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EuGH 05.09.2024 - C-256/23
EuGH 05.09.2024 - C-256/23 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 5. September 2024 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 299 AEUV – Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 – Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) – Art. 94 Abs. 1 – Verordnung (EG) Nr. 340/2008 – Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 3 – An die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) zu entrichtende Gebühren und Entgelte – Gebühr für die Registrierung eines Stoffes – Ermäßigung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – Überprüfung der Angaben zur Größe des betreffenden Unternehmens durch die ECHA – Versäumnis, bestimmte Informationen fristgerecht zu übermitteln – Entscheidung der ECHA, mit der die Zahlung der vollen betreffenden Gebühr gefordert und ein Verwaltungsentgelt festgesetzt wird – Zwangsvollstreckung – Möglichkeit für die ECHA, bei einem nationalen Gericht Klage auf Zahlung dieses Verwaltungsentgelts zu erheben“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-256/23 und C-290/23
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg (Deutschland) (C-256/23) und vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Deutschland) (C-290/23) mit Entscheidungen vom 11. bzw. 6. April 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April bzw. 8. Mai 2023, in den Verfahren
Europäische Chemikalienagentur (ECHA)
gegen
Hallertauer Hopfenveredelungsges. m.b.H.,
Beteiligte:
Regierung von Niederbayern (C-256/23),
und
Europäische Chemikalienagentur (ECHA)
gegen
B. GmbH (C-290/23)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2024,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch F. Becker und M. Heikkilä als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H. Tammert,
der Hallertauer Hopfenveredelungsges. m.b.H., vertreten durch Rechtsanwältin K. Lüdtke,
der griechischen Regierung, vertreten durch V. Baroutas und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, J. Flett, P. Ortega Sánchez de Lerín und S. Romoli als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. Juni 2024
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 299 AEUV, von Art. 94 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1, berichtigt in ABl. 2007, L 136, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (ABl. 2008, L 353, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: REACH-Verordnung) sowie von Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission vom 16. April 2008 über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 107, S. 6).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und der Hallertauer Hopfenveredelungsges. m.b.H. (im Folgenden: Hallertauer) in der Rechtssache C-256/23 sowie zwischen der ECHA und der B. GmbH in der Rechtssache C-290/23 in Bezug auf die Beitreibung eines Verwaltungsentgelts durch die ECHA, das diese Unternehmen nach der Einreichung eines Antrags auf Registrierung eines chemischen Stoffes bei dieser Agentur der Europäischen Union gemäß der REACH-Verordnung zu zahlen haben sollen, da in einer Entscheidung dieser Agentur der Europäischen Union festgestellt worden sei, dass sie die Gebührenermäßigung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht beanspruchen könnten, die sie bei der Einreichung ihres Antrags beantragt hätten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
REACH-Verordnung
Nach Art. 6 Abs. 1 der REACH-Verordnung müssen Hersteller und Importeure, die chemische Stoffe in einer Menge von einer Tonne oder mehr pro Jahr herstellen oder einführen, bei der ECHA ein Registrierungsdossier für diese Stoffe einreichen. Art. 6 Abs. 4 dieser Verordnung sieht vor, dass die nach deren Titel IX zu entrichtende Gebühr bei Einreichung des Registrierungsdossiers zu zahlen ist.
Art. 20 Abs. 2 und 5 der REACH-Verordnung bestimmt:
„(2) Die [ECHA] führt für jede Registrierung eine Vollständigkeitsprüfung durch, um sich zu vergewissern, dass alle Angaben vorliegen … und dass die Registrierungsgebühren nach Artikel 6 Absatz 4 … entrichtet worden sind. Die Vollständigkeitsprüfung umfasst keine Beurteilung der Qualität oder der Angemessenheit vorgelegter Daten oder Begründungen.
Die [ECHA] führt diese Vollständigkeitsprüfung innerhalb von drei Wochen nach dem Eingangsdatum … durch.
Ist das Registrierungsdossier unvollständig, so teilt die [ECHA] dem Registranten vor Ablauf der Dreiwochenfrist … nach Unterabsatz 2 mit, welche Informationen zur Vervollständigung nachgereicht werden müssen; hierfür ist eine angemessene Frist zu setzen. Der Registrant vervollständigt sein Registrierungsdossier und übermittelt es der [ECHA] innerhalb dieser Frist. Die [ECHA] bestätigt dem Registranten den Tag des Eingangs der nachgereichten Informationen. Die [ECHA] führt eine weitere Vollständigkeitsprüfung durch und berücksichtigt dabei die nachgereichten Informationen.
Die [ECHA] lehnt die Registrierung ab, wenn der Registrant sein Registrierungsdossier nicht fristgerecht vervollständigt. Die Registrierungsgebühr wird in diesen Fällen nicht erstattet.
…
(5) Gegen Entscheidungen der [ECHA] nach Absatz 2 des vorliegenden Artikels kann Widerspruch nach den Artikeln 91, 92 und 93 eingelegt werden.“
Art. 74 („Gebühren und Entgelte“) in Titel IX der REACH-Verordnung bestimmt:
„(1) Die nach Artikel 6 Absatz 4 … erforderlichen Gebühren werden in einer Verordnung der [Europäischen] Kommission festgesetzt, die nach dem in Artikel 133 Absatz 3 genannten Verfahren bis zum 1. Juni 2008 erlassen wird.
…
(3) Bei Struktur und Höhe der Gebühren nach Absatz 1 werden die Arbeiten berücksichtigt, die die [ECHA] und die zuständige Behörde aufgrund dieser Verordnung durchzuführen haben; die Gebühren werden so angesetzt, dass die aus ihnen erzielten Einnahmen in Verbindung mit anderen Einnahmequellen der [ECHA] nach Artikel 96 Absatz 1 ausreichen, um die Kosten für die erbrachten Dienstleistungen zu decken. …
…
In allen Fällen wird für KMU eine ermäßigte Gebühr festgesetzt.
…
(4) In der in Absatz 1 genannten Verordnung der Kommission wird angegeben, unter welchen Umständen ein Teil der Gebühren der zuständigen Behörde des jeweiligen Mitgliedstaats abgetreten wird.
(5) Die [ECHA] kann Entgelte für andere ihrer Leistungen erheben.“
Die Art. 91 bis 93 der REACH-Verordnung betreffen Widersprüche gegen Entscheidungen der ECHA vor deren Widerspruchskammer, wie die Entscheidungen über die Ablehnung der Registrierung nach Art. 20 Abs. 2 dieser Verordnung.
Art. 94 („Klagen vor dem [Gericht] und dem Gerichtshof“) Abs. 1 der REACH-Verordnung bestimmt:
„Zur Anfechtung einer Entscheidung der Widerspruchskammer oder – im Fall nicht widerspruchsfähiger Entscheidungen – der [ECHA] kann nach Maßgabe des Artikels [263 AEUV] Klage beim [Gericht] oder beim Gerichtshof erhoben werden.“
Verordnung Nr. 340/2008
Art. 3 („Gebühren für Registrierungen nach Artikel 6, 7 oder 11 der [REACH-]Verordnung“) der Verordnung Nr. 340/2008 bestimmt:
„(1) Die [ECHA] erhebt für die Registrierung eines Stoffes nach Artikel 6, 7 oder 11 der [REACH-]Verordnung eine Gebühr gemäß den Absätzen 2, 3 und 4 dieses Artikels.
…
(4) Handelt es sich bei dem Registranten um ein KMU, erhebt die [ECHA] eine ermäßigte Gebühr …
…
(6) Erfolgt die Zahlung nicht vor Ablauf der in Absatz 5 vorgesehenen Frist, setzt die [ECHA] eine zweite Zahlungsfrist fest. Erfolgt die Zahlung nicht vor Ablauf der zweiten Frist, wird die Registrierung abgelehnt.
…“
Art. 11 („Sonstige Entgelte“) der Verordnung Nr. 340/2008 sieht vor:
„(1) Für die administrativen und fachlichen Leistungen, die von der [ECHA] auf Verlangen erbracht und die nicht durch eine andere Gebühr oder ein anderes Entgelt nach dieser Verordnung abgedeckt sind, kann ein Entgelt erhoben werden. Die Höhe des Entgelts trägt dem mit der Leistung verbundenen Arbeitsaufwand Rechnung.
…
(2) Die Entgelte für administrative Leistungen sind innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Datum zu entrichten, an dem die [ECHA] die Zahlungsaufforderung übermittelt.
(3) Erfolgt die Zahlung nicht vor Ablauf der in Absatz 2 vorgesehenen Frist, setzt die [ECHA] eine zweite Zahlungsfrist fest.
Erfolgt die Zahlung nicht vor Ablauf der zweiten Frist, lehnt die [ECHA] das Ersuchen ab.
…
(5) Der Verwaltungsrat der [ECHA] erstellt eine Klassifizierung der Dienstleistungen und Entgelte und verabschiedet diese nach befürwortender Stellungnahme der Kommission.“
Art. 13 („Ermäßigungen und Gebührenverzicht“) der Verordnung Nr. 340/2008 bestimmt:
„(1) Eine natürliche oder juristische Person, die nach Artikel 3 bis 10 Anspruch auf ermäßigte Gebühren oder Entgelte [erhebt], teilt dies der [ECHA] bei der Einreichung von gebührenpflichtigen Registrierungen, bei Aktualisierungen, Mitteilungen, Anträgen, Überprüfungsberichten oder Widersprüchen mit.
…
(3) Die [ECHA] kann jederzeit einen Nachweis darüber verlangen, dass die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Gebühren oder Entgelte beziehungsweise für einen Gebührenverzicht vorliegen.
(4) Wenn eine natürliche oder juristische Person, die eine Ermäßigung oder einen Gebührenverzicht beanspruchen kann, diesen Anspruch nicht belegen kann, erhebt die [ECHA] die Gebühr oder das Entgelt in voller Höhe sowie ein Verwaltungsentgelt.
Wenn eine natürliche oder juristische Person, die einen Anspruch auf Ermäßigung geltend macht, bereits eine ermäßigte Gebühr oder ein ermäßigtes Entgelt entrichtet hat, diesen Anspruch jedoch nicht belegen kann, so stellt die [ECHA] die Differenz zur vollen Gebühr oder zum vollen Entgelt sowie ein Verwaltungsentgelt in Rechnung.
Artikel 11 Absätze 2, 3 und 5 gilt entsprechend.“
Deutsches Recht
§ 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. 1960 I S. 17) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. 1991 I S. 686), geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich vom 14. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 71), (im Folgenden: VwGO) bestimmt:
„Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.“
In § 167 Abs. 1 VwGO heißt es:
„Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung [(im Folgenden: ZPO)] entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.“
§ 753 Abs. 1 ZPO in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. 2005 I S. 3202), geändert durch Art. 19 des Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze vom 22. Februar 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 51), bestimmt:
„Die Zwangsvollstreckung wird, soweit sie nicht den Gerichten zugewiesen ist, durch Gerichtsvollzieher durchgeführt, die sie im Auftrag des Gläubigers zu bewirken haben.“
Art. 764 ZPO lautet:
„(1) Die den Gerichten zugewiesene Anordnung von Vollstreckungshandlungen und Mitwirkung bei solchen gehört zur Zuständigkeit der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte.
(2) Als Vollstreckungsgericht ist, sofern nicht das Gesetz ein anderes Amtsgericht bezeichnet, das Amtsgericht anzusehen, in dessen Bezirk das Vollstreckungsverfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat.
(3) Die Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts ergehen durch Beschluss.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-256/23
Am 16. November 2010 reichte Hallertauer bei der ECHA ein Registrierungsdossier für einen chemischen Stoff ein, wobei sie sich auf ihre Eigenschaft als KMU, genauer als „Kleinstunternehmen“ im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. 2003, L 124, S. 36), berief, um eine Ermäßigung der Registrierungsgebühren beanspruchen zu können.
Im Jahr 2013 überprüfte die ECHA die von der betreffenden Gesellschaft vorgelegten Informationen zur Unternehmensgröße. In diesem Rahmen teilte sie ihr mit Schreiben vom 31. Mai 2013 mit, dass KMU zwar in den Genuss einer Ermäßigung der Entgelte und Gebühren kommen könnten, dass hierfür aber Nachweise über die Größe des betreffenden Unternehmens vorgelegt werden müssten und dass eine Ermäßigung ausgeschlossen sei, wenn solche Nachweise nicht fristgerecht vorgelegt würden.
Am 20. November 2013 erließ die ECHA die Entscheidung SME(2013) 4439 (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA) und übermittelte sie an Hallertauer. In dieser Entscheidung stellte die ECHA fest, dass diese Gesellschaft keinen Anspruch auf eine Ermäßigung der Entgelte und Gebühren habe, da sie keine Nachweise für ihre Eigenschaft als „Kleinstunternehmen“ vorgelegt habe, so dass von ihr ein Verwaltungsentgelt in Höhe von 9950 Euro zu erheben sei. Diese Entscheidung war zudem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, nach der die Gesellschaft innerhalb von zwei Monaten ab Zugang der Entscheidung Klage vor dem Gericht erheben könne, um diese anzufechten.
Mit Schreiben vom 22. November 2013 übersandte die ECHA Hallertauer die am 22. Dezember 2013 fällige Rechnung über dieses Verwaltungsentgelt.
Am 22. Dezember 2013 richtete die ECHA ein Mahnschreiben an Hallertauer, in dem das Fälligkeitsdatum dieser Rechnung auf den 20. Februar 2014 festgesetzt wurde.
Hallertauer zahlte weder das Verwaltungsentgelt noch erhob sie beim Gericht fristgerecht Nichtigkeitsklage gegen die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA.
Am 15. Mai 2019 erhob die ECHA beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg (Deutschland), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C-256/23, Klage gegen Hallertauer auf Zahlung des Betrags von 9950 Euro, wie er in der im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehenden Entscheidung der ECHA festgesetzt worden war.
Das vorlegende Gericht stellt sich erstens die Frage, ob die Gerichte der Mitgliedstaaten für die Entscheidung über die Klage einer Agentur der Union wie der ECHA zuständig seien, mit der eine Zahlungsverpflichtung durchgesetzt werden solle, die durch eine Entscheidung auferlegt worden sei, die – wie die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA – nicht mehr vor den Unionsgerichten angefochten werden könne.
Es weist darauf hin, dass ein Gericht nach deutschem Recht nur dann befugt sei, über die Begründetheit einer Klage zu entscheiden, wenn es u. a. geprüft habe, ob die Klage seiner Gerichtsbarkeit unterliege. Hinsichtlich der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der das vorlegende Gericht angehöre, stelle sich die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 erhobene Klage eine „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO betreffe, über die die Verwaltungsgerichte zu entscheiden hätten.
Die Zuständigkeit der deutschen Verwaltungsgerichte für die Entscheidung über ein Vollstreckungsverfahren wie das im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehende, das keine Sachentscheidung über eine Forderung zum Gegenstand habe, richte sich jedoch allein nach § 167 VwGO, der als lex specialis der allgemeinen Regelung von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgehe. § 167 VwGO setze aber voraus, dass der Vollstreckungstitel in einem gerichtlichen Verfahren erlassen worden sei, eine Voraussetzung, die im Ausgangsrechtsstreit in der Rechtssache C-256/23 nicht erfüllt sei.
Somit stelle sich die Frage, ob die in diesem Rechtsstreit erhobene Klage in die besondere Zuständigkeit der Unionsgerichte nach Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung falle und folglich der Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten entzogen sei.
Das vorlegende Gericht räumt ein, dass es eher der Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens zuneige, der zufolge diese Bestimmung dahin auszulegen sei, dass die Unionsgerichte für Klagen auf Vollstreckung eines Unionsrechtsakts zuständig seien.
Zunächst sei nämlich eine Unterscheidung zwischen zum einen der Festsetzung von Gebühren oder Verwaltungsentgelten und zum anderen ihrer Vollstreckung künstlich und fernliegend, da Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung auf eine umfassende Kontrolle des Verwaltungshandelns der Klägerin des Ausgangsverfahrens als einer Einrichtung der Union abziele.
Sodann bestehe ein Fall wie der des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-256/23 in einer unmittelbaren Ausführung des Unionsrechts durch eine Agentur der Union in Form einer Entscheidung, mit der finanzielle Verpflichtungen auferlegt würden. Die deutschen Gerichte seien aber nur im Fall eines mittelbaren Unionrechtsvollzugs zuständig, der ein hoheitliches Handeln der betreffenden nationalen Behörden voraussetze. Daher sei es sachgerecht, hoheitliche Entscheidungen einer Agentur als einer Einrichtung der Union vollumfänglich von den Unionsgerichten prüfen zu lassen.
Schließlich sollte, um eine einheitliche Rechtsanwendung innerhalb der Union zu gewährleisten, nicht nur – wie in Art. 299 Abs. 4 AEUV vorgesehen – die Aussetzung der Vollstreckung eines Rechtsakts der Union, sondern auch – mit Ausnahme von Art. 299 Abs. 4 Satz 2 AEUV – das gesamte Verfahren der Vollstreckung eines solchen Rechtsakts durch die Unionsgerichte überprüfbar sein.
Für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, dass Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung auf ein Beitreibungsverfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht anwendbar ist, fragt sich das vorlegende Gericht zweitens, ob die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA einen vollstreckbaren Titel im Sinne von Art. 299 Abs. 1 AEUV darstelle.
Insoweit ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass eine weite Auslegung von Art. 299 Abs. 1 AEUV nach seiner systematischen Stellung im Gefüge des AEU-Vertrags sowie nach seinem Sinn und Zweck nicht ausgeschlossen sei, so dass er auch von Agenturen der Union wie der ECHA erlassene Rechtsakte erfasse, die finanzielle Verpflichtungen zum Gegenstand hätten.
Diese Auslegung werde auch dadurch bestätigt, dass weder die REACH-Verordnung noch die Verordnung Nr. 340/2008 spezifische Regelungen zur Vollstreckung enthielten. Da die ECHA zur Erhebung von Entgelten, Gebühren und von Verwaltungsentgelten befugt sei, müsse sie mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet werden, um Entscheidungen, mit denen diese Entgelte und Gebühren festgesetzt würden, zu vollstrecken.
Drittens möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, dass die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA in den Anwendungsbereich von Art. 299 AEUV fällt, wie er in dessen Abs. 1 definiert ist, wissen, ob der Verweis in Art. 299 Abs. 2 AEUV auf die Vorschriften des Zivilprozessrechts des Staates, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung stattfinde, „umfassend“ zu verstehen sei und auch die Vorschriften zum zuständigen Vollstreckungsorgan abdecke.
Vor diesem Hintergrund hat das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung, wonach gegen eine Entscheidung der ECHA Klage zum Gericht erhoben werden kann, dahin auszulegen, dass auch die Vollstreckbarkeit von Entscheidungen der ECHA Gegenstand einer Klage sein kann?
Sofern die erste Frage zu verneinen ist: Ist Art. 299 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass er nicht nur auf Rechtsakte anzuwenden ist, die durch den Rat der Europäischen Union, die Kommission oder die Europäische Zentralbank (EZB) erlassen wurden, sondern auch auf Entscheidungen der ECHA, mit denen ein Verwaltungsentgelt auferlegt wurde?
Sofern die zweite Frage zu bejahen ist: Ist Art. 299 Abs. 2 AEUV dahin auszulegen, dass sich der Verweis auf Vorschriften des Zivilprozessrechts des Mitgliedstaats nicht nur auf die Verfahrensvorschriften, sondern auch auf die Zuständigkeitsregelungen bezieht?
Rechtssache C-290/23
B. reichte im Jahr 2010 ein Registrierungsdossier nach der REACH-Verordnung ein und gab dabei an, sie sei ein mittleres Unternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361.
Da diese Gesellschaft die hierfür erforderlichen Nachweise nicht fristgerecht vorlegte, erließ die ECHA am 9. August 2016 die Entscheidung SME(2016) 3729 (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-290/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA).
In dieser Entscheidung stellte die ECHA fest, dass B. die u. a. für mittlere Unternehmen vorgesehene Gebührenermäßigung nicht beanspruchen könne und dass sie daher nach Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 die Differenz zwischen der bereits gezahlten und der von großen Unternehmen geschuldeten Gebühr und folglich ein Verwaltungsentgelt in Höhe von 17437 Euro zu zahlen habe. Die Entscheidung war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, in der darauf hingewiesen wurde, dass nach Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung in Verbindung mit Art. 263 AEUV innerhalb von zwei Monaten ab Zugang der Entscheidung Klage vor dem Gericht erhoben werden könne, um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung überprüfen zu lassen.
B. erhob gegen die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-290/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA nicht fristgerecht Klage beim Gericht und zahlte den darin geforderten Betrag auch trotz mehrerer Mahnschreiben der ECHA nicht.
Die ECHA erhob beim Verwaltungsgericht Halle (Deutschland) Klage und beantragte, B. zu verurteilen, an sie den Betrag von 17437 Euro zu zahlen, der in der im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-290/23 in Rede stehenden Entscheidung der ECHA festgesetzt worden war.
Dieses Gericht wies die Klage im Wesentlichen mit der Begründung als unzulässig ab, dass entgegen dem Vorbringen der ECHA der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO nicht eröffnet sei.
Das mit der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle befasste Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Deutschland), das vorlegende Gericht in der Rechtssache C-290/23, ist erstens der Ansicht, dass die Klage entgegen den Ausführungen in jenem Urteil nicht mit der Begründung als unzulässig abgewiesen werden könne, dass der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO mangels Rechtsakts einer deutschen Behörde nicht eröffnet sei.
Da die Unionsgerichte nach den Art. 256 ff. AEUV nicht für Klagen zuständig seien, die die Vollstreckung einer öffentlich-rechtlichen Forderung einer Einrichtung der Union beträfen, seien die nationalen Gerichte nach Art. 274 AEUV für die Prüfung dieser Klagen zuständig.
Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung sehe keine Zuständigkeit der Unionsgerichte für die Entscheidung über solche Klagen vor, da diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach nur anwendbar sei, wenn die Unionsgerichte nach Art. 263 AEUV zuständig seien. Dies sei bei diesen Klagen aber nicht der Fall, da sie auf die Erfüllung finanzieller Verpflichtungen und nicht auf die Nichtigerklärung eines Unionsrechtsakts gerichtet seien.
Zweitens stelle sich die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-290/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA, mit der gemäß Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 ein Verwaltungsentgelt erhoben werde, einen vollstreckbaren Titel darstelle. Dies sei der Fall, wenn diese Entscheidung in den Anwendungsbereich von Art. 299 AEUV falle, wie er in dessen Abs. 1 definiert sei.
Das vorlegende Gericht hält insoweit Zweifel an der Anwendbarkeit von Art. 299 AEUV auf eine Entscheidung wie die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-290/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA für berechtigt.
Drittens und letztens fragt sich das vorlegende Gericht für den Fall, dass die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-290/23 in Rede stehende Entscheidung der ECHA nicht unter Art. 299 AEUV fällt, ob Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 3 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 dahin auszulegen sei, dass eine auf Zahlung des Verwaltungsentgelts gerichtete Leistungsklage ausgeschlossen sein solle.
Diese Bestimmungen der Verordnung Nr. 340/2008 könnten dahin ausgelegt werden, dass im Fall der Nichtzahlung der Entgelte, der Gebühren oder des Verwaltungsentgelts vor Ablauf der zweiten von der ECHA gesetzten Frist die einzige in dieser Verordnung vorgesehene Folge die Ablehnung eines Antrags auf Registrierung des betreffenden chemischen Stoffes sei und der Unionsgesetzgeber damit eine Leistungsklage zur Vollstreckung der Entscheidung, mit der ein Verwaltungsentgelt verhängt werde, vor den nationalen Gerichten habe ausschließen wollen.
Unter diesen Umständen hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 299 Abs. 1 Halbsatz 1 AEUV dahin auszulegen, dass er ausschließlich auf Entscheidungen anzuwenden ist, die durch den Rat, die Kommission oder die EZB erlassen wurden, oder gilt er auch für Entscheidungen der ECHA, mit denen ein Verwaltungsentgelt nach Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 erhoben wurde?
Falls die Entscheidung der ECHA über die Erhebung eines solchen Verwaltungsentgelts keinen vollstreckbaren Titel darstellt:
Ist Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 3 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 dahin auszulegen, dass eine auf Zahlung des Verwaltungsentgelts gerichtete Leistungsklage ausgeschlossen sein soll?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage in der Rechtssache C-256/23
Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C-256/23, die zuerst zu prüfen ist, wirft das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache im Wesentlichen die Frage auf, ob Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Unionsgerichte von der ECHA mit einer Klage auf Erfüllung einer finanziellen Verpflichtung befasst werden können, die einer Person in einer Entscheidung dieser Agentur auferlegt worden ist.
Da nach den Art. 91 bis 93 der REACH-Verordnung kein Recht auf Widerspruch bei der Widerspruchskammer der ECHA gegen die Anfechtung von Entscheidungen dieser Agentur gegeben ist, mit denen finanzielle Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Registrierung eines chemischen Stoffes festgesetzt werden, ist im Rahmen dieser Frage zu prüfen, ob eine Klage auf Erfüllung einer finanziellen Verpflichtung wie die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-256/23 fragliche eine Anfechtung einer „Entscheidung der … [ECHA]“ im Sinne von Art. 94 Abs. 1 dieser Verordnung darstellt, mit der die Unionsgerichte nach Art. 263 AEUV befasst werden können.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung, soweit er ausdrücklich auf die den Unionsgerichten durch Art. 263 AEUV übertragene Zuständigkeit verweist, deklaratorischen Charakter hat und diese Zuständigkeit nicht erweitern kann.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass unabhängig von Rechtsnatur und Form allgemein gegen alle Handlungen der Organe, die dazu bestimmt sind, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren, eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV statthaft ist (Urteil vom 16. Juli 2020, ADR Center/Kommission,C-584/17 P, EU:C:2020:576, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die in Art. 263 AEUV vorgesehene gerichtliche Zuständigkeit umfasst u. a. die Überwachung der „Rechtmäßigkeit“ der „Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten“ durch die Unionsgerichte.
Insbesondere kann eine natürliche oder juristische Person nach Art. 263 AEUV Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung der ECHA erheben, mit der ihr im Zusammenhang mit ihrem Antrag auf Registrierung eines chemischen Stoffes nach der REACH-Verordnung eine Zahlungsverpflichtung auferlegt wird, da eine solche Entscheidung eine Handlung darstellt, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen soll und die an diese Person gerichtet ist.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die betroffenen Gesellschaften in den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidungen der ECHA ausdrücklich über ihr Klagerecht vor dem Gericht gegen die an sie gerichtete Entscheidung belehrt wurden, von diesem Klagerecht aber nicht innerhalb der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Frist von zwei Monaten Gebrauch gemacht haben.
Darüber hinaus können zwar nach Art. 263 Abs. 5 AEUV in den Rechtsakten zur Gründung von Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union „besondere Bedingungen und Einzelheiten“ für die Erhebung von Klagen von natürlichen oder juristischen Personen gegen Handlungen dieser Einrichtungen und sonstigen Stellen vorgesehen werden, die eine Rechtswirkung gegenüber diesen Personen haben.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Rechtssache C-256/23 die Klage einer Agentur der Union gegen eine juristische Person betrifft und dass der Unionsgesetzgeber auf dieser Grundlage jedenfalls nicht die in Art. 263 AEUV vorgesehene Zuständigkeit auf die Prüfung von Klagen zur Vollstreckung finanzieller Verpflichtungen erweitern kann, die durch solche Handlungen von Einrichtungen oder sonstigen Stellen auferlegt werden, da er damit keine „besonderen Bedingungen und Einzelheiten“ für die in dieser Bestimmung genannten Klagen vorsehen würde, sondern einen neuen Rechtsbehelf schaffen würde, der im AEU-Vertrag nicht vorgesehen ist.
Würden sich die Unionsgerichte für von Einrichtungen oder sonstigen Stellen erhobene Klagen auf Erfüllung von finanziellen Verpflichtungen für zuständig erklären, liefen sie nämlich Gefahr, ihre Zuständigkeit über die Grenzen hinaus auszudehnen, die in Art. 274 AEUV gezogen worden sind, der den nationalen Gerichten die allgemeine Zuständigkeit für die Entscheidung von Streitsachen überträgt, in denen die Union Partei ist (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, ADR Center/Kommission, C-584/17 P, EU:C:2020:576, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Unionsgesetzgeber kann auch nicht durch den Erlass eines Rechtsakts aus abgeleitetem Recht einen nicht im AEU-Vertrag vorgesehenen Rechtsbehelf schaffen, da mit diesem ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen wurde, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der die Unionsgerichte betraut werden, gewährleisten soll (Urteil vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, C-50/00 P, EU:C:2002:462, Rn. 40).
Daher wäre eine Erweiterung der in Art. 263 AEUV vorgesehenen Zuständigkeit auf die Prüfung von Klagen auf Erfüllung von finanziellen Verpflichtungen mit dem grundlegenden Wesensmerkmal der in dieser Bestimmung vorgesehenen Klage unvereinbar, nämlich, dass diese Klage eine Nichtigkeitsklage darstellt, mit der die Rechtmäßigkeit der betreffenden Handlung beanstandet wird, und verstieße daher gegen das Primärrecht der Union.
Da die Unionsgerichte für eine auf Beitreibung von Kosten im Zusammenhang mit der Registrierung eines chemischen Stoffes gerichtete Klage der ECHA auf der Grundlage von Art. 263 AEUV nicht zuständig sind und keine andere Bestimmung des Primärrechts der Union den Unionsgerichten eine solche Zuständigkeit zuweist, ergibt sich vor diesem Hintergrund aus Art. 274 AEUV, dass eine solche Klage den nationalen Gerichten zugewiesen ist, die die allgemeine Zuständigkeit für die Entscheidung von Streitsachen innehaben, in denen die Union Partei ist (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, ADR Center/Kommission, C-584/17 P, EU:C:2020:576, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der gegenteiligen Auffassung, die Hallertauer vor dem vorlegenden Gericht vertreten hat, kann nicht gefolgt werden.
Unabhängig von der Frage, ob es aus Effizienzgründen zweckmäßig wäre, dass die Unionsgerichte nicht nur über die Rechtmäßigkeit der Handlungen der ECHA, sondern auch über die Vollstreckung der mit diesen Handlungen auferlegten finanziellen Verpflichtungen entscheiden, geht nämlich aus Rn. 59 des vorliegenden Urteils hervor, dass dies im Rahmen des Systems von Rechtsbehelfen und Verfahren, das derzeit im AEU-Vertrag vorgesehen ist, offensichtlich nicht der Fall ist.
Eine solche gerichtliche Zuständigkeit ist im Übrigen nicht unerlässlich, um die einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten, da eine Nichtigkeitsklage im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der betreffenden Rechtsakte beim Gericht möglich ist und Fragen bezüglich der Auslegung des Unionsrechts, die eine auf die Vollstreckung dieser Rechtsakte gerichtete Klage vor den nationalen Gerichten aufwerfen könnte, dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt werden können und gegebenenfalls vorgelegt werden müssen.
Schließlich ist der Umstand, dass vorliegend ein Fall unmittelbarer Durchführung des Unionsrechts durch eine Agentur der Union in Form der Auferlegung einer Zahlungsverpflichtung gegeben ist, in Anbetracht des Systems von Rechtsbehelfen und Verfahren, wie es derzeit im AEU-Vertrag, insbesondere in dessen Art. 274, vorgesehen ist, für die Zuständigkeit der nationalen Gerichte unerheblich.
Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-256/23 zu antworten, dass Art. 94 Abs. 1 der REACH-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Unionsgerichte von der ECHA nicht mit einer Klage auf Erfüllung einer finanziellen Verpflichtung befasst werden können, die einer Person in einer Entscheidung dieser Agentur auferlegt worden ist.
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-256/23 und zur ersten Frage in der Rechtssache C-290/23
Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C-256/23 und der ersten Frage in der Rechtssache C-290/23, die zusammen und an zweiter Stelle zu prüfen sind, werfen die vorlegenden Gerichte in diesen Rechtssachen im Wesentlichen die Frage auf, ob Art. 299 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Entscheidung der ECHA, mit der einer Person im Zusammenhang mit der Registrierung eines chemischen Stoffes bei dieser Agentur eine finanzielle Verpflichtung auferlegt wird, ein vollstreckbarer Titel im Sinne dieser Bestimmung ist.
Nach Art. 299 Abs. 1 AEUV sind die Rechtsakte des Rates, der Kommission und der EZB, die eine Zahlung auferlegen, vollstreckbare Titel; dies gilt nicht gegenüber Staaten.
Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass diese Rechtsakte Gegenstand einer Zwangsvollstreckung gegenüber den in ihnen genannten Personen, allerdings nicht gegenüber Staaten, sein können (Urteil vom 9. November 2017, Dimos Zagoriou, C-217/16, EU:C:2017:841, Rn. 29).
Da die Aufzählung in Art. 299 Abs. 1 AEUV ihrem Wortlaut nach offensichtlich abschließend ist und diese Bestimmung insbesondere angesichts der Tatsache, dass sie bezweckt, hoheitliche Befugnisse zu verleihen, nicht weit ausgelegt werden kann, ist festzustellen, dass weder die Rechtsakte der Unionsorgane, die nicht in dieser Aufzählung aufgeführt sind, noch die Rechtsakte von Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, zu denen die ECHA gehört, auch wenn mit ihnen anderen Personen als Staaten eine Zahlung auferlegt wird, vollstreckbare Titel im Sinne dieser Bestimmung sind. Folglich können sie nicht Gegenstand einer Zwangsvollstreckung nach Art. 299 AEUV gemäß den darin vorgesehenen Modalitäten sein.
Wie die Generalanwältin in den Nrn. 48 bis 50 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, wird der abschließende Charakter dieser Aufzählung auch durch die Entstehungsgeschichte von Art. 299 AEUV bestätigt, insbesondere dadurch, dass sich die Verfasser des Vertrags von Lissabon im Rahmen der durch diesen Vertrag vorgenommenen Änderungen der Verträge darauf beschränkt haben, nur einen Verweis auf die EZB in die Aufzählung aufzunehmen, und andere Organe der Union oder gar Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union nicht in diese Aufzählung aufgenommen haben.
Im Übrigen ist festzustellen, dass die REACH-Verordnung keine Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung von Entscheidungen der ECHA wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden enthält.
Im Gegensatz dazu enthalten, wie auch die Generalanwältin in den Nrn. 65 bis 67 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, mehrere Verordnungen zur Errichtung von Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union Bestimmungen über die Vollstreckung von Entscheidungen dieser Einrichtungen und sonstigen Stellen, insbesondere in Bezug auf Kosten im Zusammenhang mit Registrierungsverfahren, die im Wesentlichen mit Art. 299 AEUV identisch sind.
Dies gilt u. a. für Art. 110 („Vollstreckung der Entscheidungen, die Kosten festsetzen“) der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1), der in Abs. 1 vorsieht, dass jede Entscheidung des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), die Kosten festsetzt, ein vollstreckbarer Titel ist, und in den Abs. 2 bis 4 Bestimmungen enthält, die im Wesentlichen mit denen von Art. 299 Abs. 2 bis 4 AEUV identisch sind.
Ebenso bestimmt Art. 41 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1), dass vom Einheitlichen Abwicklungsausschuss gemäß den Art. 38 und 39 verhängte Geldbußen und Zwangsgelder vollstreckbar sind, und Art. 41 Abs. 3 Unterabs. 2 bis 4 enthält Bestimmungen, die im Wesentlichen mit denen von Art. 299 Abs. 2 bis 4 AEUV identisch sind.
Dagegen ist insbesondere hinsichtlich der Beitreibung von Kosten und Gebühren festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in den Nrn. 69 und 70 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, bestimmte Verordnungen zur Errichtung einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union wie die Verordnung (EG) Nr. 297/95 des Rates vom 10. Februar 1995 über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. 1995, L 35, S. 1) sowie eine Vielzahl von Kommissionsverordnungen, mit denen die Kommission bestimmte eigene Befugnisse auf bereits eingerichtete Agenturen der Union überträgt, keine spezifischen Bestimmungen über die Vollstreckbarkeit der von diesen Agenturen erlassenen Rechtsakte – wie Bestimmungen nach dem Vorbild derer in Art. 299 AEUV – enthalten.
Folglich ist davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber in Bezug auf die ECHA in der REACH-Verordnung bewusst keine Vorschriften über die Zwangsvollstreckung von Entscheidungen dieser Agentur vorgesehen hat, wie sie in Art. 299 AEUV für die in dessen Abs. 1 genannten Rechtsakte der Unionsorgane vorgesehen sind.
Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass zwar nach Art. 100 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1) „die anderen Unionsorgane“ unter bestimmten Voraussetzungen und unter „außergewöhnlichen Umständen“ die Kommission ersuchen können, einen vollstreckbaren Beschluss zu ihren Gunsten zu erlassen.
Gleichwohl ist unabhängig von der Frage, ob diese Möglichkeit der ECHA offensteht, jedenfalls festzustellen, dass sie auf Forderungen beschränkt ist, die sich in Bezug auf Bedienstete oder in Bezug auf Mitglieder oder ehemalige Mitglieder eines Unionsorgans ergeben, und somit keine anderen Arten von Forderungen wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Forderungen der ECHA in Bezug auf die Beitreibung von Verwaltungsentgelten zulasten privater Wirtschaftsteilnehmer erfasst.
Im Übrigen bestätigt, wie die Generalanwältin in den Nrn. 63 und 64 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die damit bestimmten anderen als den in Art. 299 Abs. 1 AEUV genannten Unionsorganen eröffnete Möglichkeit, sich einen vollstreckbaren Titel zu beschaffen, die These, dass letztere Bestimmung eine abschließende Aufzählung enthält.
Schließlich ergibt sich zudem aus Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 274 AEUV, dass es den Mitgliedstaaten, die insoweit aufgrund der ihnen in dieser Hinsicht zustehenden Verfahrensautonomie über einen weiten Ermessensspielraum verfügen, obliegt, in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen und die Verfahrensmodalitäten dieser Rechtsbehelfe zu regeln, mit denen sichergestellt werden soll, dass Entscheidungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, mit denen Personen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden finanzielle Verpflichtungen auferlegt werden, wirksam, aber unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, vollstreckt werden.
Diese Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt sich auch aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und insbesondere aus dessen Unterabs. 2, wonach die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.
Ein solches System von Rechtsbehelfen und Verfahrensmodalitäten darf die Anwendung und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Anwendung dieses Systems die Beitreibung der betreffenden Beträge durch die ECHA praktisch unmöglich machen würde. Ferner muss dieses System ohne Diskriminierung im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, angewandt werden, und die nationalen Gerichte müssen auf dem betreffenden Gebiet ebenso sorgfältig vorgehen und nach Modalitäten verfahren, die die Beitreibung der fraglichen Beträge nicht schwieriger gestalten als in vergleichbaren Fällen, die die Durchführung entsprechender nationaler Bestimmungen betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2017, Dimos Zagoriou, C-217/16, EU:C:2017:841, Rn. 16).
Nach alledem ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C-256/23 und die erste Frage in der Rechtssache C-290/23 zu antworten, dass Art. 299 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Entscheidung der ECHA, mit der einer Person im Zusammenhang mit der Registrierung eines chemischen Stoffes durch diese Agentur eine Zahlung auferlegt wird, kein vollstreckbarer Titel im Sinne dieser Bestimmung ist.
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-290/23
Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C-290/23, die an dritter Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache im Wesentlichen wissen, ob Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 340/2008 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmungen es in einem Fall, in dem die ECHA feststellt, dass die volle Gebühr und ein Verwaltungsentgelt geschuldet sind, weil die betroffene Person, die einen Anspruch auf Gebührenermäßigung geltend gemacht hat, ihre Anspruchsberechtigung nicht fristgerecht belegen kann, ausschließen, dass diese Agentur der Union eine auf Beitreibung des betreffenden Verwaltungsentgelts gerichtete Leistungsklage vor den nationalen Gerichten erhebt, wenn dieses Entgelt nicht fristgerecht gezahlt worden ist.
Erstens ist insoweit zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 340/2008 ein Entgelt für die administrativen und fachlichen Dienstleistungen erhoben werden kann, die von der ECHA auf Verlangen erbracht und die nicht durch eine andere Gebühr oder ein anderes Entgelt nach dieser Verordnung abgedeckt sind. Sodann sieht Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung vor, dass die Entgelte für administrative Leistungen innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Datum zu entrichten sind, an dem die ECHA die Zahlungsaufforderung übermittelt. Schließlich sieht Art. 11 Abs. 3 der Verordnung vor, dass die ECHA, wenn die Zahlung nicht vor Ablauf dieser Frist von 30 Tagen erfolgt, eine zweite Zahlungsfrist festsetzt, und weiter, dass sie, wenn die Zahlung nicht vor Ablauf der zweiten Frist erfolgt, „das Ersuchen ab[lehnt]“.
Aus einer Gesamtbetrachtung dieser Bestimmungen folgt, dass es sich bei dem Ersuchen, das die ECHA nach Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 abzulehnen hat, um das in Art. 11 Abs. 1 genannte Verlangen administrativer Leistungen handelt.
Zweitens gilt zwar nach Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 340/2008 deren Art. 11 Abs. 2, 3 und 5 „entsprechend“.
Eine solche „entsprechende“ Anwendung von Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 im Kontext der Fälligkeit des in Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Verordnung genannten besonderen Verwaltungsentgelts bedeutet jedoch nicht, dass die ECHA, wenn die volle Gebühr nicht vor Ablauf der zweiten Frist gezahlt wird, dieses Verwaltungsentgelt nicht im Wege einer Leistungsklage vor den nationalen Gerichten beitreiben kann.
Zunächst betrifft nämlich, wie sich aus Rn. 87 des vorliegenden Urteils ergibt, Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 nicht die Ablehnung der Registrierung.
Sodann ergänzt Art. 13 der Verordnung Nr. 340/2008 die Bestimmungen von Art. 20 der REACH-Verordnung über das Verfahren der sogenannten „Vollständigkeitsprüfung des Registrierungsdossiers“.
Anders als die Zahlung der Registrierungsgebühr, auf die in Art. 20 Abs. 2 ausdrücklich Bezug genommen wird, ist die Zahlung des in Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 genannten Verwaltungsentgelts jedoch nicht Teil dieses Verfahrens. Selbst wenn diese Zahlung nicht erfolgt, ist das Registrierungsdossier demnach vollständig und die betreffende Registrierung kann vorgenommen werden.
Schließlich wird diese Auslegung nicht dadurch entkräftet, dass die REACH-Verordnung im Gegensatz zu dem, was in Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 297/95 in Bezug auf die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, nunmehr Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vorgesehen ist, keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthält, dass die ECHA die Möglichkeit hat, ein nationales Gericht anzurufen, wenn Gebühren und Verwaltungsentgelte nicht fristgerecht gezahlt werden.
Ein solcher Hinweis ist nämlich offensichtlich deklaratorischer Natur. Wie in den Rn. 81 und 82 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 274 AEUV und dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Rechtsbehelfe und Verfahrensvorschriften vorzusehen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die ECHA die nach Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 340/2008 geschuldeten Beträge wirksam beitreiben kann.
Nach alledem ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C-290/23 zu antworten, dass Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 340/2008 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmungen es in einem Fall, in dem die ECHA feststellt, dass die volle Gebühr und ein Verwaltungsentgelt geschuldet sind, weil die betroffene Person, die einen Anspruch auf Gebührenermäßigung geltend gemacht hat, ihre Anspruchsberechtigung nicht fristgerecht belegen kann, nicht ausschließen, dass diese Agentur der Union eine auf Beitreibung des betreffenden Verwaltungsentgelts gerichtete Leistungsklage vor den nationalen Gerichten erhebt, wenn dieses Entgelt nicht fristgerecht gezahlt worden ist.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C-256/23
Die dritte Frage in der Rechtssache C-256/23 betreffend die Auslegung von Art. 299 Abs. 2 AEUV braucht nicht geprüft zu werden, da sie nur für den Fall gestellt wird, dass der Gerichtshof die zweite Frage in dieser Rechtssache in Bezug auf die Anwendbarkeit von Art. 299 AEUV, die sich auf dessen Abs. 1 bezieht, bejaht. Aus den in den Rn. 67 bis 84 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen ergibt sich, dass diese zweite Frage zu verneinen ist.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 94 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
die Unionsgerichte von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) nicht mit einer Klage auf Erfüllung einer finanziellen Verpflichtung befasst werden können, die einer Person in einer Entscheidung dieser Agentur auferlegt worden ist.
Art. 299 Abs. 1 AEUV
ist dahin auszulegen, dass
eine Entscheidung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), mit der einer Person im Zusammenhang mit der Registrierung eines chemischen Stoffes durch diese Agentur eine Zahlung auferlegt wird, kein vollstreckbarer Titel im Sinne dieser Bestimmung ist.
Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission vom 16. April 2008 über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung Nr. 1907/2006
ist dahin auszulegen, dass
diese Bestimmungen es in einem Fall, in dem die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) feststellt, dass die volle Gebühr und ein Verwaltungsentgelt geschuldet sind, weil die betroffene Person, die einen Anspruch auf Gebührenermäßigung geltend gemacht hat, ihre Anspruchsberechtigung nicht fristgerecht belegen kann, nicht ausschließen, dass diese Agentur der Union eine auf Beitreibung des betreffenden Verwaltungsentgelts gerichtete Leistungsklage vor den nationalen Gerichten erhebt, wenn dieses Entgelt nicht fristgerecht gezahlt worden ist.
Prechal
Biltgen
Wahl
Passer
Arastey Sahún
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. September 2024.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Die Kammerpräsidentin
A. Prechal
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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