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BFH 12.05.2011 - II B 126/10
BFH 12.05.2011 - II B 126/10 - Bindende Wirkung der Weitergeltungsanordnungen des BVerfG bei verfassungswidrigen Gesetzen - NZB: Anforderungen an Begründung
Normen
§ 31 BVerfGG, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 15. September 2010, Az: 2 K 264/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Hat das BVerfG die befristete weitere Anwendung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift zugelassen, ist dies für die Fachgerichte verbindlich .
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2. NV: Um die grundsätzliche Bedeutung einer vom BFH bereits entschiedenen Rechtsfrage darzulegen, muss ausgeführt werden, welche neuen und gewichtigen Argumente in der Rechtsprechung und/oder Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht werden .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb in Hamburg Spielhallen mit Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit, für die sie für die Zeit ab März 1996 bis September 2005 gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes (SpStG) in der jeweils geltenden Fassung Spielgerätesteuer von monatlich 600 DM bzw. 300 € je Gerät anmeldete. Die Einsprüche und die Klage, mit denen die Klägerin die Verfassungswidrigkeit des SpStG geltend gemacht hatte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht verwies zur Begründung seiner Entscheidung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. Februar 2009 1 BvL 8/05 (BVerfGE 123, 1), durch den das BVerfG zwar § 4 Abs. 1 SpStG wegen der Unvereinbarkeit des verwendeten Stückzahlmaßstabs mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) für verfassungswidrig erklärt, aber im Tenor weiter ausgeführt hatte, die Vorschrift bleibe für den Zeitraum bis zum Außerkrafttreten des SpStG am 1. Oktober 2005 weiter anwendbar.
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Die Klägerin bringt zur Begründung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision vor, die Frage nach der Abwälzbarkeit der Spielgerätesteuer auf die Spieler bedürfe trotz der Weitergeltungsanordnung des BVerfG der Überprüfung in einem Revisionsverfahren; die Frage sei zu verneinen, wie ein Sachverständigengutachten ergeben werde. Klärungsbedürftig sei auch, ob die Befreiung der Hamburger Spielbank von der Spielgerätesteuer gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen habe und ob die Spielgerätesteuer mit europäischem Recht vereinbar gewesen sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach müssen in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden.
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1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt von --vorliegend nicht gegebener-- Offenkundigkeit abgesehen substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen (BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 2007 V B 66/06, BFH/NV 2007, 2067; vom 14. September 2007 VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25; vom 30. Januar 2008 V B 57/07, BFH/NV 2008, 611; vom 27. Oktober 2009 VI B 160/08, BFH/NV 2010, 204; vom 17. November 2009 VI B 73/09, BFH/NV 2010, 452; vom 28. April 2010 II B 178/09, BFH/NV 2011, 262, und vom 26. Oktober 2010 I B 21-25/10, BFH/NV 2011, 833). Es sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (BFH-Beschlüsse vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; vom 18. April 2005 II B 98/04, BFH/NV 2005, 1310; vom 24. Januar 2008 X B 87/07, BFH/NV 2008, 605; vom 14. September 2009 III B 119/08, BFH/NV 2010, 34; in BFH/NV 2010, 204; in BFH/NV 2011, 262, und vom 9. Februar 2011 X B 67/10, BFH/NV 2011, 826). Hat der BFH die vom Beschwerdeführer herausgestellte Rechtsfrage bereits entschieden, muss in der Beschwerdebegründung eingehend dargelegt werden, weshalb trotzdem weiterhin Klärungsbedarf bestehe. Insbesondere ist darzustellen, welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und/oder in der Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht worden seien (BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2009 X B 100/09, BFH/NV 2010, 205, m.w.N., und in BFH/NV 2011, 262).
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2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
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a) Soweit die Klägerin die Frage nach der Abwälzbarkeit der Spielgerätesteuer auf die Spieler als in einem Revisionsverfahren klärungsfähig und klärungsbedürftig ansieht, hat sie sich nicht hinreichend substantiiert damit auseinandergesetzt, ob diese Frage der Prüfung durch die Finanzgerichtsbarkeit unterliegt und ob insoweit eine nochmalige Vorlage des SpStG an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Betracht käme oder ob die Weitergeltungsanordnung des BVerfG endgültig und abschließend ist. Dies gilt umso mehr, als sich das BVerfG im Beschluss in BVerfGE 123, 1 ausdrücklich mit der Frage der Abwälzbarkeit befasst und diese als gegeben angesehen hat, so dass zugleich die von der Klägerin angenommene erdrosselnde Wirkung der Steuer ausscheidet (Abschn. C.II.3. des Beschlusses in BVerfGE 123, 1).
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Ihre Auffassung stützende Rechtsprechung und Literatur zur Reichweite und Bindungswirkung von Weitergeltungsanordnungen des BVerfG hat die Klägerin nicht angeführt und sich auch nicht mit der ständigen Rechtsprechung des BFH auseinandergesetzt, nach der solche Weitergeltungsregelungen gemäß § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) für die Gerichte verbindlich sind (BFH-Urteile vom 30. Juli 1997 II R 9/95, BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635; vom 24. Juni 1998 II R 104/97, BFH/NV 1998, 1276, und vom 24. Mai 2000 II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378; BFH-Beschlüsse vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515; vom 15. Oktober 1997 II B 54/97, BFH/NV 1998, 502; vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom 19. Mai 1998 II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom 8. Mai 2003 IV R 95/99, BFH/NV 2003, 1054; vom 23. Februar 2006 III B 44/05, BFH/NV 2006, 1297, und in BFH/NV 2011, 262), und zwar unabhängig davon, ob das BVerfG zu derartigen Weitergeltungsregelungen befugt ist (BFH-Beschlüsse vom 30. Juli 1997 II B 7/97, BFH/NV 1998, 351, und in BFH/NV 2011, 262). Wie der BFH bereits wiederholt entschieden hat (BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513; BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 262), gibt es für die Überprüfung einer Entscheidung des BVerfG zur vorläufigen Weitergeltung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift durch die Fachgerichte keine verfahrensrechtliche Handhabe. Vor allem ist es dem Fachgericht materiell-rechtlich nicht möglich, hinsichtlich einer vom BVerfG als Verfassungsorgan getroffenen Abwägung --hier: Bestimmung eines das Gemeinwohl schonenden Übergangs von der verfassungswidrigen zu einer verfassungsgemäßen Rechtslage-- eine "übergeordnete Rechtsnorm" (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) als Prüfungsmaßstab zu finden. Das Dogma der Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze gilt nicht uneingeschränkt und ausnahmslos. Das BVerfG kann in seine die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bestimmende Ermessensentscheidung unter dem systematischen Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung abwägungsfähige Rechtsgüter einbeziehen. Diese Ermessensentscheidung ist kompetenzrechtlich dem BVerfG als Verfassungsorgan vorbehalten und einer justizförmigen Erörterung und Prüfung durch die Fachgerichte entzogen.
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Der Bundesgerichtshof (BGH) ist ebenfalls der Ansicht, dass vom BVerfG getroffene Weitergeltungsanordnungen wirksam und für die Fachgerichte verbindlich seien. Selbst eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung sei für die vom BVerfG bestimmte Übergangszeit trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Steuergesetzes möglich (BGH-Beschluss vom 7. November 2001 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138, BStBl II 2002, 259).
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b) Soweit die Klägerin die Frage als klärungsbedürftig ansieht, ob das SpStG wegen der Befreiung der Hamburger Spielbank von der Spielgerätesteuer gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen habe, fehlt es ebenfalls an substantiierten Ausführungen, warum diese Frage trotz der nach § 31 BVerfGG bindenden Wirkung der im BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 1 getroffenen Weitergeltungsanordnung in einem Revisionsverfahren prüfbar sein soll. Der BFH hat mit Beschluss vom 17. August 2010 II B 30/10 (BFH/NV 2010, 2124) eine solche Prüfungsmöglichkeit verneint. Zudem fehlt es an einer Auseinandersetzung der Klägerin mit der ständigen Rechtsprechung des BFH, nach der die Befreiung der Hamburger Spielbank von der Spielgerätesteuer wegen deren Belastung durch die Spielbankabgabe nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt (BFH-Beschluss vom 21. Februar 1990 II B 98/89, BFHE 160, 61, BStBl II 1990, 510, unter B.2.a; BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 II R 47/95, BFHE 180, 497, BStBl II 1996, 538, unter II.3.c cc; ebenso zur Befreiung des Aufwands, der der Spielbankabgabe unterliegt, von der Hamburger Spielvergnügungsteuer BFH-Beschlüsse vom 1. Februar 2007 II B 51/06, BFH/NV 2007, 987, unter II.5.; vom 27. November 2009 II B 75/09, BFH/NV 2010, 692, unter II.2.b ee, und in BFH/NV 2010, 2124).
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c) Hinsichtlich der von der Klägerin aufgeworfenen Frage nach der Übereinstimmung des SpStG mit dem Gemeinschaftsrecht fehlt es ebenfalls an einer § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Die Klägerin hat sich nicht mit der ständigen, auf Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union beruhenden Rechtsprechung des BFH auseinandergesetzt, nach der eine Spielgerätesteuer oder Spielvergnügungsteuer auf Spielgeräte mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, weil sie nicht den Charakter einer Mehrwert-/Umsatzsteuer hat; denn sie wird nicht allgemein auf alle sich auf Gegenstände oder Dienstleistungen beziehenden Geschäfte, sondern lediglich auf eng umgrenzte Tatbestände und ferner nur auf einer Stufe, nämlich von den Haltern der Spielgeräte und nicht etwa auch von deren Herstellern oder Lieferanten erhoben (BFH-Urteil vom 26. Februar 2007 II R 2/05, BFHE 217, 280; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 987, unter II.8., und vom 19. Februar 2010 II B 122/09, BFH/NV 2010, 1144, unter II.2.c). Dass in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der Literatur eine andere Ansicht vertreten werde, hat die Klägerin nicht vorgebracht.
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d) Der Hinweis der Klägerin auf von ihr "bezüglich der Vergnügungsteuer" beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig gemachte Verfahren entspricht ebenfalls nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Klägerin hat nicht, wie erforderlich, konkret ausgeführt, gegen welche Vorschriften der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten das SpStG und dessen übergangsweise weitere Anwendung verstoßen sollen, und sich nicht mit Rechtsprechung und Literatur zu diesen Vorschriften auseinandergesetzt.
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