken zu treffen, sei auch kausal für die Versäumung der Klagefrist gewesen. Unerheblich wäre aufgrund der materiellen Schutzfunktion der Frist nach § 5 KSchG für den Arbeitgeber schließlich, dass durch den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage tatsächlich keine besonders lange Zeitverzögerung eingetreten wäre.
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3. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen. Er rügt insbesondere eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
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4. Auf die Zustellung der Verfassungsbeschwerde an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen sowie die im Ausgangsverfahren beklagte Arbeitgeberin sind keine Stellungnahmen eingegangen.
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II.
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Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (vgl. § 93a Abs. 2 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen halten sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen; sie verletzen den Beschwerdeführer insbesondere nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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1. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantiert den Parteien im Zivilprozess effektiven Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 88, 118 123>). Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118 124>). Das gilt auch für Entscheidungen über die Wiedereinsetzung nach Versäumung einer Frist (vgl. BVerfGE 37, 100 102>; 40, 88 91>; 40, 182 186>; 41, 332 335 f.>; auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Oktober 2012 - 2 BvR 2776/10 -, Rn. 17 m.w.N.). Die verfassungsrechtlichen Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten auch im Verfahren über die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG (in diese Richtung bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2000 - 1 BvR 1363/99 -, Rn. 19).
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2. Das haben die Arbeitsgerichte hier nicht verkannt.
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a) Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, dass eine Person, die nicht nur vorübergehend, sondern länger ortsabwesend von der ständigen Wohnung ist und dennoch einen Briefkasten im Inland aufrechterhält, besondere Vorkehrungen ergreifen muss, dass sie zeitnah von dort eingehenden Sendungen Kenntnis erlangt. Daher ist es verfassungsrechtlich zwar nicht zwingend, hält sich aber im fachgerichtlichen Wertungsrahmen, wenn das Bundesarbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung fordert, dass bei längerer Ortsabwesenheit zur Wahrung der Frist des § 5 KSchG eine Person des Vertrauens damit beauftragt werden muss, die Post regelmäßig zu öffnen und über den Inhalt zu informieren oder die Post an einen bevollmächtigten Dritten weiterzuleiten, um eine zeitnahe Kenntnisnahme auch von in den Briefkasten eingeworfenen Schriftstücken sicherzustellen.
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b) Desgleichen ist jedenfalls vertretbar, die nachträgliche Klagezulassung auch dann nicht zu gewähren, wenn sich die längerfristige Abwesenheit vom ständigen Wohnort, auf die das Bundesarbeitsgericht entscheidend abstellt, im Ergebnis nicht wesentlich auswirkt. Wie das Gericht selbst feststellt, ist tatsächlich innerhalb von vier Wochen Kündigungsschutzklage verbunden mit dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG erhoben worden. Zwar erlaubt § 5 KSchG grundsätzlich die Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage, wenn ein Antrag vor Ablauf von sechs Monaten gestellt wird. Jedoch soll die Klagefrist nach § 4 KSchG im Interesse des Arbeitgebers möglichst schnell Klarheit über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung schaffen, auch damit Stellen neu besetzt werden können.
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Der Beschwerdeführer hat nach Ablauf der Klagefrist, aber vor Ablauf von sechs Wochen Kenntnis von der Kündigung erhalten und die erforderlichen Prozesshandlungen unverzüglich nachgeholt. Dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage einer nur kurzfristig abwesenden Partei wäre zu diesem Zeitpunkt ohne Weiteres stattgegeben worden. Doch ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Rechtsschutz hier durch die Versagung der Zulassung der verspäteten Klage erschwert wird, weil es sich um eine längerfristige Ortsabwesenheit handelte und die Entscheidung sich damit auf einen Sachgrund stützt (vgl. BVerfGE 88, 118 124>).
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c) Auch die Wertung, der Beschwerdeführer habe sich nicht auf die bisherige Praxis des Arbeitgebers verlassen dürfen, dass zeitgleich seine Prozessbevollmächtigten informiert würden, sowie die Annahme, dass es keine vertragliche Nebenpflicht gebe, ein Kündigungsschreiben äußerlich in einer Weise zu gestalten, die es als rechtlich relevante Handlung ausweist, liegen im Entscheidungsrahmen der Fachgerichte, die insoweit zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt haben, dass bereits jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberin vorangegangen waren, es sich also nicht um einen unabsehbaren "ersten Zugang" handelte (vgl. BVerfGE 41, 332 335>).
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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