Selbstorganisation: Kompetent in gesundheitlicher Balance bleiben

Die Digitalisierung erhöht das Tempo, mit dem Arbeit erledigt werden kann. Zugleich verschwimmen Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben. Gute Selbstorganisation hilft zwar, Ordnung und Struktur herzustellen. Doch wer einerseits seine Arbeit zufriedenstellend erledigen will und zugleich Unternehmensziele im Blick zu behalten hat, erhöht manchmal kurzfristig seine Leistung – und kann damit langfristig die Gesundheit gefährden. Über interessierte Selbstgefährdung und wie sie sich vermeiden lässt.

Grenzen ziehen – der Gesundheit zuliebe

Durch die digitale Transformation ist Arbeiten immer und überall möglich. Das verändert Arbeitskultur und -gestaltung. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben. „Kommunikation wird schneller, die Zusammenarbeit in Teams oder Netzwerken gewinnt an Bedeutung. Darüber hinaus verbreiten sich Formen ergebnisorientierter Führung“, sagt Ida Ott, Doktorandin an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und der Universität Neuenburg. Die Expertin für Arbeit und Gesundheit, Boundary Management, Digital Transformation und Betriebliches Gesundheitsmanagement gehört zu einem Team, das die Möglichkeiten erforscht, gesundheitsförderliche Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen. „Unter dem Motto Digital Balance entwickeln wir Maßnahmen, mit denen diese Abgrenzung sinnvoll gelingen kann. Vor allem auch, um die sogenannte interessierte Selbstgefährdung zu verhindern.“

Sogenannte interessierte Selbstgefährdung macht sich an folgenden Verhaltensweisen bemerkbar:

Merkmale interessierter Selbstgefährdung

  • Arbeitszeit ausdehnen, immer und überall arbeiten und erreichbar sein.
  • Immer intensiver und schneller arbeiten, dafür zum Beispiel auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen verzichten.
  • Substanzen einnehmen, um sich nach Feierabend entspannen zu können oder um besonders fit für die Arbeit zu sein.
  • Trotz Krankheit arbeiten (Präsentismus).
  • Etwas vortäuschen, zum Beispiel falsche Informationen zum Stand eines Projektes machen oder trotz Überlastung zusätzliche Aufgaben übernehmen.
  • Die Arbeitsqualität so reduzieren, dass sich negative Konsequenzen für die eigene Person, aber auch das Team oder Kunden ergeben.
  • Sicherheits- und Schutzstandards umgehen, zum Beispiel um Zeit zu sparen.

Belastende Doppelrolle durch indirekte Steuerung

Interessierte Selbstgefährdung kann Folge eines ergebnisorientierten Führungsstils sein. Dieser setzt unter anderem auf Selbstorganisation. Beschäftigte haben dadurch zwar neue Handlungs- und Entscheidungsspielräume, geraten jedoch in eine neue Doppelrolle:

  1. Die fachliche Arbeit ist wie früher bei direkter Steuerung qualitativ hochwertig zu erledigen. Im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit sind Anweisungen zu befolgen, und das Ergebnis wird kontrolliert.
  2. Mitarbeitende haben bei indirekter Steuerung (Ergebnisorientierung) zugleich darauf zu achten, dass sich die eigene Arbeit für das Unternehmensergebnis an sich rentiert – bislang eine reine Aufgabe des Managements.

Strategien zur Abgrenzung von Arbeit und Privatleben

„Mehr Verantwortung zu übernehmen, das eigene Potenzial besser einzusetzen und die eigene Arbeit selbst organisieren zu können – arbeitspsychologisch gesehen, ist das erstmal positiv zu sehen, wenn gleichzeitig genügend Ressourcen vorhanden sind“, so Ida Ott. „Doch die Begeisterung für die eigene Arbeit kann dazu führen, dass Menschen rücksichtsloser mit sich selbst umgehen. Das gefährdet die Gesundheit. Gutes Grenzmanagement zwischen Arbeit und Privatleben könnte dazu beitragen, sinnvolle Selbstorganisation zu realisieren und zugleich Selbstgefährdung zu vermeiden.“ Ida Ott nennt vier Strategien, mit denen persönliche Grenzen zwischen verschiedenen Lebensbereichen entwickelt, verstärkt oder aufrechterhalten werden können:

Strategien für Grenzen zwischen Arbeit und Erholung

  • Physisch – Arbeit und Privatleben werden räumlich getrennt, auch im Homeoffice.
  • Zeitlich – Arbeits- und Freizeit werden zum Beispiel im eigenen Terminkalender genau festgelegt.
  • Sozial – sich beispielsweise von Kolleginnen und Kollegen unterstützen lassen.
  • Technisch – zum Beispiel dienstlich und privat unterschiedliche Geräte und Kommunikationsprogramme nutzen.

Erwartungshaltungen klären, Regeln entwickeln

„Führungskräfte sind hier wie überall Vorbilder. Ideal ist, sich gemeinsam im Team mit der Thematik zu beschäftigen und sinnvolle Lösungen zu suchen. Von der Erreichbarkeit nach Feierabend bis zum Stopp-Sagen, wenn etwas zu viel wird“, so Ida Ott. Wird im Team klar über Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben gesprochen, können alle Beteiligten voneinander lernen, Grenzen vereinbaren und diese dann auch leichter einhalten.

Damit die Mitarbeitenden langfristig leistungsfähig und gesund bleiben, ist es laut Ida Ott hilfreich, im Team Normen und Wertvorstellungen zu hinterfragen, Erwartungshaltungen zu klären, konkrete Regeln und Verhaltensstandards zu entwickeln und vor allem gegenseitiges Verständnis zu zeigen. „Dies gehört mit zur Verhältnis- und Verhaltensprävention – initiiert vom Arbeitgeber. Beides ist ohnehin gefragt, um in der digitalen Arbeitswelt in gesundheitlicher Balance bleiben zu können“, sagt die Expertin. „Psychologinnen und Psychologen der FHNW und Universität Neuenburg haben zudem eine App entwickelt, die Erwerbstätige dabei unterstützt, Strategien zur Abgrenzung von Arbeit und Privatleben nachhaltig anzuwenden.“

Grenzen gemeinsam festlegen

Diese vom Team der FHNW definierten Themenfelder können Führungskräfte gemeinsam mit ihren Teams bearbeiten, um zusammen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu gestalten:

Themenfelder für Selbstorganisation in gesundheitlicher Balance

  1. Arbeitszeiten klar regeln und Transparenz über An- und Abwesenheiten schaffen: Wann sollen alle präsent sein, wie flexibel können Arbeitsort und -zeit gehandhabt werden? Wie wird das kommuniziert und wer vertritt wen?
  2. Kommunikationswege und -kanäle klären: Welche Wege werden für welche Themen genutzt? Sind auch privat genutzte Messengerdienste geeignet, wenn ja: aufgrund von Datenschutz für welche Themen?
  3. Mit hoher Arbeitslast umgehen: Welche Mechanismen können geschaffen werden, um diese zu reduzieren? Wann ist es für Mitarbeitende ratsam, zu hohe Arbeitslast zu benennen?
  4. Erreichbarkeit: Wie schnell müssen wann Nachrichten beantwortet werden? Wie lassen sich Dringlichkeiten markieren? Was gilt in Notfällen?
  5. Werte und Normen hinterfragen: Welchen Stellenwert hat Life-Balance im Team? Ist „Abschalten“ erlaubt? Gilt Erreichbarkeit als Leistungskriterium?

So kann es gelingen, die sich durch ergebnisorientierte Zielsteuerung rasant verändernde Arbeitskultur und -gestaltung um einen entscheidenden Aspekt zu ergänzen: gesundheitsorientierte Grenzsteuerung.

AOK-Programm
Gesund im Homeoffice

Gute und gesunde Selbstorganisation im Homeoffice. Das AOK-Onlineprogramm gibt Antworten darauf, wie sie gelingt.

So unterstützt die AOK

  • Tipps, wie Sie die neue Arbeitswelt gesund mitgestalten können, erhalten Sie im AOK-Fachportal für Arbeitgeber. Mehr erfahren.
  • Das AOK-Programm „Gesund führen“ begleitet Führungskräfte mit sechs interaktiven Modulen dabei, ihr Führungsverhalten zu optimieren und selbst in Balance zu bleiben. Mehr erfahren.
  • Eine Gefährdungsbeurteilung zeigt, was Menschen am Arbeitsplatz psychisch belastet, und hilft, Stress gezielt vorzubeugen. Mehr erfahren.

Stand

Erstellt am: 15.08.2024

Kontakt zur AOK
Grafik Ansprechpartner

Persönlicher Ansprechpartner

Ihr Ansprechpartner steht Ihnen gerne für Ihre Fragen zur Verfügung.
Grafik e-mail

E-Mail-Service

Melden Sie uns Ihr Anliegen, wir antworten umgehend oder rufen Sie zurück.